Schweitzer Fachinformationen
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Schon immer hatte sie dem Rauschen des Meeres an den Felsenriffen gelauscht. In der Baie Malgache nähern sich die Wellen in rascher Folge und überspülen so kurz hintereinander die schwarzen Steine, dass man nur ein ununterbrochenes sanftes Dröhnen hört, fast wie das Geräusch eines Motors. Wie der Motor der Piroge ihres Vaters, jetzt erinnert sie sich daran, obwohl sie den schon seit Jahren nicht mehr gehört hat. Auf den Bug der Piroge hatte Tomy Samson in großen roten Buchstaben den Namen seiner Tochter geschrieben, MAUREEN, aber das N am Ende war ihm verrutscht, sodass es aussah wie ein Z. Und so hatte er diesen Namen beibehalten für seine Tochter, denn er fand ihn viel schöner. Und von da an hieß Maureen für immer Maureez. Maureez, das brachte die Kinder zum Lachen. »Ki kot? To été Moris bolom? Was? Wa'ste schon ma' auf Mauritius?« Aber das war kein Grund, sich zu schämen, im Gegenteil, sie erinnerte sich, dass sie sich schon als Kind zu ihrer vollen Höhe aufgerichtet, sie herausfordernd angestarrt und gesagt hatte: »Mo papa finn allé pa'tout, pa'tout pays Moris ça la même. Mein Papa wa übe'all, übe'all, soga' auf Insel Mauritius.« Und dann ist er eines Tages nicht mehr vom Fischfang zurückgekehrt.
Sie hatte Tag für Tag und sogar nachts am windigen Meeresufer auf ihn gewartet, bis Lola schließlich zu ihr sagte: »Ca sifi comme ça, rentré, pas resté dihors, ki espère? Nu' reich' aba, kom' rein, bleib nich' drauße', wo'auf wa'test du noch?« Sie weigerte sich, musste aber schließlich gehorchen und sich im Bett an die Wand quetschen, um Lola nicht schnarchen zu hören, als sei nichts passiert, alles no'mal, alles oke. Aber von da an war nichts mehr wie zuvor. Lola wurde bösartig, schlug Maureez wegen jeder Kleinigkeit. Und sie ließ sich mit einem anderen Mann ein, Zak, einem Nichtsnutz, der sich von morgens bis abends auf dem alten Sofa auf der Terrasse herumräkelte, sich betrank und aufs Meer starrte. Maureez hat ihre Mutter nicht gekannt, denn sie war kurz nach ihrer Geburt gestorben, und Tomy Samson hatte sich zwar nicht wieder verheiratet, sich aber für diese Frau entschieden, Lola Paten. Maureez hasste sie von dem Moment an, da ihr klar wurde, was hassen bedeutete, weil Lola sie anschrie, in den Arm zwickte und sie zwang, die gesamte Wäsche des Haushalts zu waschen, auch wenn sie zur Schule gehen musste. Und als Tomy Samson eines Tages nicht mehr vom Fischfang zurückkam, wurde das Leben für Maureez zu Hause unerträglich. Lola verließ oft das Haus, um in einem Hotel am Hafen zu arbeiten, und sobald sie nicht mehr da war, schenkte Zak sich ein Bier ein und sah Maureez auf seltsame Weise an, doch sie erkannte die Gefahr sehr schnell, als er sie eines Nachmittags am Arm packte und an sich zog, wobei er ekelhafte, unverständliche Worte murmelte. »Vini, nous faire un ti ballett à quat'z'yeux. Kom, wi' mache' kleine Ballett unte' vie' Auge'!« Wie konnte man nur so etwas zu einem Kind sagen? Was war das, ein Ballett? Maureez riss sich los, rannte nach draußen und versteckte sich hinter den Felsen. Als Lola abends nach Hause kam, verlor Maureez kein Wort darüber, weil sie genau wusste, dass Zak irgendeine Gemeinheit erzählen würde, etwa dass sie sich bemüht habe, ihn zu verführen, sich an ihn geschmiegt und versucht habe, ihn ins Bett zu ziehen. Sie legte sich schlafen, ohne zu Abend zu essen, rollte sich im Bett zusammen, legte den Kopf an die Wand und lauschte, wie Lola schnarchte.
Danach wurde alles noch komplizierter. Wenn Lola morgens zur Arbeit ging, verließ auch Maureez das Haus und nahm die Schultasche mit Büchern und Heften mit, als wolle sie zur Schule gehen, schlug aber einen anderen Weg ein und durchstreifte stattdessen die Gegend kreuz und quer. Zu diesem Zeitpunkt fing Maureez an zuzunehmen, vielleicht weil sie hoffte, dass Zak dadurch die Lust vergehen werde, sie anzurühren. Sie war gezwungen, die Hosenbeine ihrer Jeans abzuschneiden und den Ausschnitt ihres T-Shirts zu erweitern, aber trotz allem war es zu klein und zu kurz. Die anderen Mädchen aus ihrer Schule machten sich über sie lustig, sobald sie ihr begegneten, und riefen ihr »Fettkloß« oder »Fettsack« nach, doch obwohl sie das furchtbar wütend machte, reagierte sie nicht darauf. Und so beschloss sie kurzum, Schluss mit der Schule zu machen. Sie sagte es niemandem, sondern traf diese Entscheidung ganz allein. Sie stand morgens früh auf, wusch ihre Wäsche in der Zinkwanne, wickelte etwas Reis und brèdes in ein Tuch und legte es in ihre Schultasche, als wolle sie zur Schule gehen. Aber sobald Lola verschwunden war, machte sie sich aus dem Staub und lief durchs Buschwerk auf die Anhöhen, weit weg von der Stadt.
Maureez kannte vor allem die Steine sehr gut. Jeden Felsen in der Baie Malgache, jeden Kieselstein, jede Farbe, jede Beschaffenheit, die schwarzen, die blassweißen, die rot gestreiften, die gesprenkelten, die graublauen, die dunkelgrünen und alle Gesteinsformen, die runden, die wie Kugeln rollen, und die spitzen mit rostigen Löchern. Schon als kleines Mädchen war sie morgens mit Tomy am Strand der Bucht entlanggelaufen auf der Suche nach schönen Steinen.
Wenn sie einen Stein auflas, sah sie all die kleinen Tiere fliehen, durchsichtige Krebse, Bandasseln und auch kleine schwarze Insekten, die in die Pfützen tauchten. Sie wählte für ihren Vater einen schönen kugelrunden Stein, der glatt und schwer genug war, um als Senker für die Netze zu dienen. Maureez liebte den Geruch des Meeres, er ist intensiv und beißend, sodass man husten muss, aber es ist ein vertrauter Geruch, der eine beruhigende Wirkung hat. Die donnernde Brandung an der Barre vibrierte bis an den Strand. Manchmal ging plötzlich aus heiterem Himmel ein Platzregen nieder, ein kalter Regen, der im Gesicht und auf den Beinen prickelte, aber sie brauchte keinen Schutz zu suchen, sondern blieb bei ihrem Vater und beobachtete, wie ihm das Wasser über das Gesicht rann, durch seine tiefen Falten, oder wie es sich in seinem Haar verfing. Bei einem Regenschauer bemerkte Maureez zum ersten Mal, dass er schon weiße Haare hatte, silberne Fäden, die in seinem krausen Haarschopf glänzten. Tomy war noch nicht alt, aber er hatte schon diese silbernen Fäden, und als sie es ihm sagte, musste er lachen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie er gesagt hatte: »Blanc fin 'sorti mo sivi! Di Weiße sind du'ch mein Haa aus'eschlüpft!« Maureez hatte das gleiche Haar wie er, einen dichten, zerzausten Strubbelkopf, aber sie konnte machen, was sie wollte, ihr Haar ließ sich nicht bändigen. In der Schule hatte die Lehrerin zu ihr gesagt: »Das ist doch nicht schön, du musst dir Zöpfe flechten«, aber ihr Vater war dagegen und hatte ein Machtwort gesprochen: »Wir, in unserer Familie Samson, sind keine Weißen, sondern Mozambiques, wir brauchen unser Haar nicht zu verstecken, wir brauchen keine Zöpfe!«
Mozambique, das hat Maureez zwar nicht verstanden, aber das Wort hat ihr gut gefallen. Immer wenn sie an den Strand oder ins Gebirge ging, wirbelte der Wind ihr Haar durcheinander, peitschte ihr ins Gesicht, und der Regen rann ihr in die Augen. Sie war stolz auf ihren Vater und brauchte niemanden, und deswegen hasste Lola Paten sie noch mehr. Sie war eifersüchtig. Seit Maureez ganz klein war, nahm Tomy sie jeden Abend nach dem Fischfang und am Sonntagmorgen in seiner Piroge mit, der schönen weißen Piroge, auf die er mit roter Farbe den Namen seiner Tochter gepinselt hatte, und dann fuhren sie bis ans Ende der Lagune, zu den kleinen Inseln.
Später sollte sich Maureez an alle diese Fahrten erinnern, es waren gnadenvolle Momente gewesen, die sanft und zugleich heftig waren wie blendendes Licht: lange dauernde, langsame Fahrten, beim Brummen des Motors, dem Auf und Ab der Wellen, wenn sie sich den Riffen näherten, und dann auf hoher See, wenn Tomy die dreieckige Rah setzte, dem Knattern des Winds im Segel, dem leise gurgelnden Kielwasser und den Schreien der Vögel.
Die Tölpel auf der Île aux Fous waren so zahlreich, dass ihr Lärm sich anhörte wie das Rollen Tausender Eisenkugeln, die Schreie aus Abertausenden Kehlen und das Gezeter der Neugeborenen in den schwarzen Felsen und die langen Klagerufe der Albatrosse, die herkamen, um die Küken zu stehlen. Maureez glitt durchs Boot bis zum Bug und setzte sich auf die Stake, die vorn auf den Bootsrändern ruhte, der Wind ließ ihre Augen tränen, das Salzwasser durchnässte ihr Haar und ihre Kleider, die Sonne brannte auf ihren Händen und Füßen. Das Wasser war tief, fast schwarzblau, und der Himmel verblasste in der Abenddämmerung. Sie brauchte nur die Augen zu schließen, um sich vorzustellen, dass die Piroge diesmal wirklich auf große Fahrt ging und sie beide auf die andere Seite des Meeres brachte, weit weg von allem, fort von zu Hause, fort von Lolas Gejammer, ja, dass die Piroge sie auf eine wunderschöne Insel brachte, auf der sie beide für immer leben würden, eine Insel voller Düfte und Farben, auf der es nichts als Glück, Schlaf und Träume gab.
Etwa zu diesem Zeitpunkt erfand Maureez eine Freundin namens Bella, um jemanden zu haben, mit dem sie reden konnte, weil ihr Vater nicht mehr da war und niemand sich für sie interessierte. Und weil die Mädchen aus ihrer Schule sie mit Steinen bewarfen, sobald sie sie sahen, und ihr Schimpfworte nachriefen. Wenn sie ins Gebirge ging, suchte sie sich in der Nähe von La Ferme oberhalb der Baie Malgache ein Plätzchen, auf dem sie vor dem Wind und manchmal auch vor dem...
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