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Sarah Contis zweiter Fall führt die Ermittlerin in die Abgründe der Zürcher Kunstszene. Nach der Vernissage einer Ausstellung über die Kunst nordkoreanischer Dissidenten wird im neuen Chipperfieldbau des Zürcher Kunsthauses die Leiche einer Frau entdeckt. Die Mordwaffe: ein provokantes Kunstwerk. Das Mordopfer: eine scharfzüngige Kulturjournalistin, die sich mit ihrer Arbeit mehr Feinde als Freunde machte. Die Tat: eine beinahe künstlerisch inszenierte Hinrichtung. Je tiefer Sarah Conti in das Labyrinth der möglichen Täter eintaucht, desto verwirrender werden die Spuren. Auf der Suche nach dem Mörder gerät die Kommissarin in eine Welt, in der Geld und Schweigen unheilige Allianzen eingehen.
Der Schnee lag schwer und dicht. In der Nacht hatte es abermals geschneit, sodass das Schweizer Mittelland wie ein sanft gefalteter Teppich erschien, aus dem einzelne Berge und Hügelzüge verschlafen herausragten. Sogar die Seen lagen ganz still in diesem Muster aus Flächen und Kämmen. Der Nebel saß tief und ließ die Ufer verschwimmen.
Gegen Morgengrauen war von Westen her ein scharfer Wind aufgekommen. Hätte sich ein tüchtiger Berggänger um diese Zeit in die Steilhänge des Pilatus verloren, so hätte er gehört, wie die Bise geradezu furios um die granitenen Zinnen des Gipfels tobte. Und vielleicht hätte er auch gesehen, dass die schwarzen Dohlen dagegen anflogen, mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung, und sich immer wieder blitzschnell fallen ließen, um das Spiel gleich wieder von vorne zu beginnen.
Februar. Ein Monat mit wenig Charakter. Ein reichlich langweiliges Zwischendurch, das bloß den Vorteil hatte, den ewig langen Januar gestoppt zu haben und dem lebhaften März vorauszueilen. So war es doch, wenn man ehrlich war und nicht voreingenommen, weil der eigene Geburtstag zufällig in den Februar fiel.
Sarah war allerdings der Meinung, dass kaum ein Monat besser geeignet war, in Ruhe und Zuversicht seine Arbeit zu tun. Als sie ihrem Kollegen Carl davon erzählt hatte, die Theorie der Monate und ihrer Charaktere beschrieben hatte, hatte der nur gelacht und gesagt, es sei bemerkenswert, dass die große Ermittlerin so kalenderverbunden sei.
Früh um acht Uhr schwamm sie im Pool des Hotels. Wie es ihre Gewohnheit war, wenn sie Zeit dafür hatte: eine knappe Stunde, geübt, konzentriert, ein starkes Hin und Her. Und ein Ritual, bei dem der Kopf bald ausgeknipst war, dieses Gehirn, das sonst so mächtig in Bewegung war, kombinierte, Schlüsse zog, Ideen herankommen ließ, prüfte, wieder verwarf.
Zum Ende der Übung stieg sie durch eine Schleuse in den Warmwasserteil, schwamm nach draußen, spürte die eiskalte Luft wie eine Ohrfeige, umrundete ein paar steinerne Sitze und fand sich an der Längswand wieder, die als Terrasse oder Balustrade in spektakulärer Weise den Blick freigab: auf den Vierwaldstättersee, aber noch viel weiter, weit hinab und hinein ins Seeland, dann nach Nordosten hin zum Zugersee, und wenn die Sicht klar war, konnte man sogar die Kapellbrücke, das Wahrzeichen der schönen Stadt Luzern, erkennen, wie auf einem Plakat, das von ununterbrochenen Sommerfreuden und heiteren Vergnügungen erzählte.
Jetzt schien nichts davon wahr. Es war Winterzeit, die Starre im Land, und massenweise kahles Gehölz, das wie tot in der Gegend stand.
Sarah senkte den Kopf. Sie bemerkte, wie steil das Gelände unter dem schwebenden Infinitypool nach unten rauschte. Rechter Hand verlief die Trasse der Standseilbahn, die Talstation lag direkt am See und machte in dieser Jahreszeit einen traurigen Eindruck. Nach links hin türmte sich das Massiv des Pilatus. Noch lange nicht die Nordwand des Eigers, dachte Sarah amüsiert. Aber dennoch etwas Drohendes, Finsteres, Lauerndes.
»Na, schon fertig? Belebt und gestählt?«
Fred war kaum hörbar von hinten herangeschwommen und hatte seine Hände auf Sarahs Schultern gelegt. Sie zuckte zusammen, lachte und wand sich.
»Du hast ja Nerven. Lässt mich ganz alleine schwimmen und kommst dann aus dem Nichts und spielst den Inquisitor. Nicht unbedingt die feine Art.«
Es war nicht ernst gemeint. Es gab, seit sich die beiden kennengelernt hatten und ein Paar mit Phasen und Pausen geworden waren, fast durchweg diesen leicht ironischen Ton. Diesen Sound aus Wohlsein, Augenzwinkern und Distanz, sogar einer Spur von Diplomatie. Als wüssten beide, Sarah und Fred, dass ein bisschen Komödie dieser Beziehung mehr Elan und Profil verleihen würde als die pure Passion, die Paare packte, bis sie auseinanderliefen, um in den nächsten Sturm zu rennen. Mit anderen ähnlichen Partnern.
»Und? Gefällts dir? Hält es, was es versprach?«, fragte Fred.
»Frag nicht, als wärst du Reiseleiter. Oder ein Hotelier. Es muss ja nicht immer alles aufgehen. Aber ja, es gefällt mir, und eigentlich ist es genau die richtige Jahreszeit . Jedenfalls für mich.«
Sarah nahm Freds Arme und zog ihn zu sich, während ihr Blick zur langen Front der Fenster wanderte, die den Innenpool vom Außenpool trennten. Zu dieser Stunde war drinnen wenig zu erkennen. Sie sah ein Paar, das sich in die weißen Bademäntel des Hotels gehüllt hatte und den Liegen zustrebte. Die beiden Bademäntel waren kaum mehr als helle Schemen. War es Täuschung, dass sie heftig, ja feindlich gegeneinander gestikulierten?
»Du hast mir gesagt, dass du schon lange mal auf den Bürgenstock wolltest. Auf den Spuren von Audrey Hepburn«, sagte Fred, dessen Atem schneller ging.
»Klar. Die Goldenen Fünfziger. Viel Stil, viel Geld. Teure Autos, schöne Frauen. Tempi passati.« Sarah seufzte. Ihre Stimme klang spöttisch.
»Na komm. Du bist doch tausendmal näher bei Audrey als bei .«
Sie unterbrach: »Als bei den Kardashians?«
Freds Lachen fuhr wie eine Fanfare durch die Morgenstille. »Donnerwetter. Frau Doktor Conti kennt die Kardashians. Wer hätte das gedacht!«
So ging es noch ein paar Minuten weiter, entspannt, harmlos, gelöst. Sarah war überrascht, dass sie sich so gehen lassen konnte. Aber es stimmte. War sie mit Fred zusammen, was nicht an der Tagesordnung war, kam eine fast ungekannte Heiterkeit auf. Eine Nonchalance bei guten Gefühlen, die das Leben als Single echt bereicherte. Man konnte es nicht anders sagen. Und das Beste war, dachte sie, dass sich das eine mit dem andern verbinden ließ. Nicht immer ganz konfliktfrei, aber für beide Seiten mit Gewinn. Schon freute sie sich wieder auf das Alleinsein in ihrer Wohnung, und wenn sie dort Klavier spielen oder Musik hören würde, wäre sie auch bald wieder bereit für Fred.
Als hätte Fred Sarahs Gedanken gelesen, drückte er sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr.
»Wir sind doch wirklich ein tolles Paar. Du und ich. Die Detektivin und der Werber. Die Jägerin und der Verkäufer. Die Philosophin und der Gentleman.« Fred war in Fahrt gekommen.
»Stimmt. Völlig richtig. Solange du mich nicht heiraten willst und die Regeln beachtest«, sagte Sarah. Es sollte lustig klingen.
Fred zuckte zurück. Er schien irritiert. Das war nicht nötig gewesen, und Sarah wusste es spätestens, als sie in sein Gesicht schaute. Die braunen Hundeaugen waren trüb geworden.
Vor Jahren hatte Fred alles auf eine Karte gesetzt. Er hatte Sarah nach Lissabon eingeladen, in ein Hotel, das herrlich auf einem bunten Hügel lag, und am zweiten Abend hatte er alles gegeben, was zu geben war, indem er draußen, auf der Terrasse, auf die Knie gegangen war, ihr, Sarah, einen unerhörten Ring überreicht und sie halb trotzig, halb schüchtern gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle. Das war, wenn man es genau nahm, ein Tiefpunkt ihrer Beziehung geworden.
»Pardon, mein Liebster. Das war grob, nicht so gemeint. Nehme ich hiermit feierlich zurück.«
Sie klopfte Fred auf die Schulter, tauchte ab und schwamm mit raschen Zügen zurück, stieg durch die Schleuse, trocknete die Haare und warf sich den Bademantel über.
Fred folgte ihr wie ein Schatten.
Der Tag versprach wenig Schönes. Das Wetter blieb bedeckt, manchmal verhüllten Schneeschauer das Gebirge, manchmal pfiff ein steifer Wind. Warum auch nicht, Sarah war nicht auf den Bürgenstock gekommen, um eine Postkarte zu genießen. Sie wollte Ruhe, Komfort, ein gutes Glas Wein. Und sie wollte Fred, natürlich, im Bett, aber auch anderswie und anderswo, eigentlich sogar genau so, wie er im Pool gewesen war, mitsamt seiner Lebensfreude, seiner Verletzlichkeit, mitsamt seinem Sportsgeist, der niemals nachtragend war. Und ein weiteres Gütesiegel: Fred war kein Macho.
Nach dem Frühstück waren die beiden zwei kurze Stunden durch die Gegend gelaufen, oder vielmehr gestolpert, denn der Schnee stand hoch und die Füße sanken tief in die Wege hinein, die nicht mehr gepfadet waren, nur noch die roten Holzstöcke als Markierungen gelten ließen. Nachdem sie die Höhe erreicht hatten, die hier eine Kanzel bildete, sahen sie den Gipfel des Rigi, der kaum mehr war als die Silhouette eines Dreiecks gegen das dunkle Grau des Himmels.
»Es ist kalt. Saukalt. Wir kehren um. Sauna ist angesagt.«
Fred hatte das Kommando übernommen. Er fasste ihre Hand, und gemeinsam stapften sie zurück, während sie bei jedem Schritt das Knie heben mussten, um voranzukommen. Wie Kinder in einem Bilderbuch, dachte Sarah.
Der letzte Fall war hart gewesen. So brutal und obendrein komplex, dass Sarahs ganze Energie gefordert gewesen war. Das gesamte Team war an seine Grenzen geraten. Carl Vormüller, der Elefant, der selten aus der Ruhe geriet, war am Schluss erschöpft und wütend gewesen. Lisa, die junge Assistentin, war oft erregt gewesen, hatte allerdings auch einiges gelernt. Sarah war äußerlich fast durchweg kühl geblieben, bei sich selbst, aber wenn sie ehrlich war, stimmte das nur zum Teil.
Wieder schien Fred ihre Gedanken gelesen zu haben. Wenn das so weiterging, wurde es unheimlich.
»Du brauchst einen neuen Fall. Etwas sanfter als das letzte Mal, etwas . etwas zivilisierter. Aber .« Fred ließ den Satz ins Leere laufen.
Sie hatten sich auf ihre Liegen gekuschelt. Fred hatte in einer Zeitschrift geblättert, Sarah hatte im Don Quijote gelesen.
»Ausgerechnet jetzt? Wo ich endlich drei Tage des Friedens und der Freude mit meinem Liebhaber genieße? Du spinnst.« Sie warf Fred eine Banane zu, die dieser geschickt auffing,...
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