Schweitzer Fachinformationen
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Als die Frau des Kapitäns sieht, wie sich ihr Mann auf das Sofa in der Kajüte fallen lässt, begreift sie, dass kein Zweifel mehr besteht. Das Schiff ist verloren.
»Das wird mir der Alte nie verzeihen. Niemals.«
In seiner triefenden Öljacke, mit dem Südwester und mit den Händen vorm Gesicht kauert Oskar Siren in einer Haltung auf dem Sofa, die seine Frau an den Prinzen von Dänemark auf der Bühne des Nationaltheaters erinnert: vom Schicksalsschlag erschüttert. Im Hintergrund das gespenstische Heulen des Sturmwinds, das Meer der Plagen, gegen das man das Schwert zieht. Und über der ganzen Bühne schwebt der geisterhafte Schatten des mächtigen Vaters.
Natürlich hat Oskar Siren bessere Gründe für sein Gebaren als der nervenschwache Däne. Er ist an dem Versuch gescheitert, das Schiff durch die Hafeneinfahrt in den Schutz der Wellenbrecher zu steuern. Die Anker wurden geworfen, aber sie hielten bei dem starken Sturm nicht, worauf die Fregatte vom Südwestwind gegen die Sandbank gedrückt wurde. Ja, der Kapitän hat einen guten Grund, so theatralisch in sich zusammenzusinken. Dennoch ist es für seine Frau bitter festzustellen, dass ihr Mann in dieser Stunde mehr den Zorn seines Vaters fürchtet als den Untergang seiner Frau, seiner Tochter und seiner Mannschaft.
Das wird ihnen der Alte nie verzeihen! Der Frau, die ihr Kind auf dem Arm wiegt, entfährt ein ungläubiges Lachen.
Erik Siren hat seinem ältesten männlichen Erben ein Schiff anvertraut, das kein beliebiger Kahn ist. Vielmehr ist es eine einzigartige Arche, die Gott in seiner großen Weisheit seinem treuen Diener Erik Siren zugeführt hat. Die Fregatte Palme ist in genialer Weise dafür konstruiert worden, hundertdreißig Tonnen kristallklare nordische Kälte an ihr heißes Ziel zu bringen, wo sich die Ladung in pures Gold verwandeln soll. Und nun hat Erik Sirens Sohn diese unvergleichliche Goldgrube auf eine irische Sandbank gesetzt, wo das Schiff schließlich zersplittern wird, ohne dass es jemand verhindern kann.
Das Schiff ist verloren. Zunichte ist damit auch die monatelange Seereise, zu der eine Frau wie Elin Siren nie hätte aufbrechen sollen. Primitive Angst - ohne tatsächliche Gefahr - zehrte an ihr, als die Palme vor zwei Monaten durch die Sunde Dänemarks auf die offene Nordsee hinausfuhr, und nach der Abfahrt von Liverpool erwachte das Entsetzen erneut. Diesmal aus gutem Grund: auf der Irischen See gerieten sie sofort in einen wütenden Südweststurm, der vom Atlantik her blies. Er hinderte sie fast eine Woche lang am Vorankommen, hielt die Mannschaft Tag und Nacht auf den Beinen und demütigte die Frau des Kapitäns mit einer heftigen Seekrankheit, die sie so erschöpfte, dass sie danach keine Kraft mehr hatte, sich zu fürchten.
Elin horcht nach den Rufen der Männer an Deck. Man hört dröhnende Axthiebe. Sie legt das Kind auf ihr Bett.
»Wir denken jetzt nicht an deinen Vater. Er wird sich schon wieder fassen, wenn er das Geld von der Versicherung bekommt.«
»Er wird kein Geld bekommen.«
»Natürlich wird er das, das dauert nur seine Zeit. Das mit der Theodorus war Pech, aber Großbritannien ist nicht Kuba. Hier wird korrekt gehandelt und .«
»Die Palme ist nicht versichert.«
»Wieso nicht?«
»Du kennst den Alten doch! Kannst du dir vorstellen, dass er eine neue Versicherung abschließt, wo die Auseinandersetzung über die vorige noch läuft?«
Natürlich erinnert sie sich noch an das Gebrüll ihres Schwiegervaters vor einem Jahr, daran, wie er bei dem Eisenschiff Theodorus in den Dreck gegriffen hatte. Schon im Jahr seiner Anschaffung hatte das Schiff vor Havanna Schiffbruch erlitten, aber die Versicherungsgesellschaft weigerte sich, für den Schaden aufzukommen, indem sie behauptete, das Schiff sei überversichert und die Havarie inszeniert worden.
»Der Alte hat geschworen, nichts in die verdammte Schwindlergesellschaft zu investieren, bevor er sein Geld bekommt. Bis auf die letzte verflixte Münze.«
Man hört ein Krachen an Deck, und der ganze Rumpf des Schiffes erzittert. Der erste von drei Masten ist gefällt worden. Das Kind fängt an zu quengeln, so grenzenlos müde, wie es ist, schläft es jedoch mit dem Daumen im Mund und dem Schmusetuch in der Faust gleich wieder ein.
»Solltest du nicht wieder an Deck gehen?«, fragt die Frau.
Der Mann winkt ab. »Peterson macht das. Er ist ja der Kommandant auf diesem Schiff. Ich spiele nur den Kapitän. Was für ein Clown ich bin! Und jetzt sehen wir das Resultat.«
Elin sitzt im Halbdunkel, in dem es nach Rauch, Erbrochenem und feuchter Wolle riecht, auf dem Bettrand. Sie lauscht dem stürmischen Meer. Dessen Wellen züchtigen das Schiff, rollen gnadenlos heran, schlagen zu und verrichten so systematisch wie die endlosen Reihen einer riesigen Heeresmacht ihr Zerstörungswerk.
Ihr Mann zieht eine Kommodenschublade auf und nimmt eine Flasche Rum heraus. Elin erhebt sich.
»Was für eine glänzende Idee! Pfeifen wir auf den Sturm und betrinken wir uns anständig. Das Schiff ist ja ohnehin verloren, und der Alte wird uns das nie verzeihen.«
Oskar nimmt einen langen Schluck aus der Flasche, ohne sich einen Deut um die Missbilligung seiner Frau zu scheren. Es war vorbei. Warum also sollte ein Mann sich nicht bewusstlos trinken dürfen? Schließlich ist dies das uralte Recht der Strohpuppenkapitäne. Für genau solche Momente braucht man fähige Kommandanten. Peterson würde an Deck alles tun, was ein Mann tun kann.
Ja, denkt seine Frau, am Ende ist es immer Peterson, der zähe, einwandfrei korrekte, ausdruckslose Seebär Peterson, den Papieren nach der offizielle Kapitän des Schiffes. Auch wenn Erbprinz Siren, dem die Abschlussprüfung fehlt, noch so gern in der Kapitänsuniform und mit dem Sextanten in der Hand über das Kommandodeck stolziert und dabei unerträglich gut aussieht. Ein schmächtiger, aber knabenhaft sehniger junger Kapitän, der den Augen seiner Frau einen betörenden Anblick bietet.
»Dann trinke ich auch etwas.«
Oskar gibt ihr die Flasche, und Elin nimmt einen Schluck. Und noch einen. Der Rum brennt in dem vom ständigen Erbrechen rauen Hals, tut aber gut. Was soll auch schlimm daran sein, dem Engel der Nachlässigkeit den kleinen Finger zu reichen? Wenn man dadurch nach mehreren schlaflosen Nächten wenigstens kurz die eisige Zwangsvorstellung von dem rasenden Schwiegervater aus der Kajüte vertreiben kann?
Elin kommt der Gedanke, ob sie versuchen könnte, in einem Brief an ihre Schwester ein Bild von Erik Siren zu zeichnen, wie er einem Raubvogel gleich über der Fregatte auf der Sandbank schwebt: der eiskalte Adlerblick funkelt in der Dunkelheit, der riesengroße Klüver bereit, auf den Schädel einzuhacken, in dem die Entscheidungen getroffen worden sind, wegen derer sich sein künftiger Reichtum nun für immer in den schäumenden Wellen des Atlantik verliert. Aber was, wenn es keine Gelegenheit zum Briefeschreiben mehr gibt? Und sie ihre Schwester nie mehr zu Gesicht bekommt? Und diese nicht mehr ihre kleine Nichte Ester, deren Lunge sich bald mit salzigem Meerwasser füllen und deren zarter Leib von den Algen und Mollusken der Tiefe zugedeckt wird .
Nein, man darf nicht an das Schlimmste denken, und es ist auf keinen Fall richtig, wenn eine Frau ihrem Mann in einer solchen Stunde Vorwürfe macht. Der vierundzwanzigjährige Oskar Siren zerbricht ohnehin beinahe unter der übermäßigen Last auf seinen Schultern, jetzt, da er alle seine verbliebenen Kräfte zusammennehmen müsste. Womöglich ist Oskar aufgrund seiner Unerfahrenheit als Kapitän gescheitert, hat sein Schiff ins Verderben geführt und achtzehn Menschen in Todesgefahr gebracht. Bestimmt hätte man etwas anders machen können. Man hätte die Anzeichen des kommenden schweren Wetters lesen, noch eine Weile in Liverpool bleiben oder zumindest frühzeitig anlegen und die Eile vergessen können, zu der sie der künftige Geldfürst von seiner nordischen Insel aus antrieb.
Noch an den ersten Tagen des Sturms ging Oskar von einer Art ekstatischem Kampfgeist ergriffen über das Schiff, sich in der Fantasie bereits heldenhaft hervortuend. Aber die Verachtung des alten Erik traf den Erstgeborenen in jedem Moment der Unsicherheit und bei jedem geringsten Irrtum. Das imaginäre Urteil des Vaters veranlasste ihn dazu, sich schon geschlagen zu fühlen, bevor etwas Fatales oder Irreparables geschehen war. In seiner Not korrigierte Oskar einen Fehler durch einen noch größeren Fehler. Und er spürte bis ins Mark, was für eine Eitelkeit es gewesen war, sich auch nur für einen Moment einzubilden, Mann genug zu sein, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und dieses verfluchte Schiff zu beherrschen, anstatt nur wie eine Flickenpuppe am Steuer zu hängen.
»Peterson hatte Recht. Was den Ballast betrifft. Es sind zu wenig Steine. Sie haben uns in Birkenhead hinters Licht geführt, und ich habe nichts unternommen.«
Elin erinnert sich gut an den Briefwechsel, in dem ihr Schwiegervater seinem Sohn die Leviten las, weil es diesem nicht gelungen war, eine geldwerte Ladung aufzutreiben, die er nach Mobile hätte transportieren können, und in dem er insbesondere über den Preis des Ballasts zürnte sowie über die zusätzlichen Kosten, die dessen Be- und Entladung verursachte.
Der verdammte Kerl hat nichts anderes im Kopf als sein verfluchtes Eis, denkt Elin. Er ist ein Ungeheuer und schert sich weder um uns noch um sein Enkelkind oder sonst jemanden! Was soll man von einem Mann halten, der einst seinen sechsjährigen Sohn auf eine einjährige Segelfahrt mitnahm, damit dieser den Beruf des Seemanns erlernte? Dabei konnte man ihm...
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