Schweitzer Fachinformationen
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Der 11-jährige Ben setzt sich verunsichert auf seinen Platz. Die Lehrerin hat ihn bei der Begrüßung kaum angeschaut und nur flüchtig Guten Morgen gesagt. Ben grübelt: Warum ist die Lehrerin bloß unzufrieden mit mir? Ist meine Mathearbeit schlecht ausgefallen?
Als die Lehrerin Bens Verunsicherung und auch die der anderen Kinder bemerkt, erklärt sie der Klasse, dass sie müde und besorgt ist, weil ihr Kind in der vergangenen Nacht krank wurde und sie es ins Krankenhaus bringen musste. Dann teilt die Lehrerin die Mathearbeit aus. Ben ist Zweitbester. Er ist sehr zufrieden. Er spürt auch die Anerkennung von der Lehrerin und den anderen Kindern; manche schauen sogar ein bisschen neidisch zu ihm herüber.
Menschen jeden Alters wollen sich angenommen fühlen. Wie Ben reagiert auch ein gestandener Bankbeamter auf ein distanziertes Verhalten seines Vorgesetzten. Besonders Kinder aber brauchen für ihr Wohlbefinden ein Gefühl von Angenommensein. Ihr Selbstwertgefühl hängt wesentlich davon ab, ob sie die notwendige Anerkennung von den Erwachsenen und den anderen Kindern bekommen. Schließlich wollen sie mit ihren Leistungen sich selbst und den Erwartungen anderer wie der Lehrerin genügen können. Wohlbefinden, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit machen Kinder stark. Sie geben ihnen das Gefühl, ein gutes Leben zu führen, sich selbst zu mögen und ihren Alltag im Griff zu haben.
Wie sich ein Kind fühlt, etwa wenn es in der Schule überfordert wird, bestimmt sein Verhalten - und oft, wie erfolgreich es ist. Ist es in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt und verfügt über ein geringes Selbstwertgefühl, schwächt das seine Beziehungsfähigkeit. Seine Lernmotivation und sein Leistungsvermögen werden durch die innere Unsicherheit ebenfalls herabgesetzt. Kinder können ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihr Wissen nur ungenügend einsetzen, wenn sie sich unwohl fühlen und verunsichert sind. Schlimmstenfalls leiden ihr Wohlbefinden, Selbstwertgefühl und ihre Selbstwirksamkeit derart, dass sie überzeugt sind: Mich mag niemand, ich kann nichts, ich bin nichts wert. Eine solch tiefe emotionale Verunsicherung erleben Kinder als Stress, der zu psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Verdauungsstörungen führen kann.
Ein Kind fühlt sich dann wohl, wenn es seine körperlichen und psychischen Bedürfnisse befriedigen und seine Fähigkeiten entfalten kann. Dafür sollte es möglichst in Übereinstimmung mit seiner Umwelt leben dürfen. Wenn wir es als Eltern, Erzieherinnen und Lehrer darin ausreichend unterstützen, wird aus dem Kind ein junger Erwachsener mit einer positiven Grundstimmung, einem guten Selbstwertgefühl und einer guten Selbstwirksamkeit. Dies zu gewährleisten ist das Hauptanliegen des Fit-Prinzips.
Die nachfolgende kurze Übersicht über die verschiedenen Kapitel des Buches soll der Leserin und dem Leser aufzeigen, von welch großer Bedeutung so unterschiedliche Themen wie Vielfalt der Grundbedürfnisse und Fähigkeiten, das Zusammenwirken von Anlage und Umwelt und die Gesetzmäßigkeiten der kindlichen Entwicklung für das Verständnis des Fit-Prinzips sind, aber auch von Misfit-Konstellationen, einer fehlenden Übereinstimmung zwischen Kind und Umwelt.
Wären alle Kinder gleich, wäre Erziehung nicht gerade ein Kinderspiel, aber doch sehr viel einfacher. Wenn gleichaltrige Kinder gleich viel essen würden, im selben Alter zu sprechen anfingen und in der Schule gleich gut lesen könnten, gäbe es weit weniger Erziehungsprobleme. Was den ganzen Mehraufwand jedoch bei Weitem aufwiegt und Kinder so kostbar macht: Jedes Kind ist als Person und in seinem Werdegang einzigartig.
Kinder sind bereits bei der Geburt sehr verschieden und werden es im Verlauf ihrer Entwicklung immer mehr. So gibt es unter gleichaltrigen Kindern solche, die doppelt so viel essen wie andere. Während das eine Kind mit 12 Monaten die ersten Wörter spricht, ist ein anderes erst mit 30 Monaten so weit. Die meisten Kinder lernen im Alter von etwa 7 Jahren Rechnen. Einige bringen sich das Rechnen bereits mit 4 bis 5 Jahren selbst bei, anderen gelingt dies erst Jahre später. Früh entwickelte Mädchen bekommen mit 10 Jahren ihre Regel, spät entwickelte erst mit 16 Jahren. Das Normale an der kindlichen Entwicklung ist Vielfalt.
Es ist offensichtlich und niemand wird bestreiten, dass gleichaltrige Kinder verschieden groß und schwer sind. Zu akzeptieren, dass geistige Fähigkeiten wie Sprache und Zahlenverständnis ebenfalls unterschiedlich angelegt sind, fällt - insbesondere bei den eigenen Kindern - weitaus schwerer. Dabei entwickeln sich diese Fähigkeiten von Kind zu Kind noch sehr viel unterschiedlicher als Körpergröße und Gewicht.
Gleichaltrige Kinder können so verschieden sein, dass eine erzieherische Haltung, die dem einen Kind entspricht, bei einem anderen verfehlt sein kann. Je mehr es uns gelingt, uns auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kinder einzustellen, desto besser werden sie sich entwickeln und desto geringer wird der erzieherische Aufwand sein. Viele erzieherische Schwierigkeiten treten gar nicht erst auf, wenn wir uns an der Individualität des Kindes orientieren.
Von den Normvorstellungen Abschied zu nehmen ist nicht einfach, und der Individualität eines Kindes gerecht zu werden ist anspruchsvoll. Dafür müssen wir als Eltern, Bezugspersonen und Fachleute unsere Erziehungshaltung immer wieder hinterfragen und uns immer wieder neu auf das Kind einstellen.
Roger Federer ist einer der erfolgreichsten Tennisspieler aller Zeiten. Er ist bei 20 Grand-Slam-Turnieren als Sieger hervorgegangen und hat die Weltrangliste mehr als 300 Wochen lang angeführt. War er so erfolgreich, weil er mit einem außerordentlichen Talent gesegnet ist, weil er sehr viel trainiert hat oder weil sich Begabung und Trainingseifer ideal ergänzt haben? Wenn Jugendliche einen dicken Harry-Potter-Band in einer Woche verschlingen, während einige ihrer Schulkameraden selbst eine kurze Notiz in einer Boulevardzeitung nur mit Mühe entziffern können - ist das so, weil ihre Lesekompetenzen so verschieden angelegt sind, oder liegt es daran, dass Elternhaus und Schule sie unterschiedlich unterstützt haben, oder trifft beides zu?
Die Frage, was an der Entwicklung und am Verhalten eines Kindes Ausdruck seiner Veranlagung und was erziehungsbedingt ist, treibt Eltern und Pädagogen gleichermaßen um. Sich darüber Klarheit zu verschaffen ist überaus wichtig, denn je nachdem, ob wir annehmen, dass ein bestimmtes Verhalten angeboren ist oder durch die Erziehung bestimmt wird, verhalten wir uns unterschiedlich. Fakt ist: Es ist immer sowohl Anlage als auch Erziehung beziehungsweise Erfahrung. So ist der tägliche Schlafbedarf biologisch vorgegeben. Die Eltern können die Schlafdauer ihres Kindes nicht bestimmen, sondern müssen sich darauf einstellen, dass es ein Kurz- oder Langschläfer sein kann. Hingegen können sie bestimmen, wann das Kind ins Bett geht, und können dafür sorgen, dass das abendliche Zubettbringen zu einer innigen Viertelstunde wird, die das Kind entspannt einschlafen lässt.
Was die Anlage zur Entwicklung beiträgt, kann die Umwelt nicht leisten. Was die Umwelt dazu beträgt, kann die Anlage nicht leisten. Es geht also darum zu verstehen, wie Anlage und Umwelt zusammenwirken.
Jedes Kind wird mit einem riesigen Entwicklungspotenzial geboren, das im Verlauf von Jahrmillionen entstanden ist und sich bewährt hat. Dieses ihm eigene Potenzial will das Kind verwirklichen. In den ersten Lebensmonaten beginnt es nach Gegenständen zu greifen und sie kennenzulernen. Mit einem Jahr kann es laufen und einige Worte verstehen. Mit 3 Jahren beginnt es zu zeichnen und mit dem Dreirad herumzufahren. Mit 5 Jahren spricht das Kind einigermaßen fehlerfrei und verfügt über ein einfaches Zahlenverständnis. Nun kommt es in die Schule, und die Entwicklung seiner Fähigkeiten macht bis zum Abschluss der Pubertät noch einmal einen Quantensprung. Das Kind rekapituliert innerhalb von etwa 20 Jahren eine immense Wegstrecke der Evolution - gewissermaßen im Schnelldurchlauf.
In jedem Lebensabschnitt reifen bestimmte Fähigkeiten und Verhaltensweisen heran, die das Kind durch Erfahrungen zur Entfaltung bringen will. So interessiert sich jedes Kind für Buchstaben, aber erst wenn die Fähigkeit zum Lesen herangereift ist. Dieser Auffassung vom Kind und von seiner Entwicklung werden Eltern und Lehrer kaum zustimmen, wenn sie davon ausgehen, dass ein Kind umso größere Fortschritte macht, je mehr Fertigkeiten mit ihm eingeübt werden und je mehr Wissen ihm angeboten wird. Das Kind ist aber keine Knetmasse, die man beliebig formen und an das man willkürliche Anforderungen stellen kann. So vermag sich ein Kind frühestens mit 4 Jahren in andere Menschen einzufühlen und hineinzudenken. Zuvor ein empathisches Verhalten vom Kind zu verlangen, etwa im Umgang mit einem jüngeren Geschwister, überfordert es.
Es ist ein Anliegen dieses Buches aufzuzeigen, dass jedes Kind lernen will, aber auf seine Weise und in seinem Entwicklungstempo. Wenn wir uns als Eltern und Erzieher an der individuellen Entwicklung eines Kindes und den Gesetzmäßigkeiten der kindlichen Entwicklung orientieren wollen, müssen wir unsere Erwartungen und unseren Umgang mit dem Kind immer wieder hinterfragen.
Kinder entwickeln sich dann gut, wenn sie ihre körperlichen und psychischen Grundbedürfnisse ausreichend befriedigen können. Das Bedürfnis nach Geborgenheit und Zuwendung ist dabei genauso elementar wie körperliche Bedürfnisse, etwa...
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