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»Ohne Musik wäre mein Leben wahrscheinlich ganz anders verlaufen.«[1] (Helmut Schmidt, 2008)
»Mit Helmut Schmidt am Klavier« - so hätte es auf der Einladung zum siebzigsten Geburtstag seines Freundes, des Hamburger Industriellen Kurt Körber am 7. September 1979 stehen können. Das Coverfoto dieses Buches ist an eben diesem Abend in Hamburg-Bergedorf entstanden und zeigt neben dem Klavier spielenden und offensichtlich bestens gelaunten Kanzler Helmut Schmidt gleich drei weitere prominente Geburtstagsgäste, den Alt-Bundespräsidenten Walter Scheel, den Intendanten der Hamburger Staatsoper und Dirigenten Rolf Liebermann sowie die Opernsängerin Jeanette Scovotti, die später an diesem Abend noch gemeinsam mit Helmut Schmidt singen sollte.
Dieser 7. September war ein Freitag. Helmut Schmidt hatte erst wenige Stunden zuvor, nach einer herausfordernden Bonner Arbeitswoche mit den üblichen 15-Stunden-Tagen, mit seiner Frau Loki auf dem Hamburger Flughafen landen können, und dennoch zeigt diese Momentaufnahme, dass der Kanzler spätestens am Klavier die Hektik der Hauptstadt und des politischen Amtes hinter sich gelassen hatte. Ungerührt von Prominenz, Protokoll und Presse spielt er sich hier höchst vergnügt ein wenig ein. Wenig später wird er die munter plaudernden anderen Gäste bei einem Geburtstagsständchen für seinen Freund Körber begleiten. Alles ging an diesem Abend spontan und ungezwungen zu, und so machte Helmut Schmidt das, was er für gute Freunde gerne tat: Er setzte sich ans Klavier und spielte aus seinem Repertoire, das bei solchen Anlässen von Gershwin bis zu Shantys oder Volksliedern reichte.[2]
Wenn er für sich allein spielte, improvisierte er gern, spielte Läufe auf dem Klavier und einen Mix verschiedener Melodien, so wie es kam. In seinem Haus am Neubergerweg finden sich aber auch Notenstapel verschiedenster Komponisten, wobei J.S. Bach für Helmut Schmidt eine Sonderstellung einnahm. Ihn reizten die technischen Anforderungen klassischer Musik, nicht nur um das eigene Spiel zu verbessern, sondern auch um sich in seinem Klavierspiel größeren Herausforderungen zu stellen. Das Foto auf der Rückseite dieses Buches bildet beispielhaft diese Haltung des Klavierspielers Schmidt ab.
Wer die Doppelhaushälfte im Neubergerweg 80 betritt, spürt intuitiv, dass das Klavierspiel im Leben des Helmut Schmidt eine besondere Bedeutung hatte. Hat man die nüchterne, gepanzerte Eingangstür durchschritten, schaut man aus dem kleinen Eingangsflur direkt in die hohe Wohndiele und dort zentral auf einen schwarzen Flügel, den Schmidt 1987 erworben hatte. Tritt man näher an das imposante Instrument, sieht man im goldenen Schriftzug den Namen des renommierten Hamburger Klavierbauers Steinway & Sons. Auf dem Flügel liegt ein dekorativer Teppich. Die Wirkung des Flügels auf den Besucher ist eindrucksvoll.
Früh, seiner Einschätzung nach sogar zu früh, erhielt Helmut Schmidt seine ersten Klavierstunden. Er war gerade sieben Jahre alt, und die ersten Jahre des Klavierspiels waren nach seinen eigenen Aussagen eher Pflicht als Freude. Mit dem Wechsel in die höhere Schule, der musisch und gestalterisch besonders profilierten Lichtwarkschule in Hamburg-Winterhude, änderte sich das: Musik, aber auch die Kunst allgemein gewannen für den Heranwachsenden an Bedeutung. Die in diesen frühen Jahren geformte Beziehung zur Musik und zur Kunst hielt ein Leben lang. Und da dies auch für seine Mitschülerin und spätere Ehefrau Loki Schmidt galt, wurde die Liebe zu Musik und Kunst ein wichtiges Bindeglied für das Paar.
Seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte Helmut Schmidt als Sextaner mit einem kleinen Solopart bei einem Schülerkonzert der Hamburger Schulen in der Musikhalle. Sein letzter war 55 Jahre später bei einer Bach-Einspielung mit dem NDR Symphonieorchester in der Friedrich-Ebert-Halle in Hamburg-Harburg. Dazwischen lagen zwei Konzertbeteiligungen, beide mit international prominenten Pianisten und Orchestern: dem London Philharmonic Orchestra Ende 1981 in London und mit dem Tonhalle-Orchester im Sommer 1983 in Zürich.
Diese Auftritte eröffneten sich nicht ohne weiteres, sondern verdankten sich seiner langjährigen Freundschaft zu den beiden Pianisten und Dirigenten Christoph Eschenbach und Justus Frantz, aber natürlich auch seinem Status als deutscher Politiker der ersten Reihe. Es versteht sich, dass er als Nichtberufsmusiker bei den Konzerteinspielungen für drei oder vier Klaviere nicht die schwierigen Parts übernahm. Trotzdem kann man sich ausmalen, welch enorme Herausforderung diese Auftritte an sein spielerisches Können darstellten, dazu noch mit so herausragenden Orchestern und Pianisten. Weiter kann man vermuten, dass sein meist unerschütterliches Selbstvertrauen erheblich auf die Prüfung gestellt wurde. Wenn sein Einsatz kam, saß Helmut Schmidt allein am Klavier und jeder konnte hören und sehen, was und wie er spielte. Dass er seinen Part aber erfüllen konnte, darauf vertraute letztlich nicht nur er selbst, sondern auch die Musiker, die ihn begleiteten. »Wenn er sich richtig konzentrierte, konnte er am Flügel Dinge schaffen, die anderen nicht gelangen«, so beschreibt Justus Frantz fast ein wenig überschwänglich das Potenzial Helmut Schmidts am Klavier.[3]
Nun hat sich Helmut Schmidt mit den Einspielungen von Mozarts Konzert für drei Klaviere und Orchester F-Dur, KV 242 und Bachs Konzert für vier Klaviere und Streicher a-Moll, BWV 1061 aber nicht als Konzertpianist in das Gedächtnis der Republik gespielt, sondern er hat, wie wir wissen, seine nationale und internationale Bedeutung einer erfolgreichen politischen Karriere zu verdanken. Und dennoch - die Konzertauftritte blieben herausragende musikalische Erlebnisse in seinem Leben.
Schmidts eigene Bewertung seines musikalischen Könnens variierte. So gestattete er zwar, dass seine Mitwirkung an der Bach-Einspielung 1985 von der Deutschen Grammophon klangvoll unter dem Titel Helmut Schmidt - Kanzler & Pianist vermarktet wurde. Meist aber übte er sich in Untertreibung bzw. hanseatischer Bescheidenheit und sprach von sich zum Beispiel als einem »laienhaften Klavier- und Orgelspieler«.[4] Seine Frau äußerte sich in dieser Frage eindeutig. Als ich ihr 2010 von einem Interview mit Kurt Masur berichtete, in dem dieser von ihrem Mann als Pianisten und Kanzler gesprochen habe, merkte sie an: »Das ist sehr freundlich, ich würde nur umstellen und ein wenig verändern in >Kanzler und Klavierspieler<.«[5]
Die große Bühne des Helmut Schmidt war zeitlebens die Politik, und das mindestens seit 1953, dem Jahr seines Einzugs in den deutschen Bundestag.[6] Bleibt man in diesem Bild, so bildete die Musik für ihn nur eine Art Hinterbühne, deren Bedeutung man jedoch nicht gering schätzen sollte. Die Anerkennung, die er als prominenter Politiker fand, blieb ihm weit über seine Jahre als Minister und Bundeskanzler hinaus erhalten, vielleicht wurde sein Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland nach seiner aktiven Zeit sogar höher als davor. War er vorher der tatkräftige »Macher« oder der »Kanzler der Krisen«, wurde er danach zum hoch geachteten Elder Statesman, der als Publizist und Redner die gesellschaftspolitische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland sowie globale Herausforderungen kommentierte oder erläuterte.
Auf der »Hinterbühne« seines Lebens aber gab es fast neunzig Jahre lang eine überraschend tiefe und beharrliche Beziehung zur Musik, insbesondere zum Klavier- und Orgelspiel. Diese Verbindung von Musik und Leben des Helmut Schmidt ist das Thema dieses Buches. Helmut Schmidt am Klavier ist keine musikwissenschaftliche Untersuchung, sondern richtet den Blick auf eine wenig entdeckte, tiefer liegende Seite seiner Biographie. In der Erforschung der musikverbundenen - und auch kunstnahen - Facetten seines Lebens zeigt sich noch einmal eine ganz andere Seite des meist als rational und effizient charakterisierten Politikers.[7] Zum Vorschein kommt ein Mensch, der Kraft und Antrieb aus der Musik zieht, weiche und emotionale Charakterzüge zeigt, der die Nähe zu Musikern und Künstlern bewusst sucht und deren großartige Begabungen und Leistungen vorbehaltlos, ja begeistert, bewundern kann. Im schriftlichen Austausch mit der Künstlerin Olga Bontjes van Beek oder mit dem Geiger Yehudi Menuhin finden wir Sätze und Wendungen, die man bei Schmidt nicht erwartet hätte.
Ungemein erhellend für diese Blickerweiterung auf die Person Helmut Schmidt waren zahlreiche Gespräche mit Musikerinnen und Musikern, die ihn vor allem als Gastgeber der sogenannten Hauskonzerte im Palais Schaumburg in den Jahren 1975 bis 1982 erlebt haben. Ebenso wichtig waren Helmut Schmidts eigene Äußerungen zu musikalischen Einflüssen oder Erlebnissen sowie seine Bekanntschaften mit bedeutenden Dirigenten und Musikern seiner Zeit. Über sein eigenes Spiel schreibt er hingegen nie ausführlich, legt aber Fährten, denen ich in diesem Buch nachgehe. Nicht zuletzt ergaben sich auch manche Hinweise aus den Gesprächen, die ich mit Loki Schmidt zu den Themen Musik und Kunst im Hause der Schmidts habe führen können.
Als bedeutungsvoll erwiesen sich bislang unbekannte Quellen und Fotos aus dem...
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