Schweitzer Fachinformationen
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Die Frau auf dem Bild sah aus wie mein früheres Ich. Selbst ihre Frisur ähnelte der, die ich damals getragen hatte. Die langen Haare waren zu einem lockeren Zopf gebunden, ein paar Strähnen umrahmten das Gesicht. Unwillkürlich fasste ich mir an meine jetzt viel kürzeren Haare. Seit Jahren trug ich sie so, dass kein Zopf mehr möglich war.
Das, was mich am stärksten anzog, war ihr Blick. Es war, als ob sie mir etwas sagen wollte. Mir ganz persönlich.
»Können wir weiter?«, fragte Mark.
Nur mit viel Kraft gelang es mir, den Blick von der Frau loszureißen und ihn anzusehen. Wortlos deutete ich auf das Bild.
Mark warf einen kurzen Blick darauf. »Und?«
Ich zeigte etwas nachdrücklicher auf das Foto mit meinem Ebenbild. »Siehst du es nicht? Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, das bin ich mit Mitte zwanzig.« Durch meinen Kopf schossen so viele Gedanken, ich hatte keine Chance sie festzuhalten.
Mark kniff die Augen zusammen und warf einen weiteren kurzen Blick auf das Foto. »Ich kann da keine Ähnlichkeit erkennen.«
Ich stieß die angestaute Luft aus. Wie konnte er so über dieses verblüffende Abbild von mir in jungen Jahren hinweggehen?
»Aber erkennst du nicht, was ich meine?«, fragte ich empört. Wieder stieß ich meinen Finger in Richtung der gerahmten Aufnahme, die neben unzähligen anderen historischen Fotografien an der Wand hing. »Sie sieht doch aus wie ich.« Nachdem ich es laut ausgesprochen hatte, merkte ich, wie seltsam das klang.
Mark sah nun etwas länger auf das Bild. »Ja, kann schon sein, aber es ist nur ein altes Foto, was soll das schon heißen. Ich habe im Flugzeug etwas über Doppelgänger gelesen.« Seine Stimme hatte diesen gelangweilten und überheblichen Ton, den ich so gut kannte. »Der Artikel hat behauptet, dass von jedem Menschen irgendwo auf der Welt mindestens ein Pendant existiert, manchmal sogar mehrere.«
Die Frau war mir wie aus dem Gesicht geschnitten. Etwas, das nun wirklich nicht sein konnte. Auf dem Foto steht sie neben Königin Liliuokalani, der letzten Königin von Hawaii. Dieser kleine Höcker auf der Nase, der Schwung der Augenbrauen, sogar der Haaransatz, es war alles wie bei mir.
Ich sah mich plötzlich selbst wieder, in jungen Jahren. Hatte ich damals auch so einen festen Blick und die Aura einer starken Frau gehabt? Wer war diese Person, die da neben der Königin stand? Die Gedanken schwirrten wie aufgeregte Bienen durch meinen Kopf.
»Können wir jetzt gehen?«, fragte mein Mann und wollte mich mit sich ziehen. »Wir haben um fünf Uhr ein Luau gebucht«, präzisierte er.
»Aber .«, ich sah ihn an, »ich muss unbedingt wissen, was es mit dieser Fotografie auf sich hat. Das ist doch total abgefahren.«
»Ich finde diesen Palast sehr langweilig. Und dass es hier ein Bild gibt, mit einer Frau, die dir entfernt ähnelt, das ist doch nicht so besonders. Jetzt hast du deine Doppelgängerin gefunden. Und, fühlst du dich jetzt besser?«
Ich schloss einen Augenblick meine Augen. Ruhig bleiben. Dann wird er auch nicht ausrasten.
»Okay, lass uns zurückgehen. Vielleicht besuche ich den Palast morgen noch mal.« Ich warf einen letzten Blick auf die Wand mit den unzähligen Bildern und folgte ihm zum Fahrstuhl. Ja, es gab tatsächlich einen Fahrstuhl für die Besucher des Iolani-Palasts. Die geschwungene Treppe aus kostbarem Koa-Holz durfte nicht betreten werden. Wir hatten uns noch nicht alle Räume angesehen, aber ich spürte, dass Mark am Ende seiner Geduld war.
Im Eingangsbereich stoppte ich ihn dennoch. »Ich frage noch mal schnell nach. Bin gleich wieder da.«
Ohne zu wissen, an wen ich mich eigentlich wenden wollte, lief ich in den Keller des Gebäudes. Im Museumsshop, in dem man Bücher, Stifte und allerlei Krimskrams kaufen konnte, saß eine sichtlich gelangweilte Frau, die auf ihr Smartphone starrte, während sie ein Gähnen zu unterdrücken versuchte.
»Wo finde ich hier jemanden, der mir etwas über die Ausstellung sagen kann?«
»Keine Ahnung, ich arbeite hier nur im Shop«, erwiderte sie und sah mich ratlos an. »Versuchen Sie es doch am besten dort, wo Sie Ihre Karte gekauft haben.«
Ich verließ den Keller. »Ich muss noch an den Empfang«, rief ich Mark zu, der am Eingang auf mich wartete. Auch er sah gerade auf sein Telefon und hob nicht mal den Kopf, als ich an ihm vorbeilief. Gott sei Dank. Das würde ihn hoffentlich von dem Umstand ablenken, dass er längst schon wieder im Hotel sein wollte. Die Eintrittskarten wurden nicht direkt im Palast verkauft, sondern in einer alten Festung, die am anderen Ende des wunderschönen Parks lag.
»Entschuldigung bitte, wen kann ich über die Fotos, die im Palast ausgestellt sind, befragen?«
Die Frau, die uns die Tickets verkauft hatte, zuckte mit den Schultern. »Versuchen Sie es bei der Hawaiian Historical Society oder beim Bishop Museum. Vielleicht können die Ihnen weiterhelfen.«
»Danke.« Einen Augenblick verharrte ich, stand einfach nur da. Meine Enttäuschung war so groß, dass ich laut seufzte. Warum gab es hier niemanden, der mir helfen konnte? Immer noch durchdrang mich der Blick dieser Fremden, die doch nicht fremd war. Als ich durch den Park zurücklief, nahm ich die meterhohen Palmen, die Blumenpracht und den Duft der Hibiskusblüten kaum wahr. Vor Frust wären mir fast die Tränen gekommen.
In der Bimmelbahn, die uns zurück nach Waikiki brachte, rauschten mir unzählige Gedanken durch den Kopf. Ich versuchte nachzurechnen, wann die Frau auf dem Foto ungefähr geboren worden war. Ich wusste, dass die letzte Königin von Hawaii nur für knapp zwei Jahre am Ende des 19. Jahrhunderts regiert hatte, bevor man sie vom Thron gestoßen hatte. Also musste die Frau auf dem Bild zwischen 1860 und 1870 geboren worden sein. Sie könnte meine Ururgroßmutter sein, ging mir auf. Aber wenn das so gewesen wäre, dann hätte ich das doch gewusst. Oder auch nicht. Ahnenforschung hatte mich bislang nicht wirklich interessiert. Und mal ehrlich, wie realistisch war so etwas? Nur ein Sechzehntel meiner Gene stammte von dieser Frau, falls - wohlgemerkt, falls - sie wirklich meine Urahnin war. Die Chancen, ihr so ähnlich zu sehen, standen gleich null. Und dennoch .
»Laura, kommst du?« Mark stieß mich an.
Überrascht sah ich, dass wir schon an der Haltestelle unseres Hotels angekommen waren.
Ich weiß noch genau, wie mich die Vorfreude überwältigt hatte, als Mark mir seine Überraschung zu unserem Hochzeitstag verraten hatte. Eine Reise nach Hawaii. Erst Oahu, dann auf die große Insel mit den aktiven Vulkanen, Big Island, und danach noch Kauai, die Insel mit der atemberaubenden Landschaft. Ich hatte es kaum glauben können. Schon immer hatte ich von diesen fernen Inseln geträumt, aber nie geglaubt, sie tatsächlich mal zu besuchen. In meiner Vorstellung hatte ich an einsame Strände, bunte Blumenketten und Hula-Mädchen gedacht, die Wirklichkeit sah leider etwas anders aus. Waikiki hatte nichts mit den bunten Bildern aus meinen Träumen zu tun. Wir befanden uns in einem Hochhausdschungel, der Strand entpuppte sich als ein schmaler Streifen Sand, vollgepackt mit Menschen. Von Südseeromantik keine Spur. Mark hatte uns ein Zimmer im Royal Hawaiian gebucht, auch bekannt als Pink Palace. Wie es sich mit seinen wenigen Stockwerken zwischen die Hochhäusern schmiegte, wirkte das rosafarbene Hotel auf den ersten Blick klein und sympathisch. Allerdings hatte meine Begeisterung etwas nachgelassen, als ich erfuhr, dass die meisten Zimmer in dem Hochhausturm daneben lagen. Gestern hatte ich an einer Führung zur Geschichte des Hotels teilgenommen, die dazu geführte hatte, dass wir uns heute den Palast angesehen hatten. Früher hatte der Grund, auf dem das Hotel stand, der hawaiianischen Königsfamilie gehört. Die Häuser hier hatten als Rückzugsorte gedient. Auch Königin Liliuokalani, die Frau, die auf dem Foto neben meiner Doppelgängerin stand, hatte hier ein Haus besessen.
»Meinst du, ich muss mich für das Fest umziehen?«, fragte Mark, als wir unser Zimmer betraten. Der Blick aus unserem Fenster war so schön, dass ich jedes Mal wieder begeistert ganz tief einatmete. Man konnte direkt auf den türkisfarbenen Pazifik sehen. Ich stieß die Tür zum Balkon auf.
»Ja. In der Beschreibung stand, dass eine lange Hose gut wäre.« Ich versuchte, nicht zu genervt zu klingen, und sog die weiche Meeresbrise ein, die in den Raum strömte. Das war so viel besser als die schreckliche Klimaanlage, die hier sonst immer lief. Vom Strand drangen die fröhlichen Stimmen der Sonnenanbeter herauf.
Mark ließ sich auf sein Bett fallen und betrachtete mich auf eine Art, die mir nicht gefiel. »Wollen wir uns noch ein bisschen ausruhen?« Es war klar, was er damit meinte.
»Ich geh duschen«, sagte ich und verzog mich schnell ins Badezimmer, in der Hoffnung, dass er mir nicht folgte.
Ich war so glücklich gewesen, als ich gesehen hatte, dass es in unserem Zimmer zwei große Betten gab. Manchmal hatte der amerikanische Lebensstil auch etwas für sich. Bisher hatten wir uns jeden Abend höflich »Gute Nacht« gesagt und waren danach in unsere jeweiligen Betten gestiegen.
Im Bad drehte ich als Erstes die vergoldeten Wasserhähne der Dusche auf. Ich zog mich aus und stieg unter den warmen Strahl. Immer noch sah ich das Foto aus dem Iolani-Palast vor mir. Warum sah mir diese unbekannte Frau so verdammt ähnlich?
»Hey, Schatz. Macht es dir was aus, wenn ich zu dir komme?« Mark stand in der offenen Tür.
Ich wünschte mir eine sehr ferne Zeit zurück. Damals hätte ich ihn voll Freude eingeladen,...
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