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Freie Märkte, freie Menschen
Von Colin von Negenborn
Der Markt durchdringt immer neue Lebensbereiche. Wenn die emotionale Geste einer Umarmung zur Ware wird, betrifft die Forderung nach Marktfreiheit auch die Freiheit der Menschen. Was bedeutet ökonomische Freiheit aus liberaler - was aus libertärer Sicht?
Die Mechanismen der Märkte durchdringen immer neue Bereiche des sozialen und politischen Lebens. Objekte werden zu »Gütern«, Handlungen zu »Dienstleistungen« und damit zur Ware, zu einer tausch- und handelbaren Ressource. So entstehen Märkte für das Buchen von Umarmungen,1 Marktdesigner bieten Börsen für die effiziente Vergabe von Kindergartenplätzen an2 und persönliche Nutzerdaten werden als Öl des 21. Jahrhunderts gehandelt.3 Schon Anfang dieses Jahrtausends sprach der Soziologe Steven Lukes angesichts dieser stetig expandierenden Marktlogik von einer »Invasion der Märkte«.4
Die Marktlogik verspricht dabei Effizienz: Angebot und Nachfrage finden ohne zentrale Koordination zueinander; Informationen können sich durch den Markt verbreiten; Anreize werden automatisch gesetzt und das Allgemeinwohl maximiert. Doch mit diesen Versprechen ist auch eine Forderung verbunden: die nach der Freiheit des Marktes. Denn nur wenn der Markt ungestört, frei von Hemmnissen operieren könne, würden sich auch seine Vorteile entfalten. Im Fall von Marktversagen stellt sich dann weniger die Frage, ob der Markt in der jeweiligen Sphäre des Lebens überhaupt angemessen ist, sondern vielmehr wie die jeweilige Sphäre verändert werden kann, um den Markt ungehindert wirken lassen zu können.
Zur Begründung müssen oftmals der Moralphilosoph Adam Smith und seine Metapher der unsichtbaren Hand herhalten. Erlaubte man den Menschen, ihre Eigeninteressen frei zu verfolgen, könne dadurch das Allgemeinwohl weit besser gefördert werden als durch zentrale Lenkung. Der Markt könne am besten für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sorgen. Denn die weit verteilten Informationen zu den Wünschen der Menschen und zu den verfügbaren Ressourcen, die für die Erfüllung der Wünsche benötigt werden, lassen sich durch eine Lenkungsinstanz nicht sammeln und verarbeiten. Der Markt hingegen vermag es - wenn auch nur zufällig, die einzelnen Interessen in kollektiven Wohlstand zu überführen -, wenn er denn gelassen wird.
So wird das Bild eines hyperrationalen, eigennutzmaximierenden Homo oeconomicus gezeichnet, der in einem entfesselten Markt auf seinesgleichen trifft, wobei im Hintergrund allenfalls ein minimalistischer Nachtwächterstaat operiert. Für eine Einhegung der Märkte oder für einen Sozialstaat scheint da wenig Platz. Und doch ist dieses Bild weit weg von jenem, welches Smith tatsächlich zeichnete. In seiner Theorie der ethischen Gefühle beschreibt er den Menschen als ein empathisches Wesen, das sich in seine Mitbürger:innen hineinversetzt, gesehen und geliebt werden möchte. Und er beschreibt einen Staat, der neben der Sicherheit im Inneren (Justiz, Polizei) und im Äußeren (Militär) vor allem auch die Aufgabe hat, öffentliche Güter und vor allem Bildung für alle zu gewährleisten. Smith ging in seinen Überlegungen bis zur Schulpflicht, die in seiner Heimat Schottland damals noch unbekannt war. Denn er sah, dass die Arbeitsteilung Grundlage von Spezialisierung, Handel und damit Wohlstand sein kann - dass sie zugleich aber die Gefahr einer Abstumpfung durch eintönige und repetitive Tätigkeiten birgt und zu einer »Entartung der Massen« (WN V.I.III.II) führen kann.5 Diesen Gedanken wird später Karl Marx aufgreifen.
Wenn Smith also in seinem zweiten Opus magnum, dem Wohlstand der Nationen, für eine Freiheit des Marktes plädiert, dann hat er dabei freie Berufswahl anstelle der Beschränkung durch Zünfte im Kopf, freien Wettbewerb anstelle staatlicher Monopole, freien Handel anstelle protektionistischer Zölle, freie Preisbildung anstelle staatlichen Dirigismus. Er will ein »System der natürlichen Freiheit« (WN IV.IX) an die Stelle der bestehenden »Systeme der Begünstigungen und Beschränkungen« (ibid.) setzen. Er ist damit ein Wirtschaftsliberaler, aber eben kein Libertärer, der in der individuellen Freiheit den höchsten Wert sieht. Der Staat, und zwar kein minimalistischer, ist nötig als Garant ebenjener Freiheit, die er durch sein Zurückziehen aus der Sphäre des Marktes selbst erst schafft.
Diese Unterscheidung geht mitunter verloren, wenn die Abrissbirne gegen einen vermeintlich allzu ausufernden Staat gefordert und Smith dafür ins Feld geführt wird. So auch jüngst, als marktradikale Stimmen Smith anlässlich seines 300. Geburtstags als ihren Vordenker priesen. Viel Markt, wenig Staat - prominenter Vertreter ist hier eben gerade nicht Smith, sondern eher die Chicagoer Schule rund um den früheren US-Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman. Vertreter dieser Gruppe berieten in den 1970er Jahren führende Politiker:innen rund um den Globus und prägten damit eine Phase der Privatisierung, Deregulierung und des Abbaus wohlfahrtsstaatlicher Programme: in Großbritannien unter Thatcher, in den USA unter Reagan und in Chile unter Pinochet, wo die Schüler:innen Friedmans als »Chicago Boys« in die Geschichte eingingen. (Tatsächlich war mit María Teresa Infante, späterer Arbeitsministerin, auch eine Frau unter diesen »Boys«.)
Freiheit ist für Friedman der zentrale Kampfbegriff. Dies zeigt sich schon an den Titeln seiner Werke, von Capitalism and Freedom bis zum gemeinsam mit seiner Frau Rose verfassten Buch Free to Choose. Erst durch ein kapitalistisches, marktwirtschaftliches System freier Preisbildung werde ökonomische - und damit auch politische - Freiheit möglich. Andernfalls drohe unter Verweis auf Friedrich August von Hayek Der Weg zur Knechtschaft. Freie Preise an freien Märkten erlaubten, so Friedman, die Verbreitung und Verarbeitung dezentral verteilter Informationen; sie schafften Anreize und eine Verteilung von Ressourcen, wie sie für ein effizientes Ergebnis vonnöten seien. Staatliche Eingriffe wären hier nur Störfaktoren.
Damit unterscheidet sich die Rolle der Freiheit im libertären Verständnis Friedmans fundamental von jener im liberalen Verständnis Smiths. Bei Smith treffen in der ökonomischen Sphäre Menschen aufeinander, die zwar ein Eigeninteresse besitzen, aber eben auch am Wohlbefinden ihrer Mitbürger:innen interessiert sind und deren Billigung erhoffen. Als moralische Richtschnur dient das Ziel, Mitgefühl für die eigenen Beweggründe zu wecken. Das richtige Handeln orientiert sich also an den bereits im Buchtitel erwähnten »ethischen Gefühlen«. Friedmans Position hingegen lässt sich am Titel seines 1970 in der New York Times veröffentlichten Artikels ablesen: »The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits.« Auf dieser Grundlage argumentiert Friedman später gegen staatliche Eingriffe in das Bildungssystem, gegen öffentliche Gesundheitsversorgung wie Medicare und gegen einen Sozialstaat. All das aber fordert Smith, oft reduziert auf einen Garanten freier Märkte.
Der Disput zwischen einem liberalen und einem libertären Verständnis des Marktes hält an. Und angesichts der eingangs erwähnten, sich stetig ausdehnenden Sphäre des Marktes in immer neue Bereiche des gesellschaftlichen Lebens lohnt es sich, die Unterscheidung in Erinnerung zu rufen. Wo Freiheit für Menschen mit Freiheit für Märkte gleichgesetzt wird, da ist ein kritischer Blick auf das zugrunde liegende Freiheitsverständnis vonnöten. Drei Aspekte aus dem Zwischenfeld von Ökonomie und Philosophie gilt es besonders zu beachten.
Erstens dient der Begriff der Konsumentensouveränität oft als Banner im Kampf für die ökonomische Freiheit: Die Einzelne wisse selbst am besten, was sie für ihr eigenes Glück benötigt oder, ökonomisch gesprochen, worin der Inhalt ihrer Präferenzen bestehe. Daher solle das Wechselspiel von individueller Nachfrage auf der einen Seite und dem zur Verfügung gestellten Angebot auf der anderen das wirtschaftliche Geschehen bestimmen. Kein Staat solle paternalistisch mutmaßen, was die Einzelne vermutlich wollen könnte, oder gar dirigistisch entscheiden, was sie haben sollte. Doch zum einen verweist schon Smith darauf, dass der Markt eben nur die effektive Nachfrage berücksichtigt: Es fließen nur solche Präferenzen in das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage ein, die auch von Kaufkraft gedeckt sind. Wünsche oder Bedürfnisse ohne finanzielles Vermögen für ihre Umsetzung finden keine Abbildung am Markt. Zum anderen sind diese Wünsche und Bedürfnisse auch selbst Produkt der Märkte, denn so souverän wie angenommen sind wir als Konsument:innen selten. Werbung, der Vergleich mit dem Konsum Dritter (»Keeping up with the Joneses«) und die Konkurrenz um knappe Güter beeinflussen unsere Präferenzen und bestimmen, was wir zu brauchen glauben. Der Gedanke, dass Freiheit schlicht darin besteht, die Befriedigung unserer Präferenzen am Markt ungestört von außen geschehen zu lassen, greift daher zu kurz.
Denn Freiheit ist, zweitens, nicht bloß als Abwesenheit von Störung, Lenkung oder Zwang zu verstehen. Es bedarf auch einer...
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