Schweitzer Fachinformationen
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»Schön, Sie hier zu sehen, Herr Böhnke.« Unbefangen begrüßte Bauer den Kommissar. Bereitwillig hatte er die beiden Männer ins Haus eintreten lassen. Der muffige Geruch im schmalen dunklen Hausflur stieg Böhnke sofort unangenehm in die Nase. An die Schummrigkeit musste er sich ebenso gewöhnen wie an die niedrigen Decken in dem kleinen Raum, in den sie Bauer geführt hatte.
»Alles ziemlich provisorisch hier«, meinte der Bewohner entschuldigend. »Das Haus ist heruntergekommen und im Prinzip unbewohnbar.«
»Und dennoch wohnen Sie hier«, unterbrach ihn Böhnke. Er brauchte einige Momente, ehe er wusste, woher ihm der Student trotz des veränderten Aussehens bekannt vorkam. Bauer war einer der Drahtzieher gewesen bei der skurrilen Aktion in Huppenbroich, als die Dorfgemeinschaft mit aller Macht und Raffinesse versucht hatte, eine Thujahecke zu verhindern, die den Anblick und den Ruf des Buchendorfes gestört hätte. Im Nachhinein konnte Böhnke über die erfolgreiche Aktion schmunzeln. Als er erfahren hatte, wer alles dahinter steckte, war ihm nicht zum Lachen zumute gewesen. Da hätte er kurz vor einer Ehekrise gestanden, wenn er denn verheiratet gewesen wäre.
»Sie hausen aber nicht alleine hier?«, fragte Böhnke mit einem suchenden Blick. Die verschiedenen Schuhpaare im Hausflur waren ihm wohl aufgefallen.
»Das stimmt. Mit mir ist ein befreundetes Pärchen hierher gekommen. Die beiden sind unterwegs nach Titz oder Keyenberg, um Lebensmittel zu besorgen.« Bauer konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Sie haben natürlich recht mit Ihrer Bemerkung, dass wir hier hausen. Wohnen kann man das bestimmt nicht nennen. Das ist vielmehr ein Ausharren.« Bauer bot ihnen Plätze auf dem ausgebleichten Sofa an, während er selbst mit einem einfachen Holzstuhl vorliebnahm. »Sie sehen ja selbst, dass das eine Bruchbude ist.«
»In der Sie sich illegal aufhalten.« Böhnke hatte keine Lust auf ein Gespräch über die Qualität des Wohnens im Allgemeinen und im Besonderen im fast toten Immerath.
»Davon kann keine Rede sein«, widersprach ihm der Student vehement. »Dieses Haus gehört der Großtante einer Freundin, die es einmal erben soll. Sie hat mir und meinen Freunden erlaubt, sich hier einzunisten.«
Er grinste Böhnke und Grundler an. »Ist das etwa illegal?«
»Sagen wir, es ist zumindest ungewöhnlich, sich hier aufzuhalten«, antwortete Grundler. Er hatte Böhnke beobachtet, der nicht sonderlich begeistert wirkte. Die Umgebung war ungastlich, der Student wirkte nicht nur selbstbewusst, sondern entsprach auch äußerlich nicht der Vorstellung, die sich Böhnke von Studenten machte. Bauer wäre mit seinen langen Rastalocken und dem zersausten Bart bei Böhnke eher als Kommunarde, denn als lernwilliger Student durchgegangen, als den ihn sein Vater unlängst noch in der Gaststätte in Huppenbroich stolz bezeichnet hatte. Das ausgewaschene T-Shirt, das wohl einmal blau gewesen war, die aus der Form geratenen Jeans, die dicken selbst gestrickten Socken und die unvermeidlichenvermeintlichen Gesundheitssandalen verstärkten bei dem Kommissar den Eindruck.
»Keine Sorge, ich dusche jeden Tag«, versicherte Bauer ungefragt. Er hatte sich seinen Teil bei Böhnkes skeptischer Musterung gedacht.
Grundler räusperte sich. »Wie lange wollen Sie denn hier ausharren?«
»Ich weiß es nicht. Das hängt davon ab, wann die Hütte hier verkauft wird und man mich zwingen wird, den Ort zu verlassen. So lange bleibe ich hier und harre der Dinge und vor allem der Freunde und Journalisten.«
»Wie in Hambach«, meinte Grundler zu Böhnkes Erstaunen.
»Ja, wie in Hambach«, sagte Bauer mit einem Lächeln.
Der Student habe wochenlang in einem Baumhaus im Hambacher Forst gelebt, um gegen die Abholzung des Hambacher Forstes wegen des Braunkohletagebaus Hambach zu protestieren, klärte Grundler den offensichtlich unwissenden Kommissar auf. Erst als der Bergbautreibende mit polizeilicher Unterstützung angerückt wäre und den Baumhäusern mit Kettensägen und Baggern den Garaus bereitet hätte, sei Bauer mit seinen Mitstreitern abgerückt. Einer der Aktivisten hätte sich danach sogar in einer Erdhöhle verkrochen. Nach ihm hätte der Werkschutz noch tagelang gesucht.
»Hast du nichts davon mitbekommen?«
»Nein.« Böhnke winkte ab. Es gab andere Dinge, die ihm wichtiger erschienen als das Leben in einem Baumhaus und die Vertreibung daraus. Und wenn die Angelegenheit wichtig gewesen wäre, hätte die WDR-Lokalzeit darüber berichtet, sagte er sich. Andererseits, wenn er daran dachte, wie viele Journalisten sich ein Zubrot bei Unternehmen und Organisationen verdienten, indem sie Podiumsdiskussionen leiteten oder Gastbeiträge für Firmenzeitungen schrieben, würden sie über eine Sache vielleicht erst dann berichten, wenn es genehm war.
»Und nachdem Sie da weichen mussten, haben Sie es sich hier bequem gemacht?«
Bauer lachte auf. »Das hier ist eine Protestaktion, nachdem ich und meine Freunde einsehen mussten, dass wir in unserem Kampf für den Erhalt des Hambacher Forstes alleine dastanden. Politiker haben eh nichts mit uns im Sinn, und dann ist uns auch noch der BUND gewissermaßen in den Rücken gefallen. Die Umweltschützer hatten vor dem Verwaltungsgericht Aachen gegen die Abholzung geklagt und nach dem Urteil gegen sie auf ein weiteres juristisches Vorgehen verzichtet.«
Kein Wunder, dachte Böhnke. Der BUND wollte sich nicht wieder eine blutige Nase holen, nachdem er im Garzweiler-II-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kläglich gescheitert war. An dieses Verfahren erinnerte er sich, weil darüber in seiner Tageszeitung lang und breit berichtet worden war.
»Der Hambacher Forst ist nicht zu retten und der Tagebau Hambach nicht zu stoppen«, sagte Bauer nüchtern. Erst vor Kurzem und quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit habe die Bezirksregierung Arnsberg, in ganz NRW zuständig für Bergbau, den dritten Rahmenbetriebsplan für die Fortführung des Tagebaus genehmigt. »Dieser Genehmigungsbescheid bildet die Grundlage für den Weiterbetrieb des 1978 begonnenen Tagebaus über 2020 hinaus und bis 2030 innerhalb der durch den Braunkohlenplan vorgegebenen Grenzen«, dozierte der Student.
»Und jetzt versuchen Sie Ihr Glück beim Tagebau Garzweiler?«
»Ja, Herr Böhnke, und ich bin davon überzeugt, dass wir bei diesem Tagebau noch etwas bewirken können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tatsächlich wie vorgesehen, bis 2030 oder noch darüber hinaus betrieben wird. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass einige Dörfer, deren Umsiedlung jetzt noch geplant ist, nicht umgesiedelt werden müssen, weil RWE Power vorher seine Pläne geändert hat.«
Über Sinn und Zweck von Garzweiler II zu streiten, danach stand Böhnke nicht der Sinn. Er hätte ohnehin keine Argumente gehabt, anders als Bauer, der offenbar bestens mit der Materie vertraut war. Er wechselte lieber das Thema.
»Beeinträchtigt diese Aktion denn nicht Ihr Studium?«
Wieder lachte Bauer. »Keineswegs. Man könnte sie sogar als Teil meines Studiums bezeichnen. Ich nutze die Zeit hier, um an meiner Abschlussarbeit zu arbeiten.«
»Was studieren Sie denn?«, fragte Böhnke neugierig. Er hätte Bauer eher in der philosophisch-soziologischen oder vielleicht noch psychologisch angehauchten Ecke vermutet und war über die Antwort doch verblüfft.
»Wirtschaftsgeografie, Geografie und Wirtschaftswissenschaften. Ich bin jetzt im 8. Semester und stehe kurz vor dem Abschluss. Im Anschluss habe ich übrigens schon eine Doktorandenstelle an der Uni Bochum. Die wollen unbedingt einiges von mir über die Braunkohle erfahren.«
»Und wie heißt der Titel Ihrer Abschlussarbeit?«
»Die wirtschaftliche Notwendigkeit des Braunkohletagebaus Hambach vor dem Hintergrund der Zunahme der erneuerbaren Energien.«
»Und Sie kommen natürlich zu der Erkenntnis, dass der Tagebau Hambach nicht notwendig ist.« Böhnke gab sich keine Mühe, seine Ironie zu verbergen.
Doch Bauer lachte wieder nur herzhaft auf. »Im Gegenteil, Herr Böhnke. Wir können auch in Zukunft nicht auf den Braunkohletagebau Hambach verzichten. Aber das würde jetzt zu weit führen, Sie ausführlich darüber aufzuklären.«
Er wandte sich Grundler zu, der schweigend dem Gespräch gefolgt war. »Was führt Sie zu mir?«
»Die Sorge Ihres Vaters über Ihr Wohlergehen, und die Befürchtung, Sie könnten sich illegal verhalten.«
»Keine Sorge«, beruhigte Bauer den Anwalt. »In dem Moment, in dem RWE Power im Grundbuch als Eigentümer dieses Grundstückes eingetragen ist, mache ich hier die Mücke. Aber so lange mache ich noch ein bisschen Stimmung.«
»Warum eigentlich?«, platzte Böhnke wieder dazwischen. »Wenn Sie doch für den Tagebau sind.«
Bauer rieb die Hände übers Gesicht. »Ich habe nicht gesagt, dass ich für den Tagebau bin. Ich bin notgedrungen für die Fortführung des Tagebaus Hambach, weil er ausreicht und erforderlich ist für die Energieversorgung der Region und weil er wirtschaftlich gesehen die meisten Vorteile und die wenigsten Nachteile für den Konzern, die Kommunen und die Menschen in der Region bietet. Aber ich bin gegen den Tagebau Garzweiler II und im Prinzip auch gegen den Tagebau Inden. Denn es gibt, wie Sie sicherlich wissen, drei Großtagebaue im Rheinischen Revier. Zwei davon brauchen wir aus unterschiedlichen Gründen nach meiner Auffassung nicht mehr.«
»Okay.« Grundler erhob sich mühsam aus dem tiefen Sofa. »Ich kann also Ihrem Vater sagen, es sei alles im grünen Bereich. Und Sie wissen, dass Sie mich sofort...
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