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Dennoch konnte ich nicht widerstehen, einen Blick auf den mit geschnitztem Mahagoni umrahmten Spiegel zu werfen. Ich trug eine Hose und eine Jacke aus hellblauer Seide, ähnlich der Bekleidung von Betreibern fernöstlicher Kampfsportarten.
Der Affengott trug immer noch dieselben Sachen wie im Wagen . vor wer weiß wie vielen Stunden.
Unfreiwillig blickte ich auf das Fenster, sah aber nur heruntergezogene schwarze Seidengardinen.
Hanuman winkte, dass ich mich setzen sollte; dann machte er es sich in einem der Sessel bequem.
»Es ist Nacht. Selbst wenn ich die Vorhänge wegziehen würde, könnten Sie nichts erkennen. Höchstens ein paar Bäume.«
Sein Flüstern war irgendwie seltsam. Als hätte er seine Stimme mit Absicht entstellt. Allerdings bemerkte ich schon nach den ersten Worten, dass sie weitaus freundlicher war als bei meiner Entführung. Freundlicher und auch ein wenig trauriger.
»Keine Angst, Mr Lawrence . Wir wollen nichts Schlimmes mit Ihnen anstellen. Wenn Sie klug sind, werden Sie nicht sterben. Jedenfalls nicht durch uns.«
»Wer sind diese uns?«
Er schlug die Beine übereinander, und unter dem safranfarbenen Umhang blitzte weiße Seide auf.
»Ich sage Ihnen alles. Aber Sie müssen mir versprechen, vernünftig zu bleiben.«
»Sie sagen mir, dass ich mich vernünftig verhalten soll? Wenn einer von uns unvernünftig ist, dann doch wohl Sie .«
Ich hätte schwören können, dass er unter der Hanuman-Maske zufrieden lächelte.
»Ich wollte Sie nur bitten, keine Tricks zu versuchen. So wie im Wagen. Sie haben so verzweifelt gezwinkert, dass es eine Freude war, Ihnen dabei zuzusehen. Es wäre peinlich gewesen, wenn jemand es bemerkt hätte. Oder wenn wir den Jungen hätten mitbringen müssen . Versuchen Sie also nicht, mich anzugreifen. Sie haben nicht die geringste Chance zu entkommen. Ein paar von meinen Katzen spazieren da draußen herum.«
»Katzen?«
Erneut grinste er unter der Maske.
»Genauer gesagt, Raubtiere der Gattung Katze. Groß und gestreift.«
Ich setzte mich ein Stückchen zurück und zog die Beine unter mich. »So schwer es mir auch fällt, ich werde mich zurückhalten.«
Zufrieden klatschte er auf die Armlehne.
»So ist es fein. Glauben Sie mir - wenn Sie sich richtig verhalten, ist Ihr Leben nicht in Gefahr.«
»Also wollen Sie Lösegeld erpressen.«
Empört hob er die Arme und faltete unfreiwillig die Hände zum Gebet.
»Aber nein! Ich brauche kein Geld von anderen Leuten! Ich möchte Sie um Ihre Hilfe bitten!«
Ehrlich gesagt blieb mir vor Überraschung der Mund offen stehen.
»Meine . Hilfe?« stöhnte ich. »Nach diesen Vorfällen?«
»Ich hatte keine andere Wahl.«
»Aber .«
»Zuerst hatte ich gar nicht daran gedacht, Sie zu entführen. Ich wollte mich vor Sie hinstellen und . und Sie einfach um Ihre Hilfe bitten.«
»Und warum haben Sie es dann nicht getan?«
»Sie hätten mich ausgelacht.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil ich's an Ihrer Stelle auch getan hätte.«
»Also gut. Dürfte ich jetzt erfahren, um was es geht?«
Ich tastete nach der Seitentasche der Jacke, suchte allerdings vergebens nach meiner Pfeife.
»Haben Sie bitte noch ein klein wenig Geduld!«, bettelte er. »Sie dürfen nicht rauchen.«
»Aber warum denn nicht? Sind Ihre kleinen Katzen allergisch?«
»Wohin wir gehen werden, na ja . Es wäre schrecklich, würden sie den Geruch wahrnehmen.«
Ich wusste zwar nicht, wen er damit meinte, aber mir war klar, dass wir hier keine Verwechslungskomödie zum Besten gaben.
»Wie soll ich letzten Endes erfahren, was Sie von mir wollen, wenn Sie es mir nicht sagen?«, versuchte ich es mit reiner Logik.
»Wenn es an der Zeit ist, werden Sie alles erfahren«, wich er mir aus. Dann beugte er sich vor und versuchte, mir in die Augen zu blicken. »Mr Lawrence, ich weiß ganz genau, wer Sie sind. Kenner der asiatischen Kulturen. Entomologe. Außerdem werden Sie häufig von internationalen Organisationen um Rat gebeten, wenn es sich um komplizierte fernöstliche Probleme handelt. Richtig?«
Ich nickte mürrisch. »Erzählen Sie weiter.«
»Sie sind genau der Mann, den ich brauche!«
»Ich bin mir aber nicht sicher, ob das auch umgekehrt der Fall ist.«
»Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen. Und was Ihre Frage angeht, warum Sie hier sind . Sie werden es bald erfahren. Auf jeden Fall müssen wir dazu fortgehen.«
Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.
»Wohin?«
»Wir . einige Leute und ich werden Sie wegbringen. Sie müssen etwas mit eigenen Augen sehen . damit Sie es glauben. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen .«
»Ich fürchte, nein.«
»Sie werden. Ich habe leider keine Wahl. Ich habe noch nie einen Menschen umgebracht, und ich möchte nicht, dass Sie der Erste sind.«
»Da pflichte ich Ihnen bei«, entgegnete ich.
»Auf jeden Fall habe ich die Spritze bei mir.«
»Apropos . ich wollte Sie noch fragen, was das für ein Schlafmittel war, das Sie mir gegeben haben. Bisher wollte mein Kopf jedes Mal zerspringen, wenn ich nach einer Betäubung aufgewacht bin. Aber jetzt geht es mir ganz gut - sieht man davon ab, dass Sie bei mir sind.«
»Ein altes persisches Rezept. Aber Sie sollten wissen, dass ich jetzt etwas anderes in die Spritze geladen habe.«
»Und das wäre?«
»Schlangengift. Von einer tödlichen Kobra. Bei der kleinsten verdächtigen Bewegung wäre ich gezwungen, es Ihnen zu injizieren.«
»Aha. Und was ist später, nachdem ich mir angeschaut habe, was ich mir anschauen soll? Ich mache nichts Unüberlegtes, also bringen Sie mich bitte nicht um. Ich begutachte, was Sie mir zeigen wollen. Was dann?«
Er griff sich an die Beine und zupfte die Seidenhose zurecht, die in seiner Aufregung ein wenig verrutscht war.
»Ich bringe Sie persönlich an die Ecke Duncan Road zurück«, sagte er nach kurzem Zögern. »Sie können Punja suchen und mit ihm eine Kuh kaufen. Wenn Sie wirklich lieber . lieber .«
Ich blickte auf. Hörte es sich nur so ein, oder kämpfte Hanuman tatsächlich mit den Tränen? Ich stand auf und wollte zu ihm, überlegte es mir aber noch rechtzeitig anders. Wenn er die Spritze in der Tasche hatte und meine Bewegung falsch deutete .
Ich setzte mich wieder hin und wartete geduldig ab. Derweil versuchte ich mir ein Bild von ihm zu machen, von seinem wahren Gesicht. Vielleicht war er ein Maharadscha-Zögling, der sein Diplom nicht geschafft hatte und mich jetzt beauftragen wollte, den Rektor der Uni ins Jenseits zu befördern. Sein absichtlich verzerrtes Flüstern verbarg anscheinend eine junge Stimme.
Er krächzte, griff unter die Maske und wischte sich die Nase. Kurz darauf sprang er auf und ging nervös im Zimmer auf und ab.
»Sie werden sehen .«, nuschelte er. »Sie werden schon noch alles sehen. Ich . ich .«
Ein leises Klopfen kam von der Tür. Hanuman stürmte hin und öffnete. Ich konnte nicht erkennen, wer draußen im Dunkeln stand, hörte nur das leise, drängende Geflüster der Person.
Die Tür fiel wieder ins Schloss, und Hanuman setzte sich ans Ende der Couch.
»Sind Sie bereit?«
»Wozu?«
Er schien die Frage gar nicht gehört zu haben.
»Ich möchte Sie nicht fesseln. Aber . Sie müssen wissen, dass Ihr Leben nur von mir abhängt.«
»Sie können sicher sein, dass ich keine falsche Bewegung mache.«
»Tun Sie nur, was ich sage. So . ähm . ungewöhnlich manch ein Befehl auch erscheinen mag.«
»Versprochen«, sagte ich.
»Das alles geschieht in Ihrem eigenem Interesse.«
»Selbstverständlich.« Ich nickte. »Was sonst .«
Er ging zum Mahagonischrank und legte seine Hand auf eine der prächtigen Figuren. Die beachtliche Tür erzitterte und glitt leise quietschend in die Wand.
Zweifellos verbarg das Möbelstück eine Geheimtür, und mir schien, dass wir bald einen unterirdischen Gang betreten würden.
Stattdessen befand sich zu meiner größten Überraschung ein großer Berg Unterwäsche hinter der Vertäfelung. Hanuman griff hinein und holte nach kurzem Zögern ein lakengroßes weißes Seidentuch hervor. »Das hängen Sie sich um. Ebenfalls zur eigenen Sicherheit.«
Sosehr ich meiner eigenen Sicherheit auch wohlwollend gegenüberstand - ich konnte ihm nicht gehorchen. Das Tuch rutschte immerzu von den Schultern und landete neben meinen Füßen auf dem Boden.
Die Schranktür glitt derweil an ihren ursprünglichen Platz zurück. Hanuman drehte sich um und beobachtete interessiert meine Bemühungen.
»Wie wäre es, wenn Sie an der einen Ecke einen Knoten binden? Zuerst legen Sie das Tuch auf die Schulter .«
Ich sollte nie erfahren, wie man sich in ein riesiges Seidenlaken wickelt, ohne sofort wieder ohne dasselbe dazustehen. Es klopfte nämlich erneut an der Tür. Hanuman ließ mich wieder stehen, flüsterte etwas mit dem Fremden und packte mich schließlich energisch an der Schulter.
»Los jetzt! Und es wäre besser, Sie vergessen nicht, was ich Ihnen gesagt habe.«
Ich nickte und trat aus dem Zimmer.
Genau über mir leuchtete das Kreuz des...