Schweitzer Fachinformationen
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Sie schläft so: zusammengerollt unter der Decke, aus der ihr Körper hervorlugt wie aus einem brutal zerrissenen Netz, die Hände an die Lippen gedrückt, die immer wieder von der Zunge befeuchtet werden, und an den Schläfen zirpt der Kopfhörer des Walkmans; die Musik spricht bis in die späte Nacht zu ihr, und wenn die Kassette zu Ende ist, hört sie die Klänge noch immer.
Der Tag schmückt die Wände ihres Zimmers mit weißen Schatten, die schließlich auch sie liebkosen, sie erwacht und drückt mit zögerndem Finger auf den kleinen Knopf, der die Musik freisetzt. Sie lächelt unmerklich, als sagten die Noten: «Es ist ein herrlicher Morgen» - und all die Dinge, die sie gern hört: «Heute bekommst du einen Brief» oder «Er ruft dich bestimmt nachher an».
«Du bist schön, du wirst heimlich geliebt. Man liebt dich eben, Joy .»
Sie springt aus dem Bett, um die Sonne hinter der Jalousie zu suchen, und reckt sich vor dem warmen Fenster, stellt sich langsam auf die bloßen Zehenspitzen und streckt dabei die fest geschlossenen kleinen Fäuste zum Himmel, biegt sich ein wenig nach hinten, um das schmerzhafte Erwachen ihrer von der Bewegung angespannten Muskeln auszukosten. Sie dreht sich um sich selbst, fliegt durch das Spiegelbild ihrer Pose, die sie unheimlich anmutig findet. Sie liebt ihren Körper, den sie sich noch graziler, länger, härter, manchmal noch gequälter wünscht. Sie hat unendlich viel Zärtlichkeit für sich. Sie weiß, daß ihre Hüften zart und fließend sind. Er hat oft zu ihr gesagt: «Dein Bauch ist hinreißend.»
Sie läuft zu ihren Tieren, dem Kanarienvogel in dem Rohrkäfig, den Schildkröten in dem hellgrünen Terrarium, der Katze, die noch in ihrer Nacht schnurrt, den Fischen in dem langen, schmalen Aquarium auf der Kaminverkleidung aus gelben Ziegeln. Sie spricht nie mit ihnen, weil sie sie im Grunde nicht liebt. Vielleicht mit Ausnahme der Katze, die im Winter unerwartete Zärtlichkeit äußert. Ihre Tiere sind nur Vorwände, Zuckerstücke in einem zu bitteren Kaffee, ein Blumentopf auf dem Balkon, der nie von der Sonne erwärmt wird. Wenn sie ihre Fauna gefüttert hat, denkt sie an sich. Sie schenkt heiße Milch ein und streut Rosinen und Zimt hinein, geröstete Maisblütenblätter, Rohrzucker, so fein gestoßen, daß er die Milch schnell hellbraun färbt.
Während sie trinkt, betrachtet sie sich im Spiegel: Sie sitzt vorgebeugt auf einem dicken Kissen am Boden und hält die Ellbogen dicht an den Oberkörper, um ihre Brüste einzurahmen, die zwischen zwei Schlucken über dem großen grünen Steingutbecher sichtbar werden.
Sie behält die noch sehr warme Flüssigkeit lange im Mund und trinkt sie, in die Betrachtung ihres wuscheligen Kopfs, ihrer eleganten Knie und ihres sorgsam geschnittenen Schamhaars versunken, nur tropfenweise.
«Er hat das immer so gern gemocht», denkt sie. Er sagte: «Ich bin dein Hairstylist.» Sie achtet darauf, die widerspenstigen Kräusel, die niemals aus dem Slip herauslugen dürfen, gleich lang zu halten; nur in dieser Hinsicht ist sie ein bißchen pingelig. Am Grunde des Bechers findet sie immer die mit Milch vollgesogenen Rosinen, die Maisblütenblätter, die sie mit der Zungenspitze nimmt und seufzend schluckt. Das Beste für zuletzt aufheben.
Sie wird sich der Stunde bewußt, die der kupferfarbene Wecker anzeigt. Der Lauf der Zeit fasziniert und beunruhigt sie; sie interpretiert jeden verlorenen Tag als Vertrauensmißbrauch, als Taktlosigkeit, die eines Vertrauten nicht würdig ist. Von nun an kommt es ihr vor, als seien die Jahre von 25 bis 30 wie ein umwaldetes Feld; das Feld liegt in der Sonne, der Wald in ewigem Schatten. Sie schmerzt weniger die Ungerechtigkeit des Alters als das unerträgliche Leid, unterwegs Wesen zu verlieren, die man liebgewonnen hat. Und da sie ihrer Wehmut zu lange nachhängt, verspätet sie sich.
Sie stellt eine grelle Musik an, ihr Körper reagiert auf den Rhythmus, und sie tanzt in ihr Badezimmer, wie es alleingebliebene Mädchen zu tun pflegen. Sie will, daß die Dusche heftig und fast kochend ist, sie unterwirft sich dem Strahl, der sie sticht, ihren Nacken peitscht, die Spitzen ihrer zu empfindlichen Brüste foltert; ihre Haare kleben an der Haut und bilden einen Schleier vor ihren Augen, so daß sie nach dem dicken runden Stück Seife tasten muß, in dem die von ihren weißen Nägeln hinterlassenen Abdrücke langsam von dem flutenden Schaum verwischt werden, der unter ihren Armen an ihrem Oberkörper hinunterläuft, um dann ihr Geschlecht zu erreichen und dort einzudringen. Sie öffnet die Lippen mit zwei Fingern, während der dritte vorsichtig hineingleitet, um den Schaum dorthin zu leiten, wo er zärtlich prickelt, nicht so gnadenlos wie auf den in Erwartung der im voraus nie genau kalkulierbaren Lust hart gewordenen Knospen ihrer Brüste. Damit verhält es sich wie mit allem, was sie nicht erklären kann, mit grausamen Eröffnungen oder höhnischen Bestätigungen, die ihr nicht mal ein Lächeln entlocken. Aber sie verweilt nicht lange bei dem allzu bequemen Genuß, denn so hat sie noch nie kommen wollen, es ist zu offensichtlich, zu simpel, zu klassisch. Ein Klischee. Eines dieser scheußlichen Fotos von einem Mädchen allein unter der Dusche. Allein, das Wort, das in ihrem Leben vielleicht am häufigsten wiederkehrt. Doch ist sie wenigstens sicher, ihre eigene Existenz zu leben, seit sie Marc begegnet ist? Kann ein Beziehungsirrtum nicht erklären, daß man brutal in das Leben des anderen gestöpselt ist, an dessen mystischem Verständnis man verzweifelt?
Sie niest, sprüht Tausende winziger nostalgischer Tropfen an den Spiegel, der beschlägt. Sie zieht den dicken Bademantel an, nimmt eine Zigarette mit Korkmundstück aus dem roten Lederbecher und verlängert das Wohlbehagen des ersten Zugs, indem sie mit aller Kraft einatmet, um ihre Lunge mit dem dichten, schweren weißen Rauch zu füllen, den sie dann mit einem kleinen Augenzwinkern zu dem noch feuchten Spiegel hin durch die Nase ausatmet. So endet jeden Morgen ihr Augenblick des Glücks.
Wenn sie eine glänzende Creme in ihre feuchte Haut einmassiert, wenn sie schwarze Striche auf ihren Lidern zieht oder mit dem Finger über ihre Lippen fährt, um sie mit einer Erdbeersalbe zu bestreichen (die sie leuchten läßt wie das in Muschelgebäck enthaltene Zuckerwerk, das die kleinen Mädchen im Hof des Pensionats schleckten), gehört sie sich bereits nicht mehr; die anderen nehmen sie in Besitz, sie kann sich nicht mehr gehen lassen.
Um sich zu beruhigen, vergewissert sie sich sofort danach des Glücks, eine Künstlerin zu sein.
«Ich bin auf die Welt gekommen, um Träume zu inspirieren», sagt sie laut. «Der Traum ist ein vor Blicken geschützter Garten, es bedarf eines Schlüssels, um sein Tor zu öffnen, und ich besitze diesen Schlüssel. Die Männer haben mich immer so betrachtet, mit jener beinahe schmerzhaften Verwirrung, die mir schmeichelt und zugleich Unbehagen bereitet. Sie sehen in mir diejenige, die man hetzt und verfolgt wie eine vom Aussterben bedrohte Art. Sie wollen nicht zugeben, daß alle Mädchen einander ähneln. Die prüdeste Jungfrau wird die schlimmste Kurtisane des Mannes, den zu lieben sie beschlossen hat.»
Das denkt sie, während sie sich wieder in einem Spiegel betrachtet. Er hängt in der Diele, als wäre er das Bild eines alten Meisters, mit diesem vergoldeten und üppig geschnitzten Rahmen. Aber die einzige Landschaft, die er zeigt, besteht aus diesem reinen isolierten Gesicht, diesen fragenden blauen Augen, dieser in rastloser Bewegung begriffenen Einsamkeit.
Joy hat das Bedürfnis, sich zu beruhigen. Sie hat überall in ihrem Haus Spiegel aufgehängt und aufgestellt. Der eine reflektiert ihr öffentliches Image, ein anderer, sehr hoch und abgewinkelt hängend, reflektiert die Liebkosungen, die sie sich in schlechten Zeiten nachts gewährt. Es ist zweifellos ihr bevorzugter Spiegel, denn er bildet sie nun schon so lange allein ab! In seinem preziösen Oval hat sie die Schönheit ihrer Lust entdeckt, den magischen Glanz ihrer Masturbation. Entsetzt, sich stöhnen zu sehen, ihre Finger ihren gefolterten Bauch reiben zu sehen, schloß sie zuerst die Augen, wenn der verräterische Schwindel aufstieg. Sie schloß die Augen, um sich das jeder Wirklichkeit entblößte, im Nebel des Traums unendlich packendere Schauspiel des Spiegels vorzustellen. Ein vollkommenes Licht erhellte ihre offenen Schenkel, zwischen denen genau der Grad an Dunkel herrschte, der nötig ist, um die anstößigen Details zu verwischen. Mit der Zeit, besonders seit ihrer Rückkehr, zwang sie sich jedoch, die Augen geöffnet zu lassen und den Anblick ihrer bebenden Schenkel und des goldenen, durch den Schatten intensivierten Flaums zu ertragen. Sie empfand diese Behaartheit, diesen kleinen Pelz, den sie nach Belieben anfeuchtete, immer als unanständig, viel unanständiger als ihr offenes, in blassen Rosatönen lustvoller Resignation schimmerndes Geschlecht.
Sie gewöhnte sich zunehmend an das Ritual, das sie zu einer autoritären Voyeurin machte, zur Beobachterin ihrer selbst, einer Voyeurin der Obszönitäten, die sie dem ungreifbaren Schatten weihte, der vor allem ihre Nächte heimsuchte. Sie hatte verschiedene Masturbationsphasen durchgemacht, die immer mit der Geburt oder dem Tod einer Leidenschaft zusammenfielen. Doch noch nie hatte sie in der Vollendung des einsamen Glücks eine solche Ausgeglichenheit gefunden: Ihr schien, als konkretisierte sie damit ihren Willen, keinem anderen zu gehören, eine lange Buße zu tun, deren Lohn eines Tages die Wiedereroberung eines wilden Kindes mit violetten Augen sein würde, das sich manchmal an sie drückte und sie Schatz nannte. Und mit ihr die Wiedereroberung des ewigen Abwesenden, des abwesenden Ewigen.
Deshalb war die Lust, die sie sich schenkte, nicht...
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