Schweitzer Fachinformationen
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Als Heinrich Müller nach einer traumgeschwängerten Nacht erwachte, erwartete ihn ein giftgelber Himmel. Die Wetterprognose hatte Saharastaub angekündigt, also war der Detektiv nicht wirklich überrascht. Dennoch löste dieses Licht eine Unruhe in ihm aus, die keine genaue Ursache kannte. Es war, als ob der seit fünf Wochen tobende Krieg in der Ukraine einen Weg in den Garten des Schwarzen Katers gefunden hätte, der Basis der Detektei Müller & Himmel. Heinrich kannte zwar die Winde, die den Staub von Süden hierhertransportierten, also konnte das diesige, kränkliche Licht nichts mit Osteuropa zu tun haben. Aber die apokalyptische Botschaft trug es mit sich.
In dieser Stimmung stieg er aus dem ersten Stock in die ehemalige Bar des Schwarzen Katers hinunter, wo ihn seine Partnerin Nicole Himmel bereits mit dem Frühstückskaffee erwartete. Selbst ihr stand ins Gesicht geschrieben, dass es kein normaler Tag werden sollte.
»Markus Forrer hat angerufen. Er kommt heute Abend vorbei. Ich glaube, er hat einen neuen Fall«, sagte sie zur Begrüßung und berührte ganz gezielt die einzige graue Strähne, die sich unter ihr braunes schulterlanges Haar gemischt hatte. Der Zahn der Zeit nagte auch an ihr.
Müller vergewisserte sich: »Die drei Grazien sind ebenfalls zum Essen eingeladen?«
»Ein Familientreffen. Markus bringt noch Laura de Medico mit.«
»Wir gehen aber nicht ins Theater?«, wollte Heinrich wissen und kratzte sich am Viertagebart.
Nicole lachte.
Lucy, die Schildpattkatze der Detektei, erwachte aus einem Traum und gab ein Geräusch von sich, das einer meckernden Ziege zur Ehre gereicht hätte. Sie wälzte sich einmal über den Rücken auf die andere Seite und rollte sich wieder zu einer Kugel zusammen.
»Du solltest ihr weniger zu fressen geben«, sagte Nicole.
»Genau wie die Tierärztin«, maulte Heinrich und nahm einen Schluck Kaffee.
»Sie hat dir das schon gesagt?«
»Ja.« Heinrich redete nicht gern darüber, denn er wusste nicht, wie er die Katze erziehen sollte. »Ich habe ihr geantwortet, sie habe ein schlechtes Vorbild.« Er klopfte sich auf seinen eigenen Bauch, dem das häufigere Herumsitzen seit der Pensionierung nicht gutgetan hatte.
Die drei Grazien nutzten die Wohnung im dritten Stock nach wie vor als Rückzugsort, wenn sie sich in unregelmäßigen Abständen trafen, denn Melinda Käsbleich betätigte sich an der F+F Schule für Design und Kunst in Zürich, Phoebe Helbling machte sich an der Uni St. Gallen schlau, wo sie sich in die Wirtschaftswissenschaften vertiefte und als Fachfrau für Informatik fungierte, während Gwendolin Rauch als Einzige in Bern geblieben war und an der Uni Biologie studierte.
An den Wänden im Schwarzen Kater hingen immer noch die Fotografien der Aquarelle von Paul Klee, die im letzten Fall der Detektei eine entscheidende Rolle gespielt hatten. Niemand hatte sich dafür verantwortlich gefühlt, sie wieder zu entfernen. Nur um die eine, die den Halt verloren hatte und zu Boden gesegelt war, hatte sich Lucy gekümmert und sie behandelt, wie sie alles behandelte, das nicht an seinem angedachten Platz war und ihr Katzenuniversum störte: Sie hatte das Bild mit ihren Krallen zerfetzt. Man konnte sich darüber wundern, dass sie das Papier nicht auch noch gefressen hatte.
Alle fünf saßen beim Apéro mit einem Glas Verdejo von Rodriguez & Sanzo, das honigmelonengelb schimmerte, eine feine Zitrusnote aufwies, im Mund eine Amarenakirsche nachschob und im Abgang abtrocknete, kein Wunder, der Wein war zehn Monate in einem Sherry-Fass ausgebaut worden.
Im Hintergrund sang David Bowie von Major Tom, der aus dem Kontrollraum aufgefordert wurde, die Eiweißpillen zu schlucken und einen Helm anzuziehen, bevor er sich auf den Rückweg zur Erde machte. Als der Countdown begann, begleitet von einer verzerrten Space-Gitarre, schwebte der Astronaut längst hilflos im Weltall und bat noch wie ein Raumfahrt-Winkelried, Frau und Kinder zu grüßen, bevor er sich als »Space Oddity« - Weltraumkuriosität - auf einen Weg machte, wie er in Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« vorgezeichnet war.
»Hast du einen nostalgischen Anfall?«, dröhnte eine tiefe Stimme durch den Raum und der mit ihr verbundene Mann zog eine zierliche Frau durch die Tür, die er schnell wieder schloss, denn das Kunstlicht drinnen war wesentlich angenehmer als das Dämmerlicht draußen. Markus Forrer, Kommissar bei der Police Bern, begrüßte alle. Die Assistentin des Rechtsmediziners, Laura de Medico, musste er nicht mehr vorstellen, denn sie war inzwischen berüchtigt für ihr kulturelles Sendungsbewusstsein.
Nicole hatte für alle gekocht. Es war wie immer in der Detektei, es wurde Einfaches mit Komplexem kombiniert, heute scharf angebratene und gewürzte Lammkoteletts, ergänzt durch in Stücke gerupftes Steinhauerbrot von der Bäckerei Bohnenblust und den ersten Flugspargel des Jahres. Dazu gab es einen purpurschwarzen Syrah aus Chile, Polkura Block g+i, mit einem ausgeprägten Leder- und Stallgeruch, einen voluminösen Wein, der nach Brombeeren, Cassis, schwarzen Kirschen und Pfeffer schmeckte und dessen leichte Bitternote von den reichlich aufgetragenen Gewürzen konterkariert wurde.
»Ich beschäftige mich mit prähistorischen Kopfverletzungen«, begann Forrer nach dem Essen das Gespräch.
Nun war die Katze aus dem Sack, denn zu einem reinen Höflichkeitsbesuch war der Kommissar nicht erschienen.
»Mich interessiert deine Einschätzung als Anthropologin«, wandte er sich an Nicole.
»Woran denkst du?«, fragte sie.
Der Kommissar sagte: »Es gibt in verschiedenen Museen alte Schädel mit mehr oder weniger gut verheilten Kopfwunden. Ich meine nicht die länglichen Schnitte, die man einer Hieb- oder Stichwaffe zuordnen kann, sondern die runden Löcher.«
Nicole stellte fest: »Du redest von Trepanationen.«
»Wenn du es sagst. Was steckt genau dahinter?«
Nicole fasste sich kurz: »Man geht davon aus, dass die Menschen bereits kurz nach der letzten Eiszeit Operationen durchgeführt haben.«
»Indem sie den Schädel aufgebohrt und dann im Gehirn herumgewühlt haben?«, wollte Müller wissen.
»Letzteres wohl eher nicht. Es gibt verschiedene Umstände, die einen hohen Druck im Gehirn und damit heftige Kopfschmerzen erzeugen: Blutungen, Stürze, Schläge, Entzündungen. Man hat wohl versucht, mit einer Öffnung der Schädeldecke den Druck entweichen zu lassen. Meist hat man ein münzgroßes Stück Knochen entfernt.«
»Gruselgeschichten«, sagte Gwendolin und schüttelte sich. Ihre breiten Lippen verzogen sich bis zu den Ohrläppchen.
Melinda senkte die Augen und doppelte nach: »Wir möchten das Lamm gerne bei uns behalten.«
»Dann mag euch beruhigen, dass viele dieser brachialen Eingriffe erfolgreich verliefen«, erklärte Nicole.
Phoebe hakte nach: »Woran erkennt man das?« Ihr ohnehin schon bleiches Gesicht war inzwischen heller als das blonde Haar.
»Daran, ob die Knochenränder zugewachsen sind. Wenn nicht, ist der Schluss klar. Leider kann man auch bei verheilten Schädeln nicht sagen, wie erfolgreich die Operation gewesen ist und wie lange die Patienten überlebt haben.«
»Das Gehirn lag offen da?«, wunderte sich Gwendolin. In den Biologievorlesungen war so etwas bisher nicht vorgekommen.
»Das dürfte schwierig sein«, meldete sich Laura de Medico zu Wort und bemühte sich um Professionalität, die sie ihrer Stelle als Assistentin des Rechtsmediziners schuldete. »Wahrscheinlich hat man einen Hautlappen aufgeschnitten und ihn nach der Entfernung des Knochens wieder über die Öffnung gelegt.«
Phoebe würgte.
Nicole fuhr ungerührt weiter: »Ein Dokumentarfilm hat gezeigt, wie heutige indigene Völker das bewerkstelligen. Der Schamane kaut eine bestimmte Pflanze, speichelt sie ein und klebt die Masse auf die Wunde.«
Melinda verlangte nach einem Schnaps.
»Das Pflanzen-Speichel-Mus hat eine schmerzstillende und antibakterielle Wirkung und ist sehr effizient. Die Wunde verheilt binnen Tagen und hinterlässt kaum Narben. So ähnlich könnte es auch in prähistorischen Zeiten abgelaufen sein.«
Dann erbarmte sie sich der drei jungen Damen und brachte eine Flasche Vecchia Romagna und sieben Gläser.
»Den Brandy hat Heinrich aus der Landi mitgebracht, als er sein Auto wieder mal ausfahren musste«, sagte Himmel, als ob sie sich für seine mangelnde Qualität entschuldigen müsste, die dem Schwarzen Kater nicht angemessen war.
Heinrich nahm die seltsam geformte Flasche liebevoll in die Hand. Drei nach innen gewölbte Glasflächen bildeten das Markenzeichen des Herstellers und sahen von oben aus wie ein dreizackiger Stern.
»Etichetta nera«, sagte er und strich zärtlich über den runden schwarzen Aufkleber mit der weißen Schrift, der roten Jahreszahl »1820« und dem goldenen Haupt des Bacchus in der Mitte, das von Weinlaub und Trauben umhüllt war.
»Jetzt kannst du von Nostalgie reden«, wandte sich Heinrich an Markus. »Wenn man in den Siebzigerjahren nach Italien fuhr, galt das als edles Getränk, und man versäumte nicht, den Daheimgebliebenen eine Flasche davon mitzubringen. Damit hat man die ebenfalls mitgenommene Salami heruntergespült, die ich jeweils in einer Hinterhofsalumeria, die eher einer aufgelassenen Garage glich, vom Wursthimmel schnitt und die zu Hause in der Küche erst noch zwei bis drei Monate trocknen musste, bevor sie genussreif war. Tempi passati«, seufzte er. »Heute kriegt man beides im Bauerngroßmarkt zu Discountpreisen.«
Die leichte Süße und der Geschmack...
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