Schweitzer Fachinformationen
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Seit sich Bernhard Spring aus dem Polizeidienst verabschiedet hatte, hatte Heinrich Müller nicht mehr auf die Dienste der Ermittlungsbehörden zurückgegriffen. Nun erfuhr er, wie schwierig es war, nach langen Jahren der Absenz vom Dienst wieder vertrauenswürdige Beziehungen zu Personen aufzubauen, die ihm Einblick in Akten ermöglichten. Erschwerend kam hinzu, dass Grandson in der Gerichtsbarkeit von Yverdon-les-Bains lag, der zweitgrößten Stadt im Kanton Waadt. Das ehemalige Untertanengebiet der Republik Bern ließ sich ausgerechnet aus der Bundesstadt ungern in die Bücher blicken.
Über Markus Forrer, einem alten Kollegen, der zeitweise unter Bernhard Spring gearbeitet hatte, gelang es Heinrich schließlich, einen Kontakt zur Staatsanwaltschaft herzustellen und die Akten zumindest in Kopie überstellen zu lassen. Die digitalen Daten fanden den Weg auf Müllers Computer, als ob er weiterhin zur Einheit gehören würde.
»Von mir hast du es nicht«, war einer der meistgehörten Sprüche, mit denen der Alltag des Detektivs gewürzt war. Sein polizeilicher Whistleblower benutzte ihn auch.
Zuerst einmal nahm sich Müller den Tatortbefund vor. Er ging nicht wesentlich über den Zeitungsbericht hinaus. Jemand musste mit einem Nachschlüssel den Zugang zum Schloss Grandson geöffnet haben. Es wurde bereits um das Jahr 1000 erwähnt, der heutige Bau stammte aus dem 13. Jahrhundert, eine abweisende Viereckburg im Savoyerstil, deren Mauern nun erneuert wurden. Ein massives Gerüst umgab die Burg bis auf die Höhe der Wehrgänge. Die Polizei nahm an, dass der Tote und mindestens ein Begleiter nachts in das Gemäuer eingedrungen waren, ohne Spuren zu hinterlassen. Wenn man von der Leiche einmal absah.
Die Leute hielten sich nicht lange im Eingangsbereich oder in der Kapelle auf, sie besichtigten auch die anderen historischen Räumlichkeiten nicht, sondern begaben sich geradewegs zur Folterkammer, in der neben Instrumenten der Grausamkeit aus dem Mittelalter auch Skurriles wie Keuschheitsgürtel ausgestellt waren, eher eines Kuriositätenkabinetts würdig als einer historischen Sammlung.
Die Streckbank hingegen war funktionstüchtig, das hatte das bemitleidenswerte Opfer zur Kenntnis nehmen müssen. Nicht umsonst war es früher ein beliebtes Element jeder Folter. Der Gefangene war an seinen ausgestreckten Händen über Kopf mit einem Seil angebunden. Dieses wurde über einen Rundbalken angezogen, bis die Gelenke des Opfers auskugelten – oder bis es alles gestand, was es begangen oder auch nicht verbrochen hatte. Die Knie lagen über einen Holzklotz geknickt, die Füße waren an schweren Steinen befestigt. Der Rechtsmediziner schätzte die Belastbarkeit der Sehnen und Gelenke auf wenige Minuten bis mehrere Stunden, je nachdem, wie schnell und mit welcher Kraft die Seile angezogen wurden.
Inzwischen hatte man den Mann identifiziert, denn er trug seine Brieftasche mit den Ausweisen bei sich. Er hieß Alessandro Hess, war in Bern wohnhaft, der Polizei im Übrigen unbekannt. Dieser Hess also konnte nicht allzu lange gelitten haben, denn neben den Schreien um Erbarmen, die für einen ungeübten Folterer kaum auszuhalten waren, hatte sich seiner bald eine segensreiche Ohnmacht bemächtigt, die ihm wohl nicht einmal mehr sein unmittelbares Ableben hatte bewusst werden lassen. Die tatsächliche Todesursache war nicht die Folter, sondern ein unter der extremen Belastung erlittener Herzinfarkt.
Also hatte er kaum etwas verraten, dachte Müller. Deswegen war bald mit einem neuen Opfer zu rechnen.
Der Polizeibericht hielt weiter fest, dass in einem offenen Feuergefäß Reste von Holzkohle gefunden worden waren, die nicht aus früheren Zeiten stammen konnten, denn der Raum war peinlich sauber gehalten worden. Auch lag ein länglicher Eisenstab, der dort nicht hingehörte, im Raum. Am Stab war ein Gegenstand befestigt gewesen, mit dem man dem Opfer ein Brandmal in die rechte, die Schwurhand gestanzt hatte. Neben den Fotos vom Tatort fand Heinrich Müller auch eine Vergrößerung dieses Brandmals vor, eine seltsam gezackte, halbrunde Form mit einem auf den ersten Blick kaum erkennbaren Zeichen.
»Das Siegel«, entfuhr es dem Detektiv, und er riss die Schublade auf, in der er seine Hälfte abgelegt hatte. Er legte sie auf das inzwischen ausgedruckte Foto. Sie passte!
Noch einmal rief er Markus Forrer an, den er zu einem Feierabendbier einlud. Zusammen saßen sie vor dem Computer. Müller strich sich über das schüttere Haar. Auf dem Bildschirm lagen zwei Fotos nebeneinander, das von der Hand der Leiche und eines von der zweiten Hälfte des Siegels, die Heinrich inzwischen eingescannt hatte.
»Du hast eine Grafiksoftware?«, fragte Forrer.
»Wenn wir mit Photoshop arbeiten können …«
»Ganz bestimmt. Wir fügen die beiden Bilder zusammen, indem wir sie aus ihrer Umgebung ausschneiden und in ein neues Dokument einsetzen«, sagte der Polizist. »So. Das Siegel ist wieder ganz.«
»Kann man daraus eine Gussform machen?«, fragte Müller.
»Wieso denn das?«
»Das Original bestand aus Blei mit Goldüberzug. Es war ein Hochrelief, sonst hätte man es ja nicht als Brandmarke verwenden können. Also brauchen wir ein Negativ, das diese Linien ausspart.«
»Wie alt bist du jetzt?«, wollte Forrer wissen und musterte die zunehmend kugelige Figur seines ehemaligen Kollegen.
»Was hat das damit zu tun?«, wunderte sich der Detektiv.
»Weil du in deiner einfachen Klause mit deinem Kater an der Welt vorbeilebst. Heute macht man das so: Wir erstellen eine Datei, die das gesamte Objekt millimetergenau ausmisst, dann legen wir die Dicke fest. Die Rückseite …«
»Die eigentlich die Vorderseite ist«, beeilte sich Müller, dem Prozess etwas Herrschaftswissen beizufügen.
»… lassen wir plan«, fuhr der Polizist stoisch fort. »Das Ganze senden wir per Mail an ein Unternehmen in Bern, eine 3-D-Druckerei.«
»Und was machen die?«
»Die drucken das Siegel in Hartplastik aus, als ob es nie gebrochen worden wäre.«
»Kannst du eine Expresslieferung veranlassen, damit wir es morgen vor Ort haben?« Müller blieb sachlich, aber das leise Beben in seiner Stimme konnte seine Überraschung und seine Erregung nur unschwer verbergen.
»Das Unternehmen nennt sich Polizei. Wir haben einen kleinen Drucker gekauft, um Tatspuren zu rekonstruieren, zum Beispiel um Schuhsohlen auszudrucken, damit wir sie vor Ort vergleichen können. Ich bringe dir dein Objekt morgen früh vorbei.«
Müller zeigte noch einmal auf den Bildschirm, überwältigt von den neuen technischen Möglichkeiten. »Wonach sieht das aus?«, fragte er seinen Exkollegen.
»So etwas habe ich noch nie gesehen. Die Zacken einer Krone? Dreh das Bild einmal um, wahrscheinlich steht es auf dem Kopf. Wenn wir davon ausgehen, dass der Tote jemandem etwas entreißen wollte, hat er von unten danach gegriffen.«
»Die Waadtländer Polizei geht von einem Brandmal aus, das lässt man sich nicht freiwillig einbrennen.«
»Das nicht. Vielleicht wollte er bloß nicht, dass das Siegel als das benutzt wurde, wozu es gedacht war, nämlich einen Vertrag zu bekräftigen«, sagte Forrer.
»Du glaubst, er hat seine Hand dazwischen gehalten, weil er dies verhindern wollte? Leuchtet ein.« Dann schaute er es noch mal von nahe an, kippte das Foto und sagte: »Die Darstellung ist nicht vollständig. Scheint wie vom Alter abgerieben.«
»Eine Krone ist es nicht, aber es sieht ihr ähnlich. Eine Basis, wie wenn man es auf den Kopf setzen könnte, davon ausgehend ein geschwungenes Horn, wahrscheinlich beidseits, aber nur das eine ist zu erkennen. In der Mitte ein Kreuz.«
»Erinnert mich irgendwie an diese eisernen Schuhabstreifer, nur etwas eleganter«, sagte Heinrich.
»Und kleiner. Es muss gut in der Hand liegen.«
Nachdem Markus Forrer den Schwarzen Kater verlassen hatte, begab sich Müller zurück an die Bar und wartete auf ein paar Zufallsgäste. Er legte Spooky Tooth auf, eine weitere Lieblingsband aus den Sechzigern, eine erdige Orgel, schleppender Bass und die dreckige Stimme des Sängers, der die hohen Töne nicht ganz traf, als er nach der ›Evil Woman‹ schrie.
Es war dann aber keine evil woman, die ins flackernde Licht des Schankraums trat, es war eher ein Engel, der dem Leben ein Leuchten schenkte. Ein Engel mit kurzen schwarzen Haaren und tief in die Stirn fallenden Locken.
Nicole Himmel war aus der Hölle zurück!
Jedermann dachte, sie hätte die letzten drei Jahre im Paradies verbracht. Nicole mochte nicht darüber reden.
»Gehen wir in mein Büro«, sagte der Detektiv. »Es gibt etwas, das ich mit dir besprechen möchte.«
Er ergänzte »unser Büro«, als sie im ersten Stock des Gebäudes vor der Tür standen, an der – leicht verblasst und mit einzelnen fehlenden Buchstaben – immer noch das Schild Detektei Müller & Himmel klebte.
»Willkommen zu Hause!«
Baron Biber und Mathilda hatten die beiden begleitet und verlangten ihren Anteil an der zärtlichen Begrüßung.
»Freu dich nicht zu früh«, flachste Nicole.
»Könnte schlimmer sein«, entgegnete Heinrich Müller. »Du bringst einen Fall?«
»Eine schwer durchschaubare Geschichte, bei der ich deine Hilfe brauche.«
»Du kennst meinen Tagessatz«, sagte der Detektiv.
»Ich denke, es heißt ›unsern‹?«, gab sie zurück.
»Einverstanden,...
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