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Genosse Zhao Ling lehnte sich im Fond des Hongqi E zurück - der Staatskarosse, die man ihm ins Hotel geschickt hatte, um ihn durch Peking zur Verbotenen Stadt zu chauffieren. Das Büro von Zhao tongzhi aber lag zweitausend Kilometer entfernt, im südlichen Technologiezentrum des Riesenreiches in Shenzen, wo er in der zweiundvierzigsten Etage eines Geschäftsgebäudes residierte, das jedermann den Zhao-Tower nannte. So konnte er selbst an Tagen, an denen die meisten seiner Genossen zweihundertfünfzig Meter tiefer trotz Mundschutz im Smog zu ersticken drohten, auf die Dachterrasse treten, einigermaßen frei durchatmen und manchmal sogar die Sonne sehen.
Zhao Ling wusste sich am Ziel seiner Träume, als ihm am Tag zuvor dort oben ein schlichtes weißes Kuvert überreicht worden war. Trug es doch jenes Emblem, unter dem alle Macht Chinas vereint war: umrahmt von einem goldenen Ährenkranz, der in einem Zahnrad auslief, prangten in Gold auf rotem Grund fünf Sterne und darunter das Tor des Himmlischen Friedens. Der Überbringer war kein Geringerer als der Stellvertretende Minister für Wissenschaft und Technologie. Fast eine Stunde hatten sie bereits geplaudert, als der Gast den Brief aus einer Schreibmappe zog, die in rotes Saffianleder gebunden war. In gut unterrichteten Kreisen hatte es schon länger geheißen, dass Genosse Zhao ins Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas aufrücken werde. Dem Zentralkomitee der KP gehörte er bereits seit einigen Jahren an. Nun wollte man auch im innersten Zirkel der Macht nicht länger auf einen Mann mit seiner Kompetenz verzichten.
Begonnen hatte Zhao Ling seine Karriere als Bauingenieur. Heute leitete er einen global operierenden Mischkonzern. Die Baubranche, die Agroindustrie und ganz besonders die boomende IT-Sparte erwirtschafteten Gewinne, die andere Zukunftstechnologien querfinanzierten, solange deren Entwicklung noch auf Subventionen angewiesen war. Besonders interessant waren dabei jene Resultate, die während der letzten Jahre in Zhaos Gentechnik-Labors erzielt worden waren; was nun endlich Patentreife erreicht hatte, konnte zur Verheißung für sein Land werden. Die Zeit der Ernte schien gekommen, in der sich die Milliarden auszahlen würden, die er investiert hatte, um das Forschungskonglomerat Zhao Future Unlimited aufzubauen.
Zhao hatte erwartet, dass der Wagen ihn in den Regierungsbezirk bringen würde. Er war überrascht, als er sah, dass der Chauffeur im Viertel Shichahai hielt, unmittelbar bei der Residenz des Prinzen Gong, deren Anfänge ins 18. Jahrhundert in die Zeit der Qing-Dynastie zurückreichten. Der Gast fühlte sich geschmeichelt, denn diese Residenz galt in der Hauptstadt als das Paradies der menschlichen Welt. Ein Offizier der Volksarmee in Paradeuniform öffnete den Schlag und geleitete mit drei weiteren Militärs Zhao Ling die Stufen hinauf, wo er von einer anderen Ordonnanz in Empfang genommen und durch den Park geführt wurde, der aus Teichen und Pavillons bestand - und an diesem Tag menschenleer war. In einem alten Götterschrein mitten im Grünen saß ein Mann in dunklem Anzug. Als er die Schritte hörte, wandte er den Blick von den kleinen Fontänen jenseits des Bambusgeländers und nickte lächelnd seinem Besucher zu.
«Zhao tongzhi, seien Sie willkommen!»
Der Industrielle blieb stehen und verneigte sich - sein Gastgeber war Generalsekretär Chen persönlich, das Haupt der allmächtigen KP Chinas.
«Chen zongshuji, ich danke Ihnen für die Ehre, mich zu empfangen!»
«Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen!»
Ihr Weg führte durch einen Laubengang, den blühende Clematis umrankte, vorbei an paarweise aufgestellten Löwen; die rechte Pranke des einen ruhte auf einem Ball, der andere führte ein Junges. Sie gingen über eine Holzbrücke, deren rote und schwarze Lackarbeiten mit einem grünen Phönix und einem goldenen Glücksdrachen verziert waren, und gelangten zu einem Teehaus, das inmitten einer Wasserfläche lag, auf der Teichrosen blühten. Das ferne Brausen des Verkehrs war kaum noch zu vernehmen, gelegentlich hörte man sogar den knisternden Flügelschlag der Libellen, die bunt schillernd über das Grün schossen. Der Generalsekretär griff in eine kleine Schale, die auf einer Bank stand, und warf ein paar Kügelchen Fischfutter ins Wasser. Bald darauf schoben sich Kois aus der dunklen Tiefe und schluckten die Leckereien mit weit offenen Mäulern.
«Man muss die Bäuche füllen und die Herzen leer machen. Diese Weisheit, Zhao tongzhi, gilt heute wie vor über zweitausend Jahren. Damals bestimmten die Legalisten die Staatsraison; sie brachten Ruhe in das unter Qin Shihuangdi geeinte China - Ruhe, die das Land nach den blutigen Jahrhunderten der Streitenden Reiche dringend brauchte. Heute würde so etwas niemand in der Partei laut sagen, obwohl wir alle danach handeln. Wir haben ein gesellschaftliches Gleichgewicht erreicht, dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie labil es immer noch ist. Die elementare Versorgung unserer Landsleute und der Wohlstand für eine wachsende Mittelschicht helfen uns, alle Krisensymptome unter Kontrolle zu halten. Notfalls könnten wir sie eine Zeit lang unterdrücken. Aber irgendwann würde es zu Volksaufständen kommen, die uns gefährlich werden könnten. In dieser Lage ist es für uns essentiell, dass nichts unsere Stellung am Weltmarkt gefährdet, die uns allein die Mittel verschafft, die Menschen ruhig zu halten. Stimmen Sie mir zu, Zhao tongzhi?»
«Selbstverständlich, Chen zongshuji.»
«Dann lassen Sie uns offen miteinander sprechen. Was mir Sorgen bereitet, ist, wie Sie sich vorstellen können, die Entwicklung in Afrika.»
Zhao nickte. Niedrige Löhne, niedrige Sicherheitsstandards und kaum durchsetzbare Umweltschutzrichtlinien hatten afrikanische Länder zu einer Goldgrube für chinesische Investoren gemacht. Dabei waren lokale afrikanische Industrien, etwa auf dem Textilsektor, untergegangen. Fast immer hatten die Firmen aus China ihre eigenen Arbeitskräfte mitgebracht, so dass auch keine neuen Arbeitsplätze für Afrikaner entstanden, sondern die Not vor Ort nur noch größer wurde. An einigen Förderstätten für Rohstoffe, die chinesische Unternehmer übernommen hatten, war der Arbeitsschutz in einem Maße vernachlässigt worden, dass es zu Katastrophen gekommen war, bei denen über fünfzig Menschen starben. Zudem hatte der Kauf von fruchtbaren Ackerflächen, auf denen inzwischen Getreide und Früchte für den Export nach China angebaut wurden, in manchen Regionen die ohnehin prekäre Lage für die einheimische Bevölkerung drastisch verschlechtert; dort waren Familien vom Land ihrer Väter vertrieben worden, was man offiziell als «Umsiedlung» bezeichnet hatte. Außerdem sorgten elende Löhne für Spannungen zwischen einheimischen Landarbeitern und den fremden Eigentümern.
So waren verschiedentlich Aufstände ausgebrochen, wobei chinesische Werksbetreiber sogar auf afrikanische Arbeiter hatten schießen lassen. Regierungen in Afrika sahen sich jedoch angesichts ihrer Verschuldung gegenüber China kaum in der Lage, wirksam die Interessen der eigenen Bevölkerung zu vertreten. Die Korruption trug das Ihrige dazu bei, dass lokale Verwaltungen Klagen ihrer Bürger gegen die wahren Machthaber zurückwiesen oder deren Bearbeitung verschleppten.
Generalsekretär Chen, der eine Weile schweigend die Fische im Teich betrachtet hatte, wandte sich um.
«Es ist unangenehmer geworden, als das Politbüro vorausgesehen hat. Die jüngsten Meldungen besagen, dass uns eine regelrechte Boykottwelle droht. An allen Börsen der Welt geben unsere Aktienkurse nach. Wir hatten gedacht, dass wir die Proteste überstehen könnten und der Sturm, der sich zusammenbraute, bald in sich zusammenfallen würde. Die Europäer würden sich eine Weile aufregen und dann - wie immer in Menschenrechtsfragen - aus Angst vor unserer Wirtschaftsmacht einknicken und wieder zur Tagesordnung übergehen.
Aber diesmal haben wir uns geirrt. Die Stimmung kehrt sich mehr und mehr gegen uns - angetrieben von diesem Papst aus Afrika! Laurentius ist der Mann, mit dem wir nicht gerechnet haben. Und erst recht nicht damit, welchen Einfluss er gewinnen würde. Sie wissen, wie seine Vorwürfe lauten - Neokolonialismus, Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung seines Heimatkontinents. Wir würden keine Entwicklungshilfe leisten, sondern seien mitverantwortlich für Hunger und Armut in den Ländern, in denen wir investieren. - Andere Länder, andere Instanzen könnten wir in die Knie zwingen. Aber den Vatikan .»
«Was...
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