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Prolog
Samstag, 21. Juli
Von diesem Augenblick hatte Audrey Tate Dutzende von Malen geträumt. Vielleicht sogar Hunderte von Malen.
Vor einer Kirche stehen? Check.
Ein bisschen atemlos? Definitiv.
Ein wenig zittrig? Yep.
Ihr Herz klopfte, als sie sich wappnete, um die Stufen zu erklimmen und das Kirchenschiff hinabzuschreiten, jenem Mann entgegen, der ihr Herz im Sturm erobert und es ihr gestohlen hatte? Absolut.
Aber in ihren Träumen hatte sie Weiß getragen. In ihren Träumen war der Mann, auf den sie zuging, nicht der Ehemann einer anderen gewesen.
In ihren Träumen war er nicht tot gewesen.
Audrey spürte, wie jemand im Vorbeigehen mitfühlend ihren Arm drückte. Jemand anderes gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie rang sich ein zerstreutes Lächeln ab, sah die freundlichen Menschen um sie her aber nicht einmal an. Viel zu sehr musste sie sich darauf konzentrieren, es allen anderen gleichzutun: die Stufen hinaufzusteigen, um endgültig Abschied von Brayden Hayes zu nehmen.
Audrey holte tief Luft und zwang ihren rechten Fuß einen Schritt vor.
Und er gehorchte. Aber nicht in die Richtung, die sie beabsichtigt hatte. Bevor Audrey sich noch über die Folgen klar werden konnte, setzte sie sich in Bewegung, und zwar nicht in die Kirche hinein, sondern von ihr fort. Fort von ihm. Fort von seiner Ehefrau.
Fort von ihren Träumen.
Sie bekam kaum mit, wie sie im Central Park landete, und als sie ohne zu überlegen nach links abbog, merkte sie auch nicht, dass ihre zehn Zentimeter hohen Louboutins für diesen sandigen Weg kaum geeignet waren.
Wütend wischte sie sich die Tränen ab. Sie hatte schon immer nah am Wasser gebaut, aber das hier sprengte jedes Maß. Ihre Augen schienen chronisch undicht zu sein, seit die Nachricht sie erreicht hatte.
Brayden war tot. Brayden war verheiratet.
Verheiratet gewesen.
Vor lauter Anstrengung, ihre widerstreitenden Gefühle von Trauer und Zorn in den Griff zu bekommen, registrierte sie zunächst gar nicht, auf was für eine Bank sie gerade zuging. Sie blieb ruckartig stehen, blinzelte hastig und hoffte, dass ihre Fantasie ihr nur einen verdammten Streich spielte. Aber egal, wie lang oder intensiv sie hinsah, die Frauen, die darauf saßen, waren real.
Und eine der Frauen war ausgerechnet diejenige, an die Audrey quasi stündlich dachte, seit sie erfahren hatte, dass ihr Freund im Vollrausch von seinem Segelboot gefallen und ertrunken war.
Sie blinzelte noch einmal, aber es konnte kein Zweifel darüber bestehen. Vor Audrey saß Brayden Hayes' Witwe. Keine Ahnung, wer die andere Frau war - ein atemberaubend aussehender Rotschopf. Die Fremde kam Audrey zwar vage bekannt vor, aber im Moment fehlte Audrey die mentale oder emotionale Energie, um sich näher mit der Frage zu befassen, wo sie sie schon einmal gesehen hatte.
Was soll ich jetzt tun?
Audreys Selbsterhaltungstrieb riet ihr, die Flucht zu ergreifen, während ihr Gewissen von ihr verlangte, ihre Pflicht zu tun und die Witwe anzusprechen. Aber sie musste die Entscheidung gar nicht treffen. Während Audrey sich noch das Hirn darüber zermarterte, wie sie sich verhalten sollte, wandte Claire Hayes den Kopf, und obwohl sie eine Sonnenbrille trug, spürte Audrey, wie sich ihr Blick in sie hineinbohrte.
»Audrey.«
Sie spürte, wie sie die Augen aufriss. »Sie wissen, wer ich bin?«
Die blonde Frau nickte knapp. »Sie sind Audrey Tate. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, nachdem Sie neulich Abend bei uns zu Hause angerufen haben.« Es entstand eine längere Pause, bevor sie leise hinzufügte. »Ich weiß, dass Sie mit meinem Mann geschlafen haben.«
Der Kopf der Rothaarigen wirbelte zu ihrer Sitznachbarin herum, dann sah sie Audrey wieder an. Da auch diese Frau eine Sonnenbrille trug, konnte Audrey ihre Augen nicht sehen; dennoch spürte sie, dass die Fremde von Claires Erklärung genauso schockiert war wie sie selbst.
Braydens Frau wusste Bescheid.
Audrey schluchzte auf und ging zu der Bank hinüber, setzte sich hin, vornehmlich, weil sie keineswegs sicher war, ob ihre zitternden Beine sie noch viel länger tragen würden. Sie sah Claire Hayes an, und dann platzte es aus ihr heraus: »Ich hatte keine Ahnung«, sagte sie in bittendem Ton. »Bis Sie an jenem Abend ans Telefon gingen, hatte ich keine Ahnung, dass er nach wie vor mit Ihnen zusammenwohnte. Ich schwöre Ihnen, er hat behauptet, seine Frau habe ihn verlassen, dass er getrennt lebe . Ich hätte niemals - Sie müssen mir glauben. Ich wusste nicht .«
»Ach, Liebes«, unterbrach Naomi ihren Redefluss. Sie war offenbar entsetzt über diesen Ausbruch. »Reißen Sie sich zusammen.«
Verärgerung mischte sich in Audreys Elend, und sie warf dem Störenfried einen eisigen Blick zu. »Bei allem Respekt, aber Sie haben doch gar keine Ahnung, was hier los ist.«
»Na ja«, widersprach Naomi und sah auf ihre eigenen Nägel hinunter. »Irgendwie weiß ich das doch.«
Claire zuckte vor Überraschung zusammen und sah genauso schockiert aus, wie Audrey sich fühlte. Audrey ging auf, dass diese beiden Frauen sich gar nicht kannten. Wobei sie auch gestört haben mochte, ganz sicher nicht dabei, wie eine Freundin die andere tröstete. Die beiden waren einander fremd.
Claires nächste Äußerung bestätigte das: »Wer sind Sie?«, fragte sie ihre Banknachbarin.
Doch der Rotschopf gab keine Antwort, sondern musterte Audrey nur weiterhin unverhohlen, und obwohl Letztere normalerweise gar nicht allzu mutig war, hielt sie dem Blick stand. Trotz der riesigen Sonnenbrille sah sie, dass die andere Frau fantastisch aussah, und das nicht nur wegen des flammend roten Haars. Ihre ganze Gestalt schien zu glühen, sprühte förmlich Funken vor Energie und Selbstvertrauen, was perfekt zu ihrem Designerkleid, ihrem makellosen Make-up und den keineswegs unauffälligen Diamantsteckern in ihren Ohren passte. Audrey hätte ihre Lieblings-Chanel-Tasche darauf verwettet, dass die echt waren. Wieder kam ihr die Frau irgendwie bekannt vor.
Der Rotschopf schob sich die Sonnenbrille hoch und sah Claire direkt in die Augen. »Ich bin Naomi Powell. Die andere andere Frau.«
Audrey spürte, wie ihr der Mund offen stehenblieb, nicht nur, weil sie jetzt wusste, wer die Frau war, sondern auch wegen der Bombe, die sie hatte platzen lassen. Brayden Hayes hatte seine Frau nicht nur mit Audrey betrogen. Anscheinend hatte er auch mit einer der bekanntesten Unternehmerinnen New Yorks geschlafen. Dem personifizierten Girlboss.
Audrey war Naomi Powell niemals persönlich vorgestellt worden, aber alles, was in Manhattan Rang und Namen hatte, kannte den Namen der in der Bronx aufgewachsenen Senkrechtstarterin, die sich ein äußerst erfolgreiches Schmuckimperium aufgebaut hatte.
Claire hingegen schien ihr Name nichts zu sagen. Vielleicht war sie auch einfach nur fassungslos, weil ihr Mann mit gleich zwei Frauen geschlafen hatte. Die jetzt mit ihr auf einer Parkbank saßen. Am Tag seiner Beerdigung.
Die ganze Situation war derart absurd, dass Audrey sich ein Kichern verkneifen musste.
Claire starrte Naomi weiter unverwandt an. »Was?«
Die Rothaarige seufzte. »Ihr Mann hat seine Gurke in ein Sandwich zu viel gesteckt. Na ja, eigentlich in zwei Sandwiches zu viel, wenn Sie sie mitzählen.« Sie deutete mit dem Kinn auf Audrey.
Diesmal kicherte Audrey tatsächlich und legte sich die Hand auf die Stirn, als versuche sie, ihre Gedanken zu ordnen. »Haben Sie gerade einen Vergleich gezogen zwischen . einer Gurke . oh mein Gott . und Sandwiches .?«
Claire ließ das Kinn auf die Brust sinken, und Audrey blieb das Lachen im Halse stecken. Plötzlich schämte sie sich. Was war sie doch für ein schlechter Mensch, wenn sie in einer solchen Situation lachte. Immerhin saß sie neben der Witwe jenes Mannes, dessen Trauerfeier gerade ganz in der Nähe stattfand. Instinktiv wollte sie nach Claires Hand greifen, hielt sich aber gerade noch zurück, als ihr einfiel, dass sie selbst wahrscheinlich der letzte Mensch war, von dem Claire sich trösten lassen wollte.
Na ja, aber eigentlich stand es unentschieden, dachte Audrey und warf Naomi einen schnellen Blick zu. Immerhin gab es zwei andere Frauen.
Naomi sah ebenso beunruhigt aus, wie Audrey sich fühlte, als sie bemerkte, dass Claires Schultern bebten. Doch sie schluchzte nicht, sondern schien stumm vor sich hin zu lachen. Schließlich warf Claire den Kopf in den Nacken, sah zum Himmel hinauf und machte ihrer Belustigung lauthals Luft.
Gut. Gut. Also war sie nicht gebrochen. Nur ein bisschen angeknackst.
»Ich sage es Ihnen nicht gern«, bemerkte nun Audrey an Claire gewandt. »Aber ich glaube nicht, dass er da oben ist.«
Jetzt lachte Naomi überrascht auf, und sie lächelten einander zögerlich zu. Dies war sicherlich einer der seltsamsten Augenblicke in Audreys ganzem Leben. Er wäre sicher jedem absonderlich vorgekommen. Und doch kam es ihr nicht annähernd so merkwürdig vor, wie es hätte der Fall sein müssen.
»Sollten wir nicht vielleicht doch bei der Beerdigung sein?«, fragte Claire leise, wobei sie immer noch zum Himmel hinaufsah.
»Ach was«, widersprach Naomi und winkte ab. »Ich bin vornehmlich deshalb hingegangen, um Gott zu bitten, ihn keinesfalls durch die Himmelspforte zu lassen, und das hatte Gott - wie...
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