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Ein Jahr später - Dienstag, 6. August
Alles begann mit einem Cupcake.
Na ja, dem Cupcake und den Karten.
Claire Hayes blickte auf den einsamen Cupcake und die einzelne, kümmerliche Kerze herab und fragte sich, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatte. Einige Dinge sollte man eigentlich gar nicht beachten, geschweige denn feiern. Und Claires Ansicht nach gehörten fünfunddreißigste Geburtstage definitiv dazu.
Insbesondere der fünfunddreißigste Geburtstag einer Witwe, der es bedauerlicherweise an jeglichem Optimismus mangelte, deren Stoffwechsel immer langsamer wurde und die besagten Geburtstag allein beging.
Zumindest das Alleinsein hatte sie selbst gewählt.
Claires Eltern hatten angeboten, von ihrem Altersruhesitz in Florida herüberzufliegen und sie zum Dinner auszuführen, aber sie hatte abgelehnt. Sie liebte Helen und George Burchett heiß und innig, aber das Letzte, was Claire jetzt ertragen konnte, war das ständige Gemurmel ihres Dads.
Ich schwöre, Prinzessin, wenn dieser Idiot nicht von selbst von diesem Boot gefallen wäre, hätte ich ihn mit eigenen Händen umgebracht.
Genauso wenig wie die wohlmeinende, aber anstrengende Sorge ihrer Mutter über den Zustand ihrer Fortpflanzungsorgane. Habe ich dir erzählt, dass Annmaries Tochter ihre Eier eingefroren hat? Eine Vorsichtsmaßnahme, dabei ist sie erst zweiunddreißig .
Deshalb nein. Ihre Eltern wollte Claire an diesem speziellen Geburtstag nun wirklich nicht sehen. Und auch wenn sie deshalb ein schlechtes Gewissen hatte: Nach der Gesellschaft ihrer Freundinnen stand ihr der Sinn ebenso wenig. Zumal Freundinnen - also wahre Freundinnen - heutzutage nur schwer zu finden waren. Ihr ehemals höchst aktives Sozialleben war nach Braydens Tod weitgehend eingetrocknet.
Anscheinend waren ihre früheren Freunde zu dem Schluss gekommen, dass eine Witwe auf jeder Cocktailparty ein Stimmungskiller war, weshalb der Strom der Einladungen genauso plötzlich versiegt war wie der der Beileids-Blumen.
Allerdings war das nicht der einzige Grund für ihre gesellschaftliche Isolation. Immerhin hatte sie selbst sich ebenfalls zurückgezogen.
Selbst die wohlmeinenden Freundinnen, diejenigen, die sich nicht ausschließlich für Klatschgeschichten interessierten, sondern denen sie am Herzen gelegen hatte, hatten es nicht verstanden. Nicht, was es bedeutete, in so jungen Jahren einen Partner zu verlieren, und ganz gewiss nicht, was es bedeutete, einen Partner zu verlieren, der sich als ausgesprochener Schuft entpuppt hatte.
Es gab nur zwei Menschen, die das nachvollziehen konnten. Zwei Freundinnen, die sich auf eine Weise in sie hineinversetzen konnten, wie ihre alten Kontakte das nie zu tun vermocht hätten. Tatsächlich wären Naomi Powell und Audrey Tate die einzigen Menschen gewesen, mit denen Claire sich hätte vorstellen können, ihr nächstes Lebensjahr einzuläuten.
Sie wären im Bruchteil einer Sekunde hier gewesen. Die Freundin und die Geliebte ihres Ehemannes hätten besser als jeder andere die melancholische Note dieser speziellen »Feier« verstanden.
Und doch wollte die leise Stimme in Claires Hinterkopf nicht verstummen: Vielleicht konnten selbst sie nicht alles nachvollziehen, was sie momentan empfand.
Naomi Powell mochte keine Ahnung gehabt haben, dass Brayden verheiratet gewesen war, genauso wenig wie Claire gewusst hatte, dass Brayden sie betrog. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Naomi die heiße, verwegene Geliebte gewesen war. Die Verführerin à la Jessica Rabbit, von der Männer sich angezogen fühlten, wenn sie zu Hause nicht zufrieden waren. Männer wie Brayden offenbar.
Audrey hätte mich vielleicht ein bisschen besser verstanden. Für Naomi war Brayden nur eine Affäre gewesen, aber Audrey Tate hatte ihn geliebt, hatte Claire gestanden, dass sie gehofft - ja sogar angenommen - hatte, ihn eines Tages zu heiraten, ohne zu wissen, dass der Titel »Brayden Hayes' Ehefrau« schon vergeben war. Der durchdringende Schmerz des Betrugs - Audrey verstand ihn.
Und doch war die Situation nach Braydens Betrug für Audrey und Claire eine jeweils vollkommen andere. Mit dem ganzen hoffnungsfrohen Optimismus einer Frau in den Zwanzigern war Audrey nach wie vor davon überzeugt, dass ihr Prince Charming da draußen noch immer auf sie wartete.
Claire hingegen? Wohl kaum. Ein Frosch war und blieb manchmal eben nur ein Frosch, egal, wie gut er geküsst wurde.
Ihre einsame Geburtstagskerze tropfte grünes Wachs auf das Vanille-Frosting. Mit einem verärgerten Schnauben blies Claire sie aus und wandte sich dem anderen Herold ihres Geburtstagsblues zu.
Dem Stapel an Geburtstagskarten.
Eigentlich waren die paar Textnachrichten und E-Mails, die im Laufe des Tages eingegangen waren, schon deprimierend genug gewesen. In den meisten war lediglich ein HAPPY BIRTHDAY zu lesen, das hernach in Luftballons auf ihrem iPhone-Display aufging. Frauen, von denen sie seit ihrem letzten Geburtstag nichts mehr gehört hatte, hatten ihr zudem ein munteres HAPPY BDAY, MEINE LIEBE! zukommen lassen.
Aber das hier - diese Karten, die nun schon seit ein paar Tagen in ihrem Briefkasten auftauchten - fühlte sich an wie aus einem anderen Leben. Claire war gar nicht klar gewesen, dass Menschen unter sechzig immer noch Karten aus Papier schickten, aber neben den erwarteten Grüßen von entfernten Verwandten gab es sogar jede Menge Post von Leuten ihres Alters.
Sie wusste, dass sie in bester Absicht verschickt worden war. Die Absender wollten ihr zeigen, dass jemand an sie dachte, aber ein Teil von ihr, jener verbitterte, erschöpfte Teil, der nach Braydens Tod zum Vorschein gekommen war, fragte sich unwillkürlich .
Hatten diese sogenannten Freunde Papierkarten geschickt, weil diese Art der Kommunikation eine Einbahnstraße war? Eine Möglichkeit, ihres Geburtstags zu gedenken, ohne sich mit ihrer ganzen verpesteten, deprimierten Witwenschaft auseinandersetzen zu müssen?
Alle ausgesuchten Druckwerke waren teuer, wie es bei der Elite der Upper East Side üblich war. Glitzer, Schmuck und fester Cardstock waren im Überfluss vorhanden - im Gegensatz zu Botschaften, die von Herzen kamen.
Alles Gute fürs neue Lebensjahr, Claire.
Nur die besten Wünsche, Claire!
Genieße Deinen großen Tag!
Sie schluckte, kämpfte gegen die Woge der Niedergeschlagenheit an, als sie erkannte, dass diese allgemein gehaltenen Geburtstagswünsche die Erwachsenenversion von »Wünsche Dir einen tollen Sommer!« waren, die man früher ins Highschool-Jahrbuch gekritzelt hatte.
Wann war aus ihr eine Frau geworden, an die niemand dachte, bis ihr Geburtstag im Kalender auftauchte? Oh ja. Die. Armes Ding. Vielleicht sollten wir ihr wenigstens eine Karte schicken .
Claire schob die ganze Post beiseite und funkelte den Cupcake wieder wütend an. Sie pflückte die Kerze heraus und leckte das daran klebende Frosting ab.
Na denn. Das ist also mein Fünfunddreißigster.
Claires einziger Trost bestand darin, dass die Fünfunddreißig wohl kaum schlimmer sein konnte als die Vierunddreißig. Vor einem Jahr war sie immer noch mit den Nachwirkungen für die Beerdigung ihres Mannes beschäftigt gewesen. Auch nicht toll. Die Tatsache, dass sie bei der Beerdigung, die sie selbst geplant hatte, gar nicht dabei gewesen war? Schlimmer. Viel schlimmer.
Claire hatte es nur bis zum obersten Treppenabsatz geschafft. Ihr Verstand hatte ihr befohlen, die Rolle der trauernden Witwe zu spielen, aber ihr Herz hatte ihr etwas anderes geboten: Scheiß auf ihn!
Scheiß auf Brayden und auf das Gespött, zu dem er deine Ehe gemacht hat.
Und also war sie weggerannt. Buchstäblich. Oder genauer, sie war, so schnell es ihre Stilettos erlaubten, davongestöckelt. Während also Familie und Freunde sich versammelt hatten, um von Brayden Abschied zu nehmen, hatte Claire auf einer Bank im Central Park gesessen.
Ironischerweise hatte sie ausgerechnet an diesem Tag Audrey und Naomi kennengelernt, während sie auf dieser Bank saß und Hayden gleichzeitig hasste und vermisste. Dort hatten die drei Frauen einen Pakt geschlossen, sich gegenseitig zu beschützen, um nie wieder auf einen Mann wie Brayden hereinzufallen.
Was Claire den beiden aber an diesem Tag nicht verraten hatte - was sie ihnen bis heute nicht gesagt hatte -, war, dass sie nicht die Absicht hatte, überhaupt jemals wieder auf einen Mann hereinzufallen. Punkt. Mit der großen Hochzeit in Weiß hatte sie ein für alle Mal abgeschlossen. Sie hatte versprochen, ihn zu lieben und zu achten. Und verdammt, sie hatte sich an ihr Eheversprechen gehalten. Niemand hatte ihr damals gesagt, dass es nur eine einseitige Verpflichtung war. Niemand hatte ihr gesagt, dass sich unter der Fassade einer Beziehung, unter dem Etikett der »Liebe« ein stinkender Haufen Unrat befand.
Ob sie deshalb verbittert war? Ab.So.Lut.
Und verbittert war vollkommen okay für sie.
Claire fuhr mit dem Finger an dem Cupcake entlang und nahm etwas von dem Frosting, auf dem kein Wachs gelandet war. Der vertraute Vanillegeschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Sie runzelte die Stirn. Natürlich Vanille. Lange Zeit war das ihr Lieblingsgeschmack gewesen. Bei Kuchen, Eis, Kaffee.
Vanille-Frosting, Vanille-Cupcake .
Vanille-Leben.
Mit verengten Augen musterte sie den Cupcake, irrationalerweise...
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