Schweitzer Fachinformationen
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Sie wurde Batizki von Witka Demidoff, genannt Demisuff, mitgebracht. Witka hatte das Trinken längst aufgegeben, seiner Magenschwäche wegen, machte seinem Beinamen aber immer noch alle Ehre: Ständig schien er beschwipst vom eigenen Gaunercharme. Er war ein Halbseidener, ein Pfiffikus, ein Beschaffer, wurschtelte sich immer irgendwie durch, aber Batizki schätzte und begünstigte ihn. Witka jubelte niemandem Schamott unter, nassauerte nicht, und zuweilen hatte Batizki das seltsame Gefühl, der unbedeutende, zänkische, jämmerliche Witka habe die Größe seliger Pilger und heiliger Narren.
In ihrem undurchsichtigen, verschwiegenen Geschäft galt vor allem Fortüne als unschätzbar. Diese wollten sie anlocken, beschwören. Sie entfachen, wie man durch Reibung Feuer entfacht, wenn ihnen alte Gegenstände in ihre sensiblen Hände gerieten, die sie betasteten, streichelten. Ihre Jagd galt den Gütesiegeln, Wappen und Namen, den Kuriositäten und Raritäten, den besonderen Dingen, die singulär waren und in denen sich - wie Batizki meinte - eine künstlerische Tradition erschöpfte und in Monstrosität und Fruchtlosigkeit überging.
Demisuff mit seinem abgebrochenen Kunststudium hatte die Gabe, mit leichter Hand unfehlbar jene Dinge aufzufinden, in denen sich die momentane Perfektion eines Stils zeigte, bevor dieser sich selbst erkannt und in seine Reifephase eingetreten war. Normale Sammler interessierten sich nicht für derartige Objekte, sie gierten ausschließlich nach erkennbaren, gängigen Formen. Aber Batizki, nicht der Antiquar Batizki, sondern der Künstler und später auch Designhistoriker Batizki, bevorzugte eben solche lakonischen und unaufdringlichen Gegenstände, in denen sich der Geist ihrer Entstehungszeit zeigte.
Und Demisuff, der nicht besoffene Demisuff, der auch vermeintlich ausgetrampelte, ausgeweidete Orte zu durchkämmen verstand, ein Stammgast übler Flohmärkte wie den in der Nähe des Haltepunkts »Arbeitersiedlung«, wo die Waren auf Zeitungen, direkt auf der Erde ausgebreitet waren, und wo gehandelt wurde mit unbrauchbaren Wasserhähnen, mit alten Dosen von Lutschpastillen, mit vergilbten Kunststoffanhängern von Kronleuchtern, mit rostigen, den Schlüssellöchern und Menschen entwöhnten Schlüsseln, mit bauchigen Messingdosen für Seife mit eingeprägten Bildern von seilspringenden Mädchen auf dem Deckel, mit rissigen Gummistiefeln und einzahnigen Dosenöffnern, mit den Überbleibseln von anderer Leute erbärmlichem Elend, hatte Demisuff für ihn zweimal wahre Perlen vom Grund des Mülls gehoben. Ja, jener von El Lissitzky bemalte Porzellanteller sowie ein ziselierter Silberkrug aus der Zeit der Choresm-Schahs, ein Stück aus vormongolischer Zeit. Als Demisuff sie mitbrachte, waren sie besudelt, leidgeprüft, geradezu mit Blut und Erbrochenem überzogen. Aber Schmutz und Patina ließen sich leicht entfernen, und zum Vorschein kamen unversehrte Stücke: ohne Bruchstellen und Kratzer. Wahrscheinlich war das der Grund, warum Batizki sie, nachdem er Demisuff einen angemessenen Preis gezahlt hatte, beiseitelegte: als erkenne er ihre Würde und Unberührtheit an.
Batizki war eigentlich immun gegen das Sammeln. Nachsichtig gegenüber den kleinen und großen Leidenschaften anderer, ließen ihn fremde Fetische kalt, insgeheim verachtete er die tierhafte Peristaltik von Anhäufung und Verzehr, denn seine Natur war die eines Verkäufers, der Genuss nur im Kreislauf von Objekten und Geld, im Spiel der Preise fand. Aber ein Teller und ein Krug machten noch keine Sammlung. Sie waren ermattete Wanderer, die um Obdach gebeten hatten, und Batizki, der Hasardeur und Geldscheffler, legte sie nie ins Schaufenster.
Das war neu. Sie waren wie Gäste bei ihm, blieben unabhängig. Und Batizki studierte, wenn er sie gedanklich berührte, die scharfen Grenzen ihrer Entfremdung. Ohne es sich einzugestehen, gab er ihnen Zeit, eine lange Zeit anorganischer Substanzen, die den Verfall des Fleisches nicht kannten, die über Jahrhunderte alterten und über Jahrhunderte an Wert gewannen: damit sie sich eingewöhnten, die Strapazen vergaßen, sich vom Spalier früherer Besitzer lösten und sich ihm hingaben in einer reinen Beziehung von Besitz und Besitzendem.
Teller und Krug, ein Stillleben. Stil leven. Überhaupt war er an Dinge gewöhnt, die länger existierten als ein Mensch, wie konnte es auch anders sein, bei seinem Beruf? Aber genau sie waren es, die ihn das Alter deutlich spüren ließen. Den Fluss des vergehenden Lebens. Die Eitelkeit von Erfolg. Den Segen des Verlustes. Und er, ein Sturkopf, begann unbewusst das Dritte zu suchen, das dem Stillleben noch fehlte, nach einem Objekt anderer Natur, das dem Leben Inspiration, Sinngehalt und Rätselhaftigkeit geben konnte.
Dann tauchte Demisuff wieder auf. Lange war er weg gewesen, nachdem er sich von Batizki eine hohe Summe geholt hatte. Und Batizki hatte schon gedacht, Demisuff käme nicht zurück. Dass er tot sei, denn Demisuff, dieser draufgängerische Narr, konnte den Ballen Bares mit auf den Flohmarkt an der »Arbeitersiedlung« genommen haben. Schon beim Abzählen der Euro war Batizki der Gedanke gekommen, dass Demisuff ein bisschen viel verlangte. Es tat ihm nicht leid darum, das nicht. Nur ist jedem Menschen ein bestimmtes Limit zugemessen, ein Betrag, über den hinaus er nichts auf die Hand bekommen sollte, sonst ist Sense, ist das Eichmaß überschritten, und das Universum veranstaltet irgendeinen Hokuspokus, an dem sich später die Ermittler den Kopf zerbrechen - wie konnte das alles passieren? Demisuff hatte sein Limit überschritten, und zwar deutlich, und ganz kurz fühlte sich Batizki als Mörder, doch war die Neugier stärker: Und wenn er es doch schaffte? Und etwas mitbrachte?
Und nun war Demisuff zurück. Nur war er jetzt wirklich besoffen. Seine Augen schimmerten in dunklem Perlmutt, der Farbe überalterter Perlen, bevor sie zu Staub zerfallen. Batizki las dort heraus, dass Witka geschlagen wurde, und auch betrogen, mit Schießpulver versengt, von einer Klinge gestreift - und trotzdem war er mit seiner Beute zurückgekehrt, hatte jemandes Versteck, Truhe, Schrein entkorkt, war lebend aus verrotteten Gängen, schwarzen Hütten herausgekommen und stand nun dreist da, gab kein Geld zurück, bot aber dafür das an, was er dem Schicksal abgerungen, abgeluchst hatte, dieser glorreiche Halbsäufer Demisuff, dieses Schlitzohr!
Demisuff setzte sich nicht einmal hin. Wie ein Zauberkünstler griff er geschickt in die Innentasche seiner Jacke, und Batizki konnte kaum folgen, zuckte wie ein Ganove, der nach Messer oder Pistole greift, doch hatte Demisuff schon etwas auf den Tisch gelegt und seine Hand zurückgezogen.
Eine Schatulle für Visitenkarten.
Auf dem Tisch lag eine Schatulle für Visitenkarten. Aus Elfenbein. Eine Schnitzarbeit. Zwei Farben nur: das Weiß des Stoßzahns, das Ockerrot der Musterung.
Weiß, das ist Schnee, meinte Batizki. In der unteren rechten Ecke wuchsen Bäume von roter Farbe, eine orientalische Art, gewellter Stamm, an den Ästen schirmförmige Blätter. Darunter stand ein Mann in rotem Kittel, ein Japaner oder Chinese, mit einem Zopf, und blickte auf dieses Weiß, als wäre er an den Rand der Menschenwelt gelangt, und dort, vor ihm, läge das strenge Reich der Elemente. Ein Hauch freudloser Einsamkeit. Eine etwas seltsame Komposition für dieses mondäne Accessoire zur Aufbewahrung von Visitenkarten.
Batizki sah, das Ding war alt und echt. Aber es war nicht einmal die Hälfte dessen wert, was er Witka geborgt hatte. Er wusste, er würde es nehmen, ohne sich zu beschweren oder die Abmachung zu erwähnen, denn das war die Gabe; zum Dreigestirn.
Demisuff zog sich danach aus dem Geschäft zurück, ging wohl unter die Ikonenmaler; sicherlich hat der Bursche ordentlich was abbekommen, dachte Batizki und freute sich trotzdem irgendwie, denn hätte Witka nichts abbekommen, wäre er wohl kaum mit dieser Schatulle angekommen oder hätte sie, zusätzlich zum Gewinn, für sich behalten; doch wurde Demisuff bedroht und geschlagen, und wohl deshalb hatte er sich ehrlich machen wollen.
Batizki wollte die Schatulle einem Kollegen zeigen. Pjotr Petrowitsch Golowzow war der oberste Schiedsrichter, ein Spezialist für Gebrauchsgegenstände: Fächer und Schnupftabakdosen, Flacons für Riechsalz, Zigarrenabschneider, Zigarettenetuis, Taschenuhren, Streichholzschachteln, Besteck, Pulverflaschen für die Jagd, Tintenfässchen, Flachmänner, Manschettenknöpfe. Für die unbeseelte Dienerschaft des Reichtums und der Etikette. Für Worte einer verlorenen Sprache, mit der Adlige und Kaufleute diese Dinge bezeichnet hatten.
Golowzow war bekannt für seine spezifische Denkweise, und seine Ausdruckweise war vage wie Pythias Prophezeiungen. Er, selbst ein Fossil voller Runzeln und Sprenkel, untersuchte sorgfältig die Schatulle, rieb sie mit Fensterleder ab, beklopfte mit dem Fingernagel die Seitenwand, nahm eine Lupe und betrachtete ausgiebig die Zeichnung: den hageren Alten im Kittel oder Kimono (erst jetzt erkannte Batizki, dass es ein Alter war), die pendelgleich nach links und rechts gebogenen roten Bäume mit scharf begrenzten Regenschirmblättern, die Schneedecke. Dann sagte er traurig und zärtlich:
»Das ist eine Schatulle für Besuchskarten, Antoscha.«
Batizki hörte genau zu.
»Für Besuchskarten, hm«, sagte Golowzow abwesend. »Aber nicht für die eigenen. Für fremde«, schloss er mit richterlicher Bestimmtheit.
Batizki verstand nicht.
»Die trug man nicht bei sich.« Golowzow verschob die Schatulle, so dass ihre Linien parallel zu den Tischkanten verliefen, und ja, da wurde es sichtbar: Sie war dafür gemacht, an...
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