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Die Briefe erweckten sie zum Leben. Indem Maya an die von den Nazis ermordeten Großeltern schrieb, entstand eine Beziehung über die Katastrophe des 20. Jahrhunderts hinweg. Für Maya begann danach ein neues Leben, in einer neuen Stadt, eine neue Mission: den Ort, von dem das Verhängnis seinen Ausgang nahm, zu verwandeln, in ein Zuhause, eine befriedete Heimat. Dazu geht Maya auf die Suche nach der jüdischen Vergangenheit und Gegenwart Berlins: Friedhof Weißensee, Pestalozzistraße, Gleis 17 im Grunewald . Im Spiegel dieser Orte und im Zwiegespräch mit den Großeltern rettet sie sich, ihre Familie, ihre jüdische Herkunft.
Nach dem viel beachteten Erfolgsbuch Briefe nach Breslau folgt mit Ich schreib euch aus Berlin ein neues transgenerationales Abenteuer. Maya Lasker-Wallfisch erringt sich ein Zuhause an einem fast unmöglichen Ort. Sie legt ein Zeugnis davon ab, was Wunden bewirken, im Guten wie im Schlechten.
Es ist August 2020, und ich bin unterwegs nach Berlin. Nicht auf Urlaub, sondern mit einer Mission . »Mission Impossible« - zumindest fühlt es sich so an! Trotz Pandemie bin ich entschlossen, mich von diesem Weg nicht abbringen zu lassen, sondern so weit zu gehen, wie ich kann. Ich habe viel vor: Ich muss erkunden, ob mein lang ersehntes neues Leben in Deutschland realisierbar ist. Mein geliebtes Berlin befindet sich in einem Schwebezustand. Viele Hotels sind geschlossen und die Straßen deutlich ruhiger als sonst. Die Cafés sind verlassen. Es fühlt sich an, als wäre dieser elektrisierenden Stadt der Strom abgeschaltet worden. Ich versuche, das zu ignorieren - es lastet auf meiner Aufmerksamkeit.
In meinem ersten Buch, Briefe nach Breslau, versprach ich meinen Großeltern Alfons und Edith Lasker, meine Korrespondenz an sie fortzusetzen. Ich würde ihnen davon erzählen, wie mein Leben, und das der Lasker-Wallfischs, sich entwickelt. Auch davon, was aus meinem Wunsch geworden ist, in Berlin zu leben. Von den Herausforderungen und Erfolgen auf meiner langen Reise nach Hause; von meinen ersten Schritten in einem modernen Deutschland, das sie nicht kannten. Neue Schichten eines transgenerationalen Traumas werden, während ich diese Rückkehr ins Vaterland antrete, offenbar, genau wie unbewusste Erinnerungen, die ich bis dahin nicht wahrgenommen hatte.
Denn davon handelt meine Odyssee: von der Rückkehr in ein neues Zuhause.
Ich checke also im Hotel ein, in diesem Sommer 2020. Es begrüßen mich Stühle und Sofas, eingehüllt in abwaschbare Plastiküberzüge, anderes pandemisches Zubehör sowie eine ungewöhnliche Menschenleere. Keine Willkommensgeste begleitet mich zum Check-in, es ist ein Ort ohne Seele und ohne Personal. Ich schleppe mein Gepäck zum Aufzug, und, oben angekommen, versuche ich mir einen Weg durch das Gewirr der Korridore zu bahnen. Ich sehne mich nach der behaglichen Vertrautheit des Savoy . aber es ist so eng verbunden mit meiner Mutter und den Festen, die wir dort gefeiert haben, dass es viel zu schmerzhaft wäre, ohne sie hinzugehen. Ich hätte die ganze Zeit das Gefühl, auf sie zu warten und nach ihr Ausschau zu halten. Und so habe ich die Angewohnheit entwickelt, von einem Hotel zum nächsten zu ziehen; diesmal starte ich am Ku'damm, bald geht es nach Mitte, Nähe Tiergarten, eine mir unbekannte Gegend.
Bei meiner Ankunft am Hotel überkommt mich eine große Traurigkeit, die ich nicht verstehe. Ich packe aus und bereite mich auf ein Treffen im Verlag vor. Spontan entscheide ich, zu Fuß dorthin zu gehen, und als ich um die Straßenecke biege, stehe ich plötzlich vor dem Holocaust Mahnmal - und begreife nun sofort, dass das, was meine Traurigkeit ausgelöst hat, die Nähe zu diesem Ort gewesen ist. Zwar glaube ich nicht, dass die Erinnerung selbst an solche Plätze gebunden ist, aber dass die geballte Kraft des Verlustes, der hier betrauert wird, atmosphärisch und energetisch zu spüren ist, ja, das glaube ich tatsächlich. Ich bleibe eine Weile dort stehen und sehe den Touristen zu, die Fotos machen, und den Kindern, die auf die Blöcke klettern und spielen, und ich frage mich, wie viel von der Bedeutung dieses Ortes wirklich von den Besuchern verstanden wird. Ich bücke mich und lege ein paar kleine Steine auf ein »Grab«, so wie es Brauch im Judentum ist. Wir ehren unsere Toten nicht mit Blumen. Als ich eine halbe Stunde später im Verlag ankomme, fühle ich regelrecht das Blut durch meine Adern rauschen. Ich bin dankbar, lebendig zu sein.
Alles begann, wenn auch zunächst gestaltlos, in Deutschland. Ich, die ich in England geboren und aufgewachsen bin, die ich mein gesamtes Leben - mit ein paar wenigen Unterbrechungen - dort verbracht habe, verzehrte mich nach einem Ort, der sich wie eine Heimat anfühlen könnte. Seit 2018 schien es mir allmählich, als wäre dieser geheimnisvolle Ort genau jenes Land, in dem ich eigentlich hätte geboren werden sollen. Und umso öfter ich dorthin reiste, umso verbundener fühlte ich mich ihm und umso näher meinem >ungelebten Leben<. Meine Gedanken und Sehnsüchte bekamen ein Ziel, eine Adresse: Alfons und Edith Lasker, die ich nie kennengelernt habe, weil sie sechzehn Jahre vor meiner Geburt im Lager von Izbica von den Nazis ermordet wurden. Eine Beziehung zu meinen Großeltern aufzubauen, war der verspätete Beginn einer Reise, die mich über das Vorstellbare, über die Seite hinaustrug, an einen Ort, von dem aus ich nun schreibe. Vielleicht diente das erste Buch, das seine Gestalt so ganz von selbst fand, als Wegweiser für das, was sich noch entspinnen würde. Doch war mir das damals nicht gänzlich bewusst.
Kurz zuvor im selben Jahr war meine Mutter, Anita Lasker-Wallfisch, eingeladen worden, im Deutschen Bundestag am Holocaust-Gedenktag eine Rede zu halten. Die Familie war zu diesem düsteren Anlass in Berlin zusammengekommen, und es war das letzte Mal, dass die zwei >Lasker-Mädchen< beisammen waren. Meine Mutter kam am Arm von Bundespräsident Steinmeier herein, während meine Tante von Kanzlerin Merkel gestützt wurde. Es war eine elektrisierende Atmosphäre. Ich saß hoch oben in der ersten Reihe der Besuchertribüne und schaute zu, wie mein Bruder Raphael mit seinem Cello den Platz auf der Bühne einnahm, und dachte darüber nach, wie weit entfernt ich von den Geschehnissen war, doch wie tief verbunden ich mich trotzdem fühlte.
Dieser Tag veränderte mein Leben für immer. Als ich nach London zurückkehrte, überkam mich eine Entschlossenheit, ich wusste, was ich zu tun hatte und dass das Einzige, das mir im Weg stehen könnte, ich selbst war. Es war Zeit, das Buch zu schreiben, das mir vorschwebte, und herauszufinden, ob Deutschland mich willkommen heißen oder ablehnen würde.
Etwas Bedeutsames hatte begonnen und mein >erstes symbolisches Zuhause< sich gefunden, in meinem Buch Briefe nach Breslau. Wenn Zuhause ein Ort des Willkommens ist, ein Ort des Vertrauens, dann müsste es in der Tat ein warmer Empfang werden.
Wenn Menschen Pläne schmieden, lacht Gott, und nur durch Rückschläge lernt man Lektionen und einem wird klar, was wirklich zählt. Die Freude der Kreativität und Zusammenarbeit, die mir in meinem Jahr des Schreibens half, die Mischung aus Spannung und Beklommenheit während der Vollendung des Manuskripts kamen abhanden. Das Coronavirus war da und sämtliche geplanten Auftritte wurden abgesagt. Das öffentliche Leben pausierte, die Briefe nach Breslau reihten sich ein in die Liste der Kollateralschäden. Zwei Jahre sind seither vergangen und die Überraschung, wenn etwas nach Plan läuft, scheint die neue Normalität zu sein. Natürlich war ich zutiefst erschüttert und brauchte ein paar Wochen, um diese neue Welt im Schockzustand zu akzeptieren. Leben fand online statt. Doch erstaunlicherweise verschwand das Buch nicht. Die Reaktion des Publikums war positiv, voller Interesse, endlich die ersehnte Anerkennung, dass ich etwas zu sagen hatte, als Nachgeborene. Und mein inneres Gespräch, meine Suche nach Antworten auf die Frage, wohin ich gehörte, sollte mit der Möglichkeit eines Umzugs nach Deutschland untrennbar verbunden sein. Ich würde versuchen, mich in Berlin niederzulassen, in der deutschen Hauptstadt, die auch die Hauptstadt des Deutschen Reiches gewesen war.
Doch verblieb die Frage, ob ich genug Mut hatte. Ich habe mein ganzes Leben auf die eine oder andere Weise nach Heimat gesucht. Und jetzt wusste ich, dass ich möglicherweise meine Stadt gefunden hatte. Ich hatte ein inneres Bild: Ich in Charlottenburg, in einer kleinen Altbauwohnung mit einem Balkon, übersät von leuchtend roten Geranien.
Je erfahrener ich werde, desto stärker glaube ich, dass Unwissenheit ein Segen ist. Nicht zu verwechseln mit Dummheit - das ist etwas völlig anderes.
Es ist wahrscheinlicher, dass man vor jugendlichem Leichtsinn ins kalte Wasser springt, Chancen ergreift, furchtlos ist. Man hat Zeit, im Zweifel alles noch einmal anders zu machen. Ich habe das Geschenk, endlos Zeit zu haben, verloren. Eher begreife ich, dass es jetzt oder nie heißt, und daraus erwächst eine Dringlichkeit.
Ah, wie ich es vermisse, jung zu sein. Ich vermisse...
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