Schweitzer Fachinformationen
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Nicht schon wieder! Mit einem abgrundtiefen Seufzen wälzte ich mich auf die andere Bettseite und ließ die Zeitanzeige meines Handys aufleuchten. Weit nach Mitternacht. Meine Augen brannten vor Müdigkeit und mein ganzer Körper fühlte sich bleiern vom Jetlag, aber an Schlaf war nicht zu denken. Und das lag nicht daran, dass ich noch zu aufgewühlt von der Reise gewesen wäre oder zu aufgeregt, weil ich morgen meinen ersten Arbeitstag vor mir hatte. Nein, das lag ausschließlich an den Geräuschen auf der anderen Seite der dünnen Sperrholzwand direkt neben mir.
Es begann mit einem unterdrückten Kichern. Dann folgten Flüstern und Wispern - unfassbar, wie laut manche Menschen flüstern können! Schließlich ging es in rhythmisches Stöhnen (von ihm) und vereinzelte spitze Schreie (von ihr) über, untermalt von immer schneller werdendem Quietschen des gequälten Bettgestells. Und das jetzt schon zum dritten Mal im Verlauf der letzten zwei Stunden. Bekamen die denn nie genug?
Ich zog mir das Kissen über den Kopf, aber auch die klumpigen Daunen konnten die unmissverständlichen Laute aus dem Nebenzimmer nur unzureichend dämpfen. Genervt feuerte ich das Kissen in die Ecke und knipste die Nachttischlampe an. Das hätte ich besser gelassen! Im matten Lichtschein wurde mir die ganze Erbärmlichkeit meiner neuen Unterkunft erneut so richtig bewusst.
Ein behagliches Nest im pulsierenden Herzen von Manhattan, so stand es in der Zimmerbeschreibung der Onlineagentur, bei der ich von Deutschland aus gebucht hatte. Knapp 800 Dollar kostete es im Monat, ein Batzen Geld, aber bei den immens hohen New Yorker Wohnungspreisen quasi ein Schnäppchen. Zumindest glaubte ich das, bis ich das »behagliche Nest« heute zum ersten Mal gesehen hatte.
Bett, Nachttisch und eine wackelige Kleiderstange waren die einzigen Möbelstücke, mit denen der Raum bereits an seine Auslastungsgrenze stieß. Mein aufgeklappter Koffer füllte die verbliebene Bodenfläche, bislang hatte ich es nicht über mich gebracht, meine Sachen auszupacken. Ein muffiger Geruch erfüllte den stickigen Raum, was kein Wunder war, denn er besaß kein Fenster.
Diese Unterkunft war nicht nur weit davon entfernt, »behaglich« oder ein »Nest« zu sein, im Grunde war sie sogar weit davon entfernt, ein Zimmer zu sein! Eine Abstellkammer, das traf es am ehesten. Nur durch eine Sperrholzplatte vom Schlafzimmer der Vermieter getrennt, was der Erbärmlichkeit des Ganzen zusätzlich eine akustische Dimension verlieh.
Ich brauchte Gummibärchen - jetzt sofort! Und zwar grüne, denn die beruhigen die Nerven. Ich durchwühlte das Beuteltier, meine Vintagetasche, bis meine Hand auf eine zerknitterte Haribo-Tüte stieß. Doch nach dem stressigen Reisetag waren keine grünen Bären mehr da. Gequirlter Mist! Dann mussten es halt die orangefarbenen Stimmungsaufheller tun! Fünf waren noch in der Packung. Ich stopfte sie alle in den Mund und kaute langsam mit geschlossenen Augen, aber meine miese Laune besserte sich davon nicht, vermutlich weil die Störgeräusche aus dem Nebenzimmer jetzt auf ihren Höhepunkt zusteuerten. Quietsch, quietsch . stöhn, stöhn . quietsch, quietsch . Das war ja nicht zum Aushalten!
Im Fluchtreflex schwang ich die Beine über die Bettkante und bemerkte meinen Fehler erst, als meine Zehen den Boden berührten, der eine Oberflächenhaftung wie Sekundenkleber hatte. Bäh! Ich schlüpfte in meine Socken, nahm meine Brille vom Nachttisch und schob sie auf die Nase. Bloß raus hier! Am Koffer vorbei quetschte ich mich aus der Abstellkammer, durch einen winzigen Flur in die Küche.
Aber auch dort: ein Schauplatz des Grauens. Dreckiges Geschirr stapelte sich in der Spüle, leere Flaschen auf der Arbeitsplatte, Teller mit Speiseresten auf dem Küchentisch. Als ich mich müde auf einen der Stühle fallen ließ, huschte etwas neben mir über die Resopalplatte. Nur mit Mühe konnte ich ein Kreischen unterdrücken.
War das etwa eine Küchenschabe? Vermutlich! Die New Yorker Kakerlaken waren ja angeblich überall, wo es etwas Essbares zu finden gab - und diese Küche musste für die ekligen Insekten das reinste Schlaraffenland sein. BÄH! Schaudernd rieb ich über meine nackten Oberarme, zu müde, um weiter an Flucht zu denken. Wenigstens lag die Küche weit genug vom Schlafzimmer entfernt, sodass ich nicht mehr mit anhören musste, wie dort das Bett gequält wurde.
»Besser Küchenschaben als Bettwanzen«, versuchte ich mich selbst aufzumuntern und der treffende Spitzname für meine hormongesteuerten Vermieter entlockte mir ein Kichern. Ein ziemlich hysterisches Kichern, wie ich mir eingestehen musste. Die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt, ließ ich meine Stirn in die Handflächen sinken und lauschte dem steten Rauschen des Verkehrs und dem fernen Sirenengeheul vor dem Fenster.
Das war New York. ICH war in New York! Leider empfand ich darüber gerade keinerlei Begeisterung. Im Gegenteil: Meine Brust fühlte sich plötzlich eng an, meine Augen brannten stärker, nicht nur vor Müdigkeit, und in meinem Kopf tauchte das Bild einer anderen Küche auf - unserer Küche daheim - und mittendrin Omama, die Kakao kocht. Na toll, ich war gerade einmal vierundzwanzig Stunden von zu Hause weg und schon überkam mich Heimweh. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt!
Dabei war bisher alles nach Plan gelaufen! Der Flieger hatte keine Verspätung, der Zollbeamte ignorierte meinen gigantischen Koffer, in dem ich problemlos ein Zwergpony hätte schmuggeln können, und der verkniffene Typ an der Passkontrolle winkte mich gelangweilt durch, nachdem ich brav meine Fingerabdrücke und einen Iris-Scan hinterlassen hatte.
Und dann die Stadt selbst! Ich hatte ja noch nicht viel davon gesehen, aber mein erster Eindruck war noch viel atemberaubender, als ich es mir vorgestellt hatte: überall Hochhäuser, die geradewegs in den Himmel zu wachsen schienen, auf den Straßen ein Verkehrsinfarkt aus hupenden gelben Taxis und Bussen, zwischen denen sich ein paar selbstmörderische Radfahrer hindurchschlängelten, und Menschen, überall Menschen aller Nationalitäten, die im Laufschritt mit Handys, Kaffeebechern und Aktenkoffern jonglierend durcheinanderrannten, als würden sie einer ausgefeilten, geheimen Choreografie folgen. Es war laut, schnell und unfassbar groß - einfach großartig!
Wenn man also von der unbedeutenden Tatsache absah, dass ich im vermutlich dreckigsten, fiesesten Appartement der ganzen Stadt gelandet war, lief alles genau nach Plan! Das war eigentlich beruhigend, denn ich machte für alles Pläne. Nur ein einziger davon hatte bisher nicht funktioniert - wegen Jens, dem emotionalen Analphabeten! - und dieser Fehlschlag hatte sich am Ende als glücklicher Zufall entpuppt, denn mein Plan B war viel besser als Plan A.
Plan A war gewesen, nach dem Abi mit Jens Journalistik zu studieren. Dann machte er jedoch mit mir Schluss, angeblich weil seine Neue nicht so verkopft war wie ich. Ich vermutete aber eher, dass es mit den drei Körbchengrößen mehr zu tun hatte, die unterhalb ihres Kopfes hingen. Mit Jens an derselben Uni zu studieren, kam danach für mich nicht mehr infrage. Aber leider waren die Bewerbungsfristen an sämtlichen Unis bereits abgelaufen! Und ich hatte mich nur an einer einzigen zusammen mit Jens beworben. Das war erstens sehr untypisch für mich und zweitens saublöd, wie mir später klar geworden war.
Doch dann erhielt meine Omama von einer Bekannten aus New York den Tipp, ich sollte mich bei dem aufstrebenden Magazin Zeitgeist bewerben. Was ich tat. Das war Plan B - und er ging auf! Anstatt mit meinem Ex an einer tristen deutschen Uni zu studieren, würde ich bei einem Lifestyle-Magazin in der Weltmetropole arbeiten - zunächst zwar nur für einen unbezahlten Probemonat, aber der Chefredakteur Leonard Frey hatte mir bei meiner Bewerbung anschließend ein bezahltes Jahrespraktikum in Aussicht gestellt. Das war genau die Zeit, die ich überbrücken musste, bis ich mit dem Studium an einer anderen Uni beginnen konnte. Und ich hatte keinen Zweifel, dass ich es schaffen würde, dieses Jahrespraktikum zu bekommen.
Dieser tolle Job und mehr als 6000 Kilometer, die mich von dem emotionalen Analphabeten trennten, waren zwei gute Gründe, nach New York zu gehen. Und natürlich hatte ich noch einen dritten, denn für wichtige Entscheidungen brauche ich immer drei gute Gründe. Dieser dritte war eine in winzige Fitzel zerrissene und mit Tesafilm wieder zusammengeklebte Postkarte, die ganz unten in meinem Koffer lag. Was ich damit anfangen würde, wusste ich noch nicht, aber ich würde mir etwas einfallen lassen.
So bin ich: Ich nehme die Dinge gern selbst in die Hand. Und ich bin überzeugt davon, dass ich alles erreichen kann, wenn ich mich nur genug anstrenge. Ob ich es allerdings schaffen würde, in diesem Appartement einen ganzen Monat lang zu wohnen, ohne Herpes oder womöglich etwas Schlimmeres zu bekommen, dessen war ich mir keineswegs sicher! Aber darüber würde ich morgen nachdenken. Jetzt war ich einfach zu müde . Ein verhaltenes Räuspern, gefolgt von einem schleimigen Röcheln riss mich aus dem Schlaf. Mühsam hob ich den Kopf von der Tischplatte, was ein schmatzendes Geräusch verursachte. Bäh! Angeekelt wischte ich mir über die Stirn und rückte meine verrutschte Brille zurecht. War ich etwa mitten in diesem Dreck eingeschlafen? Offensichtlich! Und was hatten die Küchenschaben getrieben, während mein Kopf zwischen ihrem Festmahl geruht hatte? BÄH!
»Morgen«, brummelte mein Vermieter und kratzte sich ausgiebig im Schritt, der nur mit einer ausgeleierten Boxershorts verhüllt war. Wie hieß er noch mal? Brian, Brendan, Bernard .? Mit...
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