Schweitzer Fachinformationen
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Der Wind rüttelte an meinem kleinen Fiat und fegte Schnee auf die Windschutzscheibe. Der Dezember war ungewöhnlich düster. Schon um drei Uhr herrschte fast völlige Dunkelheit. Obwohl ich oft nach Nuuksio fuhr, schien mir die Straße plötzlich fremd. Ich rief mir die Streckenbeschreibung ins Gedächtnis: Kurz hinter der Kurve am See rechts abbiegen, dann zweimal links. Das letzte Wegstück würde schmal und wahrscheinlich zugeschneit sein. Zum Glück hatte ich eine Schneeschaufel im Kofferraum.
Wie sich bald herausstellte, brauchte ich sie nicht, denn jemand hatte den Weg zum Gutshaus Rosberga, das hell erleuchtet auf einem Hügel stand, freigeschaufelt. Die steile Auffahrt zum rosafarbenen Portal war sogar gestreut. Im Sommer sah Rosberga sicher bezaubernd aus, doch jetzt wirkten die Rosenbüsche, die sich an der Mauer entlangrankten, kahl und abweisend.
Das Tor war geschlossen, und das Schild, das daran hing, machte nicht gerade einen freundlichen Eindruck. Als das Kurszentrum Rosberga vor einigen Jahren gegründet wurde, hatte vor allem dieses Schild Aufsehen erregt. ZUTRITT FÜR MÄNNER VERBOTEN stand in nüchternen schwarzen Buchstaben darauf. Die katzengroße Bärenskulptur auf dem Tor sah wesentlich freundlicher aus.
Elina Rosberg, die Gutsherrin, ließ keinen Mann ins Haus. Ihre Therapiegruppen und Selbstverteidigungskurse waren exklusiv für Frauen reserviert. Reparaturen ließ sie angeblich nur von Handwerkerinnen ausführen. Und als sie für ihren Kurs «Geistige Selbstverteidigung» den Vortrag eines Polizisten einplante, lud sie natürlich eine Frau ein.
Die Polizeibehörde von Espoo, bei der ich angestellt war, hatte in den letzten Jahren besonderes Gewicht auf die Öffentlichkeitsarbeit gelegt. In den Schulen hatte man Quartettspiele verteilt, auf denen einzelne Mitarbeiter vorgestellt wurden, und auf den verschiedensten Veranstaltungen sprachen die Beamten bereitwillig über ihre Arbeit. Daher hatte kaum jemand gelacht, als Elina Rosberg eine Polizistin angefordert hatte, die einen Vortrag über speziell für Frauen relevante Verbrechen und über das Verhältnis zwischen Frauen und der Polizei halten sollte.
«Genau das Richtige für Kallio», hatte Pertti Ström während der Kaffeepause gewitzelt. «Wenn wir wollen, dass diese Emanzen auf die Polizei hören, schicken wir am besten eine von ihrer Sorte hin.»
«Schade, dass Männer keinen Zutritt haben. Sonst könnte ich dich als Demonstrationsobjekt mitnehmen: Hier sehen Sie ein chauvinistisches Polizistenschwein in Reinkultur», gab ich zurück.
«Pertsa ein Chauvi? Dabei hat er doch sogar seiner Frau erlaubt, arbeiten zu gehen. Was nicht ohne Folgen blieb», warf Palo ein und duckte sich unter den Tisch, um Pertsas Fausthieb zu entgehen, der nicht ganz so spaßhaft war, wie er schien. Ströms Scheidung lag schon einige Jahre zurück, doch sie war immer noch ein wunder Punkt.
Ich hatte mich darauf eingestellt, möglichst realistisch zu berichten, sowohl über die Arbeit einer Polizistin als auch über Frauen, die mit der Polizei in Berührung kamen. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, was für ein Publikum mich erwartete. In der Öffentlichkeit war Rosberga zur Festung der fanatischsten Feministinnen abgestempelt worden, umso mehr, da die Kurse zum Teil in Zusammenarbeit mit dem Frauenverband Union und der Organisation für sexuelle Gleichberechtigung, Seta, veranstaltet wurden. Als Mitglied beider Vereine wusste ich, dass ihnen sehr unterschiedliche Frauen angehörten. Wahrscheinlich würde ich meinen Berufsstand verteidigen müssen. Auf jeden Fall würde es anders zugehen als in den Rentner- und Hausfrauenclubs, in denen ich bisher aufgetreten war.
Man ließ mich auch deshalb gern die Behörde repräsentieren, weil ich dem traditionellen Polizistenbild so gar nicht entsprach. Erstens bin ich eine Frau und zweitens nur knapp über eins sechzig. Meine Wuschelhaare haben einen natürlichen Rotton, den ich oft künstlich verstärke. Ich habe eine Stupsnase und Sommersprossen, die zum Glück im Winter verschwinden. Mein Körper ist eine seltsame Mischung aus Kurven und Muskeln. Vermutlich habe ich es meinem runden Mund und meinem görenhaften Kleidungsstil zu verdanken, dass ich im Alkoholgeschäft immer noch den Ausweis vorzeigen muss, obwohl ich schon dreißig bin. Jetzt trug ich Jeans, ein Polohemd und ein maskulin geschnittenes Jackett. Ich hatte versucht, mich älter zu schminken. Am Tor war weder eine Klingel noch ein Klopfer zu sehen. Ich wollte gerade aussteigen, um mich irgendwie bemerkbar zu machen, als das Tor wie von selbst aufschwang. Ich fuhr auf den von kahlen Rosenbüschen gesäumten Innenhof. Das Klicken, mit dem das Tor ins Schloss fiel, klang irgendwie bedrohlich, obwohl Mauer und Tor ja gerade die von außen drohenden Gefahren abwehren sollten.
Die Wände des Gutshauses Rosberga waren ebenfalls rosenrot gestrichen und von Rosen berankt. Als das für Männer unzugängliche Kurszentrum gegründet wurde, war natürlich über das «Dornröschenschloss» gespottet worden. «Warten die Feministinnen auf den Kuss des Märchenprinzen?», hatte ein Boulevardblatt gehöhnt. Die Rosen hatte angeblich Elina Rosbergs Urgroßmutter gepflanzt.
Elina Rosberg stand in der weiß gerahmten Tür und begrüßte mich mit einem festen Händedruck. Sie war etwa zwanzig Zentimeter größer als ich, hatte breite Schultern und einen großen Busen, war aber im Übrigen schlank. Der Wind plusterte ihre kurzen blonden Haare auf, das seitlich fallende Licht hob ihre lange schmale Nase und die hohen Backenknochen hervor. Selbst in Jeans und zerschlissenem Lammfellmantel wirkte sie wie eine Gutsherrin. Ihre tiefe, sympathische Stimme klang wie die eines Menschen, der gern lacht.
«Möchtest du eine Tasse Tee, bevor du anfängst?», fragte sie. «Die Entspannungsübung ist noch nicht vorbei.»
Ich fragte sie, was für ein Publikum mich erwartete.
«Eine außergewöhnlich große Gruppe, rund zwanzig Frauen. Es ist ja unser erster Kurs über geistige Selbstverteidigung. Die Gruppe ist sehr diskussionsfreudig und oft kontrovers.»
Sie führte mich in eine geräumige Wohnküche. In der Ecke bullerte ein aus Ziegelsteinen gemauerter Backofen, auf der Ofenbank räkelte sich eine Katze.
«Aira, wärst du so lieb, Hauptmeister Kallio eine Tasse Tee einzuschenken? Ich sehe inzwischen im Saal nach, wie weit die Entspannungsübung gediehen ist.» Damit ging Elina Rosberg hinaus. Die Frau, die sie als Aira angeredet hatte, stand am Herd.
«Aira Rosberg», stellte sie sich vor. «Elinas Tante.»
Auch ohne diesen Zusatz hätte ich eine Verwandte in ihr vermutet, die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Aira Rosberg musste über siebzig sein, doch sie war fast so groß wie ihre Nichte und hielt sich mindestens ebenso gerade. Sie hatte die gleiche lange schmale Nase und die gleichen hellblauen Augen. Nur die Haare sahen anders aus: Sie trug eine Helmfrisur in elegantem Stahlgrau.
Der Tee war heiß und schmeckte nach Johannisbeeren. Das Brot, das Aira Rosberg mir anbot, lehnte ich dankend ab. Ich setzte mich in einen Sessel in der Ecke und versuchte, meinen Vortrag zu rekapitulieren, sah aber unwillkürlich immer wieder zu der Frau mit der grau gestreiften Marimekko-Schürze hin, die die Spülmaschine ausräumte. Welche Funktion hatte sie in Rosberga? War sie die Köchin? Sie arbeitete konzentriert und zügig, ohne sich weiter um mich zu kümmern, fragte nur einmal, ob ich noch Tee wolle.
Die Zeit schien mir länger, doch der Uhr nach waren erst sieben Minuten vergangen, als Elina Rosberg zurückkam.
«Wir sind bereit, wenn es dir recht ist.» Ich folgte ihr zurück in die Eingangshalle mit der breiten Treppe. Eine Flügeltür führte in einen Raum, der früher einmal der Festsaal gewesen sein musste. An den Wänden hingen kostbare Tapeten mit Rosenmuster, doch auf dem blank gewienerten Parkett standen keine Stilmöbel, sondern leicht gebaute Tische und Stühle, die sich bequem beiseite räumen ließen. Leider waren sie aufgestellt wie in einer Schulklasse. Elina zeigte mir das Rednerpult und den Overheadprojektor. Nachdem sie mich vorgestellt hatte, begann ich meinen Vortrag abzuspulen, zuerst ein wenig nervös, doch schon nach wenigen Minuten ganz locker und gelassen. Elina saß in der ersten Reihe und hörte aufmerksam zu, ihr hellblauer Pullover betonte die Farbe ihrer Augen. Sie hatte ihre langen Beine um die Stuhlbeine geschlungen, einer ihrer grauen Wollstrümpfe war nachlässig mit lila Garn gestopft. Nach einer Weile schlich sich Aira in die letzte Reihe. Sie hatte die Schürze abgelegt und wirkte eckig in ihrem grauen Flanellhemd und der dunkelblauen Hose. Die Frauen saßen still da und hörten zu, sie wirkten interessiert, eine schrieb sogar mit. Gerade so hatte ich mir die Teilnehmerinnen an einem Kurs für geistige Selbstverteidigung in Rosberga vorgestellt: durchschnittlich fünfunddreißig, leger gekleidet, mindestens die Hälfte mit rötlichen Haaren. Fast alle trugen Kalevala-Ohrringe, zwei von ihnen dieselben wie ich, mit kleinen Mondgöttinnen als Anhängern. Wenn ich im Publikum gesessen hätte, wäre ich nicht aufgefallen, niemand hätte mit dem Finger auf mich zeigen und mich als Polizistin identifizieren können.
Zwei der Frauen stachen jedoch deutlich von den anderen ab. Die jüngere hatte extrem kurze, violett und schwarz gestreifte Haare und mehr Schminke im Gesicht als alle anderen Kursteilnehmerinnen zusammen. Während die anderen Frauen, offenbar wegen der Entspannungsübung, vorwiegend Trainingsanzüge anhatten, trug die mit den gestreiften Haaren ein schwarzes Minikleid, das ihr kaum über den Po reichte und sich über ihren Rundungen spannte, dazu eine schwarze Lederjacke und violette Stiefel mit...
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