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1.
Monaco im Februar 1920
Christopher St. Yves sprang behände an Bord der Celluloid, drehte sich um und reichte seiner Begleiterin die Hand. Miss Fortescue oder vielmehr Anne, wie der Duke of Surrey sie seit einiger Zeit nennen durfte, stieß sich ebenfalls ab, und er fing sie galant auf. Sie salutierten dem Kapitän des Schleppers, der sie vom Hafen zur schneeweißen Motorjacht ihrer Gastgeber gebracht hatte. Wie ein Eisberg lag die Celluloid in der Bucht von Monaco, und Christopher konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass es der Amerikaner bedurfte, um mit einem derartigen Ungetüm an der Riviera aufzukreuzen.
Einmal an Bord, ging der Eindruck verloren, und die erhöhte Position gewährte dem Besucher einen unverstellten Blick auf das funkelnde kleine Fürstentum, in dem elegante Damen und vermögende Herren gerade auf dem Weg ins Casino waren, um dort weiterzumachen, wo sie vor dem Krieg aufgehört hatten.
»Guten Abend, Sir.«
Ein streng dreinblickender Herr war an Deck erschienen und musterte die Neuankömmlinge in einer Art und Weise, die ihn als britischen Butler auswies. Christopher, von guten Freunden Kit genannt, griff in die Innentasche seines Smokings und holte seine Karte hervor. Der Butler blickte weitaus weniger streng drein, kaum dass er den Namen las, der in zart geschwungenen Lettern auf das dicke Papier gestanzt war. Er verneigte sich.
»My Lord Duke . Madam.«
»Miss«, korrigierte Anne ihn lachend.
Kit küsste ihr die Hand. »Noch.«
Erneut verbeugte sich der Butler.
Im selben Moment erklang eine durchdringende Frauenstimme. »Christopher! Christopher! Jetzt komm schon her!«
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend, Sir«, gelang es dem Butler noch zu sagen, bevor eine goldblonde Frau in einem ebenso goldenen Kleid und mit einem beachtlichen Diamantcollier mit ausgebreiteten Armen über das hintere Deck gelaufen kam.
»Was für eine Freude, Christopher!« Carla Tush ließ sich von Kit die behandschuhte Hand küssen. »Herrlich, endlich wieder hier zu sein und dich zu sehen . älter zwar, aber nach wie vor im Besitz sämtlicher Körperteile. Das kann man heutzutage nicht gerade über viele Männer deines Alters sagen.«
Kit lachte. »Du bist frech wie eh und je. Die meisten meiner Soldaten waren deutlich jünger als ich. Mittlerweile bin ich eher vierzig als dreißig.«
Er stellte seine Verlobte vor, und die amerikanische Gastgeberin brach erneut in Freudengeschrei aus.
»Anne, Verehrteste! Herzlich willkommen! So ein Glück! Was für eine eine reizende junge Dame, very british. Wie heißt es noch? Gleich und Gleich gesellt sich gern. Kommt, kommt mit, ihr seid beinahe die Letzten. Die anderen können es kaum erwarten, dich in die Arme zu schließen, Christopher. Zumindest diejenigen, die dich kennen. Wissen Sie, Anne, Ihr Verlobter war in seiner Jugend jeden Winter hier, mit seiner Frau Mama. Die beiden haben Tag und Nacht gemalt. Das waren Zeiten! Wir waren zwar ärmer, aber wir waren guter Dinge.«
»Liebe Carla, ich war arm. Du nicht.«
Sie winkte ab. »Auf Geld kam es doch damals nicht an.«
Anne hakte sich bei Kit ein. »Das muss wunderbar gewesen sein. Meine Eltern haben mich immer in England gelassen, wenn sie an die Riviera gefahren sind.«
»Wie es sich für ein Mädchen aus gutem Hause gehört. Unsere Kinder hätten sich gefreut, wenn wir sie in Amerika gelassen hätten. Seit wir von New York nach Kalifornien gezogen sind, wollen sie gar nicht mehr verreisen. Sie sind mittlerweile erwachsen und haben uns gefragt, warum wir überhaupt noch nach Europa fahren wollen, wo wir doch das Meer direkt vor der Haustür haben. Dabei ist es die Kultur, verstehen Sie, Anne? Die Kultur, die Leute! Außerdem liebe ich die Seefahrt! Die großen Schiffe. Ich stamme aus einer Reederfamilie. Ohne unsere Schiffe könnten Sie heute keine Filme im Filmtheater ansehen. Glauben Sie mir, ich habe das Geld in diese Familie gebracht.« Sie zwinkerte verschwörerisch. »Und dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Alkohol. Sie wissen sicher, dass wir drüben keinen mehr bekommen. Jedenfalls nicht so leicht.«
»Natürlich.«
Wie schon viele Male zuvor erfreute es Kit, mit welcher Leichtigkeit Anne sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte. Sie war höflich und stets für einen humorvollen Kommentar zu haben, ohne jemals gewöhnlich oder gar laut zu werden. Als Tochter eines Barons aus einer Familie mit langer Tradition, besaß sie das der britischen Upperclass quasi angeborene Gefühl der Zugehörigkeit und Selbstsicherheit. Dazu sah sie hübsch aus und war von wachem Verstand. Ja, mit Anne hatte er eine gute Wahl getroffen.
Carla führte Kit und Anne eine Treppe hinauf, die zu dem großen Deck am Heck des Schiffes führte, wo eine amerikanische Jazzband spielte. Carla ist offenbar immer noch auf der Höhe der Zeit, dachte Kit amüsiert. Überhaupt zeugte die Ausstattung der Jacht davon, dass Carla weder Kosten noch Mühen gescheut hatte, um sich einen schwimmenden Palast zu schaffen. Sogar die Reling war vergoldet.
»Champagner. Ihr braucht Champagner!« Carla sah sich um, als würde der Perlwein auf Zuruf zwischen den Edelholzplanken des Decks hervorsprudeln. »Oder möchtet ihr lieber etwas Stärkeres?«
Kit lachte. »Champagner ist wunderbar, Carla.«
Die Gastgeberin eilte in Richtung Bar davon.
»Sieh nur, ist das da drüben nicht Maya Fay, die Schauspielerin?«, flüsterte Anne. Mit einer Kopfbewegung machte sie Kit auf ein junges Paar aufmerksam, das schwungvoll über die Dielen tanzte.
»Ich glaube schon.«
»Sie ist wirklich hinreißend schön.«
Kit winkte ab. »Nicht mein Typ.«
Das stimmte nicht ganz. Maya Fay war der Typ eines jeden Mannes: die klassische Filmgöttin mit rabenschwarzem Haar und kohlumrandeten Augen, exotisch und ein wenig schlangenhaft in ihren Bewegungen. Dennoch war Kit die natürliche Anne, grauäugig, unaffektiert und ohne jegliche Umrandungen, um ein Vielfaches lieber. Frauen wie Maya Fay trieben Männer in den Wahnsinn. Das wusste Kit nur zu gut.
»Wer ist ihr Tanzpartner?«, fragte Anne.
»Das ist Graf Yuri Balaton. Ein Ungar.«
»Kennst du ihn?«
»Flüchtig«, log Kit und hoffte, Anne bemerkte das leichte Zittern seiner Stimme nicht. »Wir haben uns selten in denselben Kreisen bewegt.«
Erinnerungen an lange Nächte im Casino von Monte Carlo stiegen in ihm auf, an schöne Frauen, an viel zu schnelle Fahrten über kurvige Straßen. An Yuri, ihn selbst und die vielen anderen jungen Männer, die einander nur wenige Jahre später im Kugelhagel der Maschinengewehre gegenüberstehen sollten. Es waren unbeschwerte Zeiten für ihn und seine Freunde gewesen. Die Aristokratie und der Geldadel hatten sich unbeobachtet und verschworen gefühlt. Hier, an der bezaubernden Riviera, hatten die gut betuchten Urlauber sich als Weltbürger verstanden. Russen, Ungarn und Deutsche. Amerikaner, Briten und Franzosen. Südamerikaner, Australier, Skandinavier, ja sogar indische Radjas wollten die Wintermonate in den prächtigen Villen und luxuriösen Hotels verbringen, die sich an die Klippen der französischen Mittelmeerküste schmiegten. In den Gärten funkelten inzwischen wieder die Lampions, wie in den Jahren vor dem Krieg.
Kits Gedanken drifteten ab zu einer Nacht in Nizza, erleuchtet von ebensolchen Lampions. Damals hatte sich die wesentlich jüngere Carla Tush ihre Kette vom Hals gerissen, die einzelnen Perlen ins Meer geworfen und behauptet, in fünfzehn Jahren würde man die Perlen im Inneren einiger Muscheln wiederfinden, doppelt so groß. Ob eine dieser Perlen unter der Celluloid lag und auf dem stillen Meeresboden unaufhörlich wuchs?
Anne kniff ihn sanft in den Arm. »Alles in Ordnung, Kit? Du bist so seltsam .« Sie lächelte ihn fragend an, und er küsste sie rasch auf die Wange.
»Danke, Anne, alles bestens.« Er sollte besser nicht mehr über den Meeresboden nachdenken. Dort unten lauerten Gedanken, mit denen er diesen schönen Abend nicht trüben wollte.
»Champagner!«
Carla kam wie gerufen.
Die Amerikanerin reichte ihnen jeweils ein Glas und betrachtete nun ebenfalls das tanzende Paar. »Yuri ist mittlerweile verheiratet. Seine Frau leidet an Migräne und geht abends nicht aus dem Haus, während er sich ständig die Nächte um die Ohren schlägt. Trotzdem bekommt sie ein Kind nach dem anderen.«
»Oh?« Anne hob eine Augenbraue.
Carla lachte reumütig. »Die Kleinen sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Leider. Es gibt viel zu wenig Klatsch und Tratsch in diesem Jahr, der Krieg hat uns alle geläutert. Na ja, wer weiß, was sich noch so ans Tageslicht bringen lässt. Ich bin ein guter Spürhund, wenn es um Geheimnisse geht, müssen Sie wissen, Anne.«
Kit war erleichtert, dass Carla keine Anstalten machte, die Tanzenden zu unterbrechen. Jetzt war nicht der Moment, um gemeinsam in Erinnerungen an geteilte Jugendsünden zu schwelgen. Er wollte mit Anne ein neues Leben anfangen, da musste das alte nicht unbedingt ausgegraben werden.
»Christopher!« Ronald Tush, der wichtigste Filmproduzent Hollywoods, schüttelte ihm zur Begrüßung die Hand und drückte sie dabei so fest, dass Kit die Zähne zusammenbeißen musste. »Und Sie, junge Dame, sind die Auserwählte? Gratulation, alter Junge. Du hast schon immer Geschmack bewiesen, sei es in der Kunst oder in der Liebe . Sie wissen sicher, dass Ihr Verlobter den Gainsborough restauriert hat, den wir bei Rotherhithe's in London ersteigert haben. Das Porträt der...
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