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Mike Virtue hätte meine Selbstbeherrschung gelobt. Obwohl in meinem Inneren eine Lawine niederging, zuckte ich mit keiner Wimper.
«Schön, dass wir uns hier treffen.» Gezolian ließ meine Hand los und deutete auf seinen Leibwächter. «Aleksej Petuchkow, Hilja Ilveskero», machte er uns bekannt, wobei er Schwierigkeiten hatte, meinen Familiennamen auszusprechen. «Aleksej Nikolajewitsch hat schon im Dienst unserer Familie gestanden, als Julia noch ein kleines Mädchen war.»
Ich drückte meinem Kollegen kurz die Hand. Wir hatten beide die Aufgabe, unsere Auftraggeber zu schützen, aber Freundschaft brauchten wir deshalb nicht zu schließen. Das wollte ich auf keinen Fall. Lescha arbeitete für einen der schlimmsten Verbrecher, von dem ich je gehört hatte. Ich musste telefonieren, und zwar dringend. Hatte Juri Trankow etwa nicht gewusst, wer Julia Gerbolts Vater war? Man sollte doch annehmen, dass er seine Hausaufgaben gemacht hatte, bevor er sich bei Usko Syrjänen verdingte. Allerdings hatte ja auch ich nur Syrjänen ausgeforscht, nicht Julia.
Iwan Gezolian handelte mit schmutzigen Bomben. Er hatte Usko Syrjänens Geschäftspartner Boris Wasiljew ein SR-90-Isotop verkauft, doch dabei war etwas schiefgelaufen, weil einer von Wasiljews Leibwächtern sich als Verräter entpuppt, Syrjänens Jacht I believe in die Luft gejagt und das Isotop entwendet hatte. Gerüchten zufolge hatte dieser Mann auch einen Teil der Gezolian zustehenden Kaufsumme in die eigene Tasche gesteckt und stand deshalb auf Gezolians Abschussliste. Gezolian hatte einen Informanten bei der finnischen Zentralkripo gehabt - Martti Rytkönen, den Trankow erschossen hatte. Sicherlich hatte Rytkönen alles an Gezolian weitergegeben, was er über den Mann wusste, der sich das Isotop unter den Nagel gerissen hatte, unter anderem den Namen der finnischen Freundin dieses Mannes. Meinen Namen.
Es war natürlich möglich, dass Gezolian Frauen nicht als gefährliche Gegner betrachtete. Das war jedoch ein magerer Trost, auf den ich nicht bauen durfte. Sekundenlang sah ich ein Fangnetz, das über einen Luchs geworfen wurde. Anschließend brauchten die Jäger nur noch sorgfältig zu zielen, um das teure Fell nicht unnötig zu durchlöchern. Juri Trankow hatte mich in die Falle gelockt. Das war seine Rache, nachdem ich ihn vor den Augen seines Vaters schwer blamiert hatte. Nicht einmal die Tatsache, dass Laitio und ich ihn nach dem Mord an Rytkönen gedeckt hatten, hatte Trankow davon abgehalten, mich an Gezolian auszuliefern.
Gezolian trank Champagner und plauderte auf Russisch mit seiner Tochter. Ich wusste, dass Julia in Moskau geboren und russische Staatsbürgerin war, deshalb war ich nicht auf die Idee gekommen, ihr Vater könnte Weißrusse sein. In der Sowjetzeit hatte man die Einwohner des großen Reiches nach Belieben umgesiedelt. Vielleicht war Gezolian zu dem Schluss gekommen, dass Weißrussland der bessere Standort für seine schmutzigen Geschäfte war. Gegen die Verbrechen, die dort geschahen, war selbst Europol machtlos. Gezolian verstand sich blendend mit dem Präsidenten seines Landes, was in der Praxis bedeutete, dass er über dem Gesetz stand.
Da ich nichts tun konnte, setzte ich mich wieder an den Tisch. Der Espresso war kalt geworden und schmeckte bitter. Ich strengte mich an, um wenigstens Bruchstücke des Gesprächs zwischen Julia und ihrem Vater zu verstehen. Es schien um die bevorstehende Hochzeit zu gehen. Gezolian wollte, dass sie in Witebsk stattfand, aber Julia zögerte.
Seit ich den Dienst als Julia Gerbolts Leibwächterin angetreten hatte, war keine einzige Freundin bei ihr zu Besuch gewesen. Alle Gäste waren Geschäftsfreunde von Syrjänen. Zuerst hatte ich geglaubt, Julias Bekannte seien in Russland zurückgeblieben, dann hatte ich mich gefragt, ob sie überhaupt welche hatte. Doch ihren Vater liebte Julia Gerbolt, und er liebte sie, das konnte selbst dem Dümmsten nicht entgehen. Darin lag der größte Unterschied zwischen uns. Ich hasste meinen Vater, obwohl ich ihn seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Vanamos Geburt war die Folge des zweiten Ausbruchs meines Vaters aus der psychiatrischen Anstalt für Gefangene. Auf seiner Flucht war mein Vater in ein Bauernhaus in Tuusniemi eingebrochen, um sich etwas zu essen zu holen, und hatte die siebzehnjährige Saara vergewaltigt, die wegen einer Bronchitis im Bett lag und so dumm gewesen war, mit einem Besen auf den Einbrecher loszugehen. Saaras Familie gehörte der Sekte der Laestadianer an, die Vergewaltigung wurde als unerklärlicher Wille Gottes gedeutet, und Vanamo kam zur Welt, denn eine Abtreibung galt unter allen Umständen als Sünde.
Als ich das erste Mal nach Tuusniemi gefahren war, um Vanamo zu sehen, war Saara nicht zu Hause gewesen, sondern bei der Arbeit in einem Buchhaltungsbüro in Kuopio. Ich hatte mich vorher nicht mit Saara in Verbindung gesetzt, weil ich fürchtete, sie würde mir verbieten, Vanamo zu sehen. Ich wusste nicht einmal, ob man dem Mädchen erzählt hatte, wie ihr Leben begonnen hatte. Als ich Vanamo vor dem Haus traf, hatte sie gefragt, wer ich sei. Ich hatte geantwortet, ich sei Hilja aus Helsinki und wolle ihre Mutter besuchen. Vanamo führte mich in die Wohnküche, an deren Fenstern Eisblumen glitzerten.
«Mutti ist nicht zu Hause, aber Oma ist da.»
Eine schlanke Frau mit Kopftuch schob gerade ein Blech Zimtschnecken in den Ofen. Sie zuckte zusammen, als sie mich sah. Die Ähnlichkeit zwischen mir und ihrer Enkelin war ihr nicht entgangen.
«Guten Tag . Worum geht es? Springt Ihr Wagen bei der Kälte nicht an, oder sind Sie im Schnee stecken geblieben? Mein Mann hält Mittagsschlaf, aber ich kann ihn wecken, wenn ein Traktor gebraucht wird.»
Ich hatte den Wagen hinter den Wirtschaftsgebäuden geparkt, und Frau Huttunen hatte natürlich vom Fenster aus gesehen, dass eine fremde Frau zu Fuß auf den Hof kam.
«Mit meinem Wagen ist alles in Ordnung. Ich suche Saara Huttunen. Es geht um meinen Vater Keijo Kurkimäki, ehemals Suurluoto.»
Die Frau nahm den Schürhaken, öffnete die Ofentür und stocherte in den glimmenden Kohlen. Der Haken begann zu glühen, man hätte damit einem Menschen ein Brandzeichen aufdrücken können.
«Von ihm wird in diesem Haus nicht gesprochen. Er ist also Ihr Vater. Gott behüte Sie. Vanamo, geh mal nachsehen, ob Opa noch schläft. Das hier ist seine Sache.»
Nachdem das Mädchen folgsam gegangen war, wandte sich die Frau von mir ab. Sie hatte bereits einige graue Haare, ihr langer Zopf war zu einem Knoten aufgesteckt, der unter dem Kopftuch hervorschaute. Ihre graue Strickjacke war verfilzt, der Rock, in undefinierbarem Braun, reichte bis über die Knie, ihre Füße steckten in Filzpantoffeln, denn von dem mit Flickenteppichen belegten Boden stieg Kälte auf. In diesem Haus, vielleicht hier in der Wohnküche, hatte mein Vater seine Untat begangen. Damals war es Herbst gewesen, an den Bäumen hatte noch gelbes Laub gehangen. Die Huttunens waren ins Kirchdorf gefahren, um ihren Hund Vili impfen zu lassen. Deshalb war Saara nicht gewarnt worden, als der Teufel ins Haus kam.
Markku Huttunen war ein breitschultriger, hellblonder Mann mit tiefen Druckstellen zu beiden Seiten der Nase. Er blinzelte verwirrt, bis seine Frau ihm die Brille reichte. Dann musterte er mich, gab mir aber nicht die Hand. Das hatte auch seine Frau nicht getan. Vanamo war ihrem Großvater nicht gefolgt, aus der Schlafkammer hörte ich ihre Stimme, die sich mit dem fröhlichen Bellen eines Hundes mischte. Hatten die Huttunens noch denselben Hund wie vor neun Jahren?
«Was wollen Sie von uns? Geld haben wir nicht», begann Markku Huttunen. «Saara hat dank Gottes Hilfe ihr Leben in Ordnung gebracht, wir wollen nicht, dass es ihr wieder verdorben wird.»
Ich hatte in dem Auszug aus dem Melderegister, den Laitio mir besorgt hatte, gelesen, dass Saara Huttunen das Sorgerecht für ihre Tochter besaß. In Dingen, die Vanamo betrafen, lag die Entscheidung bei ihr, nicht bei ihrem Vater.
«Es liegt mir fern, Unruhe zu stiften. Ich möchte nur meine Schwester kennenlernen. Ich habe sonst keine Geschwister.»
Huttunen musterte mich abweisend. «Woher soll ich wissen, ob jemand Gutes oder Böses im Schilde führt? Das Blut eines solchen Mannes gereicht keinem zur Ehre, und der Altersunterschied zwischen Ihnen und Vanamo ist groß. Es wäre besser, wenn Sie sie in Ruhe ließen.»
Unter normalen Umständen hätte ich ihm widersprochen, doch die Verbindung zu Vanamo war mir zu wertvoll, um sie gleich zu Beginn aufs Spiel zu setzen.
«Ich möchte nicht stören. Ich lasse meine Kontaktdaten da, für Saara Huttunen, sie kann selbst entscheiden, wie sie damit umgeht.» Rasch kritzelte ich meine Telefonnummer und meine E-Mail-Adresse auf ein Stück Papier. Visitenkarten besaß ich nicht, die gerieten doch nur in falsche Hände. Als ich über den Hof der Huttunens zu meinem Wagen ging, sah ich, dass Vanamo und ein Bernhardiner mir vom Fenster aus nachblickten. Das Mädchen winkte mir zu, und ich winkte zurück.
«Hilja!» Julia Gerbolts herrische Stimme riss mich aus meinen Gedanken. «Geh ins Hotel, packen! Ein Freund meines Vaters besitzt ein Chalet östlich vom Zentrum, wo wir wohnen können. Da sind wir ungestört.»
Der Befehl kam mir gelegen, denn auf dem Weg zum Hotel konnte ich versuchen, Juri Trankow anzurufen. Ich stand fügsam auf und warf Lescha einen Blick zu, als wolle ich ihn bitten, in meiner Abwesenheit auf Julia aufzupassen. Er hob kaum merklich die Augenbrauen. Wie gut war er wohl im Judo, war er mir gewachsen? Immerhin hatte ich den schwarzen Gürtel.
Es war dunkel geworden, über den Bergen...
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