Schweitzer Fachinformationen
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Eins
Das Erste, was ich sah, als ich die Augen aufschlug, waren die Traubenkirschbäume. Wir hatten einen warmen Frühling gehabt, und nun standen sie in voller Blüte, dicht behängt mit duftenden Dolden. Antti bestand darauf, nachts die Vorhänge offen zu lassen, damit er ihre Zweige sehen konnte, die sich vor dem Sommernachtshimmel abzeichneten. Allmählich hatte auch ich mich an die Helligkeit im Schlafzimmer gewöhnt.
Antti schlief noch, Einstein räkelte sich in den Sonnenstrahlen, die auf das Bett fielen. Es war acht, Zeit zum Aufstehen.
Ich ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Ohne Kaffee bin ich morgens nicht zu gebrauchen. Ich ließ mir eiskaltes Wasser über das Gesicht laufen und tapste dann barfuß über den Hof, um die Zeitung hereinzuholen. Das Gras kitzelte an den Fußsohlen, ich atmete tief ein, spürte den Duft der Traubenkirschblüten und die aufziehende Sommerhitze. Nur der Baulärm am Westring störte die Idylle.
Ich widmete mich in aller Ruhe meinem Frühstück und der Zeitung, bevor ich Einstein zu seinem allmorgendlichen Uferrundgang nach draußen ließ. Dann zog ich die Büroshorts und die korrekte Bluse an, trug Wimperntusche und eine Spur Lippenstift auf und radelte los. Antti schlief noch immer. Er hatte wieder die halbe Nacht über seiner Dissertation gesessen, erst in der Morgendämmerung war er zu mir ins Bett gekrochen.
Seit gut einem Monat übten wir uns im Zusammenleben. Bisher hatten wir es ohne schlimmere Wutausbrüche und Streitereien geschafft, obwohl vor allem bei mir die Nerven blank lagen. Ein neuer Wohnort, ein neuer Job, die ungewohnte Zweisamkeit im Alltag, das Gefühl der Leere nach dem bestandenen Examen . Mehr als genug Stress für eine einzige Frau.
Eigentlich kannte ich Antti schon lange. Vor vielen Jahren hatte ich ihn als Freund des Freundes meiner Mitbewohnerin kennen gelernt und sofort interessant gefunden. Im vergangenen Jahr hatten wir uns dann wieder gesehen, als ebendieser Freund ermordet wurde. Aber erst nachdem der Mordfall aufgeklärt war, hatten wir unser Interesse füreinander wieder entdeckt, dabei war es für uns beide nicht der günstigste Zeitpunkt zum Verlieben gewesen: Ich schrieb mit Feuereifer an meiner Abschlussarbeit, Antti arbeitete an seiner Dissertation und lehrte an der Universität Mathematik. Unsere gemeinsamen Mittagessen in der Mensa im Hauptgebäude der Uni zogen sich in die Länge, und ab und zu legten wir anschließend auf dem Sofa in Anttis Arbeitszimmer einen Quickie hin.
Trotzdem schaffte ich es, meine Abschlussarbeit fertig zu schreiben, und begab mich auf die Stellensuche, die, wie sich bald herausstellte, schwieriger war, als ich erwartet hatte. Ich zog sogar schon in Erwägung, bei der Polizei, meinem früheren Arbeitgeber, anzurufen, sosehr es mir auch gegen den Strich ging, demütig um eine Vertretungsstelle zu betteln.
Dann passierten gleich mehrere Dinge auf einmal: Antti bekam ein großzügiges Stipendium, das es ihm ermöglichte, ein Jahr lang ganztags an seiner Dissertation zu arbeiten, ich fand einen Job in einer kleinen, recht leger wirkenden Anwaltskanzlei im Norden des Espooer Stadtteils Tapiola, und die Erben meiner verstorbenen Großtante entschlossen sich, die Wohnung zu verkaufen, in der ich seit vier Jahren ohne Mietvertrag gehaust hatte.
Anfangs war zwischen uns nicht die Rede von Zusammenziehen. Anttis Zweizimmerwohnung wäre sowieso zu klein für uns beide gewesen, weil er ja jetzt zu Hause arbeitete. Ich war schon auf Wohnungssuche, als Antti erfuhr, dass an seinem Haus die Fassade renoviert werden sollte.
«Bei dem Krach kann ich mich nicht auf die Arbeit konzentrieren», erklärte er mir am Telefon. «Meine Eltern wollen auf jeden Fall den ganzen Sommer in ihrer Villa in Inkoo verbringen, also werd ich wohl so lange nach Tapiola in ihre Wohnung ziehen. Wann musst du denn aus deiner Bude raus?»
«Spätestens Anfang Juni. Wieso?»
«Ach, ich dachte nur . du könntest doch den Sommer über bei mir in Tapiola wohnen. Dann können wir mal ausprobieren, wie wir miteinander auskommen.»
«So was kann man doch nicht am Telefon entscheiden», wehrte ich erschrocken ab. Zusammenleben, das kam mir einfach zu endgültig vor, es machte mir Angst.
Nachdem wir am Abend stundenlang darüber geredet hatten, stimmte ich schließlich zu. Anttis Eltern wollten am ersten Mai nach Inkoo ziehen und bis Ende September bleiben, eventuell auch länger. Sie spielten wohl mit dem Gedanken, sich endgültig dort niederzulassen, Anttis Vater war nämlich gerade pensioniert worden. Aber so weit in die Zukunft wollte ich noch gar nicht denken. Im Moment war es sowieso ziemlich leicht, eine Wohnung zu finden, und mit dem, was ich in der Anwaltskanzlei Henttonen verdiente, konnte ich mir sogar eine relativ teure Mietwohnung leisten.
Mein Weg in den nördlichen Teil von Tapiola führte am Meer vorbei und durch Wiesen hindurch. Als ich am Einkaufszentrum vorbeifuhr, entdeckte ich einen Bekannten. Es war Make, er stopfte vor dem Sportgeschäft gerade Pappkartons in den Müllcontainer.
«Ciao, wühlst du etwa im Müll?»
«Ich hab das Lager für den Sommerschlussverkauf geleert. Brauchst du vielleicht einen neuen Badeanzug? Gibt's jetzt extrem günstig.»
«Ich schwimme ohne, wenn's irgendwie geht. Sehn wir uns heute Abend bei Hänninens?»
«Ja, ich hab auch 'ne Einladung gekriegt, weiß gar nicht, wieso», lächelte er und knallte den Container zu. Während ich die letzten fünfhundert Meter zu meinem Arbeitsplatz radelte, dachte ich an meine erste Begegnung mit Make zurück.
An einem meiner ersten Arbeitstage in der Kanzlei war ich auf dem Heimweg beim Sportgeschäft vorbeigegangen, weil dort Satteltaschen im Angebot waren. Ich war die einzige Kundin, und der Verkäufer - eben Make - hatte mir mit lobenswerter Gründlichkeit die neuesten Modelle vorgeführt.
Gleich am nächsten Abend waren wir uns zufällig im Fitnesscenter begegnet. Während ich meine Brustmuskeln trainierte, setzte sich Make an das Gerät für Schultertraining, das gleich daneben stand. Wir unterhielten uns übers Radfahren und nahmen das Gespräch jedes Mal wieder auf, wenn wir an benachbarten Geräten trainierten. Als ich nach der Sauna ganz entspannt den Umkleideraum für Frauen verließ, kam Make gerade auf der Männerseite heraus.
«Jetzt lass ich mir ein Bierchen schmecken», sagte er. «Du auch?»
Er wollte mich unbedingt zu einem Bier auf der Terrasse am Kaskadenhaus einladen. Ich schaute ihm nach, als er die Getränke holen ging. Unter der verwaschenen Jeans und dem violetten T-Shirt verbarg sich ein muskulöser Körper, die strohblonden glatten Haare waren witzig geschnitten, vorn etwas länger als hinten, sodass sie ihm über die Augen fielen, wenn er den Kopf drehte. Obwohl er in meinem Alter sein musste, hatte er ein jungenhaftes Lächeln, aber in seinen Augen lag nicht nur Übermut.
«Das ist typisch für mich: erst den Bizeps trainieren und dann die Schluckmuskeln», lächelte ich ihn an, als er wieder am Tisch saß. «Ich heiße übrigens Maria Kallio.»
«Weiß ich schon, du hast doch gestern mit der Kreditkarte bezahlt. Ich heiße Markku Ruosteenoja, aber alle nennen mich Make. Ich wohn in Hakalehto. Arbeitest du hier in der Nähe?»
«Ich hab gerade in einer Anwaltskanzlei angefangen.»
«Bei Eki Henttonen? Der hat mir schon erzählt, er bekäme demnächst eine tüchtige junge Juristin. Da hat er also dich gemeint! Eki hat mich letztes Jahr in einer Sache beraten», erklärte Make.
Obwohl es schon neun war, schien mir die Sonne noch schräg ins Gesicht. Im Bassin schwammen Enten, bis ein Golden Retriever ins Wasser sprang und sie aufscheuchte. Das Bier schmeckte einfach zu gut, ich hatte mein Glas schon halb ausgetrunken.
Make war einer von diesen glatten, ordentlich gekleideten, sportlichen jungen Männern, für die ich normalerweise keinen zweiten Blick übrig habe. Aber in seinen Augen flackerte hin und wieder eine Brüchigkeit auf, die mich fesselte.
«Juristin, Bodybuilderin, Radlerin - was bist du denn noch alles?», neckte er mich.
«Expolizistin und ewige Punkerin», gab ich zurück, «und du?»
«Nichts Besonderes. Verkäufer in einem Sportgeschäft. Wohnst du hier?»
«Wie man's nimmt. Den Sommer über wohn ich in Itäranta, im Reihenhaus von Leuten, die vielleicht mal meine Schwiegereltern werden. Wo ich im Herbst sein werde, weiß ich noch nicht.»
«Schwiegereltern?», wiederholte Make düster. «Du bist also schon vergeben. Na klar!» Er leerte sein Glas in einem Zug, und ich dachte schon, er würde sofort verschwinden. Als er doch sitzen blieb, fühlte ich mich verpflichtet weiterzureden:
«Vergeben, das klingt so deprimierend. Sagen wir lieber, ich bin jetzt seit fast einem Jahr mit demselben Mann zusammen. Für mich ist das 'ne reife Leistung.»
Bei der Bemerkung musste Make unwillkürlich lächeln. Er konnte ja nicht wissen, wie ernst sie gemeint war.
«Hat dein Freund denn nichts dagegen, dass du mit anderen Männern beim Bier sitzt?»
«Du, mit einem, der mich zu Hause unter Verschluss hält, wär ich nicht lange zusammen. Selbst wenn wir verheiratet wären und fünf Kinder hätten, würde ich mir noch das Recht nehmen, Bier zu trinken, mit wem ich will.»
«Möchtest du auch noch eins?» Er nahm sein leeres Glas und stand auf, um Nachschub zu holen.
«Ein kleines, aber jetzt bin ich mit Bezahlen dran.»
Aber er war schon unterwegs und wollte auch kein Geld annehmen, als er zurückkam. Wir unterhielten uns ein wenig gezwungen über Fahrräder und Bodybuilding, da fragte er...
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