Schweitzer Fachinformationen
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EINS
Die Fahrt zum Amsterdamer Schiphol-Flughafen führte die Sneijders an Käsemärkten, Caféhausterrassen und Restaurants vorbei, die mit »authentiek nasi goreng« warben. Es war Sonntagmorgen, und in der Stadt herrschte munteres Treiben, das Klingeln der Fahrräder vermengte sich mit dem Läuten der Kirchenglocken und dem Bimmeln der Straßenbahnen. Ein schwacher Duft nach Mandeln und appelbeignets im Teigmantel lag in der Luft.
Imke saß auf dem Rücksitz, hielt Kiki im Arm und verspürte eine wachsende Nervosität.
Sie war noch nie gerne geflogen.
Während das Taxi am Hortus Botanicus entlangfuhr, spürte sie ein brennendes Gefühl, das bis zu ihrem Brustkorb aufstieg. »Jedes Mal, wenn ich an die Reise denke, bekomme ich dieses komische Sodbrennen«, sagte sie und schaute hinaus.
Sie sah Arbeiter, die Zeitung in der Tasche, in der Sonne sitzen und Kaffee trinken. Matrosen auf Landgang, die Gesichter noch von einer feinen Salzschicht überzogen und die Taschen voll mit ihrer Heuer, schlenderten in Richtung De Wallen, des Rotlichtbezirks.
»Aber wir fliegen in einem Privatjet, stell dir nur vor, wie aufregend das wird«, schwärmte Erica. »Du hast doch die Papiere dabei, oder?«
»Ja, in der Tasche.« Imke fischte sie heraus, gab sie ihrer Tante Erica und schaute wieder aus dem Taxifenster.
Entlang der Prinsengracht reihten sich die unterschiedlichsten Gebäude aneinander. Imke sah zu, wie die schmalen Häuser vorüberzogen, und fragte sich, ob nur die Häuser in Amsterdam spionnetje hatten - leicht angeschrägte Spiegel an den Fenstern, die es den Bewohnern ermöglichten, die Passanten unbemerkt zu beobachten. Es hätte sie nicht überrascht. Imke hatte die Amsterdamer schon immer für die neugierigsten Menschen der Welt gehalten.
Sie wandte den Kopf und fragte ihre Tante, was sie da gerade las.
Tante Erica befeuchtete ihren Finger und blätterte im Reiseplan. »Wir haben eine Zwischenlandung in Indien, wo wir tanken und außerdem den indonesischen Außenminister an Bord nehmen sollen; er ist gerade zu bilateralen Gesprächen dort. Das bedeutet, wir müssen über Nacht in Kalkutta bleiben. Du lieber Himmel, wer weiß, was es da alles an Krankheitserregern gibt!«
»Ich bin sicher, da sind wir sehr komfortabel untergebracht, Tantchen. Indien ist mittlerweile ziemlich fortschrittlich, weißt du?«
»Ja, sicher, mit Löchern im Boden als Hocktoiletten. Und erst die Betten! Ich frage mich, was sie dort auf die Betten legen. Decken aus einem Material, das verdächtige Ähnlichkeit mit verfilzten Nasenhaaren hat, wollen wir wetten?«
»Wir müssen ja nicht fliegen.«
»Nicht fliegen? Bist du verrückt? Das ist die Krönung meiner Karriere als Künstlerin! Der Präsident höchstpersönlich hat mich zu sich bestellt. Er hätte auch Veltman nehmen können oder van Aerle oder Frans Koppelaar, aber das hat er nicht.« Eine kurze Pause folgte. »Die Tatsache, dass van Aerle wegen seiner Syphilis erblindet ist, könnte natürlich seine Entscheidung beeinflusst haben, aber das tut nichts zur Sache.«
Imke reichte Erica ihr iPhone. »Reiseinformationen über Kalkutta. Siehst du? Es ist eine moderne Stadt.«
Tante Erica scrollte durch einige Seiten. »Ach du lieber Himmel, nein, nein, nein!«
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Hier steht, der Flughafen von Kalkutta wurde früher Dum Dum-Flughafen genannt. Das stimmt einen doch nicht gerade zuversichtlich, oder? Flug 64, hier spricht die Dum Dum-Flugsicherung.« Sie seufzte. »Ich frage mich, ob ich vor dem Abflug noch rasch eine Lebensversicherung abschließen soll.«
Wieder stieg das merkwürdige brennende Gefühl in Imkes Brust auf. So ging es nun schon seit Wochen - seit ihre Tante die Einladung aus Indonesien erhalten hatte, den Brief mit dem goldenen Siegel des Präsidenten. »Glaubst du, Präsident Yudhoyono wird für dich Modell sitzen? Oder gibt er dir einfach nur ein Foto, das du kopieren sollst?«
»Kopieren? Ich kopiere nicht. Fälscher kopieren. Papageien und Trittbrettfahrer imitieren. Also wirklich, wie kannst du nur so was sagen!« Sie schüttelte entrüstet den Kopf und blickte zum Kanal hinüber. »Oh, sieh mal!« Sie zeigte in Richtung Grachtenring. »Was ist denn da los?«
Imke sah eine Menschenansammlung. Alles rief und brüllte und drängte sich an den Ufern und Brücken - ein gezeitenähnliches Gewimmel aus Spruchbändern und Plakaten. Polizisten mit Gummiknüppeln hielten die Menschen zurück, aber eine Frau sprang vom Ufer aus ins Wasser und schwamm auf ein Polizeiboot zu.
Der Taxifahrer schüttelte den Kopf. »Muslime«, grummelte er. »Da drehen alle durch, wenn ein neuer Gesetzentwurf eingebracht wird.«
»Um was für ein Gesetz geht es denn?«, fragte Erica.
»Die Regierung will das multikulturelle Integrationsmodell aufgeben. Sie planen einen neuen Entwurf, der das Tragen von Burkas und die Zwangsheirat gesetzlich verbietet.«
Imke sah zu, wie das Polizeiboot unter der Magere Brug hindurchfuhr. Die Leute auf der Brücke drehten fast durch, rissen an ihren Kleidern und schwenkten Plakate mit der Aufschrift: »Muslimische Frauen essen auch Heringe!«
»Na, da bricht mir doch der Holzschuh«, rief Erica aus. »Was kommt denn als Nächstes?«
»Ich finde, sie sollten Hidschabs tragen dürfen, wenn sie wollen, findest du nicht?«, wandte Imke ein.
Tante Erica blinzelte sie verblüfft an. »Was um alles in der Welt ist ein Hidschab?«
»Für eine Trägerin der Ehrenmedaille für Kunst und Wissenschaft bist du nicht gerade auf dem Laufenden, kann das sein?«
Erica fischte eine Zeitschrift aus ihrer Reisetasche; es war eine Ausgabe der Times. Das Cover zeigte ein Foto von Präsident Susilo Bambang Yudhoyono, kurz SBY genannt. »Siehst du? Ich bin sehr wohl auf dem neuesten Stand.«
Imke verdrehte die Augen. »Diese Ausgabe stammt aus dem Jahr 2008.«
Das Taxi verließ das Museumsviertel. Im Vondelpark waren Spaziergänger mit ihren Hunden unterwegs oder standen schwatzend herum, und Kiki bellte ein paar Schäferhunde mit Maulkorb an.
»Ich fass es immer noch nicht, dass du das arme Tier wirklich mitnehmen willst.«
»Ich bin auf einem sechswöchigen Sabbatical, und Mama ist allergisch gegen Hundehaare«, sagte Imke. »Und ich kann Kiki ja schlecht bei irgendwelchen Fremden lassen, oder?«
Erica verzog den Mund. »Wenn du verheiratet wärst, könntest du den Hund bei deinem Mann lassen.«
»Jetzt fang bloß nicht wieder damit an. Und überhaupt, das sagt die Richtige!« Imke hatte noch nie einen von Ericas Liebhabern getroffen oder auch nur erlebt, dass sie von ihren Affären erzählt hätte, egal ob nun Mann oder Frau.
»Was ist eigentlich aus dem Brotkastenverkäufer geworden - du weißt schon, der, der dich jeden Dienstag zu Schweinerollbraten und Brandy-Rosinen eingeladen hat?«, fragte Erica.
»Er verkauft Küchengeräte und lebt in Eindhoven. Und er hat irgendwann beschlossen, dass es sich nicht lohnt, jede Woche vier Stunden Bus zu fahren, nur um mir an die Wäsche zu gehen.«
»Schade. Ich hätte einen neuen Brotkasten brauchen können.«
Es gab gewisse Dinge, für die Imke einfach nicht geschaffen war. Ein Job bei der Datenerfassung beispielsweise. Irgendwie hatte sie den Eindruck, auch ein Leben an der Seite eines Küchengeräteverkäufers gehörte nicht dazu. Im Geiste stellte sie eine Liste ihrer jüngsten sexuellen Eroberungen auf und seufzte. Ihre romantischen Erfahrungen schienen zwischen deprimierendem Leerlauf und wahnwitziger Verzweiflung zu pendeln.
»Hast du ihm einen Stein geschickt?«, fragte Erica.
»Nein!«
Wenn Imke zu dem Schluss kam, dass sie jemanden wirklich gernhatte, schickte sie dem Betreffenden ein kleines Päckchen mit einem geschliffenen Achat aus Indonesien. Erica hatte von ihr einen bekommen. Dann ihre Schulfreundin Jennifer Lammers aus dem Amstelland und Danny van Gestel, der erste Junge, den Imke geküsst hatte. Außerdem noch Piers, ihr Chef bei der DLHP - der Polizeihundeeinheit - und Ellen Jonker, die samstags auf dem Noordermarkt Honig und frische Kräuter verkaufte.
»Also gut, dann erzähl mir mal von deinem Polizeifreund aus Jakarta.«
»Er heißt Ruud«, erwiderte Imke. »Und ich hab dir schon von ihm erzählt. Als wir noch in Indonesien gelebt haben, war sein Vater mit Papa befreundet.«
»Ist er hässlich? Gutaussehend?«
»Das weiß ich nicht! Ich habe ihn zum letzten Mal gesehen, als ich zwölf war. Den Facebookfotos nach sieht er ganz okay aus.«
Der Taxifahrer musterte Imke im Rückspiegel und lächelte.
Sie fuhren weiter und kamen am Nieuwe Meer vorbei. Hier picknickten Familien am Ufer, einzelne Hausboote schaukelten auf dem Wasser, und Kinder fütterten die Enten mit Brot.
»Ich finde es immer noch unnatürlich, dass Kiki fliegen soll. Hunde gehören nicht in die Luft.«
»Die Sowjets haben schon vor über fünfzig Jahren einen Hund in den Weltraum geschickt.«
»Und die Amerikaner einen Schimpansen. Sollen wir noch beim Zoo halten und einen mitnehmen? Ich sage dir, es ist widernatürlich.«
»Ist es nicht. Außerdem darf Kiki bei uns in der Kabine bleiben.«
»Ja, und zu welchem Preis?«
»Wen kümmert das? Ich bezahle das ja nicht, sondern die indonesische Regierung. Die haben sowieso ganz schön viele Mühen für Kiki...
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