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Bill studierte zum wiederholten Mal die Fallakte über den Unfalltod von Maeve MacFarlane, geborene Wilkins, am 30. Juli 2013. Die gesamten Ermittlungen waren sauber protokolliert, der Obduktionsbericht beigefügt, der Fall geschlossen, weil die Spurenlage eindeutig einen Unfalltod attestierte. Und doch stimmte ein Detail Bill misstrauisch. Er reichte die Akte Annie.
"Fällt dir daran was auf? Und lass dir ruhig Zeit."
Annie brauchte fünf Minuten, um zu erkennen: "Vater und Sohn haben sich bei ihren Aussagen abgesprochen. Die Formulierungen sind so verdammt ähnlich, dass das gar nicht anders sein kann." Sie blickte Bill an. "Dann könnte das damals tatsächlich ein Mord gewesen sein."
Er nickte. "Das Einzige, was verhindert hat, dass in die Richtung ermittelt wurde, war, dass der Obduktionsbefund keinerlei Gewalteinwirkung nachweisen konnte. Was kein Wunder ist, denn bei einem Sturz aus solcher Höhe auf die Pflastersteine ist der Körper so zerschmettert, dass diese Verletzungen etwaige andere, die vorher erfolgt sein könnten, überdeckten und somit nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten."
Annie nickte. "Und in Verbindung mit der identischen Aussage der einzigen beiden Zeugen, vielmehr 'Tatbeteiligten', gab es keine Handhabe für weitere Ermittlungen."
Die die leitende Beamtin damals trotzdem vorgenommen und jeden Stein umgedreht, aber nichts gefunden hatte, was die Mordtheorie stützte. Weder Elliot MacFarlane noch sein Vater hatten ein Motiv für einen Mord. Connor MacFarlane hatte seine zwanzig Jahre jüngere Frau Maeve laut Aussagen aller Zeuginnen und Zeugen abgöttisch geliebt. Zwar hatte sie öfter Streit mit ihren drei Stiefkindern gehabt, aber die waren nie über kurze Wortgefechte hinausgegangen. Auch hatte es auf dem als Dachterrasse ausgebauten Turmareal, von dem die Frau gestürzt war, keinerlei Kampfspuren gegeben. Deshalb war den Ermittelnden nichts anderes übrig geblieben, als den Fall als Unfall zu den Akten zu legen.
"Mord oder nicht", sinnierte Annie, "ich habe das Gefühl, dass Mrs MacFarlanes Tod und der Mord an ihrem Mann irgendwie zusammenhängen. Es wäre schon ein extrem seltsamer Zufall, dass der Tod seiner Stiefmutter Elliot MacFarlane damals veranlasste, für zehn Jahre ins Exil zu gehen, und kaum ist er ein paar Wochen zurück, wird sein Vater vergiftet und er erbt alles."
Bill nickte. "Wir müssen das nur noch beweisen."
Das Telefon klingelte. Das Gespräch kam vom Leiter der Bohrinsel, Hiram Kennedy. Bill hatte heute Morgen bei ihm angefragt, ob Cadmium in seinen Beständen fehlte, und Kennedy hatte versprochen, das schnellstmöglich zu überprüfen. Bill stellte den Apparat auf laut, damit Annie mithören konnte.
"Also, Chief Inspector, wir haben die gesamten Protokolle unseres Chemikalienverbrauchs geprüft. Keine Fehlbestände. Und Mr MacFarlane hat sich auch nie für eine Entnahme von Cadmium eingetragen. Er war bei uns als Ingenieur beschäftigt und hatte mit den Chemikalien direkt sowieso nichts zu tun."
"Aber indirekt?", hakte Bill nach.
Zögern. "Eigentlich nicht. Er könnte allenfalls jemanden gebeten haben, das Zeug für ihn zu holen. Aber dann müsste mehr entnommen worden sein als verbraucht wurde. Und das ist nicht der Fall. Haben wir überprüft."
"Wäre es denn möglich, so geringe Mengen abzuzweigen, dass deren Fehlen nicht auffällt? Wenn man die horten würde, hätte man irgendwann auch eine größere Menge zusammen."
Erneutes Zögern. "Theoretisch wäre das möglich, aber, wie gesagt, Mr MacFarlane hatte nie direkt mit den Chemikalien zu tun. Und die werden streng überwacht, unter anderem mit Kameras. Es ist eigentlich ausgeschlossen, dass er unbemerkt mehrfach das Lager aufgesucht hat, um sich kleine Mengen zu holen. Das wäre aufgezeichnet worden und dann hätte man ihn zur Rede gestellt, was er denn da zu suchen gehabt hatte. Also nein, ich halte es für ausgeschlossen, dass er sich bei uns ratenweise mit dem Zeug eingedeckt hat."
Blieb immer noch die Möglichkeit, dass er sich das Gift übers Internet besorgt hatte.
"Haben Sie jemanden gefunden, der mir etwas mehr über Mr MacFarlane erzählen kann?", wollte Bill wissen.
"Sein Kabinengenosse Erik Nygard. Er steht neben mir. Ich reich Sie an ihn weiter."
"Hallo", erklang zwei Sekunden später die Stimme eines Mannes mit einem deutlichen Akzent. "Sie sind Polizei und wollen etwas über Elliot wissen?"
"Ja, Mr Nygard. Uns interessiert, was für ein Mensch er ist. Sind Sie gut mit ihm ausgekommen?"
"Jo. Keine Probleme. Ist er in Schwierigkeiten?"
"Es handelt sich nur um eine allgemeine Überprüfung", wich Bill aus. "Er will nichts von sich preisgeben, aber wir müssen uns für unsere Ermittlungen ein genaues Bild von ihm machen."
"Jo, versteh ich. Und jo, ich versteh schon, dass er zugeknöpft ist. Das ist er, seit ihm vor ein paar Jahren wohl eine Frau das Herz gebrochen hat. Genaues weiß ich nicht, er hat nie drüber gesprochen. Aber vorher war er immer freundlich und ein gut kompis - wie sagt man: Kumpel?"
"Wenn er nie darüber gesprochen hat, woher wissen Sie dann davon?", hakte Bill nach.
"Hab nachgefragt, weil er von einem Tag auf den anderen wie ausgewechselt war. Hab ihm Hilfe angeboten, falls er die braucht. Er sagte nur, dass niemand ihm helfen kann, weil seine kjære - eh, Liebling? - seinen Bruder geheiratet hat. Und ich hatte den Eindruck, dass sie vorher nicht mit Elliot Schluss gemacht hatte."
Das bestätigte Maura Frasers entsprechende Behauptung und erklärte die Rivalität zwischen Elliot und Ryan MacFarlane. Nach dem, was Bill und Annie gestern mitbekommen hatten, war wohl, zumindest von Greer MacFarlanes Seite aus, die alte Liebe zu Elliot bei dessen Rückkehr wieder aufgeflammt. Vielleicht auch von seiner Seite aus, und seine Behauptung, er sei längst mit ihr fertig, war gelogen, um seinen Bruder zu beruhigen.
"Und danach?", wollte Bill von Nygard wissen. "Wurde er unfreundlich oder gewalttätig?"
"Nei, gar nicht. Hat sich nur zurückgezogen. Ist schweigsam geworden. Hat aufgehört zu lachen. Armer Mann."
Das klang so gar nicht nach dem Elliot MacFarlane, den Bill kennengelernt hatte. "Dann hat er sich wohl auch mit seinen Gefühlen - zurückgehalten?", vergewisserte er sich.
"Jo. Sehr. Ich hab ihn in Ruhe gelassen. Und es gab nie Probleme."
"Mit anderen Kollegen auch nicht?"
"Nei", versicherte Nygard. "Bis auf kleine Meinungsverschiedenheiten und so. Aber die wurden immer schnell geklärt."
"Und wie?", fragte Bill gespannt.
"Ausdiskutiert. Und wenn Elliot der Vorgesetzte war, hat er einfach angeordnet, was zu tun ist. War immer richtig. - Ich hoffe, es geht ihm gut."
"Ja, ich denke schon." Zumindest hatte Elliot MacFarlane durch das Erbe ausgesorgt. "Haben Sie vielen Dank, Mr Nygard. Sie auch, Mr Kennedy."
"Keine Ursache", versicherte Kennedy. "Wenn Sie weitere Auskünfte brauchen, melden Sie sich."
Bill versprach das und beendete das Gespräch. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Was er erfahren hatte, half ihnen nicht weiter. Elliot MacFarlanes von Erik Nygard bezeugte Verträglichkeit, sogar Freundlichkeit, wollte nichts heißen. Bill hatte nicht nur beruflich oft erlebt, dass der oberflächliche Eindruck täuschte. Menschen brachten es virtuos fertig, eine gewünschte Fassade so überzeugend nach außen hin zu zeigen, dass niemand ihnen etwas Negatives zutraute. Die Kriminalgeschichte war voll von Fällen, in denen der Täter oder die Täterin von ihrem Umfeld als freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend beschrieben wurden, aber trotzdem teilweise abscheuliche...
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