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BELLE
Ich hasste die gemusterte Tapete an den Wänden. Ich hatte sie einen Großteil der letzten Stunde angestarrt, während Mrs. Winters und Smith sich alle Mühe gaben, mich zu verhätscheln. Penny hatte man ins Kinderzimmer gebracht, damit sie ihr Fläschchen bekam. Es war das erste Mal, dass ich nicht diejenige war, die sie fütterte. Stattdessen saß ich hier und starrte die verdammten Wände an. Ich hatte die geblümte Tapete ausgesucht, weil ich dachte, die satten Grüntöne würden einen sinnlichen Hintergrund in unserem Schlafzimmer bilden. Ich hatte wohl nicht genau genug hingesehen, denn erst jetzt bemerkte ich, was sich in dem Muster verbarg. Auf die Rosenblätter waren kleine Spinnen gemalt, die vor dem üppigen Hintergrund kaum zu sehen waren. Manchmal war ich überzeugt, dass sie über die Blätter krochen. »Meine Schöne, was siehst du da?«
Ich riss den Blick los und schüttelte den Kopf, als er die Stelle betrachtete, auf die ich gestarrt hatte. Konnte er die Spinnen sehen? »Ich war mit den Gedanken woanders.«
Schlechte Wortwahl. War das vorhin auf dem Eis wirklich passiert? Plötzlich fielen mir noch weitere Momente ein, die ich nicht erklären konnte. Dass ich das Foto von Margot in Smiths Schreibtischschublade gelegt und die Windeln auf dem Wickeltisch vergessen hatte. Ich hatte nicht einmal den Tee überprüft, den man mir in der Apotheke gegeben hatte. Es war ein Wunder, dass nichts Schlimmeres passiert war.
Aber diesmal waren wir um Haaresbreite davongekommen.
Ein Schauer kroch mir den Rücken hinauf, und ein Zittern ergriff meinen gesamten Körper, bis ich bebte wie die Blätter, über die die Spinnen auf der Tapete krabbelten. Smith griff nach meiner Hand und zog mich vom Bett hoch, damit er seine starken Arme um mich legen konnte. Aber der Impuls, den ich normalerweise verspürte - mich an die Brust meines Mannes zu lehnen und mit ihm zu verschmelzen -, stellte sich nicht ein. Ich stand wie erstarrt und ließ mich von ihm umarmen, aber ich wünschte mir etwas viel Dunkleres als Trost.
»Sie sollten Ihren Tee trinken«, verkündete Mrs. Winters unsensibel und eilte um uns herum, um mir eine Tasse einzuschenken. Bevor sie sie mir reichen konnte, fing Smith sie ab und hob sie an seine Nase.
»Ist das der neue?«, fragte er.
»Weiß der Himmel. Er war in der Tüte aus der Apotheke.« Sie sah Smith an, als hätte er den Verstand verloren.
Ich fragte mich unwillkürlich, was sie von uns dachte. Die verzweifelte, unfähige junge Mutter und ihr argwöhnischer, rätselhafter Ehemann. Aber was auch immer sie von uns dachte, Smith schien durch ihre Antwort beruhigt zu sein.
»Den solltest du trinken«, redete er mir gut zu.
Ich zog eine Augenbraue hoch und versuchte herauszufinden, was mit ihm los war. Wenn ich durchdrehte, war ich wenigstens nicht allein. »Hat mein Gifttester den geprüft?«
»Ich muss dir etwas sagen«, erklärte er und klang ungewöhnlich nervös. In Anbetracht der Tatsache, dass er gerade fast seine Frau und sein Kind hatte sterben sehen, konnte ich ihm das nicht wirklich verübeln. »Warum setzt du dich nicht wieder hin?«
Ich folgte seinem Vorschlag. Wenn ich auf ihn hörte, würde er für meine Sicherheit sorgen. Und das brauchte ich. Smith würde die Entscheidungen treffen. Oder Edward. Oder wer auch immer in der Nähe war und ein funktionierendes Gehirn in seinem Schädel hatte. Ich legte die Hände um die Teetasse und ließ ihre Wärme in meine Haut dringen, doch das Zittern hörte nicht auf. Der Tag war kalt gewesen, aber meine körperliche Reaktion hatte weniger mit dem Wetter zu tun als damit, dass ich nur so knapp davongekommen war.
»Es geht um den Tee«, sagte er, und ich sah ihn überrascht an. »Du hast den falschen bekommen. In der Apotheke muss es eine Verwechslung gegeben haben. Der Tee, den du getrunken hast, ist zum Abstillen.«
»Was?« Ich blinzelte ihn an. Das ergab keinen Sinn. »Ich habe doch gelesen, was auf der Tüte stand.«
»War er nicht in einer Dose?«, fragte er.
»Ich habe ihn in die Dose getan, damit er frisch bleibt«, rechtfertigte Mrs. Winters sich. Sie knetete ihre Finger und sah bei ihrem Geständnis zwischen uns hin und her. »Ich hätte fragen sollen.«
»Warum?«, fragte ich langsam.
»Als Sie ihn vom Arzt mit nach Hause gebracht haben, dachte ich, Sie wollten abstillen«, sagte Mrs. Winters.
»Warum sollte ich das wollen?« Ich war den Tränen nahe.
»Ich bin nicht neugierig«, sagte sie leise. »Sie waren beim Arzt und kamen mit einem Rezept zurück. Ich nahm an, dass Sie das Baby nicht stillen könnten und ihn deshalb trinken sollten. Ich dachte, das geht mich nichts an.«
»Aber Sie wussten, was der Tee bewirkt?«, fragte ich schockiert.
»Ich dachte, das wüssten Sie. Als ich die Schachtel in der Küche fand und Sie sagten, den müssten Sie trinken .« Sie verstummte, dann nahm sie ihren Mut zusammen, hob die Schultern und sah mir in die Augen. »Es tut mir sehr leid, dass das passiert ist.«
»Ein echter Fehler also«, sagte Smith mit undurchdringlicher Miene. Ich kannte meinen Mann gut genug, um zu sehen, dass ein Teil von ihm sie für den Fehler erwürgen wollte - der Teil von ihm, der mich um jeden Preis beschützen wollte.
Ich nahm einen Schluck von dem Tee und rümpfte ob des Geschmacks die Nase.
»Die Apothekerin sagte, er schmeckt wie Lakritze«, sagte Smith.
»Das stimmt.« Ich stellte die Tasse wieder auf dem Tablett ab und seufzte. »Es hat keinen Sinn, ich bin schon ausgetrocknet.«
»Die Apothekerin hat auch gesagt .«
Aber ich hörte nicht mehr zu. Ich war es leid, so zu tun, als könnte ich diese Probleme mit Medikamenten oder irgendwelchen Tees in den Griff bekommen. Was auch immer hier gerade mit mir geschah, ließ sich nicht mit einfachen Mitteln lösen. Ich würde alles tun, was Smith vorschlug, aber ich machte mir keine Illusionen, was die Ergebnisse anging.
Und ich würde mein Baby nie wieder so leiden lassen. Noch immer konnte ich Pennys klägliches Weinen hören, es hatte sich in meine Seele eingebrannt. Durch meine Fahrlässigkeit und meinen Stolz hatte ich ihr Leid zugefügt.
Smiths Vortrag über das erneute Anregen der Milchproduktion wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Er drehte sich um und rief: »Herein.«
Nora steckte den Kopf durch die Tür. »Sie ist eingeschlafen. Der arme Engel war erschöpft. Sie hat aber die ganze Flasche getrunken.«
»Danke«, sagte Smith kurz. Er mochte sie nicht, das spürte ich. Ich verstand nur nicht, warum. Sie würde eine bessere Mutter abgeben als ich.
»Würden Sie bitte ein Auge auf sie haben?«, bat Smith Nora. »Belle wird ein Bad nehmen.«
»Natürlich«, sagte sie fröhlich und verschwand. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, woher sie diesen unbegrenzten Vorrat an Sonnenschein nahm. Ich war froh, dass sie hier war, um sich um Penny zu kümmern, da ich mich weiterhin als völlig nutzlos erwies. Aber ich glaubte nicht, dass ich ihr strahlendes Lächeln noch eine Minute länger ertragen hätte.
Nicht dass ich Nora nicht mochte. Es war hilfreich, sie um mich zu haben. Aber sie war auch eine ständige Erinnerung daran, dass ich total versagt hatte.
»Ihr Bad ist fertig, Ma'am«, verkündete Mrs. Winters.
Sie verbeugte sich leicht und ging in Richtung Tür. »Ich bin unten, wenn Sie mich brauchen.«
Widerstandslos ließ ich mich von Smith ins Bad führen. So war es richtig. Smith würde meine Tage lenken, und ich würde endlich gesund werden oder auch nicht, aber zumindest würde ich mich und andere nicht in Gefahr bringen. Das würde er nicht zulassen.
Doch als er mich entkleidete, hielt er den Blick von mir abgewandt. Seine Hände verweilten nicht auf meiner Haut. Nachdem er mir ins warme Wasser geholfen hatte, wandte er sich zum Gehen, und ich ergriff seine Hand.
»Verlass mich nicht«, stieß ich hervor.
Er schluckte und presste die Lippen zu einem Strich zusammen, dann zog er den Hocker unter meinem Toilettentisch hervor, wobei die Metallfüße schrill über die Fliesen schrammten, und setzte sich neben mich. Ich zog die Beine an die Brust und umschlang meine Knie. Das Frösteln, das ich auf meiner Haut gespürt hatte, löste sich in dem warmen Wasser, aber das Frösteln in meinem Inneren hielt an.
Was Smith wohl jetzt von mir dachte? Eine Träne stahl sich aus meinem Auge und lief mir über die Wange. Falls er es bemerkte, kümmerte es ihn jedenfalls nicht. Er rührte sich nicht vom Fleck, bis ich den Stöpsel zog. Als das Wasser im Ausfluss kreiselte, stand er mit einem Badetuch bereit, wickelte es um mich und half mir aus der Wanne.
Er folgte mir ins Schlafzimmer, verschwand im Ankleidezimmer und kam mit einem Bademantel wieder heraus.
Ich schüttelte den Kopf, und die Tränen begannen nun ungehindert zu fließen. »Smith«, krächzte ich. »Ich brauche dich.«
Sofort schloss er mich in die Arme und sah mit grenzenloser Liebe zu mir herunter. Ich kämpfte gegen den Drang an, mich abzuwenden. Diesen zärtlichen Blick hatte ich nicht verdient. Nicht nach dem, was ich getan hatte. Nicht nach dem, was er meinetwegen durchmachen musste.
»Ich brauche dich«, wiederholte ich und drückte meine Handflächen an seine Brust, wie um mir zu beweisen, dass er wirklich hier bei mir war. Ich war mir bei gar nichts mehr...
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