Schweitzer Fachinformationen
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1. Kapitel
TOMMI
Das Ende des Kreuzschlüssels rutscht von der Radmutter, und meine Finger schrammen über den heißen Asphalt. Schon wieder. Ich widerstehe dem Drang, mir den pochenden Mittelfinger in den Mund zu stecken, und verkneife mir einen Kraftausdruck. Nicht fluchen! Nicht fluchen! In letzter Zeit komme ich mir vor wie ein gut dressierter Hund. Ich benehme mich anständig, ziehe mich anständig an, rede anständig. Ich wahre den Schein. Das muss ich tun. Lance will es so. Und ich brauche Lance, also spiele ich mit.
Ich wische mir mit dem Handrücken über die feuchte Stirn und versuche es erneut. Nur noch eine Radmutter, nur noch diese eine. Ich stemme meine gesamten achtundfünfzig Kilo auf das Radkreuz und seufze erleichtert, als das sture Gewinde nachgibt. Ich löse es ganz, ziehe das Rad mit dem platten Reifen ab und lehne es an die hintere Stoßstange meines Wagens. Dann klopfe ich mir die Hände ab und begutachte meine Nägel. Zum Glück ist keiner abgebrochen. Derart ungepflegt zum Drink zu erscheinen - ein Unding!
Mühsam hieve ich den Ersatzreifen aus der Vertiefung unter der Abdeckung im Kofferraum und lasse ihn auf den Asphalt plumpsen, um ihn an seinen Platz zu rollen. Normalerweise wäre das alles kein Problem . wenn mein Ersatzreifen nicht auch platt gewesen wäre.
Das darf doch nicht wahr sein!
»Oh, nein!«, stöhne ich frustriert.
Hektisch werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Nie im Leben schaffe ich es jetzt noch nach Hause, um mich umzuziehen und rechtzeitig im Hotel zu sein. Aber wenn ich in dieser Aufmachung dort antanze, werde ich mir einiges anhören müssen. Eigentlich weiß ich ja, dass ich nicht in Hotpants und Tanktop herumlaufen sollte, aber manchmal kann ich der Versuchung einfach nicht widerstehen, ein ganz kleines bisschen ich selbst zu sein. Das Ich, das ich einmal gewesen bin. Das Ich, das ich unter allem anderen eigentlich noch immer bin.
»Tja, Tommi, warum hast du auch die Hilfe nicht angenommen, als sie dir angeboten wurde«, brummele ich und schließe die Augen.
Wenn man mutterseelenallein mitten im Nirgendwo eine Autopanne hat, ist es nicht das Schlechteste, lange blonde Haare zu haben. Blondinen ziehen erstaunlich viele Männer an, die einer holden Maid in Nöten zur Hilfe eilen wollen, und dieses Mal war es nicht anders. Doch habe ich sie alle mit einem höflichen Danke wieder fortgeschickt. Die meisten waren mir irgendwie nicht geheuer, und schließlich stecke ich ja tatsächlich mutterseelenallein mitten im Nirgendwo fest. Tja. Und hier stehe ich nun und komme nicht weiter. Heldenlos, hilflos und frustriert.
»Noch ist nicht alles verloren«, sagt eine tiefe angenehme Stimme hinter mir amüsiert.
Ich stoße einen kleinen Schrei aus und fahre herum. Hinter mir - dicht hinter mir! - steht ein dunkler, gut aussehender, sehr großer Mann. Unwillkürlich weiche ich zurück und stolpere über den platten Reifen. Mein mühsam antrainiertes hochklassiges Auftreten geht den sprichwörtlichen Bach runter, als ich wild mit den Armen rudernd mein Gleichgewicht zu halten versuche.
»Verfickte Scheiße!«, entfährt es mir.
Zwei große starke Hände packen meine Oberarme und bewahren mich vor dem entwürdigenden Sturz. Die Berührung jagt mir einen Stromstoß durch den Körper, und das leise rauchige Lachen des Mannes verursacht mir prompt eine Gänsehaut. »Halb Traumfrau, halb Bierkutscher. Ganz nach meinem Geschmack.«
O Gott, denke ich peinlich berührt. Doch als ich endlich dazu komme, mir meinen Retter genauer anzusehen, gerät der Grund dafür in Vergessenheit.
Vor mir steht der wohl atemberaubendste Mann, der mir je begegnet ist. Sanfte schokobraune Augen, die in der untergehenden Sonne leuchten, von langen schwarzen Wimpern wie von Federn umrahmt, und ein Lächeln, das meine Knie in Pudding verwandelt. Grundgütiger! Und ich muss zu ihm aufschauen, was eine Menge sagt, denn ich bin mit meinen ein Meter fünfundsiebzig nicht gerade klein.
»Entschuldige d-die Ausdrucksweise«, stammele ich. »Du hast mich erschreckt.« Bevor ich weiß, was ich tue, lege ich meine Finger um seine sehnigen Unterarme und spüre, wie seine Muskeln sich spannen, als er nachfasst, um mich festzuhalten. Ein paar Sekunden lang stehen wir einfach nur da. Ich weiß, dass ich zurückweichen, mich losmachen, Empörung vorgeben oder sonst etwas tun sollte, aber ich kann nicht. So unklug es sein mag, ich tue nichts, weil ich nicht will, dass er mich loslässt.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich stehe auf Frauen, die schmutzige Dinge sagen.«
»Das nennst du schmutzig?«, protestiere ich schwach.
Er zieht fragend eine schwarze Augenbraue hoch, und erst jetzt wird mir klar, wie sich das angehört haben muss. »Du kannst es also noch besser? Schmutziger?«
Obwohl es ohnehin schon drückend heiß ist, schießt mir das Blut in die Wangen. Ich werde rot! Es muss ewig her sein, dass mir das passiert ist. Ich habe in meinem Leben schon so vieles gesehen und getan, dass ich gedacht hätte, nichts könne mich mehr in Verlegenheit bringen, aber das ist wohl ein Irrtum. Ausgerechnet ein Fremder - zugegeben ein rattenscharfer Fremder - bringt mich mit einer albernen Bemerkung zum Glühen.
Bebend hole ich Luft, ringe mir ein Lächeln ab und löse behutsam meine Finger, als mir mit einiger Verzögerung klar wird, was ich hier eigentlich tue. Dieser Kerl könnte mir durchaus Böses wollen, aber mir läuft bei seinem Anblick förmlich das Wasser im Mund zusammen.
Er sieht einfach zu appetitlich aus.
Ich kneife die Augen zusammen. Herrgott. Hör auf. Hör auf. Hör auf!
»Alles in Ordnung?«, fragt der Fremde, und seine Stimme klingt plötzlich besorgt.
Blickkontakt vermeiden!
Ich öffne meine Augen einen Spalt, schaue absichtlich auf mein schmutziges Tanktop herab und streiche es glatt. Mir wird bewusst, dass ich zwischen seiner beeindruckenden Gestalt und dem offenen Kofferraum förmlich eingeklemmt bin, und ich weiche hastig zur Seite aus.
»Ja, alles okay. Ich, ähm . es ist ziemlich warm heute, und ich wollte meinen Reifen wechseln. Mir ist, ähm . bloß heiß. Und ich bin erschöpft .«
Rückwärts bewege ich mich um mein Auto herum. Meine Tasche und mein Handy sind nur ein paar Schritte entfernt, falls ich sie brauchen sollte.
Der Fremde stößt den Ersatzreifen mit der Stiefelspitze an. »Dann hoffe ich nur, dass das hier der ist, den du gerade abmontiert hast.«
Ach, verflixt! Wie konnte ich vergessen, in was für einer misslichen Lage ich mich befinde? Ich habe zwei Platten!
Hilflos sehe ich zu, wie er um den Wagen herumschlendert und den zweiten platten Reifen entdeckt. »Ich bin übrigens Sig«, sagt er, verschränkt die Arme vor der Brust und tritt einen Schritt zurück. »Tja, wie es aussieht, brauchst du jemanden, der dich abschleppt.«
Abschleppen! Na klar! Ich stürze zur Fahrerseite und beuge mich hinein, um mein Handy zu holen, wobei mir nur allzu bewusst ist, dass meine knappe Jeansshorts noch weiter aufwärts rutscht, als ich mich nach meiner Tasche strecke. Hastig richte ich mich wieder auf und wedele mit meinem iPhone. Dass der Fremde inzwischen genüsslich meine Beine betrachtet, entgeht mir nicht. »Einen Abschleppwagen. Genau. Den rufe ich jetzt an.«
Doch statt nach einem Pannendienst zu suchen, starre ich blind auf das Display. Meine Lage ist schlimmer, als dieser Mann ahnt. Wenn mein Wagen abgeschleppt wird, muss ich mir ein Taxi rufen, das mich in die Stadt bringt, und dann verliere ich noch mehr Zeit, während ich warte. Mich zu Hause umzuziehen ist nicht mehr drin, daher werde ich mir irgendwo ein paar passende Klamotten kaufen müssen, um es überhaupt noch zu der Verabredung zu schaffen. Aber wie man es dreht und wendet, ich kann nur verlieren. Ich komme zu spät und bin ohne Auto unterwegs. Lance wird toben.
Lange gebräunte Finger legen sich um meine. Der Fremde beugt sich herab, bis sein Gesicht in meinem Blickfeld auftaucht. »Brauchst du Hilfe? Deswegen habe ich ja schließlich angehalten. Und nur deshalb, okay?«
Sein Blick wirkt aufrichtig, aber seine Augen funkeln schelmisch. Vermutlich sieht man mir mein Misstrauen an. Und plötzlich komme ich mir dumm vor. Ich bin mir sicher, dass er es ernst meint und mir wirklich nur helfen will. Also blicke ich in seine wunderschönen Augen und tue das Undenkbare.
Ich nehme an.
»Ich könnte tatsächlich Hilfe gebrauchen.«
»Sieht ganz danach aus. Was kann ich tun? Dich mitnehmen? Mit dir warten, bis der Abschleppwagen kommt?« Eine kurze Pause. Ein spitzbübisches Grinsen. »Dir eine starke, unfassbar attraktive Schulter zum Ausheulen anbieten?«
Unwillkürlich muss ich lächeln. »Und ich hatte schon gedacht, ritterliche Egomanen seien ausgestorben!«
»Keinesfalls. Sie sind quicklebendig, Schätzchen«, erwidert er mit einem Augenzwinkern. Er spricht das »Schätzchen« auf die typische, sehr männliche Südstaatenart aus, und ich muss prompt ein Schaudern unterdrücken. »Also - wohin willst du?«
Ich werfe einen Blick zu dem schwarzen Truck, der hinter meinem Wagen parkt. Das Problem mit den Reifen scheint mich stärker beschäftigt zu haben, als ich dachte, da ich die Kiste nicht habe kommen hören. »Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht? Ich habe tatsächlich einen dringenden Termin, aber ich...
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