Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es riecht nach Hefeteig, selbstgemachter Tomatensauce und frischem Basilikum. Dieser aromatische Geruch gibt mir ein Gefühl von Zuhause. Und das, obwohl jener Ort eigentlich über tausend Kilometer entfernt von hier liegen sollte.
In der Küche rumort Dario leise vor sich hin, während ich in Gedanken versunken die Gläser poliere, die wir am Abend brauchen werden - sobald die Touristen auf dem Weg vom Strand in ihre Hotels über Darios Trattoria herfallen. Später am Abend kommen dann die Einheimischen, die Darios Essen sehr schätzen und dem Restaurant ganzjährig gute Umsatzzahlen bescheren.
Jetzt, in der glühenden Hitze des frühen Nachmittags, ist die Trattoria wie ausgestorben. Nur eine vierköpfige deutsche Familie vertilgt an einem der Außentische Pizza.
An der Promenade knattert eine Vespa vorbei, und auf der Via Aurelia, der Küstenstraße, die sich von Norden bis nach Rom an den schroffen Felsen der ligurischen Küste entlangschlängelt, hört man ein fernes Hupen. Die Türen der Trattoria stehen weit offen, um die leichte Brise vom Meer hineinzulassen und den sich träge drehenden Deckenventilator zu unterstützen. Der Wind trägt das Geschrei im Wasser tobender Kinder herein. Die hochaufragenden Palmen an der Promenade schirmen den Lärm jedoch so weit ab, dass die Geräusche nicht störend sind. Vielmehr gehören sie zu meinem Soundtrack dieses Sommers in Finale Ligure, einer kleinen Küstenstadt am Mittelmeer, die meine Sommer bunt malt, seitdem mir mein Vater als Kind eröffnete, wir wären gerade zu Halbitalienern geworden, und Finale damit nun unser zweites Zuhause. Dabei entging ihm das winzige Detail, dass er durch die Heirat seiner Schwester Annegret mit Gianluca Rossi nicht automatisch zu einem Halbitaliener wurde. Mein Vater ist in etwa so italienisch wie eine Kartoffel, und das hat sich bis heute nicht geändert.
Trotzdem erzählte ich von diesem Tag an stolz, dass ich jetzt Italienerin wäre. Das Halb ließ ich weg. Wer ist schon gern etwas Halbes?
Ich glaube nicht, dass Papa damals klar war, dass ich das Ganze wörtlich nehmen würde.
Ich lernte die Sprache und konnte mich bereits nach kurzer Zeit gut verständigen. Damit blieb ich allerdings die Einzige in unserer Familie. Papa verknotete sich bei dem Versuch, Italienisch zu sprechen, regelmäßig die Zunge. Und Mama schaffte es, drei Volkshochschullehrer in den Wahnsinn zu treiben, bevor sie es aufgab, mehr als ein kalt deutsch ausgesprochenes »Bongorno« zu lernen. Das i unterschlug sie einfach und verwandelte das italienisch weiche Gi somit in ein hartes akkurates G, und mein Bruder Basti - nun, der war eben Basti. Die Urlaube in Italien waren ihm zu analog, zu retro und der Wlan-Empfang am Strand zu dürftig.
Ich hingegen liebte schon damals die Melodie der Sprache, die selbst eine Schimpftirade so weich erscheinen lässt wie eine rosa Puderzuckerwolke, und noch mehr liebe ich die Lebensweise der Menschen, die zwischen den jahrhundertealten Häusern vibriert.
Mit Tante Annegrets Tod starb Papas Hang zum Italienischen, und seit ihrer Beerdigung vor einem Jahr kehrte meine Familie Finale den Rücken und verbringt seitdem die Familienurlaube auf Sylt. Papas Erklärung hierfür ist der lange Fahrweg und das furchtbar heiße Wetter, aber ich weiß, dass er sich in Wahrheit nicht an seine Schwester erinnern will. Es tut ihm zu sehr weh, die Vergangenheit zu sehen. Ich hingegen erinnere mich gern.
Mein Onkel Gianluca zog kurz nach dem Tod seiner Frau zurück zu seiner Familie nach Brugherio. Ein graues Städtchen, das als platt gewalzter Ausläufer Mailands zwischen Bahngleisen und Autobahnen liegt. Es fällt mir schwer, mir Gianluca inmitten dieser Tristesse vorzustellen. Noch immer sehe ich ihn Arm in Arm mit meinem Vater singend in einer der Bars der Piazza. Die Erinnerungen vermischen sich mit dem Geruch aus der Küche zu einem wehmütigen Gefühl.
Ich bin längst keine Mangiapatate mehr, eine Kartoffelesserin, wie die Italiener uns Deutsche liebevoll nennen. Nicht einmal zur Hälfte. Ich gehöre hierher. Weswegen es mir nur natürlich vorkommt, meine Semesterferien wie jedes Jahr seit dem Beginn meiner wenig erfolgreichen Studienkarriere genau an diesem Ort zu verbringen. Wenn ich mein Studienfach tatsächlich schon wieder wechseln sollte, wie es mir mein Bauchgefühl sagt, werde ich selbst in zehn Jahren noch in den muffigen Hörsälen der Hamburger Uni herumsitzen. Da kann ich wenigstens das Geld für mein studentisches Rumgeeiere hier verdienen anstatt im schmuddelig nasskalten Wetter Hamburgs.
Außerdem sehe ich auf diese Weise regelmäßig Dario - meinen besten Freund seit Kindertagen, meinen perfekten Bruderersatz.
Obwohl Dario und mich die meiste Zeit unseres Lebens Tausende von Kilometern trennten, ist er mir so vertraut wie sonst nur meine beste Freundin Kathi. Es ist, als hätten wir all die Zeit gemeinsam verbracht, nur dass wir stets dreihundertfünfundsechzig Tage in sechs Wochen Sommerferien quetschen mussten. Sechs bunte, intensive Wochen, in denen er zu meinem Bruder wurde und ich zu seiner Sorellina. Er ist nicht nur für mein gutes Italienisch verantwortlich, sondern auch dafür, dass ich das »R« so rolle, dass ich zwischen den meisten Italienerinnen nicht auffalle. Das Ergebnis eines ganzen Sommers auf der Badeplattform des Bagno San Donato, während unsere Haut langsam die typisch südländische Bräune annahm und sich der Geruch von Salzwasser mit dem von schmelzendem Eis mischte.
Ich habe nie das Gefühl, ihm etwas verschweigen zu müssen. Er schiebt es auf seine italienischen Gene, die ihn laut eigener Aussage per se zu einem Frauenversteher machen.
Ein Grinsen huscht über mein Gesicht. Ich liebe ihn. Genauso sehr wie die zerschrammten Türen des kleinen Restaurants und die moderne Ausstattung im Inneren der Trattoria, die Dario nach eigenen Angaben ein Vermögen gekostet hat und die sich schlicht an die einfach verputzten Mauern schmiegt.
»Ich muss nur noch die Pasta in die Kühlung bringen und die Briefe zur Post, dann bin ich soweit durch.« Darios blonde Locken erscheinen in der Durchreiche. »Das Glas ist übrigens schon eine ganze Weile sauber.« Er deutet auf das Weinglas in meiner Hand. »Sobald ich fertig bin, trinken wir 'nen Cappuccino zusammen, o.k.?«
Er weiß genau, dass ich niemals Kaffee trinke, aber er gibt sich alle Mühe, diesen Umstand zu ändern. Für ihn gehört Kaffee in all seinen Facetten zu einem ausgewogenen, glücklichen Leben, und dass ich mich dem Gesöff hartnäckig verweigere, bringt ihn zu dem gewagten Umkehrschluss, dass es mit meiner Glückseligkeit nicht weit her sein kann.
Ich verschwende einen trotzigen Gedanken an Jonas, meinen Freund, der zu Hause sitzt und für seine Abschlussprüfung in BWL paukt. Er hat als Einziger das Potential, meine momentane Glückseligkeit zu gefährden.
Warum denke ich so etwas? Es ist nicht fair, ihn so zu sehen. Im Gegenteil. Er war immer für mich da. Das, seine stechend blauen Augen und sein verschmitztes Grinsen waren die Gründe dafür, dass ich mich nach Jahren der Freundschaft in ihn verliebt habe. Er gibt mir Sicherheit und erdet mich.
Aber an ihn zu denken erzeugt in mir das Gefühl, dass ich nicht hier sein sollte. Auch wenn er mir immer wieder beteuert hat, dass es in Ordnung ist, die Sommer hier zu verbringen, weiß ich, dass er lügt. Es wurmt ihn, dass er nicht greifen kann, was mir dieser Ort gibt. Er will es verstehen, das glaube ich ihm, aber seine Gedanken verlaufen dazu zu gradlinig. Er ist ein Kopfmensch. Jemand, der schon in der Mittelstufe einen Zehnjahresplan hatte, den er bis heute stringent verfolgt, ohne einmal vom Weg abgekommen zu sein oder wenigstens zu straucheln.
Wenn ich etwas erreichen will, sind Umwege meine erste Wahl, und zu straucheln gehört praktisch zu meinem Gangbild. Dieser Sommer ist mir auch deswegen so wichtig. Ich muss endlich meinen eigenen Weg finden, und zwar ohne dass mir jeder gutgemeinte Ratschläge gibt, wie genau dieser auszusehen hat.
Für meine Familie und Freunde ist klar, dass Jonas' und mein Weg ein- und derselbe ist. Selbst Kathi, meine chaotische beste Freundin, sagt mir immer wieder, dass Jonas mein Sechser im Lotto ist. Ich bin mir da nicht halb so sicher. Der Plan, Jonas zu heiraten, sobald er Partner in der Firma seines Vaters geworden ist, fühlt sich nicht wie meiner an. Er wird ein guter Ehemann sein, aufmerksam, liebevoll. So ist Jonas. Er wird aufopferungsvoll dafür sorgen, dass ich mich nicht aus Versehen umbringe oder auf all meinen Nebenwegen den Blick auf unsere strahlend vor uns liegende Zukunft verliere. Wir sind das perfekte Paar - schon so lange, dass ich längst nicht mehr weiß, wieso Kathi, genau wie jeder andere, denkt, wir wären so verdammt perfekt.
Es ist alles klar, strukturiert und vorhersehbar. Es müsste mich glücklich machen. Das Problem ist, ich hasse alles Vorhersehbare. Ich mag keine Strukturen, und mit der viel gerühmten Perfektion habe ich es auch nicht so besonders.
Vielleicht liebe ich diesen Ort genau deswegen so sehr. Hier leben die Menschen für den Moment. Um das Leben zu spüren, nicht um eine Zukunft zu planen, die vielleicht nie eintreten wird. Zumindest kommt es mir so vor. Deswegen fällt mir an diesem Ort das Glücklichsein so leicht wie Atmen. Ich runzele die Stirn und schnappe mir noch ein Weinglas. Das Handtuch verursacht ein quietschendes Geräusch, so fest reibe ich daran herum. Ich liebe Jonas. Das stimmt. Und gleichzeitig ist es nicht die ganze Wahrheit.
Vielleicht ist es nicht fair, alles in Frage zu stellen, nur weil ich hier in Finale...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.