Schweitzer Fachinformationen
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Mir liefen die Tränen übers Gesicht, sosehr ich auch gegen sie ankämpfte. Ich hatte nie gelernt, wie man Zwiebeln schneidet, ohne zu weinen. Halbblind tastete ich nach dem klingelnden Handy.
«Maria Kallio.»
«Koivu hier, grüß dich.»
«Hallo! Warte mal, ich muss mir die Tränen abwischen.» Ich legte das Handy weg, drehte die Kochplatte aus, nahm die Pfanne vom Herd und schnäuzte mich ausgiebig.
«Was bringt dich denn zum Weinen? Etwa ?», frotzelte Koivu, als ich sprechbereit war.
«Nee, 'ne Zwiebel. Ich mach gerade Räucherlachssoße.»
«Das Kochen wirst du Antti überlassen müssen. Schwere Körperverletzung in Latokaski, Täter unbekannt. Das Opfer wird gerade operiert, hat aber kaum Überlebenschancen. Anu und Puustjärvi sehen sich in der Gegend um, wir brauchen Verstärkung.»
«Ruf erst mal bei der Schutzpolizei an und versuch, Lähde zu erreichen. Wo bist du jetzt?»
«Im Präsidium, aber ich fahr gleich zur Klinik.»
«Hier in Espoo? Dann treffen wir uns spätestens in einer Stunde dort.»
Ich schaltete die Kochplatte wieder ein und gleich noch eine zweite für die Nudeln dazu. Die Soße würde nicht so lange köcheln wie geplant, doch das ließ sich nicht ändern. Hauptsache, ich bekam etwas Warmes in den Bauch. Zum Mittagessen hatte ich keine Zeit gehabt, und nach der Arbeit war ich sieben Kilometer gejoggt. Meine letzten Reserven waren aufgezehrt, mit leerem Magen würde ich nichts mehr zustande bringen.
Ich warf die klein gewürfelten Zwiebeln in die Pfanne, gab zwei zerdrückte Knoblauchzehen dazu und ließ das Gemisch in Olivenöl glasig werden. Die Zucchiniwürfel und der in Stücke geschnittene kaltgeräucherte Lachs brauchten nicht lange zum Garwerden. Ich war keine Meisterköchin, aber Soßen gelangen mir immer. Ich gab die Nudeln in das siedende Wasser, mischte den Salat und schmeckte die Soße mit Crème fraîche, Rosépfeffer und einem Schuss Weißwein ab. Dann holte ich meine Familie zu Tisch. Antti war damit beschäftigt, einen Apfelbaum zu stutzen, der mit knapper Not den Winter überstanden hatte, und unsere Tochter Iida baute für ihre Puppen eine Burg aus Steinen und Lehm, den sie sich auch ins Gesicht geschmiert hatte.
«Das Essen ist fertig!», rief ich. Bis Antti der Kleinen Hände und Gesicht gewaschen hatte, würden die Nudeln gar sein. Unser Kater Einstein schlüpfte mit ins Haus. Er hatte den Lachs gerochen und wusste, dass von Iidas Teller einige Brocken für ihn abfallen würden.
«Möchtest du ein Glas Wein?», fragte Antti, als ich Iida das Lätzchen umband.
«Nein danke. Koivu hat angerufen, ich muss noch arbeiten.»
«Schade. Es ist so ein schöner Frühlingsabend, wir hätten einen Spaziergang machen können», bedauerte Antti und goss sich selbst großzügig ein.
«Es dauert sicher nicht lange. Ich habe morgen früh eine Sitzung, deshalb will Koivu heute Abend noch das Vorgehen mit mir abklären. Schwere Körperverletzung», sagte ich leise. Iida war zwar erst zweieinhalb, doch in ihrer Anwesenheit sprach ich nicht gern über berufliche Dinge.
Ich aß hastig, zog eine saubere Bluse an und vergewisserte mich, dass mein Pferdeschwanz nicht allzu schief saß. Vor dem verwitterten Einfamilienhaus, in dem wir zur Miete wohnten, wirkte mein Dienstwagen, ein neuer, glänzender Saab, wie ein Fremdkörper. Unsere Straße war voller Frostlöcher, ein Stück weiter sah es schon anders aus: Hier wurde die neue Schnellstraße gebaut, und die Landschaft war nicht wieder zu erkennen. An einen Schaufellader, der auf der Baustelle stand, hatte jemand mit großen roten Buchstaben «Naturmörder» gepinselt. Solche Sachbeschädigungen wurden oft härter geahndet als Körperverletzungen.
Auf den ersten Blick schien es in der Klinik ruhig zu sein, doch hinter den Glastüren sah man weiß gekleidete Gestalten hin und her eilen, und draußen fuhr mit Sirenengeheul ein Krankenwagen ab. Koivu erwartete mich in der Eingangshalle. Er war einsneunzig groß und hatte den Körperbau eines Eishockeyspielers. Seine braunen Augen sahen müde aus, doch bei meinem Anblick hellte sich sein Gesicht auf.
«Hallo, Chefin! Ilveskivi wird gerade operiert, aber es sieht nicht gut aus. Schwere Verletzungen am Rückgrat und an der Lunge, dazu eine Stichwunde am Herzbeutel. Sein Herz hat im Krankenwagen schon einmal stillgestanden, aber man hat ihn wieder belebt. Außer dem Messer hat der Täter eine schwere Schlagwaffe benutzt, möglicherweise eine Eisenstange.»
«Das Opfer konnte also identifiziert werden?»
«Er hatte einen Personalausweis bei sich. Petri Olavi Ilveskivi, geboren im Februar zweiundsechzig. Möbeldesigner und Stadtverordneter.»
«Deshalb kam mir der Name so bekannt vor! Ein bekennender Schwuler, wenn ich mich nicht täusche?»
Koivu nickte. «Nicht vorbestraft, aber laut Register wurden Ilveskivi und sein Freund kurz vor der letzten Kommunalwahl von Skinheads zusammengeschlagen.»
Ich erinnerte mich dunkel an den Fall, in dem ich nicht selbst ermittelt hatte, weil ich damals noch im Mutterschaftsurlaub war. Ilveskivi und sein Lebensgefährte hatten sich spätabends im Bus umarmt, was eine Horde von Skinheads dermaßen erbost hatte, dass sie an derselben Haltestelle ausgestiegen waren und die beiden Männer zusammengeschlagen hatten.
«Das wird eine Riesensache», prophezeite Koivu. «Die Techniker sind am Tatort, Anu und Puustjärvi sprechen mit dem Jogger, der Ilveskivi gefunden hat. Lähde und Mela machen noch bis neun Uhr die Runde durch die Nachbarschaft. Der Tatort ist abgelegen, aber über den Wanderweg ist eine komplette Elefantenherde getrampelt, ehe wir ihn absperren konnten. Die Sanitäter hielten die Versorgung des Opfers für wichtiger als eventuelle Spuren.»
«Wurde Ilveskivi beraubt?»
«Sein Portemonnaie mit Geld und Kreditkarten steckte noch in der Brusttasche, seine Aktentasche lag neben dem Rad.»
«Seltsam. Wurden die Skinheads damals verurteilt?»
«Sie sind mit Geldstrafen davongekommen, bis auf den Anführer, der unter Bewährung stand und die Reststrafe absitzen musste. Seit einem Jahr ist er wieder draußen. Ich habe angeordnet, ihn gleich morgen zur Vernehmung vorzuführen. Und Eija Huovinen sammelt gerade Informationen über Ilveskivi.»
«Im war im Dezember ein Artikel über die Weihnachtsvorbereitungen von Ilveskivi und seinem Mann.»
«Wie kannst du dich an all das erinnern?», wunderte sich Koivu.
«Berufskrankheit», lachte ich. Mein gutes Namensgedächtnis war mir bei den Ermittlungen oft von Nutzen gewesen, und ich bemühte mich, es zu pflegen.
Koivus Handy klingelte.
«Koivu. Hallo.»
Aus seinem Tonfall schloss ich, dass die Anruferin Kriminalmeisterin Anu Wang war, die zweite weibliche Ermittlerin in unserem Dezernat und zugleich Koivus Freundin.
«Ein Motorrad? Eine Harley oder ein normales? Okay. Bittet sie, morgen aufs Präsidium zu kommen und sich Fotos anzusehen. In der Klinik, mit Maria.»
Wang und Puustjärvi hatten mit einer Frau gesprochen, die kurz nach fünf ihren Hund ausgeführt und sich über einen Motorradfahrer geärgert hatte, der über den Wanderweg preschte. Da der Weg für Motorfahrzeuge gesperrt war, hatte sie versucht, das Nummernschild zu erkennen, doch es war völlig verdreckt gewesen.
«Ich versuche die Krankenschwester zu finden, mit der ich wegen Ilveskivi telefoniert habe», wandte sich Koivu nun an mich. Wir machten uns auf den Weg in die chirurgische Abteilung, deren Warteraum fast leer war. Nur ein untersetzter Mann hockte in einer Ecke, das Gesicht in den Händen vergraben.
«Das dürfte Tommi Laitinen sein. Ich geh mal hin und rede mit ihm. Komm wieder hierher, wenn du mit der Krankenschwester gesprochen hast.»
Ich trat zu dem Mann in der Ecke. Er trug eine helle Baumwollhose und eine dunkelblaue Cordjacke, seine braunen Lederschuhe waren sorgfältig poliert. Am Hinterkopf wurde das hellbraune Haar bereits schütter.
«Tommi Laitinen? Kommissarin Maria Kallio von der Polizei Espoo. Sind Sie imstande, einige Fragen zu beantworten?»
Es dauerte eine Weile, bis meine Worte ihn erreichten.
«Jetzt nicht», antwortete er schließlich kraftlos, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.
Ich setzte mich. Die Situation war mir nicht neu. Es wäre grausam gewesen, Laitinen zu vernehmen, andererseits brauchte er jemanden, mit dem er reden konnte.
«Soll ich einen Freund oder einen Verwandten herbitten?», fragte ich, doch er schien meine Worte nicht zu hören. Also saßen wir einfach stumm da, und ich versuchte, mir den Bericht im «Z-Magazin» in Erinnerung zu rufen.
Ilveskivi und Laitinen lebten seit rund fünfzehn Jahren zusammen und hatten sich vor zehn Jahren verlobt. Sie träumten davon, ein Kind zu adoptieren.
Der vierzigjährige Laitinen war Kindergärtner von Beruf. Auf dem Zeitungsfoto hatte er schalkhaft gelächelt. Jetzt waren nur seine dünnen, rotbraunen Haare zu sehen. Seine Hände waren so breit, dass er den Verlobungsring mit dem einen Quadratzentimeter großen Onyx gut tragen konnte. Seine Brille lag neben ihm auf der Bank.
Etwa fünf Minuten saßen wir uns schweigend gegenüber. Dann ging die Tür auf, und Koivu kam mit zwei Männern im Chirurgenkittel herein. Ich suchte Koivus Blick, er schüttelte fast unmerklich den Kopf.
«Herr Laitinen», sagte der ältere der beiden Ärzte, «wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr . dass Petri Ilveskivi die Operation nicht überlebt hat. Mein Beileid.»
Laitinen blieb eine ganze Weile reglos sitzen. Als er schließlich den Kopf hob, sprühten seine Augen vor...
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