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Shanna ist hinter der Tür verschwunden.
Nun gut, Valet hat genug gesehen. Das Nachbarsmädchen ist also erwachsen - Zeit, sie ins Bett zu bringen. Aber seine Gedanken drehen sich gerade nicht um sie.
Da ist sie also krepiert, die Frau Mama, die alte Schlampe. Krepiert. Hat ordentlich gelitten. Für alles gezahlt. Ja und wie sie krepiert ist! War ja so ein Sauberweib. Und wurde zur Baba Jaga. Ganz real zur Baba Jaga. Zum Schreckgespenst, wie ein Zombie aus dem Kino. Und vor allem zur rechten Zeit. Punktlandung. Als hätte jemand Valets geheimen Wunsch gehört und ihn erfüllt.
Er fühlt sich gerächt. Aber noch nicht ganz. Er hat sich eine angezündet, steht mitten im hohen und dichten Brombeergestrüpp, das den Zaun zu Nachbars Vorgarten überwuchert. Hier war schon in der Kindheit sein Aussichtspunkt: Da brach er sich immer einen Pfad durch die Brombeerbüsche, als wollte er Beeren pflücken, lehnte sich, versteckt im Laubwerk, an den heruntergekommenen Lattenzaun und überblickte den Hof. Konnte ein Auge auf Shannalein werfen, ach was, sie im Auge haben.
Ihn durchschüttelt ein fieberhaftes Beben, das durch die Erde läuft, als ein Kettenfahrzeug die Ortsumgehungsstraße beim Haus passiert. Ein anderer hätte in der Dämmerung nicht erkannt, was das ist. Valet jedoch erkennt es: Flugabwehrraketensystem »Omela«. FlaRak-System. Er hat es, hinter einer Absperrung stehend, unverhüllt bei Paraden in Moskau gesehen. Im trüben Licht einer Straßenlaterne blitzt die von einer Plane halbbedeckte Doppelrakete auf, und Valet kommt es so vor, als sähe er einen aufgestellten Schwanz, der den Hosenschlitz eines Kadetten vorwölbt. All das - Mariannas demütigender Tod, der ihre Schönheit und Würde, ihre verborgene Macht mit Füßen getreten hat, dazu die nun schutzlose Shanna in ihrer nackten, frostigen Einsamkeit, das todbringende FlaRak-System, das es hier offiziell nicht gibt, die Truppen, die es hier eigentlich auch nicht gibt, er selbst, der ebenfalls nicht hier sein darf, er ist im Urlaub -, all das verschmilzt zu einem aufputschenden Cocktail aus Macht, Rachelust, Wiedergewinnung, der alles übertrifft, was er bislang in seinem Polizei-Sonderregiment erlebt hat.
Noch immer kann Valet sein Glück nicht ganz fassen. Letzten Dezember, als auf dem Maidan schon einiges los war, ließ ihn Onkel Georgi, stellvertretender Kommandeur des Polizei-Sonderregiments, zu sich rufen und sagte, Valet sei als Freiwilliger ausgewählt worden - bei diesem Wort grinste sein Onkel - und würde bald nach Hause fahren. In Zivil, damit alle denken, er wolle seine Mutter besuchen.
Valet wäre fast herausgerutscht, er wolle nicht. Bloß gut, dass er sich noch rechtzeitig auf die Zunge beißen konnte. Sonst hätte ihn sein Onkel mit Fragen gefoltert, um den Grund herauszufinden. Sein Onkel wusste, wie man andere verhört, und hätte ihn umstandslos aus dem Regiment gejagt und vor seinen Kameraden blamiert.
Das wäre ja noch schöner: ein Kerl, der Angst vor einem Weib hat.
Und Valet, der hatte zwar in der Armee gedient und war auch schon mit Helm, Schild und Schlagstock gegen die Menge angetreten, aber Marianna gegenüber empfand er Furcht. Einfach Furcht, so war das. Seit seiner Kindheit spürte er ihre fremdartige Kraft und eine Magie, eine Art Hexenkraft, die gewöhnliche Menschen nicht haben.
Immerhin hat seine Mutter seinem Moskauer Onkel Georgi, einem Oberstleutnant, Bruder ihres versehrten Mannes, nicht erzählt, warum Valet sein trautes Heim so schnell verlassen musste. Sie schwatzte nur was über Valets Vater, den das Grubenunglück verkrüppelt hatte. Über die bevorstehende Schließung der Zeche. Darüber, dass sie ihrem Jungen kein gefährliches Bergmannsschicksal wünsche. Und dass es für ihn, wenn er bliebe, in Zukunft nur einen Weg gäbe - in eine kopanka, wo Kohle in flachen Schürfstellen illegal abgebaut wurde, was niemand lange überlebte, weil an der Zimmerung gespart oder eine solche erst gar nicht aufgestellt wurde.
Sogar der misstrauische Onkel Georgi glaubte es. Seine Mutter hatte ja auch fast die Wahrheit gesagt. Und deshalb dachte der Onkel, Valet würde sich freuen, wieder nach Hause zu kommen: seiner alten Heimat zu zeigen, wer stark war. Für den Onkel war die Bergbausiedlung mit dem Namen Marat ja nie Heimat gewesen.
Die Familie stammte aus einem Dorf bei Woronesch, das war völlig verarmt. Der ältere Bruder ging noch in der Sowjetzeit Richtung Westen, in den Donbass, um sein Glück in einer Zeche zu versuchen. Und der Jüngste, Georgi, ging nach Osten. Nach dem Armeedienst kam er zur Polizei, blieb in der Hauptstadt hängen. So trennte sie das Jahr 1991: Der eine hatte die ukrainische Staatsbürgerschaft, der andere die russische. Die Brüder waren sich nicht grün. Der ältere hielt den jüngeren für einen Faulpelz, von wegen, den Knüppel zu schwingen ist ja leicht, der hätte mal in der Zeche ackern sollen. Außerdem hatte er noch eine Rechnung mit den Bullen offen, die während der Perestroika die Kundgebungen der Bergarbeiter aufgelöst, sie mit Reizgas vollgesprüht hatten. Und der jüngere hielt den älteren für einen Narren: Wer macht sich schon in einer Zeche krumm, ruiniert sich die Gesundheit? Sie besuchten sich nie, telefonierten nur an Feiertagen. Die Mutter hatte jedoch immer heimlich Pakete geschickt, dies und das, Speck, Eingelegtes. Das Eingelegte machte sich nun also bezahlt.
Georgi, kinderlos, nahm seinen einzigen Neffen Valet wie einen Sohn auf und war froh, ihn auf eigene Weise umzuformen. Die Mutter wusste nur, dass Georgi bei der Polizei diente, deswegen schickte sie ihm ihren Sohn, damit der liebe Onkel ihm die Flausen austrieb. Wie sich zeigte, war Georgi nicht nur einfach Offizier: Er gehörte zu einem Polizei-Sonderregiment, das Moskau bewachte, Jagd auf Demonstranten machte. Er besorgte Valet Papiere, beschleunigte seine Einbürgerung. Er brachte ihn in die Armee zum Grundwehrdienst, aber nicht unter seine Fittiche, bei den internen, sondern zu den Raketentruppen, an einen entfernten Ort, in rauer Gegend, wie zur Bewährung. Und erst dann nahm er ihn als Gefreiten in sein Regiment auf.
Valet gefiel ihm. Georgi drillte ihn, gab ihm keine verwandtschaftliche Sonderbehandlung und stellte ihm in Aussicht, in ein, zwei Jahren auf die Militärschule zu kommen, Offizier zu werden. Der Onkel indes erwartete, in den Rang eines Obersts befördert zu werden, und dann wäre es nicht mehr weit bis zum General; und für dich finden wir die richtige Frau, sagte er, aus einer Polizei- oder Staatsanwaltsfamilie .
Nur eins konnte Georgi nicht verstehen: warum sein Neffe im Urlaub nie nach Hause fuhr. Valet redete sich ständig heraus, mal waren es Trainingskurse, mal eine Bettgeschichte. Er konnte seinem Onkel ja nicht sagen, dass die Nachbarin, Leiterin der Wäscherei, ihn aus seinem eigenen Haus geworfen und ihm verboten hatte, dort wieder aufzutauchen. Sie hatte seiner Mutter befohlen, er dürfe nie wieder seinen Fuß über die Schwelle setzen, und seine Mutter gehorchte. Und auch er gehorchte, weil er wusste: Wenn Tante Marianna es so gesagt hatte, dann galt es, da sollte man ihr besser nicht in die Quere kommen. Sonst würde sie sich noch was einfallen lassen.
Da musste man nur an Wassili Dreikopf denken, ein Hauer aus der Zeche, der Bulligste der ganzen Siedlung. Ihm waren im Stollen dreimal Steine auf den Helm gefallen, aber seinem Oberstübchen hatte das nichts ausgemacht, daher der Spitzname. Wassili war immer mal wieder in der Wäscherei aufgekreuzt, die Mädels belästigen. Zunächst versuchte Marianna, ihn mit Worten abzuwimmeln. Das half nicht, Wassili war ein bisschen blöd und dazu noch etwas taub.
Was dann geschah, sah Valet mit eigenen Augen; seine Mutter hatte ihn geschickt, um etwas Waschpulver auszuleihen.
Wassili war betrunken, wurde laut, schepperte mit den Schüsseln. Die verängstigten Mädchen versteckten sich in allen Winkeln. Valet erstarrte auf der Schwelle, konnte nicht rein und nicht raus. Er hatte Wassili schon bei einer Prügelei gesehen, mächtig war der Hauer und unheimlich, die Einheimischen hatten schon mehr als einen Schlagstock an ihm zerbrochen. Marianna jedoch trat ihm ruhig entgegen - und ganz leicht, fast wie im Scherz, klatschte sie ihm ein nasses, frisch gewaschenes Handtuch ins Gesicht.
Der Rausch war aus diesem Bullen, diesem Stier gefahren. Der taumelte, wurde blass und sank auf die Knie, als hätte seine Birne ein Rammbock getroffen, mit dem man Mauern einreißt. Und von da an verhielt er sich ruhig, wie entmannt, er vergaß den Weg zur Wäscherei, ließ die Prügeleien, beschäftigte sich mit Hühner- und Entenzucht.
Doch vor allem spürte Valet, dass die Finte mit dem Handtuch ohne Bedeutung war - nur eine Albernheit, ein Trick. Mariannas Kraft war viel größer. Die anderen spürten sie nicht in ihrer Gänze. Aber er spürte sie, weil er schon länger genau hinguckte, immerhin waren sie Nachbarn. Das Haus war für zwei Familien: eine Seite nach Osten, die andere nach Westen, Vorgarten an Vorgarten, Leben an Leben.
In früher Kindheit hatte er gewollt, dass Marianna seine Mutter wäre. Seine eigene war Putzfrau im Bergwerk, Marianna Besitzerin der Wäscherei. Die eine sorgte für Sauberkeit, die andere auch, aber sie lebten völlig verschieden. Seine Mutter wischte und wischte vollgerotzte Böden, leerte Mülltonnen, mühte sich nach Kräften, kam aber immer wie vollgesaut und bespuckt nach Hause. Marianna wusch den deftigen Bergmännerschmutz aus der Kleidung und kam nach Hause,...
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