Schweitzer Fachinformationen
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Die Waffe war direkt auf das Herz gerichtet. Aus weit aufgerissenen Augen sah das Mädchen den Jäger an, der ihrem flehenden Blick nicht lange standhielt. Sobald er das Gewehr sinken ließ, floh das Mädchen, die Schlittschuhe trugen sie an den Waldrand, und die Lichtung füllte sich mit fröhlich tanzenden Tieren.
Doch die Leidensgeschichte des Mädchens war noch nicht zu Ende. Es wurde von Raubtieren angegriffen, und die Zwerge, in deren Haus es sich rettete, nahmen es nur zögernd bei sich auf. Dann kam die böse Stiefmutter, als alte Frau verkleidet, und reichte ihm einen vergifteten Apfel.
Wer auch immer für die Maske zuständig war, er verstand sein Geschäft. Es war ihm gelungen, Silja Taskinen in ein runzliges altes Weib und Noora Nieminen, die das Schneewittchen darstellte, in eine strahlende Schönheit zu verwandeln. Aber auch die beiden Mädchen selbst trugen das Ihre zur perfekten Illusion bei, sie spielten ihre Rollen fabelhaft.
Mich hat Eiskunstlauf schon immer fasziniert, weil er so geschickt auf der Grenze zwischen Melodram und Kitsch balanciert und mit tausendfach gehörten Melodien intensive Emotionen weckt. Trotz der strengen Regeln werden immer wieder neue, originelle Bewegungsabläufe erfunden, und viele Läufer zeigen bei ihren Darbietungen höchste schauspielerische Qualität.
Als Schneewittchen ihren Prinzen endlich bekam, konnte ich meine Rührung kaum verbergen. Dass ich nah am Wasser gebaut hatte, mochte man zwar meiner Schwangerschaft zuschreiben, trotzdem wollte ich nicht, dass mein Chef Jyrki Taskinen, der mit seiner Frau Terttu neben mir saß, meine Tränen sah. Erwachsene weinen nun mal nicht bei Märchen. Der sonst so zurückhaltende Jyrki johlte begeistert, als sich Silja nach der Aufführung verbeugte. Auch ich applaudierte und trampelte mit den Füßen, vor allem, als Noora Nieminen vortrat.
Eigentlich wäre Silja für die Rolle des Schneewittchens wie geschaffen gewesen. Sie war schön, während Noora mit ihren breiten Hüften und ihrem unauffälligen Gesicht nach traditionellen Vorstellungen diejenige hätte sein müssen, die anderen ihr Aussehen neidet. Dennoch hatte Noora in der Frühlingsshow des Eislaufvereins Espoo die Titelrolle erhalten, denn sie hatte im Paarlauf internationales Niveau erreicht und war bei den letzten Wettkämpfen der Saison im Kurzprogramm ebenfalls als Schneewittchen aufgetreten. Janne Kivi, ihr Partner, war für die Rolle des Prinzen bestens geeignet. Er sah geradezu unverschämt gut aus: Er war gut gebaut, fast zu groß für einen Eiskunstläufer, hatte weißblondes, knapp schulterlanges Haar und leuchtend grüne, katzenartige Augen. Wie immer drängten sich auch an diesem Abend im Eisstadion in Matinkylä junge Mädchen, die auf ein Autogramm und eine Berührung ihres Idols hofften. Auch ich seufzte jedes Mal, wenn bei Fernsehübertragungen seine hohen Wangenknochen und sein voller Mund zu sehen waren. Schöne Männer zu betrachten zählte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
Noora und Janne kamen noch einmal aufs Eis und belohnten das begeistert klatschende Publikum mit einem dreifachen Salchow und der Todesspirale. Das Baby in meinem Bauch strampelte.
Plötzlich hörte ich Taskinen laut Luft holen. Am Rand der Eisfläche war ein Mann aufgetaucht, mit blonden Strähnen im dunklen Haar und einem schwarzen Schnurrbart. Er warf Noora einen Strauß blutrote Rosen zu. Sie ließ die Blumen achtlos liegen, bald waren sie von den Kufen der Nachwuchsläufer zerfetzt, die als Tiere, Schlossbewohner und Zwerge aufgetreten waren und nun ihren Applaus entgegennahmen.
«Ist das der Kerl, der die Nieminens terrorisiert hat?», fragte ich. Der Fall fiel zwar nicht in die Zuständigkeit unseres Dezernats, doch ich hatte von dem Mann gehört, der Nooras Familie, vor allem ihre Mutter, in den letzten Jahren bedroht hatte und schließlich wegen Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
«Ja, das ist Vesku Teräsvuori, der Karaokekönig», sagte Taskinen und zuckte resigniert mit den Schultern. Die Polizei konnte Teräsvuori nicht verbieten, eine öffentliche Veranstaltung zu besuchen und Blumen aufs Eis zu werfen. Nach außen hin war das eine übliche nette Geste. Doch als die kleinsten Eiskunstläufer sich schließlich verabschiedeten, hinterließen sie abgerissene Blütenblätter, die mich an Bluttropfen erinnerten.
«Wir holen Silja an der Umkleidekabine ab und fahren dich dann nach Hause», sagte Terttu Taskinen.
Als Jyrki vor einigen Wochen mit Eintrittskarten für die Eisshow in der Dienststelle erschienen war, hatte ich sofort zwei gekauft, aber Antti, mein Mann, hatte dann doch nicht mitkommen können. Dass ich mit den Taskinens auf einem der besten Plätze sitzen würde, weitab von den anderen Kollegen, hatte ich nicht geahnt.
«Ich kann doch den Bus nehmen», wandte ich ein, doch davon wollte Terttu nichts hören. Eigentlich war es ja auch ganz nett, einen Blick in die Umkleideräume zu werfen. Vielleicht bekam ich sogar ein Autogramm von Janne Kivi. Aber als Erstes brauchte ich eine Toilette. Ich verabredete mich mit den Taskinens an der Tür zum Umkleideraum und machte mich auf den Weg durch die kahlen Gänge des Eisstadions.
Auf drei Männerklos kam eins für Frauen, vor dem sich eine lange Schlange gebildet hatte. Da ich Polizistin und außerdem im siebten Monat schwanger war, nahm ich mir das Recht, die freie Toilette mit der abweisenden Aufschrift Nur für Mitarbeiter zu benutzen.
Ich kämpfte noch mit dem komplizierten Verschluss der Umstandshose, als die Tür zum Vorraum aufgerissen wurde.
«Was bildest du dir eigentlich ein?», fauchte jemand, ob Mann oder Frau, war an der Stimme nicht zu erkennen. Die Antwort ging im Lärm eines Handgemenges unter, der Mülleimer kippte laut scheppernd um. Mir blieb nichts anderes übrig, als einzugreifen, ich musste nur erst die verflixte Hose zukriegen.
«Ich will dich nie mehr sehen, ist das klar?»
Die Tür ging auf, der Unbekannte mit der fauchenden Stimme schien die andere Person auf den Gang zu stoßen. Als ich endlich angezogen war, war der Waschraum leer. Nur der auf dem Boden verstreute Abfall und der schief hängende Spiegel bewiesen, dass ich nicht geträumt hatte.
Ich entschloss mich, den Vorfall einfach zu vergessen, und machte mich auf den Weg zu den Umkleideräumen. Dutzende kleiner Eiskunstläufer suchten nach ihren Eltern und legten ihre Maskerade ab: Fuchsbärte, Zwergennasen und Hasenzähne. Ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das einen verschnupften Zwerg gespielt hatte, wischte sich die rote Schminke von der Nase, die Adjutanten des Prinzen lieferten sich einen Schwertkampf. Eine stark geschminkte Frau im knöchellangen Pelzmantel versuchte vergeblich, sich Gehör zu verschaffen.
«Jetzt aber Ruhe!», rief plötzlich eine tiefe Frauenstimme, die so viel Autorität ausstrahlte, dass sie kaum laut zu werden brauchte. Das war die Trainerin, Elena Grigorieva. Im Nu beruhigte sich die lärmende Schar, und die Trainerin dankte ihren Schützlingen für die gelungene Aufführung und die zurückliegende Saison. Ich hörte aufmerksam hin. War das die Stimme, die gerade auf der Toilette so drohend gefaucht hatte? In dem Moment zupfte Jyrki mich am Ärmel.
«Es dauert noch eine Weile. Rami und Elena haben zum Saisonschluss Saft und Kekse mitgebracht.»
«Champagner wäre mir lieber», seufzte jemand hinter mir. Ich drehte mich um und sah in die gelangweilten Augen von Janne Kivi.
«Du hast in Edmonton genug Champagner getrunken», lachte Silja Taskinen neben ihm.
«Das ist doch schon zwei Monate her!», gab Janne zurück.
Die jungen finnischen Eiskunstläufer hatten bei der Weltmeisterschaft in Edmonton recht gut abgeschnitten. Anstelle der erkrankten finnischen Meisterin Mila Kajas hatte der Verband Silja Taskinen aufgestellt, die zur allgemeinen Überraschung einen hervorragenden zwölften Platz belegte. Bei den Männern und im Eistanz war der Erfolg zwar ausgeblieben, doch dafür hatten Noora Nieminen und Janne Kivi mit ihrem neunten Rang im Paarlauf für einen echten Knüller gesorgt, denn Finnland hatte seit Jahrzehnten keine international erfolgreichen Paarläufer hervorgebracht. Die Kommentatoren von Eurosport hatten Noora und Janne sogar als die Weltmeister von morgen bezeichnet.
«Lass uns gehen, Vati», drängte Silja. «Was sollen wir feiern, für uns hat die nächste Saison längst angefangen.»
Nach der WM hatten sich Silja, Janne und Noora zwei Wochen Urlaub gegönnt, bevor die Proben für die Eisshow begannen. Am Ende des Schuljahrs sollten die drei mit ihren Trainern Elena Grigorieva und Rami Luoto zwei Monate in Kanada an sich arbeiten.
«Janne, ich glaube, du kennst Maria noch nicht», meinte Terttu Taskinen. «Maria Kallio, eine Kollegin von Jyrki.»
«Freut mich», sagte Janne höflich, obwohl es ihn offensichtlich nicht interessierte, wer ich war. Plötzlich drängte sich jemand zwischen uns. Noora Nieminen.
Sie war mindestens fünf Zentimeter kleiner als ich, obwohl ich selbst nur knapp eins sechzig messe. Die Sechzehnjährige wirkte kindlich, nur ihre grauen Augen waren die einer Erwachsenen, sie schienen viel zu viel gesehen zu haben.
«Hallo, Noora. Eine tolle Show, gratuliere! Hoffentlich hat Teräsvuori mit seinen Blumen dir nicht den Abend verdorben», sagte Jyrki mitfühlend.
«Der Kerl könnte uns langsam in Ruhe lassen», seufzte Noora theatralisch. «Er weiß genau, dass ich seine Blumen nicht anrühre! Meine Mutter ist garantiert ausgeflippt. Haben sich meine Eltern übrigens schon blicken lassen?»
«Dein Vater steht drüben am Vorderausgang», sagte Janne, der mit seinen Einsfünfundachtzig den besseren Überblick hatte. Auf dem Eis waren Janne...
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