Schweitzer Fachinformationen
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Der Kinder- und Jugendpsychiater Boris M. Levinson, der in den 1960er-Jahren als Erster auf die Idee kam, Hunde als Therapeuten einzusetzen, entdeckte ihre heilenden Fähigkeiten durch Zufall. Eines Tages hatte der Mediziner ausnahmsweise seinen Retriever Jingles in der Praxis dabei. Als ein kleiner Patient, der als sehr schwierig galt, weil er prinzipiell nicht mit Therapeuten sprach und kaum Kontakt mit Menschen aufnahm, plötzlich verkündete, dass er gern wiederkommen würde, wenn der Hund da sei, schwante Boris M. Levinson, dass sein Hund quasi ein Kollege war. Und dass er einen ganz eigenen Zugang zu diesem Jungen gefunden hatte - womöglich gerade, weil der Hund nichts von ihm erwartete. Bei den nächsten Terminen des Jungen - immer in Anwesenheit von >Doctor Jingles< - öffnete sich der therapiemüde ängstliche Patient Stück für Stück, und diese Beobachtung wurde für Boris M. Levinson zum Auslöser, die positive Wirkung des Hundes auf Kinder wissenschaftlich zu erforschen. Weitere Wissenschaftler und Therapeuten folgten, und so liegt heute eine Vielzahl von Studien vor, die den positiven Einfluss von Tieren im Allgemeinen und Hunden im Besonderen zweifelsfrei belegen. Und sie müssen nicht einmal selbst anwesend sein. Allein das Sprechen über Tiere rief bei schwer erkrankten Patienten in einer psychiatrischen Klinik positive Reaktionen hervor.
Vor rund fünfzig Jahren wurde die erste Gesellschaft für die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung gegründet, und die tiergestützte Therapie etablierte sich als interdisziplinärer Teil eines neuen Wissenschaftszweiges. In meiner eigenen Praxis freue ich mich über das große Interesse von auch international tätigen Wissenschaftlern, mit denen ich seit geraumer Zeit zusammenarbeite, um die tiergestützte Therapie auf noch stabilere Pfoten zu stellen und sie als selbstverständlich in die Zweibeiner-Gesellschaft zu integrieren. Nicht nur, wenn Menschen schon alles Mögliche probiert haben und zum Schluss als letzte Rettung verzweifelt bei tierischen Helfern landen, nein, idealerweise lange davor. Denn mit einem Hund an der Seite kommt es oft erst gar nicht so weit, dass jemand völlig vereinsamt, in eine tiefe Depression stürzt, keinen Sinn mehr im Leben sieht oder nach einem schweren Schicksalsschlag nicht mehr auf die Beine kommt. Die Einsatzmöglichkeiten eines Therapiehundeteams sind vielfältig - und sei es, dass der Hund einfach nur Selbstbewusstsein vermittelt. Denn wer es schafft, dass ein Tier auf einen hört . der muss schon was draufhaben!
So wie Anna: Die zweiundzwanzigjährige Studentin litt an extremer Schüchternheit. Die Einser-Schülerin, die zwei Klassen übersprungen hatte, konnte nicht vor fremden Menschen sprechen; selbst die Besuche von Vorlesungen überforderten sie. Sie lernte am besten allein oder im Kreis von vertrauten Menschen zu Hause. Hatte sie sich einmal geöffnet, verschwand ihre Schüchternheit vollständig. Doch sie brauchte Hilfe beim Erstkontakt. Und die bekam sie von Wilma, einer Dogge, der Hündin der neuen Freundin ihres Bruders. Es war Liebe auf den ersten Blick, als die beiden sich bei einer Familienfeier zum ersten Mal begegneten. Die bestens erzogene Wilma gehorchte Anna aufs Wort, und die Freundin des Bruders war begeistert von dieser idealen Hundesitterin, die einspringen konnte, wenn mal Not in der Hundebetreuung war. An der Seite von Ronja verlor Anna ihre Schüchternheit. Es war eher so, dass andere Menschen nun plötzlich ein wenig schüchtern reagierten angesichts dieses riesigen Hundes. Nach Ronjas Tod - Doggen werden leider nicht sehr alt, je größer ein Hund ist, desto geringer seine statistische Lebenserwartung - holte Anna sich einen Schäferhundwelpen vom Züchter und nannte ihn Ron.
Einen Schäfer hatte auch ich mir nach meinem Unfall und der Reha gewünscht, keinen Tierschutzhund vom Bauernhof. Denn mein Traum war es, Rettungshundeführerin zu werden, und irgendwie und fälschlicherweise bildete ich mir damals ein, dazu wäre ein Schäferhund ideal. Aber dann kam alles anders, wie so oft. Jeder kriegt den Hund, den er braucht. Obwohl Wunjo ein Mischling ist, war er für die Rettungshundearbeit sehr gut geeignet, und ich konnte meinen Traum mit ihm erfüllen. Viele Jahre lang, während ich in meinem Beruf als Hundepsychologin und Hundetrainerin Fuß fasste, waren wir in der Rettungshundestaffel aktiv und meisterten im Team zahlreiche Einsätze.
Eines Tages fragte mich eine Klientin, die als Altenpflegerin tätig war, sehr gezielt nach den Eigenschaften von Rettungshunden. Wollte sie sich mit ihrem Hund bei der Staffel bewerben? Ich hätte ihr abgeraten. Micky war aufbrausend, nervös und kam mit neuen Situationen nicht zurecht. Ich hätte ihr eher Obedience empfohlen, ein Gehorsamstraining, das viel Konzentration erfordert.
Doch sie suchte gezielt nach einem Hund für ihr Seniorenheim. »Neulich war eine Besucherin mit Hund bei uns im Haus. Als sie durch das Café ging, merkte ich, dass der Hund die Aufmerksamkeit der Bewohner auf sich zog. Die Besucherin führte ihn dann herum, und wer wollte, durfte ihn streicheln. Selbst relativ teilnahmslose Bewohner blühten auf, als sie den Hund berührten. Da dachte ich mir, das wäre eine gute Ergänzung zu unseren anderen Programmen. Im Fernsehen habe ich neulich eine Reportage darüber gesehen, wie gut Tiere den Menschen im Altenheim tun. Ich habe auch mal gegoogelt, aber leider nichts in unserer Gegend gefunden. Hättest du Lust, mich mit Wunjo mal im Seniorenheim zu besuchen?«
»Hm«, machte ich.
»War ja nur eine Frage«, sagte sie. »Ich weiß, du hast wenig Zeit.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte kein Zeitproblem, sondern Bedenken. In der Rettungshundestaffel hatte Wunjo gelernt, Menschen zu verbellen. Das würde den Senioren sicher nicht gefallen.
»Aber der bellt doch nie«, wunderte sich meine Klientin.
»Bei unseren Treffen ist er nicht im Einsatz, sondern sozusagen privat unterwegs, auch wenn ich als Hundetrainerin arbeite. Sobald ein Rettungshund einen Menschen findet, muss er das anzeigen. Er hat den Vermissten vielleicht irgendwo im Unterholz aufgestöbert, wo kein Mensch hinkommt. Also verbellt er ihn. Und er bellt so lange, bis sein Hundeführer bei ihm ist. Von ihm kriegt er eine große Belohnung, und dann hat er Feierabend.«
»Aber die Leute im Heim sind nicht vermisst!« Sie zögerte. »Obwohl, na ja. Manche haben sich durchaus ein Stück weit selbst verloren.«
Wunjo begriff sofort, dass die Betten, in denen die Zweibeiner lagen, keine besonders gewieften Verstecke waren. Neugierig beschnupperte er die Senioren. Die Rollstühle waren ihm nicht unheimlich, ganz im Gegenteil, diese Spezies Mensch schien sich ganz besonders über ihn zu freuen. Er nahm die Aufwartung wedelnd und mit zunehmender Begeisterung entgegen, ließ sich gern streicheln, obwohl er sonst kein großer Schmuser war, doch er wurde gut entlohnt in seiner Lieblingswährung Gouda. Als wir das Seniorenheim verließen, trug er seine Rute hoch und stolzierte durch die Pforte.
Einige Tage später rief mich die Altenpflegerin an und erzählte mir, dass Wunjo noch immer Tagesgespräch sei: Sogar sehr vergessliche Bewohner würden sich an ihn erinnern. Und auch Wunjo erinnerte sich, wie ich beim zweiten Besuch merkte, als es ihm von Parkplatz aus gar nicht schnell genug gehen konnte. Es war klar: Wunjo hatte neben der Rettungshundearbeit nun auch ein Hobby. Und ich auch. Ein Hobby? Nein, es war mehr. Eine sinnvolle Aufgabe, die mich sehr bereichert hat durch die Begegnung mit den Menschen. Jedes Mal verließ ich das Heim ebenso erfüllt wie Wunjo: Er wedelte äußerlich, ich innerlich.
Aber ganz zufrieden war ich mit der Situation nicht. Ich fragte mich, ob ich im Umgang mit den Bewohnern alles richtig machte. Ich war ja keine Altenpflegerin, Pädagogin, Psycho-, Ergo- oder Physiotherapeutin. Welche Besonderheiten musste ich bei den verschiedenen Krankheitsbildern berücksichtigen? Das Team im Seniorenheim unterstützte mich zwar, und ich erhielt zu jedem Bewohner Informationen, doch ich wünschte mir mehr Grundlagenwissen. Leider fand ich keine Ausbildung, die auf meine Anforderungen zugeschnitten war. So suchte ich mir selbst verschiedene Bausteine zusammen und gestaltete die Besuche immer individueller. Ich dachte mir Spiele für die Bewohner aus und trainierte auch mit Wunjo. Zu Bewohnern, die wacklig auf den Beinen waren, sollte er Abstand halten, vor Rollstuhlrädern sollte er sich in Acht nehmen. Letztlich musste ich Wunjo nichts beibringen, er passte sein Verhalten den Bedürfnissen der Bewohner instinktiv an. Wie so war oft ich es, die von ihm lernte.
Der Mittwoch wurde im Seniorenheim umgetauft in Wunjo-Tag. Frau Berger stand schon im Foyer, weil sie es kaum erwarten konnte, Wunjo an der Leine auf die Station zu bringen. Als Kind hatte sie einen Hund gehabt, den durfte sie aber nur an der Leine durchs Dorf führen, weil er Hühner jagte. »Keine Hühner jagen!«, trichterte sie Wunjo ein, der es ihr nicht krummnahm, dass sie ihn Rex nannte. Auf der Station wartete Frau Schmitt, die mir stolz zeigte, dass sie alles vorbereitet hatte: ein Brettchen und ein Messer. Ich reichte ihr den jungen Gouda, und hoch konzentriert schnitt die bald Hundertjährige kleine Würfel - Wunjos Lohn, der gerecht an einige Bewohner verteilt wurde: die »Wunjo-Gruppe«, wie sie intern hieß. Manche hatten zuerst ein wenig Angst vor dem großen Hund, trauten sich aber Woche für Woche mehr. Erst mal anschauen, dann streicheln, schließlich ein Leckerchen geben. Wunjo sonnte sich in der Aufmerksamkeit. Natürlich war der Käse ein Argument, aber wahrscheinlich hätte ihm die Zuwendung auch genügt. Frau...
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