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Steinschneider, Trepanation, Wundheiler
In den in diesem Buch dargelegten Ausführungen über die Trepanationen im Neolithikum wurden die Motive zu solchen einschneidenden Operationen bereits beschrieben. An diesen Motiven änderte sich im Mittelalter wenig, ausser im Bezug zur christlichen Dämonologie. Zwar wurden im Neolithikum Trepanationen ebenfalls nicht nur aus medizinischen Gründen vorgenommen, beispielsweise um eine Epilepsie zu behandeln oder um chronische Kopfschmerzen anzugehen, denn es bleibt auch für die damalige Zeit die Hypothese im Raum, dass durch die geschaffene Schädelöffnung Dämonen aus der operierten Person hätten entweichen sollen. Oder man dachte, dass umgekehrt durch die Schädelöffnung auch positiv wirkende Geistwesen in die Person hinein eindringen und ihre Wirkkräfte entfalten konnten. Die Vorstellung, dass ein Geistwesen oder Dämon entweichen sollte, weist auf eine religiöse Begründung des Krankheitsbildes hin.
Das Narrenschneiden (Narrenschnitt) bezeichnet eine mittelalterliche Operationsmethode zur Beseitigung des Wahnsinnes resp. der Besessenheit. Als Quelle des Wahnsinnes oder der Besessenheit galt der Narrenstein mit Sitz in der Kopfhaut des Verrückten. In diesem Sinne ist das Narrenschneiden eine spezielle Form der Trepanation. Scharlatane, Quacksalber, aber auch Wundheiler, Bader und spez. Steinschneider entdeckten das Narrensteinentfernen als lukrative Einnahmequelle.
Die Vorstellung der mittelalterlichen Menschen war, dass die Narrheit (Verrücktheit) eine im Kopf wuchernde Krankheit sei und sich in einem Stein, dem Narrenstein manifestiere. Diesen galt es dann zu entfernen, als ob dann auch die Verrücktheit durch diesen operativen Eingriff entfernt würde. Das Narrenschneiden entwickelte sich auf öffentlichen Plätzen zur einer regelrechten Show, wobei die Narrenschneider von ihrer Tätigkeit voll zu überzeugen wussten.
Die Operation bestand in einem Ritzen und Öffnen der Kopfhaut, die meist fürchterlich blutete. Der zu operierende Narr wurde von den Schaulustigen einerseits ausgelacht, andererseits fühlte man dessen Schmerzen mit und erwartete dann eine Gesundung seiner Verrücktheit, die selbstverständlich nicht erfolgte.
Zur Schau gehörte, dass der Narrenschneider irgendwann einen Stein, den er verborgen in der Hand hielt, möglichst demonstrativ und laut zu Boden fallen liess und diesen ,herausoperierten' Narrenstein der Öffentlichkeit zeigte. Manche Steinschneider variierten und schnitten dem Narren anstatt eines Steins Blumen aus dem Kopf.
Im Mittelalter gab es daher neben einer weltlichen quasi auch eine religiös begründete Ausführung des Steinschneidens. Die ,religiöse' Begründung bezog sich auf die Operation am Kopf mit der Idee, durch das Herausschneidens des "bösen Steins der Fallsucht", also durch das Trepanieren, diesen Dämon wieder loszuwerden. Diese Interpretation darf man bei der Betrachtung des Bildes ,Der Steinschneider' von Hieronymus Bosch, ca. 1500, guten Gewissens vertreten, handelt es sich doch um einen operativen Eingriff am Kopf, der als der Sitz des Wahnsinns, der Epilepsie wie auch des Teufels galt.
In einem anderen berühmten Bild des Hieronymus Bosch, welches bereits abgebildet wurde, ist der Steinschneider, der der Bader- und Barbiergilde entstammte und als fahrender Quacksalber den Patienten ,Steine', ,Metal' und auch ,Tiere' aus dem Kopf schnitt, dargestellt mit einem umgestülpten Trichter auf dem Kopf. In diesem Bild verspottet Bosch den Steinschneider sowohl als Narren wie auch als Quacksalber. Der umgestülpte Trichter symbolisierte die betrügerische Absicht des fahrenden Quacksalbers, der den Reichen das Geld aus dem Beutel zog.
Bosch sieht die Quacksalber offenbar als Gauner an, die den unbeholfenen Reichen versprachen, sie von Dummheit und Narretei - aber auch von ihrem Geld - zu befreien.
Die im Mittelalter oft tödlich endenden Eingriffe in den Schädel, die noch im Neolithikum immer wieder von den Operierten überlebt wurden, sind das Resultat unzureichender hygienischer Operationstechniken und der die Operation begleitenden unsauberen Umstände. Was im frühen Mittelalter im Christentum womöglich deswegen noch verboten war, wurde ab dem 13. Jahrhundert wieder erlaubt - mit verheerenden Folgen. Man berief sich nämlich auf Claudius Gelenos, der die Trepanation des Schädeldaches offenbar als nicht zwingend tödlich befand.
In dem berühmten Bild des Malers Hemessen ist der Steinschneider bei der Arbeit abgebildet, wie er einem Narren den Stein der Narrheit aus der Stirn entfernt. Man erkennt den Narrenstein deutlich. Einen solchen gab es natürlich nicht, er war reine (scharlatanische) Einbildung der damaligen Zeit.
Die Behauptung, dass einem Narren ein Stein aus der Stirn entfernt werden müsse, um ihn von seiner Narretei zu befreien, weist auf eine für die damalige Zeit weit verbreitete psychiatrisch-psychologische Vorstellung hin, wobei die Behandlung des Narren dann doch auf der ,körperlich-medizinischen' Ebene erfolgte und nicht auf der ,seelischen'. Die Interventionen waren stets körperlicher Art.
Der Steinschneider im Mittelalter jedoch war nicht nur ein Scharlatan. Denn er schnitt nicht nur nichtvorhandene ,Steine' aus dem Kopf, sondern auch vorhandene aus einem anderen Körperorgan: der Blase. An den äusserst schmerzhaften Auswirkungen von Blasen- und Nierensteinen, die nahrungsbedingt gehäuft im Mittelalter vorkamen, litten öfters Männer, die deshalb auch vorwiegend operiert werden mussten. Aber auch Frauen litten unter teils heftigen kolikartigen Schmerzen, die solche Blasen- und Nierensteine auszulösen imstande waren. Da aber die weibliche Anatomie einen entschieden kürzeren Harnleiter aufweist, gingen bei Frauen in der Regel diese schmerzhaften Blasensteine ,leichter' ab als bei Männern.
Die Blasensteinschneider nannte man daher auch Lithotomoi (Litho=Stein; tomie= schneiden), die übrigens auch im Hippokratischen Eid erwähnt werden. Auszug aus dem Hippokratischen Eid:
Das Steinschneiden, insbesondere aber die reale Blasensteinentfernung, gehörte zu den ältesten operativen Eingriffen antiker Ärzte und war eng mit der Entwicklung der Urologie verbunden. Die Urolithiasis (Vorkommen von Harnsteinen in den Harnwegen wie Nierenbecken, Harnleitern, Harnblase, Harnröhre) war somit ein uraltes und bekanntes Krankheitsbild, welches auch die Ägypter, Griechen und Römer beschäftigte. Bereits die Ägypter erkannten das Harnsteinleiden und wussten, dass der Verlauf dieser Krankheit nicht nur starke kolikartige Schmerzen zeigte, sondern wegen ihrer mangelhaften bzw. fehlenden Behandlungsmöglichkeit oft auch lebensbedrohlich war.
Die Ausgliederung der chirurgischen Praktiker aus der gelehrten Medizin geschah im Jahre 1163 durch das päpstliche Edikt im Konzil von Tours. In der monastischen Medizin übernahmen noch Geistliche die Rolle des Arztes, wobei ihnen jedoch viele chirurgische Eingriffe streng verboten wurden. Den recht gut ausgebildeten Ärzten blieb nur noch die Weiterentwicklung der sog. Harnschau (Uroskopie). In der Folge wurde der Urin als Abbild des Menschen gehalten und die Uroskopie wurde zur Diagnosestellung wichtig und von den Klerikern akzeptiert.
Aus diesem Verbot erwuchsen dann sozusagen die Bader und Steinschneider, wobei die frühen in der Antike gemachten anatomischen Kenntnisse und chirurgischen Operationstechniken durch den Wegfall der klerikalen Mönchsärzte mehr oder weniger auf einen Schlag verloren gingen. Durch das Erscheinen der Bader hatte sich die Medizin (Operationstechniken) um Jahrhunderte zurück entwickelt. Obschon die Bader und Wundärzte als Quacksalber und Pfuscher galten, wurde die Medizin (Chirurgie) weltlicher.
Dieses Beispiel zeigt, wie klerikal-religiös begründete Verbote (Konzil von Tours, 1163) die Entwicklung der weltlichen Medizin negativ beeinflussen konnten. Das Verbot für Geistliche weiterhin Chirurgie zu betreiben, hatte weitreichende Konsequenzen für die gesamte Medizingeschichte. Die Begründung des Verbotes war simpel und hiess:,Ecclesia abhorret a sanguine' (Die Kirche schreckt vor dem Blute zurück, die Kirche verabscheut Blut). Damit wollte sich die Kirche schützen vor den oft tödlich verlaufenden chirurgischen Eingriffen, während denen viel Blut floss und die Kranken wegen hohem Blutverlust den Tod fanden. Die Kirche wollte an diesen Todesfällen nicht beteiligt sein und scheute sich vor Konsequenzen.
Die Bader und Wundärzte übernahmen also ab dem Konzil von Tours die chirurgischen Eingriffe und hatten sich immer wieder dem Vorwurf, Pfuscher und...
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