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Es ist für Marina.«
Jetzt war es raus. Nino hatte zum ersten Mal ihren Vornamen laut ausgesprochen, hatte sie genannt wie in seinen Träumen. Nicht signora Vassallo. Nicht la Romana wie die meisten Alteingesessenen in Sant'Amato. Nein, Marina nannte er sie. Ma-ri-na. Nur drei Silben, und doch steckte in ihnen die ganze Sehnsucht seines dreizehnjährigen Lebens.
Beppe, sein Cousin und zweitbester Freund, zeigte sich unbeeindruckt.
»Häh?«, sagte er und kratzte sich hinter einem seiner abstehenden Ohren. »Welche Marina?«
»Na, Marina Vassallo.«
»Die vom Frisiersalon da drüben?« Beppe wollte schon zum anderen Ende der Piazza zeigen, doch Nino fiel ihm in den Arm.
»Ja, Mensch.«
»Nein.«
»Doch.«
»È vero?«
»Wenn ich es doch sag.«
»Was, die Frau von Carlo Vassallo? Matteos Mutter?«
»Ja, verdammt. Nicht so laut.«
»Aber, aber .«, sein Freund rang nach Worten, »die ist ur-alt. Mamma sagt, die ist sogar älter als papà, und der ist fünfunddreißig.« Beppe schüttelte fassungslos den Kopf. Dann sah er Nino streng ins Gesicht.
»Ninù, du verarschst mich.«
»Tu ich nicht.«
Beppe streckte beide Zeigefinger aus, tippte und rieb sie längs aneinander und schnitt eine ungläubige Grimasse. »Du willst mir also tatsächlich weismachen, du treibst es mit der Mutter deines Pultnachbarn?«
Gott, wie konnte Beppe nur!
»Was? . Nein!«, rief Nino. »Und hör bloß auf, so über sie zu reden. Ich .«, er zögerte, ». ich liebe sie.«
Ungläubiges Schweigen.
»Du liebst sie?« Beppes Augen wurden rund wie die Glasmurmeln, mit denen er früher immer die anderen Dorfjungen abgezogen hatte. Dann begann er haltlos zu lachen.
»Schau dir den an, Buffon!«, rief er ihrem vierbeinigen Begleiter zu, der daraufhin höflich wedelte. »Wir reden hier von der Mutter seines Lieblings Matteo, dieses hirnlosen Kickers, ja? Der Mutter, Buffon! Und: Er liebt sie .« Beppes Stimme troff vor Spott.
Giovanni Lanteri, von aller Welt nur »Nino« gerufen, fühlte, wie sein ganzer Kopf erglühte. »Pssssst«, zischte er, »nicht so laut.«
Sie hockten an der Ostseite von San Pietro auf einer Bank im Schatten der Pinien, schnippten Steinchen über das Pflaster des Kirchplatzes und warteten darauf, dass sich zia Mafaldas altersschwacher Dackel so weit erholte, dass sie weitergehen konnten. Pure Zeitverschwendung nannte Ninos Mutter Nunziata diese Touren und zog jedes Mal ein Gesicht, wenn er losging, um den Hund von Mafaldas Grundstück zu holen, wo er - ab und an mit Essensresten versorgt - allein wachte, während die Tante im ospedale lag.
»Was hast du nur immer mit all dem Viehzeugs?«, schimpfte sie dann und forderte, er solle lieber seinem Vater mit der Sense zur Hand gehen, beim Mähen in den Hainen. Wozu sonst seien die Sommerferien da? Helfen solle er und lernen, wie ein Lanteri zu leben: für die Erde, für die Oliven. Nicht für unnütze Viecher, die man längst entsorgen sollte. Nino hörte seiner Mutter zu und nickte, zog dann aber trotzdem los, zum alten Buffon, zu den Hafenkatzen oder zur Delfinbucht - ja, am allerliebsten hinunter zum Meer, wo ihn das türkisblaue Wasser lockte und das silbrig schimmernde Leben darin. Denn was war ein Mensch ohne Herz, ohne Träume? Nino dachte an seine Pläne für die Zukunft und wusste: Die Enttäuschung seiner Mutter würde unendlich sein, wenn er Sant'Amato eines Tages verließe. Den Gedanken an die Reaktion seines Vaters schob er weg.
Nino hockte weiter neben dem kichernden Beppe und bereute längst, dass er ihn überhaupt um Hilfe gebeten hatte, als dieser sich endlich beruhigte.
»Na gut«, sagte Beppe und zeigte sein übliches Komplizen-Gesicht, »ich versteh schon, dass du diesmal nicht deinen heiß geliebten Matteo fragen kannst. Da Juventus Turin also wegfällt, darf jetzt wieder Sampdoria Genua ran, was?«
»Ach, komm schon.« Nino wunderte sich ein wenig über Beppes Eifersucht. Trotzdem befürchtete er nicht, dass dieser ihn hängen ließ. Sein Cousin mochte ein Schlawiner sein, jemand, der aus Kontakten Profit schlug, dazu noch ein eitler Geck und Fan des falschen Fußballvereins - doch wenn es darauf ankam, das wusste Nino, hatte er keinen treueren Freund als ihn.
»Ma che cazzo vuoi? Ich kapier's immer noch nicht!«, rief Beppe jetzt. »Ich soll dir eine Single besorgen?«
»Ja.«
»Aber welche? . Ah, die mit ihrem Namen etwa?« Beppe summte die Melodie, und Nino nickte. »Kriegst du das hin?«
»Keine Chance. Die läuft doch rauf und runter im Moment, ist bestimmt komplett ausverkauft.«
»Deshalb frag ich ja dich .«
»Hmmm«, machte sein Cousin und schnalzte mit der Zunge. »Das wird dich was kosten .«
»Wie viel?«
Nino hatte in den vergangenen Monaten sein Taschengeld so eisern gespart wie noch nie, aber das würde er Beppe nicht verraten, sonst würde sein Geschenk für Marina noch teurer werden.
»Lass mich überlegen«, sagte Beppe. »Ich muss dazu nach Imperia, du weißt schon, zu dem Plattenladen gleich hinterm Dom im Stadtteil Porto Maurizio. Dazu brauch ich den Roller, den bekomm ich nur mittwochs organisiert, wenn der alte Testa ihn nicht braucht. Und meine Eltern dürfen das nicht spitzkriegen. Also, das wird schwer. Sehr schwer .«
»Jetzt sag schon. Wie viel?«
Beppe zog die Nase hoch. »Dreitausend. Und ein halbes Päckchen Chesterfields.«
»Sei pazzo?!«, rief Nino und tippte sich an die Stirn. »Ich geb dir die Hälfte und fünf Zigaretten. Mehr hab ich nicht.«
Beppe prustete los, stieß ihm scherzhaft in die Seite.
»Ein Lanteri ohne Geld? Schon klar, erzähl das Don Benedetto bei der nächsten Kollekte. Zweifünf und sechs.«
»Du ruinierst mich .«, stöhnte Nino, »mehr als zweitausend geht wirklich nicht.«
»Zweifünf und sechs. Letztes Wort.«
»Stronzo!«
»Letztes Wort.«
Beppe erhob sich und streckte Nino die Hand hin. Um sie herum erwachte der Kirchplatz nach der Mittagshitze zu neuem Leben. Der dicke Ottavio schloss seine Bar an der Ecke auf, die Metzgerei seines Bruders nebenan zog rasselnd die Schutzgitter hoch, die zweite Tageshälfte begann. Auch im Frisiersalon drei Häuser weiter surrten die Jalousien; Nino achtete darauf, nur ja nicht hinzusehen. Die neue signora Morone klapperte auf Pfennigabsätzen an ihnen vorbei, ihre Pudeldame im Schlepptau. Sofort spitzte Buffon die Ohren, rappelte sich auf und fiepte. Nino gab sich einen Ruck. Was tut man nicht alles aus Liebe.
»Also gut, Halsabschneider«, sagte er, stand ebenfalls auf und schlug ein. Beppe lächelte.
»Gleich morgen bringst du mir das Geld, ja? Unten am Strand, im Laden für die Touristen, hab ich ein Polohemd gesehen, das letzte in meiner Größe. Genauso eins trägt Celentano. Und nächsten Donnerstag bekommst du dafür die Single.«
Sie schlenderten los und tauchten ins Labyrinth der Gässchen und Treppendurchgänge von Sant'Amato ein. Wenig später hatten sie die Altstadt durchquert und wanderten über die Via della Rivolta und den Klippenweg zurück zu zia Mafaldas Anwesen, das sich am Ortsrand an den Steilhang schmiegte. Vom Meer kam ein lauer Wind, auf dem die Möwen gelassen hinunter zum Hafen glitten. Unten am Strand öffneten sich die ersten Sonnenschirme. Nino sog den Geruch des Meeres tief in seine Lungen und lächelte. Ferienzeit. Und endlich reichte sein Erspartes für den Tauchkurs.
Die beiden Freunde hatten die Hälfte des Pfades schon hinter sich, da blieb Beppe unvermittelt stehen.
»Aber hör mal, eins frag ich mich doch die ganze Zeit: Warum ausgerechnet die Vassallo? Ich mein, keine Frage, die ist eine Granate. Auch mamma guckt böse, wenn papà neuerdings lieber zu Vassallos Salon geht als zum alten Ruggero und seinem Barbiermesser im Hinterhof. Und klar, die kann kochen, dass du denkst, du hörst die Engel im Himmel singen, das wissen wir alle spätestens seit ihrem agnello al forno zu Ostern. Aber ich bitte dich, Ninù, schau dich doch mal an! Du bist jung, du hast das gute Aussehen der Lanteris, musst dich auch nicht mit meinen Fledermausohren rumschlagen, warum nimmst du dir nicht ein junges, hübsches Mädchen?« Beppes Miene nahm einen andächtigen Ausdruck an. »Ich weiß, sie spielt in einer anderen Liga als wir - aber hast du neulich Isabella gesehen? Die hat Klasse.«
»Die Tochter von Enzo Morone? Ich bin doch nicht lebensmüde.«
»Oder meinetwegen auch Matteos Schwester Flora? Warum die Mutter?«
Ja, warum nur, dachte Nino. Weil keine andere so lebendig ist? Weil keine in ihrer Küche ganze Filme nachspielt? Weil ich es liebe, wie sie mit dem Radio um die Wette singt? Und süchtig bin nach ihrem heiseren Lachen? Weil mich die Sehnsucht nach ihr nächtelang wachhält? Weil ich es jedes Mal, wirklich jedes Mal, kaum erwarten kann, bis ich sie endlich wiedersehe?
Nino zuckte mit den Achseln und schwieg.
»Nun ja, egal«, sagte Beppe und lachte, »amore regge senza legge, das hast du dir nicht ausgesucht.«
Sie hatten Mafaldas Haus erreicht und sperrten Buffon in den Hof, wo er mit hängenden Ohren zurückblieb - ein geschecktes Ungetüm mit Drahtbürstenbart und Elendsblick. Bevor sie sich trennten, packte Nino seinen Cousin an der Schulter und starrte ihn eindringlich an.
»Das ist doch...
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