Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Das sind die Jahre, mit denen ich mich in diesem Band beschäftigen werde. Es war die Zeit, in der ich Pimpf im Jungvolk gewesen bin.
1939 begann der 2. Weltkrieg, der im Mai 1945 mit dem totalen Zusammenbruch zu Ende gegangen ist.
Wir Jugendlichen haben damals noch mehr verloren. Es war unsere Kindheit.
Dieser Krieg! Diese Jahre des Hungers, des Leidens und der Entbehrungen! Diese Jahre die mich schon im Kindesalter so unendlich geprägt und gefordert haben!
Wir waren noch Kinder, als wir schon Männer sein mussten!
Ich musste Entscheidungen treffen, ich musste Verantwortung übernehmen, die normalerweise den Erwachsenen vorbehalten waren. Aber die waren weit weg. Sie mussten kämpfen an den vielen Fronten in Europa.
Welch ein Wahnsinn!
Ich befand mich mehr als einmal in akuter Lebensgefahr - wie so viele Andere auch.
Ich habe sehr früh den Ernst des Lebens kennengelernt. Deshalb war ich auch mit 16 um Vieles reifer, als die Gleichaltrigen von heute.
Darauf muss ich nicht unbedingt stolz sein. Es ist nur eine Feststellung.
Ich hätte herzlich gern darauf verzichtet, wenn ich dafür so hätte leben können, wie die Jugendlichen von heute. Ich wünsche es niemandem, eine solche Zeit erleben zu müssen!
Im April 1938 bin ich Pimpf im Deutschen Jungvolk geworden. Dieser Vorgang war für mich genauso selbstverständlich, wie es vier Jahre zuvor die Einschulung gewesen ist.
Meine eher regimekritischen Eltern haben mich gewähren lassen. Wenn alle dabei gewesen sind, dann musste es eben so sein. Das war ihnen dann doch noch lieber, als wenn ich ein Außenseiter geworden wäre. Ich dagegen habe mich darüber gefreut, nun endlich auch dabei sein zu dürfen. Meine Eltern haben das Ihre dazu getan. Sie haben mich zur Anständigkeit und zum selbstständigen Denken erzogen. Das Weitere musste eben die Zukunft zeigen. So etwa werden sie gedacht haben. Da haben sie noch nicht wissen können, dass sie nur wenige Jahre später die Bestätigung bekamen, alles richtig gemacht zu haben.
Ein Zehnjähriger ist ohnehin noch nicht so weit, politisch eine eigenständige Meinung zu haben. Wir standen ja damals förmlich unter Dauerberieselung. Ob es im Schulunterricht gewesen ist, ob wir die Zeitung gelesen oder ob wir das Radio gehört haben - überall wurde das Hohelied auf den verehrten Führer gesungen.
Wir Kinder sind in diesem Dunstkreis groß geworden. Wir haben gesehen, wie frenetisch die Massen ihrem Führer zugejubelt, wie sie ihn gefeiert haben. Gerade im Jahr 1938, als Deutschland immer größer wurde.
Soweit ich zurückdenken konnte, war Hitler unser Führer. Er war zur Selbstverständlichkeit geworden, über die ich gar nicht mehr nachgedacht habe. Auf den Gedanken, Hitler zu kritisieren oder ihn in Frage zu stellen, wäre ich mit meinen 10 Jahren überhaupt nicht gekommen.
Jetzt, wo ich Pimpf geworden war, durfte ich also auch die neue Uniform tragen. Das Braunhemd und die schwarze Hose, den ledernen Koppel mit dem Koppelschloss, das schwarze Halstuch mit dem geflochtenen Lederknoten, dem Schulterriemen und dem Fahrtenmesser. Dazu kam noch die Winteruniform aus dunkelblauem Wollstoff. Die halbe Verwandtschaft hatte sich an den nicht geringen Kosten beteiligt. Sie haben es gern getan, weil sie mir damit eine Freude bereiten wollten. Dabei hat es keine Rolle gespielt, wie sie selbst zu Hitler gestanden haben.
Wie alle aus unserem Viertel bin ich ins Fähnlein Nr. 3 gekommen. Das Fähnleinheim auf dem Johannesplatz habe ich schon gekannt. Ich habe ja fast täglich auf dem Johannesplatz Fußball gespielt.
Ein Fähnlein bestand aus ungefähr 150 Pimpfen. Sein Gebiet entsprach in etwa dem eines Schulbezirks.
Unser Fähnleinheim war ein kleines, ebenerdiges Gebäude. Es hatte vorher einem, nicht mehr existierenden, Sportverein als Aufenthalts- und Umkleideraum gedient.
Dieses Heim war unser ureigenes Reich. Es gab keinen Vermieter. Hier konnten wir schalten und walten, wie wir das wollten. Hier fanden die politischen Schulungen statt, und hier haben wir eine Unmenge an Liedern gelernt.
Wir mussten ja viel marschieren. Und beim Marschieren musste ohne Ende gesungen werden.
Im Winter musste jeder ein Brikett mitbringen, damit die beiden Räume beheizt werden konnten.
In diesem Heim habe ich auch das Schießen gelernt. Ein Luftgewehr mit Kugelfang gehörte ebenso zum Fähnlein-Inventar, wie der Fußball, der Medizinball und die Boxhandschuhe. Auf dem großen Johannesplatz hatten wir alle Möglichkeiten, die verschiedensten Sportarten zu betreiben.
Hier haben wir auch das Marschieren im Gleichschritt gelernt. Hier sind wir auch regelmäßig - inklusive der üblichen Schikanen - über den Platz gescheucht worden.
Wir sind singend durch die Straßen marschiert - was damals noch möglich gewesen ist. Weil wir immer laut singen mussten, hat es selten auch schön geklungen. Nur lautes Singen klingt zackig. Dieser Meinung waren unsere Vorgesetzten. Und zackig und schmerzlos hatten wir ja alle zu sein.
Während eines Liedes hörten wir mehrmals den Befehl: "Lauter!"
Das geschah meist dann, wenn uns vom lauten Singen die Puste ausgegangen war.
Für Passanten muss es ein lustiges Bild gewesen sein, wenn sie gesehen haben, wie wir Knirpse uns förmlich die Lunge aus dem Leib geschrien haben. Stand ein Geländespiel auf dem Dienstplan, da sind wir meist zum Stadtrand marschiert. Am geeignetsten war der Rote Berg.
Eine bierernste Angelegenheit ist das Grüßen gewesen. Waren wir in Uniform, dann hatten wir fast jeden Uniformträger zu grüßen. Meist waren es Offiziere oder SA-Leute.
Natürlich hatten wir auch jede Hakenkreuzfahne zu grüßen. Es war üblich, dass den Kolonnen immer eine Fahne vorangetragen wurde. Die Fahne nicht zu grüßen, wurde als große Beleidigung angesehen. Da konnte es schon einmal vorkommen, dass es an Ort und Stelle einige Ohrfeigen gesetzt hat.
In der Hitler-Jugend herrschte der gleiche absolute Gehorsam wie beim Militär. Jeder Befehl, so unsinnig er auch gewesen sein mag, musste ausgeführt werden. Widerspruch wurde nicht geduldet. Da konnten die Vorgesetzten in der Hitler-Jugend Mittel anwenden, die keinem Lehrer erlaubt waren. Ich denke dabei nur an Schikane wie Liegestütze oder Kniebeugen. Es ist wirklich so gewesen, dass wir vor unseren, nur wenige Jahre älteren Führern, einen größeren Respekt gehabt haben, als vor unseren Lehrern.
Wir mussten vor unseren Führern stramm stehen, wenn die mit uns gesprochen haben.
Auf die Uniform sind wir so stolz gewesen, dass wir sie anfangs auch außerhalb des Dienstes getragen haben.
Einmal habe ich damit meinen staunenden Großvater anlässlich eines Sonntagsspazierganges überrascht.
Auch im Jungvolk gab es ein festes Ritual. Allein mit meinem Eintritt war ich noch kein richtiger Pimpf. Der wurde ich erst, wenn ich die Pimpfenprobe bestanden hatte. Bis dahin durfte ich auch noch nicht die komplette Uniform tragen. Ohne das schwarze Halstuch mit dem hellen Lederknoten, ohne den Schulterriemen und das Fahrtenmesser, sah unsere Uniform mit Braunhemd und schwarzer Hose sehr nackt aus.
Es wurde ein dreitägiges Zeltlager in einem kleinen Wäldchen bei Tiefthal. Die wenigen Kilometer bis dahin sind wir marschiert. Mit dem nagelneuen Tornister auf dem Rücken.
Es war das erste Mal, dass ich - allein auf mich gestellt - von zu Hause weg war. Das war auch so gewollt. Wir sollten uns an das Leben in der neuen Gemeinschaft gewöhnen. Und wir sollten auch lernen, selbst unsere Sachen in Ordnung zu halten.
Beim täglichen Morgenappell wurden unser Schlafplatz und unser Tornister peinlich genau auf Ordnung und Sauberkeit kontrolliert.
Für die anfallenden Gemeinschaftsarbeiten erhielt jeder seine spezielle Aufgabe. Da musste der Lagerplatz sauber gehalten werden. Da musste Brennholz gesammelt, gekocht und gespült werden.
Die Prüfung war da eigentlich nur Formsache. Den Lebenslauf des Führers konnten wir ohnehin im Schlaf aufsagen. Genauso wie die "Schwertworte", die Hitler seiner Jugend mit auf den Weg gegeben hat:
Hitler-Jungen sind hart, schweigsam und treu,
Hitler-Jungen sind Kameraden.
Sie sind zäh wie Leder, flink wie die Windhunde
und hart wie Kruppstahl.
Des Hitler-Jungen Höchstes ist die Ehre!
Gewaschen haben wir uns im kalten Wasser eines nahen Baches. Das war gewöhnungsbedürftig und kostete Überwindung. Aber mannhaft haben wir das ertragen. Ein Pimpf, so hatte man uns gesagt, musste Schmerzen und Unannehmlichkeiten klaglos hinnehmen können - er durfte keine Schwäche zeigen und musste seine Gefühle immer im Griff haben. Das war nicht wenig, was da plötzlich von uns verlangt wurde. Und jeder war darauf bedacht, nur nicht unangenehm aufzufallen.
Diese Fähigkeit, Selbstdisziplin zu üben, hat mir auch später in vielen Situationen, in denen ich mich durchbeißen musste, zum Vorteil gereicht.
Die Tage verbrachten wir bei Sport und Spiel. Abends saßen wir gemütlich am Lagerfeuer. Wir ließen uns die Erbsensuppe, die im großen Hordentopf gekocht worden war, gut schmecken. Wir erlebten zum...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.