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Magdeburg, 1275: Eine festliche Prozession gerät zur Katastrophe. Viele Menschen sterben, beinahe auch die junge Jüdin Esther, doch der Knappe Wolfram rettet sie. Eine zarte Liebe entsteht, doch der Geldverleiher Amos will seine Tochter keinem Christen zur Frau geben. Wolfram verlässt die Stadt und wird zu einem berühmten Ritter im Dienste des Markgrafen von Brandenburg. Zwei Jahre später kreuzen sich die Wege der Jüdin und des Christen erneut. Nun ist es Esther, die Wolfram retten kann ...
Magdeburg, Ende September 1261
Der Spätsommermorgen hüllte das Land in Stille und Glanz. Noch knarrten keine Windmühlenflügel, noch brüllte kein Wächter von der Stadtmauer herab, noch holperte kein Fuhrwerk zum Markt hinauf, noch weinte niemand, noch floss kein Blut, noch schnürte es keiner Mutter das Herz zusammen. Nur auf den Koppeln der Gehöfte ringsum blökte eine Kuh hier und da, und in der Vorstadt krähten die Hähne. Doch klang es nicht dringender als sonst?
Die Sonne zerstrahlte die letzten Dunstschwaden auf den Schafweiden und in der Uferböschung der Elbarme. Ein Rudel Rehe hob die Schädel und sprang in wilder Flucht über das abgemähte Gerstenfeld zum fernen Wald hin. Der Himmel hatte sich mit rötlichen Schönwetterwolken geschmückt und wölbte sich über Türmen, Dächern, Obstgärten, Wiesen und zwei Frauen, die Hand in Hand auf dem Weg zwischen Sudenburger Tor und Judendorf liefen.
Die Ältere hatte es eilig, zog die Jüngere hinter sich her, wollte schnell an der Siedlung Sudenburg vorbei und zum Judendorf hinunter, denn eine schlechte Nachricht brannte ihr auf dem Herzen und trieb sie voran. Hager war diese Frau, sehr aufrecht ging sie, und ihr graues Haar hatte sie mit einem schwarzen Stirntuch aus dem Gesicht gebunden. Ihr weites und helles Leinengewand flatterte in der Morgenbrise.
Die sie hinter sich herzog, war fast noch ein Mädchen. Sie war von kleiner gedrungener Gestalt und hatte haselnussbraune Locken. Sie wusste nichts von böser Botschaft, sie freute sich nur auf das Fest und auf die kleinen Kinder unten im Judendorf, auf David und Esther.
»Was für ein schöner Morgen, o Herr«, betete die Ältere mit dunkler, heiserer Stimme. »Goldenes Licht, der Himmel voller Schwalben, und die Obstbäume biegen sich unter der süßen Last ihrer Äpfel und Birnen. Aber wie hässlich wird der Abend sich anfühlen, wenn unten im Judendorf die Leute sich krümmen werden vor Kummer und Angst.«
»Was schwatzt Mamechma von Kummer und Angst?« Aus ihren großen, dunklen Knopfaugen schaute die Jüngere zu ihr herauf; Mamechma war der Kosename, mit dem sie ihre Pflegemutter rief. »Se singet doch!« Mit heftigen Kopfbewegungen deutete sie zum Judendorf hinunter. »De Juds singet, hör doch, Mamechma!«
Die Ältere, Mechthild, achtete nicht auf ihre Worte, betete einfach weiter. »Müssen denn schon wieder Blut und Tränen fließen, o Herr?« Sie bekreuzigte sich. »Nicht, wenn du hilfst. Nicht, wenn du dich Gier und Gewalt in den Weg stellst. Amen, Amen, Amen.«
»De Leuts singet!« Die Jüngere runzelte ihre dichten, braunen Brauen, sodass sich dazwischen eine tiefe Falte eingrub. Widerwillen und Empörung standen in ihrem runden, von Blatternarben entstellten Gesicht. »Se singet doch!« Sie ließ Mechthilds Hand los und deutete zum Judendorf hinüber. »Hört Mamechma nicht, wie schön se singet, de Juds?« Ihre Stimme klang krähend und durchdringend wie die einer Elster. Immer schneller lief sie nun, sprang beinahe wie ein Fohlen und klatschte bei jedem Hüpfer in die Hände.
Es stimmte ja: Unten im Judendorf zogen sie singend aus ihren Häusern. Mechthild, die ein Stück zurückblieb, sah es jetzt auch. Die Bauersleute und Handwerkerfamilien im Süddorf, deren nördliche Höfe ans Judendorf angrenzten, standen bereits an ihren Zäunen und Mauern und begafften die feiernden Juden. Auch aus Sudenburger Häusern liefen sie schon auf die Weiden und Wege hinaus, um sich den Beginn des Laubhüttenfestes anzuschauen.
Die Juden sammelten sich vor der großen Laubhütte, die sie vor ihrem Versammlungshaus errichtet hatten und an der die ganze Judengemeinde während der vergangenen Woche gebaut hatte. Die ersten Männer begannen, um die herbstbunte Hütte herumzuziehen. An ihrer Spitze tanzte ihr wilder Levit, ihr Rebbe, wie sie ihn nannten. Trotz der Entfernung konnte Mechthild erkennen, wie er eine Schriftrolle über den grauen Lockenkopf hochstemmte. Ihm folgten die Männer und halbwüchsigen Burschen, dann kamen die Frauen und Kinder.
Ja, es stimmte: Unten im Judendorf feierte man ab heute das Laubhüttenfest, und es herrschte Festtagsstimmung. Aber konnte das Mechthild trösten? O nein! Es machte ihr das Herz nur noch schwerer, denn sie wusste, was man im Palast des Erzbischofs beschlossen hatte.
Von der Elbe her ertönte plötzlich ein lautes, klatschendes Geräusch wie von hektischen und kräftiger werdenden Schlägen. Erschrocken wandte Mechthild sich um und blickte zum Strom: Bei den Anlegestellen unterhalb des Judendorfes streckte ein Schwanenpaar die Hälse, schlug mit den Flügeln ins Wasser und trat mit gespreizten Schwimmfüßen in die Fluten, schneller und schneller, bis es sich schließlich vom Fluss lösen konnte. Nach und nach gewannen die Schwäne an Höhe und flogen nach Norden zur Stadt hin. Kurz vor dem Brücktor trennten sie sich: Einer glitt unter der alten Brücke hindurch, der andere flog über sie hinweg.
Und dann hörte Mechthild das Unheil auch schon an die Tür des noch unschuldigen Tages pochen: Hinter ihr, irgendwo zwischen den Zinnen des Sudenburger Tors, brüllte ein Wächter. Sie blieb stehen und fuhr herum. Das Mädchen jedoch sprang weiter, klatschte weiter in die Hände und krähte fröhlich. »Se singet! Se singet, se singet doch!«
Oben an der Stadtmauer aber, höchstens zweihundert Schritte entfernt, traten sie stumm aus dem Tor - die Waffenknechte des Erzbischofs Ruprecht. Und an ihrer Spitze schritt er, der Priestermönch mit der Peitsche.
Mechthild ließ die Schultern hängen. Zu spät. Kurz schloss sie die Augen und seufzte. Zu spät, zu spät, zu spät. Aber was hätte es den Juden unten im Dorf auch genützt, wenn ihre Warnung sie rechtzeitig erreicht hätte? Nichts hätte es ihnen genützt, gar nichts.
Da stand sie nun also, Mechthild von Magdeburg, auf halbem Weg zwischen Stadtmauer und Judendorf. Da stand sie, die Gottbegeisterte, die Schreiberin, die Seherin, die Freundin des Herrn Jesus Christus, die Feindin vieler Herren in den Klöstern und Kirchen der großen Stadt Magdeburg. Und wie schon viel zu oft in all den Jahrzehnten, die sie nun hier lebte, wusste sie, dass auch heute Gewalt und Gier über Liebe und Schönheit triumphieren würden.
Die Jüngere jedoch merkte von alldem nichts, hüpfte noch immer krähend dem Judendorf entgegen, klatschte noch immer fröhlich in die Hände. »Still!«, zischte Mechthild ihr zu. »Willst du wohl Ruhe geben!« Das stämmige Mädchen mit den schwarzen Wieselaugen verstummte augenblicklich, sperrte den Mund auf, guckte dümmlich und stand da wie gelähmt.
»Gib, dass sie wenigstens niemanden erschlagen, o Herr«, betete Mechthild und bekreuzigte sich abermals. »Her zu mir, kleine Genoveva!« Sie warf einen sorgenvollen Blick auf das Judendorf, wo die ersten Männer sich in die Laubhütte bückten, und winkte dabei das Mädchen zurück an ihre Seite.
Nun erkannte auch die Jüngere den Mönch mit der Peitsche, den Schrecken der Stadt. Er war unverwechselbar, der Gallus von Trier mit seinem vornübergebeugten Gang, mit seinen großen, federnden Schritten, mit seiner Peitsche; unverwechselbar, auch wenn an diesem Morgen die Kapuze seines schwarzen Habits seinen Kopf verhüllte. An der Spitze waffenklirrender Männer marschierte er auf Mechthild und das Mädchen zu und klopfte bei jedem Schritt mit dem Peitschenstiel gegen seine schwarze Mönchskutte.
»Was wollet die?« Genoveva vergaß den Gesang unten im Judendorf, vergaß das Laubhüttenfest und die Kinderchen, die sie so liebte. Sie griff nach der Hand ihrer Pflegemutter und Lehrerin und drängte sich an sie. »Was wollet de Kerls mit de Schwerts, was will de böse Bruder Gallus?«
»Was wird der schon wollen?« Mechthild spuckte aus und seufzte bitter. »Den Willen seines Herrn erfüllen will er.« Sie kannte die Pläne des Erzbischofs und wusste von seiner leeren Schatulle. Auch sein enges und kaltes Herz kannte sie - und seinen härtesten Prügel, den Peitschenmönch.
Der blieb stehen, als er die fromme Frau und ihre Schülerin erkannte. Weniger als hundert Schritte trennten sie noch. Hinter ihm drängten sich die bischöflichen Waffenknechte. Die meisten überragten den kleinen Mönch um Haupteslänge.
Gallus von Trier war unter Mechthilds Feinden in der Stadt der erbittertste. Der Benediktiner ging beim Erzbischof ein und aus. Manche hielten ihn für dessen Beichtvater.
Mechthild konnte erkennen, wie er die dichten schwarzen Brauen unter seiner hohen Stirn runzelte und wie er die große, scharf geschnittene Nase rümpfte. »Du schon wieder!«, rief er.
Mechthild nickte nur. Und an ihre Pflegetochter gewandt, sagte sie leise: »Was gefällt dir besser, meine kleine Genoveva - wenn Menschen singen und beten wie die Juden unten bei ihrer Laubhütte, oder wenn sich Menschen mit geschärften Klingen, finsteren Mienen und bösen Gedanken vor dem Stadttor zusammenrotten?«
»Tanze soll'n de Menschs, singe und tanze. Dassis schön.«
»Nicht wahr, mein Kind?« Die hagere, zerbrechlich wirkende Frau legte den Arm um die Schulter des Mädchens. »Aber das Schöne trägt kein Schwert und verschafft sich mit keiner Peitsche Gehör. Sieh hin und lerne, Genoveva.«
Gallus setzte sich wieder in Bewegung, klopfte heftiger mit dem Peitschenstiel gegen die Wade und winkte die Waffenknechte hinter sich her. Mechthild schätzte, dass knapp dreißig meist junge Männer ihm folgten.
Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Steh nicht da wie ein ängstliches Lämmlein!«, befahl sie ihrem Schützling. »Wir verlieren, doch wir bleiben Sieger. Hast du das verstanden? Kopf hoch also, Brust raus,...
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