Schweitzer Fachinformationen
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Alles um mich herum lief ab wie im Schnellvorlauf eines Videorekorders. Bis eben noch war ich Gärtnergehilfe in Grün mit selbstsicherer Einstellung, und wie aus heiterem Himmel wurde ich zum absolut verunsicherten angehenden Totengräber im Blaumann.
Da stand ich also Montagmorgen im Bauhof und wartete gespannt auf meinen neuen Kapo. Erwin kannte ich nur aus der Umkleidekabine: Man sah sich und sagte kurz hallo. Gärtner und Totengräber waren nun mal zwei verschiedene Welten. Keiner wurde so recht mit der anderen Gruppe warm.
Ich wartete in voller Montur. Als ich gerade mein Zippo anschnippte und mit großen Zügen eine Kippe durchzog, kam Manne auf mich zu.
»Hey, Rusty, wo ist dein neuer Kapo? Hat er dich vergessen?«
In dem Moment sah ich aus dem Augenwinkel eine Hand auf meine Schulter zukommen. Patsch! - und mein Schlüsselbein wurde neu versetzt. Erwin, der Mann fürs Grobe, stand da und gab mir keine Möglichkeit, Manne zu antworten.
»Manne, ab heute gehört der zu uns«, tönte er. »Ab heute wird er ein Mann, ab heute ist Schluss mit lustig!«
Manne erwiderte Erwins Grinsen.
»Versaut mir meinen Rusty nicht«, sagte er und sah mich an. »Rusty, halt die Stellung und lass dich von denen nicht verarschen. So was machen die gern mit neuen Kollegen.«
»Ach was«, konterte Erwin lachend. »So etwas machen wir nicht.« Er grinste mich an. »Jetzt komm erst mal mit! Ich stelle dich den anderen vor.«
Ich kam mir vor wie an meinem ersten Arbeitstag, weil ich wieder einem Vorgesetzten hinterhertrottete.
Bald hörte ich das Tröten des Baggers. Als wir uns näherten, ließ Erwin 'nen Brüller und fuchtelte in Richtung Baggerführer.
»Mach mal das Ding aus!«, schrie er.
Der betäubende Lärm verstummte. Erwin wies auf mich und den Baggerführer.
»Ihr kennt euch? Also, das ist Rusty, euer neuer Kollege, und das hier ist der Matte.«
»Hallo. Willkommen an Bord.«
Vor mir war ein geöffnetes Grab, aus dem eine Leiter ragte. Aus dem Grab ertönte das Geräusch eines Spatens, der gegen etwas klopfte.
»Hey, Vinne!«, schrie Erwin. »Komm mal raus!«
Da kam einer die Leiter hoch. »Ah, unser Neuer«, sagte er.
»Ja, hallo, ich bin Rusty.«
»Ja, ich weiß, du warst bei Manne. Wir kennen uns vom Sehen.«
Der Mann stand auf seiner Leiter im Grab und sah mich an.
»Ich bin Vinne. Das ist ja klasse, dass du heute zu uns gestoßen bist, denn heute müssen wir zwei Gräber öffnen. Da wird es gleich mal stressig für dich. Also der perfekte Einstieg.«
Erwin lachte. »Also, Rusty«, sagte er, »ich lass dich nun bei den Jungs. Deine neue Hose benötigt erst mal 'ne Einweihung. Die ist viel zu sauber. Aber das haben wir gleich.«
Die beiden lachten dreckig, und da wusste ich, dass gleich eine Hardcore-Nummer auf mich zukommen würde.
»Also Rusty, pass auf!«, sagte Vinne. »Du schnappst dir einen Eisenrechen, und alles, was an Gebeinen durch das Ausbaggern ans Tageslicht kommt, wird von dir zur Seite gerecht.«
»Hä?«, machte ich. »Gebeine? Was sind Gebeine?«
Vinne grinste.
»Oje, der Gärtner, der Mann fürs oberirdische Grüne. Rusty, ich sag's mal so: Du hast den Rasen auf die Erde gesät, und wir holen die Kartoffeln aus der Erde. Okay so weit?«
Ich nickte, obwohl ich nur Bahnhof verstand. Vinne sah, dass ich nichts kapierte, und wurde deutlicher.
»Also, ganz von vorne und langsam: Wir öffnen gerade ein Grab, in dem seit dreißig Jahren ein Verstorbener ruht. Die Angehörigen dieses Verstorbenen haben das Grab aufgegeben.«
Vinne klang jetzt, als ob er einen Vortrag hielte, alles sauber formuliert und so.
»Das heißt, dass die gesetzlich vorgeschriebene Ruhefrist der Grabstätte abgelaufen ist. Wenn die Angehörigen diese Ruhefrist nicht verlängern, aus welchen Gründen auch immer, kann diese Grabstätte zur Neubelegung wiedererworben werden.«
Er verzog das Gesicht.
»Je nach Bodenbeschaffenheit, sei es Sand, Lehm oder Lehm mit Grundwasser, stoßen wir auf Überreste der Verstorbenen. Auch die Sargbeschaffung, also welche Holzsorte man genommen hat, spielt eine Rolle. Je robuster das Holz, also beispielsweise eine Eiche, desto länger dauert die Zersetzung in der Erde. Wir stehen hier vor einem relativ sandigen Boden. Sandiger Boden ist luftdurchlässiger, was heißt, dass durch die Sauerstoffzufuhr der Zersetzungsprozess beschleunigt wird. Was wir hier nach aller Erfahrung noch finden werden, sind die Knochen des Verstorbenen und ein paar Holzfetzen vom Sarg. Und was da an Knochen noch zum Vorschein kommt, das nennt man Gebeine. Du kannst folgen?«
»Klaro, Vinne.«
»Wir müssen die Gebeine fein säuberlich aus dem Grabaushub lesen. Diese kommen dann in einen sogenannten Gebeinesarg. Der ist nicht hochwertig, aber er wird benötigt, um ebendiese Gebeine später wieder beizusetzen.«
»Aha.«
»Genauso ist's. Das geht dann folgendermaßen: Wir öffnen unser Grab, bis wir die sogenannte Sargtiefe erreicht haben. Das sind rund 2,70 Meter. Haben wir diese Tiefe erreicht, die ganzen Gebeine ausgelesen und im Gebeinesarg verstaut, dann buddelt Matte mit seinem Bagger noch mal rund 70 Zentimeter tiefer und wir setzen die Gebeine wieder ein.«
Vinne hob den Finger.
»Alle Überreste eines Verstorbenen bleiben immer in der gleichen Grabstätte, in der er einst beigesetzt wurde.«
»Klingt logisch«, brummte ich.
»So ist das halt, aber da gibt es noch die größten Gruselgeschichten, was mit den Überresten passiert. Ist aber alles Quatsch, irgendwelche alten Sagen und so.«
Vinne winkte ab.
»Natürlich kommen auch mal ein Goldzahn oder eine Titanplatte zum Vorschein, doch . ja, Rusty, es kommt alles in den Gebeinesarg.«
Seine Stimme wurde laut und klar.
»Wer sich an den Toten bereichert, der hat die Hölle pur verdient. Das ist unser Kodex, und nach dem wird gehandelt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Steht als erster Satz im Grundgesetz. Und wer die Würde vor dem Tod nicht beachtet, ist hier nicht lange. Darauf kannst du Gift nehmen, Rusty. Also: Dein Job ist jetzt, die Gebeine beiseitezuräumen und in den Gebeinesarg zu legen.«
»Okay, alles klar«, gab ich zur Antwort.
Ein kurzer Blick von Vinne zu Matte, und der warf seinen lautstarken Bagger an. Vinne zog die Leiter aus dem Grab, und gemeinsam schauten wir zu, wie Matte zu buddeln begann. Baggerschaufel für Baggerschaufel stieß Matte in die Tiefe, bis ein kleines helles Knöchelchen den Erdhügel hinunterrollte.
Ich sah das kleine Stückchen und blickte zu Vinne. »So was meinst du, oder? Ist das ein Knochen?«
»Ja genau, das ist 'ne Rippe. Leg die mal zur Seite. Wenn die kommt, kommt garantiert noch mehr.«
Na toll, dachte ich. Knochen zusammenlesen? Was für ein Scheißjob.
Matte baggerte und baggerte, und immer mehr Knöchelchen kamen zum Vorschein. Dann waren es so viele, dass ich kaum noch mit dem Rausfischen hinterherkam.
»Hey, Rusty, das machst du gut!«, rief Matte aus seinem Führerhaus.
Von seinem Platz aus hatte er den direkten Einblick in das vorhandene Grab. Er sah als Erster, was auf uns zukam.
Ich arbeitete mit dem Rechen, bis ich plötzlich ein knirschendes Geräusch hörte, wie Holz, das zerbricht.
»Oho!«, rief Matte. »Jetzt kommt richtiges Material.«
Oh nein!, dachte ich. Ich will das gar nicht sehen, und schon gar nicht will ich's auslesen müssen. Voller Angst sah ich auf die Baggerschaufel, wie sie sich aus dem Grab hob. Oh mein Gott, was war denn das? Die Schaufel war komplett mit Holzlatten gefüllt. Dazwischen schimmerte ein weißes Tuch.
Manne öffnete die Baggerschaufel über dem Erdhügel, in dem das von mir aussortierte Material steckte, und der ganze Haufen Holz und Tuch rollte über den Hügel.
»Hey, Matte«, rief Vinne, »mach mal deinen Bock aus!«
Sofort verstummte der Lärm des Baggers.
»Also Rusty, diese Holzlatten sind die Überreste eines Sarges. Und in diesem weißen Tuch liegen die Überreste des Verstorbenen. Normalerweise legen wir dieses Tuch gleich mit in den...
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