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Das Leben war kurz, wild und süß - kontrapunktiert von blauäugigen, schwermütigen, schmerzverzerrten Augenblicken - mit Spitzen von Wut und Liebe. Daran erinnerte Heinrich Müller der gitarrenlastige Song >I'm Bad, I'm Nationwide< von ZZ Top, Männer wie zornige Moses aus einer anderen Zeit. Er begann mit einem treibenden Beat, um vom schleppenden Bass an seiner stromlinienförmigen Ausdehnung gehindert zu werden.
So müsste Sprache sein, dachte Müller, nicht funkelnd allein, nicht getrieben ohne Anspannung, nicht erklärend ohne Geschichte. Magie des Durchbrochenen. Denn unser Detektiv beugte sich über das Konvolut an Einträgen ins Reisetagebuch, das er ins heutige Standarddeutsch zu übertragen gedachte.
»Geboren im Jahre des Herrn 1460 in einem Dorf nahe Straßburg, benannt nach Paulus, in der Familie Löwensprung«, las Müller. »Umsorgt von einer liebenden Mutter, während der Vater in burgundischen Kriegsdiensten das Geld für meine Ausbildung verdiente. Lehre als Glasmaler in der Münsterbauhütte in der Werkstatt von Meister Peter Hemmel von Andlau. >Für Glas bist du nicht geeignet, aber zeichnen kannst du.< Das waren seine Worte, als er mir an einem lieblichen Frühsommertag 1474 eröffnete, er schicke mich zu einem bedeutenden Meister nach Florenz. >Du sprichst doch Italienisch?<, setzte er nach.
Mit fiel das Herz in die Hosen. Firenze! Wortlos nahm ich seinen Empfehlungsbrief entgegen und rannte nach Hause, erzürnt und beglückt zugleich. Wie ich nach Italien kommen sollte, wenn doch das Leben in Straßburg beinahe unbezahlbar war, blieb ein Rätsel. Meine Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Aber am nächsten Morgen klopfte der Geselle eines Rheinschiffers an unsere Tür und bedeutete mir, schnellstens meine Sachen zu packen, am Nachmittag gehe eine Kohlenbarke nach Basel ab. Ich war unterwegs!«
Das war der Inhalt des ersten Blattes, auf dessen Rückseite eine Skizze des Straßburger Münsters rasch hingeworfen war. Entweder hatte der Jüngling die folgenden Etappen der Reise nicht notiert, sie war ereignislos verlaufen, oder er hatte keine Zeit gefunden, auch möglich, dass das Konvolut nicht vollständig war, jedenfalls gab es einen zeitlichen Sprung. Der Text setzte erst mit der Ankunft in Florenz wieder ein.
»An einem Frühlingstag geleitete mich die süße Luft hinunter ins Tal des Arno, dessen Gestank aber bald jede Erinnerung an die Wohlgerüche verstummen ließ. Gerber, Kürschner und Metzger hatten sich an den Ufern des Flusses niedergelassen, und das Unschlitt verpestete die Luft weitum.
Dagegen war die Stadt sauber und die Straßen frei von Abfall. Sie wölbten sich in der Mitte, die Abwässer flossen in zwei Kanälen rechts und links davon in den Strom, nicht wie bei uns zu Hause für alle sichtbar in der Mitte des Weges. Zuerst fielen mir aber die wackligen Geschlechtertürme auf, von denen der eine oder andere einzustürzen drohte. Viele hatten bereits Platz gemacht für Paläste, schöner, als ich sie je in einer bürgerlichen Stadt gesehen habe, denn es regierte kein Fürst oder Herzog oder gar König hier. Es regierten die reichen Familien, die ihren Reichtum durch ein ausgeklügeltes Bankensystem begründeten.
Dies alles erfuhr ich in den ersten Wochen, daran erkennt man, dass ich diesen Eintrag geraume Zeit nach meinem Einzug in diese Stadt der Eitelkeiten schreibe. Wohl steht an jeder Ecke ein Kloster oder eine Kirche, Mönche und Nonnen gibt es mehr, als dem Auge zuträglich ist. Gleichzeitig brillieren die leuchtendsten Geister der Stadt, Philosophen und Dichter, mit unerhörten Ideen von Freiheit für den Einzelnen und mit der Hinwendung zum antiken Griechenland.
Florenz hatte Platz. Das sah man nicht nur an den breiten Straßen, die durch den kühlen Wind, der von den Hügeln herunter wehte, jeweils erfrischt wurden, sondern auch an den auffallend leeren Straßen vor den Kirchen und Palazzi. Und wenn der Platz einmal nicht mehr ausreichte, erweiterte man einfach die Mauern um unbebauten Raum und schuf neue, mehrgeschossige Häuser mit Wohnungen und Ateliers, aus denen man zu ebener Erde auf die Straße hinaustrat. So arbeitet manch ein Meister auf der Straße im flutenden Licht der Sonne und braucht seine Räume im Haus nur als Lager für Werkzeuge, Rohstoffe und die daraus entstehenden Produkte. Wenn ich an die engen Verhältnisse in meiner Heimat denke!
Hier also sollte ich nun die Jahre meiner Ausbildung zum Maler verbringen. Es war ein gutes Gefühl und ein beängstigendes zugleich, denn noch war ich der italienischen Sprache kaum mächtig, da überfuhr mich wie Donner der florentinische Dialekt, der sich in vielem von dem unterschied, was ich unterwegs mühsam gelernt hatte.«
Neben einer Landschaftsskizze, die offenbar unterwegs an einem Brunnen entstanden war, lag ein weniger gelungenes Blatt mit einer Straßenszene bei, die den Jungkünstler offenbar überfordert hatte.
Ein letzter Abschnitt galt es noch zu übersetzen: »Als ich ins Atelier des Meisters Alessandro Filipepi trat, den alle Welt Sandro Botticelli nannte, musste ich mich erst an den harten Lichtwechsel zwischen dem Sonnenschein auf der Straße und der Dunkelheit im Haus gewöhnen. Zwei oder drei Räume lagen hintereinander, man wusste nicht recht, hatte man zwei kleine Zimmer durch Heraustrennen einer Wand zusammengelegt oder hatte man einen größeren Raum durch Stellwände unterteilt. Jedenfalls entstand der Eindruck einer kleinräumigen, unübersehbaren Werkstatt. Als ich mich ans schummrige Licht gewöhnt hatte, gingen mir die Augen über, und Tränen flossen mir die Wangen hinab. Es waren Tränen der Rührung ob solcher Schönheit, die mein Blick noch nie erfasst hatte. An der Wand hingen Skizzen in Bleistift und Kohle, allen hatte wohl dieselbe galante junge Frau Modell gestanden, ein wahres Wunder an Ebenmaß und Grazilität. In den Ecken standen Holztafeln mit unfertigen Bildern, vom Porträt eines Adligen bis zu Heiligengemälden für kirchliche Zwecke, Auftragsarbeiten, so nahm ich an. In der Mitte des hinteren Raumes aber war eine Leinwand auf einen Rahmen gespannt, so groß, wie ich noch keine gesehen hatte. Die Grundkomposition war als Rötelzeichnung angedeutet, einzelne Flächen, die einen dichteren Hintergrund abgeben mussten, waren - wohl von den Gesellen - bereits eingefärbt worden, aber an den Hauptfiguren hatte noch niemand gearbeitet. Ich war bereits überwältigt, die Freiheit des Gedankens, die unbekümmerte Sorglosigkeit der Komposition, die chaotische Organisation des Ateliers - alles war so weit entfernt von dem, was ich bisher gekannt hatte. Mir wurde sofort klar, dass ich den Ort meiner Bestimmung gefunden hatte.«
Vor dem nächsten, zusammengefalteten Blatt lag die Zeichnung eines Kadavers, das halb aufgebockt auf dem Strand lag, halb im Wasser dümpelte, auf dem einige Krähen saßen und hungrig an der bereits offenen Lende pickten, während ein paar Frauen nur wenig oberhalb ihre Kleider im schaumigen Fluss wuschen.
»In den ersten Wochen habe ich noch nicht viel gesehen von dieser wunderbaren Stadt, die von einer goldenen Zukunft träumt. Über der Werkstatt von Sandro Botticelli gibt es zwei weitere Stockwerke und neben einer Dachterrasse einen Balkon, auf dem man bei Umzügen und Festen sitzen und präsentieren könnte. Wir jedoch nutzen ihn als Wäscheleine für farbgetränkte Tafeln, damit sie im steten Wind schneller trocknen und man die einzelnen Schichten ohne Verzug malen kann.
Im ersten Stock logiert der Hausherr. Dort steht auch der Kamin für die Küche, die allerdings nicht häufig benutzt wird. Gut für die Gesellen, denn wir schlafen in der zweiten Etage, und man möchte ja kein Räucherfisch werden. Das Wasser jedoch müssen wir nach wie vor am öffentlichen Brunnen holen. Ich habe aber gehört, dass die ersten Palazzi bereits eine Wasserleitung besitzen, die ins Haus hinein führt.
Für zusätzliches Personal reicht das Geld nicht, das in der Werkstatt verdient wird. Zwar hat Botticelli bereits einen sehr guten Ruf, der ja bis Straßburg gedrungen ist, aber der Meister kämpft noch mit der Zahlungsmoral seiner Kundschaft. Und auch ein bisschen mit seiner künstlerischen Sendung, denn anders als die anderen Maler, die sich als Handwerker verstehen und auf eine termingerechte Abwicklung ihrer Aufträge bedacht sind, sieht sich Sandro als Erneuerer. Er probiert gerne etwas aus, sei es vom Technischen oder vom Motiv her. So stapeln sich unverkäufliche weibliche Engel mit lasziven Gesichtern, die man in keiner Kirche dem Publikum zumuten kann. Das verursacht Materialkosten und bringt nichts ein.
So müssen denn wir Gesellen Besorgungen machen, Einkäufe tätigen und fertige Bilder abliefern. Ab und zu hat man mich schon auf den Mercato Vecchio mitgenommen, wo ein Geselle gegen geringes Entgelt einen Auftrag weitergeben konnte. Krämer und Marktfrauen treiben sich hier herum, Trödler, denen wir oft alte Bilder abkaufen, deren Holzplatten man für einen bescheidenen Auftrag noch einmal benutzen kann, Dirnen mit ihrer vulgären Sprache stehen am hellen Tag zwischen den Ständen der Fischhändlerinnen, und ab und zu erschüttert mich der Anblick von Bettlern mit fehlenden Gliedern, altgedienten Soldaten, die nach ihrer Abfindung kein Auskommen mehr haben. Es gibt eben auch eine hässliche Seite der Stadt, die wir bei unseren Käufern nicht zu Gesicht bekommen würden.
Am Tag des Allerseelenfestes, das dem Gedenken an alle Verstorbenen gewidmet ist und an dem ich mich meiner Großeltern erinnere, verfolgen wir die Messe im Dom, der erst vor wenigen Jahren eingeweiht worden ist, ein Himmelstempel, der für den Klang der Orgel gebaut...
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