Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Sie hatten den Tolly Club nie betreten. Wie die meisten Menschen in der Gegend waren sie immer nur an dem Holztor und den Backsteinmauern vorbeigegangen, Hunderte von Malen.
Bis Mitte der vierziger Jahre hatte ihr Vater von diesseits der Mauer bei Pferderennen zugesehen. Zusammen mit Wettlustigen und anderen Zuschauern, die sich keine Eintrittskarte leisten konnten oder nicht in den Club hineindurften, hatte er auf der Straße gestanden und zugesehen. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, etwa um die Zeit, als Subhash und Udayan zur Welt kamen, wurde die Mauer erhöht, sodass den Leuten der Blick in den Club versperrt war.
Bismillah, ein Nachbar, arbeitete im Club als Balljunge. Er war einer der Moslems, die nach der Teilung in Tollygunge geblieben waren. Für wenige Paisas verkaufte er den Brüdern Golfbälle, die auf dem Golfplatz verlorengegangen oder liegen geblieben waren. Manche waren aufgeplatzt wie eine Wunde in der Haut und gaben ein rosafarbenes, gummiartiges Inneres frei.
Anfangs schlugen die beiden Brüder die gedimpelten Bälle mit Stöcken hin und her. Dann verkaufte Bismillah ihnen auch einen Golfschläger, dessen Schaft leicht verbogen war. Ein Spieler hatte ihn aus Wut gegen einen Baum geschlagen und beschädigt.
Bismillah zeigte ihnen, wie sie sich vorbeugen, wo sie die Hände an den Schläger legen mussten. In ungefährer Ahnung von dem Sinn des Sports buddelten sie Löcher in die Erde und versuchten, die Bälle hineinzubefördern. Obwohl eigentlich ein anderer Schläger für den Weitschlag nötig war, benutzten sie den Putter. Aber Golf war nicht wie Fußball oder Kricket. Kein Sport, bei dem die Brüder zu ihrer Zufriedenheit improvisieren konnten.
In den Boden des Spielplatzes kratzte Bismillah ihnen einen Lageplan des Tolly Clubs. Er sagte, in der Nähe des Clubhauses gebe es einen Swimmingpool, Ställe und einen Tennisplatz. Restaurants, in denen Tee aus Silberkannen eingeschenkt werde, besondere Räume für Billard und Bridge. Grammophone, die Musik spielten. Barkeeper in weißen Uniformen, die Drinks mit Namen wie Pink Lady und Gin-Fizz mixten.
Die Clubleitung hatte kürzlich weitere Mauern errichten lassen, um Eindringlinge fernzuhalten. Aber Bismillah sagte, an der Westseite gebe es immer noch Abschnitte, in denen nur Maschendraht gezogen sei und wo man hineinschlüpfen könne.
Sie warteten bis zum Einbruch der Dämmerung, wenn die Golfspieler der Moskitos wegen den Platz verließen und ins Clubhaus gingen, um ihre Cocktails zu trinken. Sie hielten den Plan geheim, sagten auch den anderen Jungen in der Nachbarschaft nichts davon. Sie gingen zu der Moschee an der Ecke, deren rot-weiß gestreiftes Minarett sich von den anderen Gebäuden im Umkreis abhob. Sie bogen in die Hauptstraße ein, die Golfschläger und zwei leere Petroleumkanister in den Händen.
Sie überquerten die Straße zum Technicians' Studio. Sie gingen zum Reisfeld, früher das Bett des Adi Ganga, auf dem die Briten mit ihren Segelbooten ins Delta hinausgefahren waren.
Jetzt war es ein stehendes Gewässer, an dessen Rand Siedlungen von Hindus standen, die aus Dhaka, Rajshahi und Chittagong geflohen waren. Vertriebene, die in Kalkutta Aufnahme, aber keinerlei Beachtung fanden. Seit der Teilung vor zehn Jahren waren sie auf die gleiche Weise in Bereiche von Tollygunge geströmt, wie der Monsun das Tiefland überflutete.
Auch einige Regierungsangestellte hatten dort im Austauschprogramm Wohnungen zugewiesen bekommen. Aber die meisten waren Flüchtlinge, die erst tröpfelnd, dann in einem Strom eintrafen. Subhash und Udayan erinnerten sich daran. Eine finstere Prozession, eine menschliche Herde. Ein paar Bündel auf dem Kopf, Säuglinge vor der Brust der Eltern festgeschnallt.
Sie bauten sich einen Unterschlupf aus Zeltplanen oder Stroh, mit Wänden aus Bambusmatten. Sie lebten ohne sanitäre Anlagen, ohne Elektrizität. In armseligen Hütten neben Müllhaufen, wo immer sie Platz fanden.
Ihretwegen war der Adi Ganga, an dessen Ufer der Tolly Club stand, jetzt ein Abwasserkanal für Südwestkalkutta geworden. Ihretwegen gab es die zusätzlichen Mauern um den Club.
Subhash und Udayan fanden keinen Maschendrahtzaun. Sie blieben an einer Stelle stehen, an der die Mauer so niedrig war, dass sie darüberklettern konnten. Sie trugen Shorts. Ihre Taschen waren mit Golfbällen vollgestopft. Bismillah hatte gesagt, sie könnten auf dem Clubgelände noch viel mehr Golfbälle finden, auf der Erde, zwischen den Schoten, die von den Tamarindenbäumen fielen.
Udayan warf den Golfschläger über die Mauer. Dann einen der Petroleumkanister. Wenn Subhash sich auf den anderen Kanister gestellt hätte, wäre er hoch genug gekommen, um über die Mauer zu steigen. Aber Udayan war damals noch ein paar Zentimeter kleiner.
Gib mir Hilfestellung, sagte er.
Subhash verschränkte die Finger. Er spürte das Gewicht des Fußes, die raue Sohle der Sandale, dann den ganzen Körper seines Bruders, der einen Moment lang auf seine Hände drückte. Udayan stemmte sich schnell hoch. Er setzte sich rittlings auf die Mauer.
Soll ich auf dieser Seite aufpassen, und du guckst dich mal um?, fragte Subhash.
Das macht doch keinen Spaß.
Was siehst du denn?
Komm und schau selbst.
Subhash schob den Petroleumkanister näher an die Mauer. Er stellte sich darauf und spürte, wie der leere Behälter unter ihm wackelte.
Mach schon, Subhash.
Udayan drehte sich um und ließ sich innen an der Mauer herab, bis oben nur noch seine Fingerspitzen zu sehen waren. Dann ließ er los und landete auf dem Boden. Subhash hörte seinen angestrengten Atem.
Alles in Ordnung?
Na klar. Jetzt du.
Subhash krallte sich an der Mauer fest, drückte sich mit der Brust dagegen, schürfte sich die Knie auf. Wie immer wusste er nicht recht, ob er sich mehr über Udayans Wagemut ärgerte oder über seinen eigenen Mangel daran. Subhash war dreizehn Jahre alt, fünfzehn Monate älter als Udayan. Aber ohne Udayan hatte er kein Gefühl von sich selbst. So lange er denken konnte, war sein Bruder immer da gewesen.
Plötzlich waren sie nicht mehr in Tollygunge. Sie konnten den Verkehr auf der Straße zwar hören, aber nicht mehr sehen. Um sie herum standen riesige Kanonenkugel- und Eukalyptusbäume, Zylinderputzer und Frangipani.
Subhash hatte noch nie so einen Rasen gesehen, gleichförmig wie ein Teppich, der über einen abfallenden Erdboden gebreitet ist. Sich wellte wie die Dünen in einer Wüste oder das sanft wogende Meer. Auf dem Grün war das Gras so kurz gestutzt, dass es sich wie Moos anfühlte, als Subhash daraufdrückte. Der Boden war glatt wie ein Schädel, das Gras hier eine Spur heller.
Er hatte noch nie so viele Reiher an einem Ort gesehen; als er ihnen zu nahe kam, flogen sie auf. Die Bäume warfen Nachmittagsschatten auf den Rasen. Ihre ebenmäßigen Äste waren gespreizt, als er nach oben blickte, wie die verbotenen Körperbereiche einer Frau.
Ihnen beiden war schwindelig von der Erregung, widerrechtlich dort eingedrungen zu sein, von der Angst, entdeckt zu werden. Aber kein Wachmann, weder zu Fuß noch zu Pferd, kein Platzwart erspähte sie. Niemand kam und verjagte sie.
Allmählich ließ ihre Erregung nach, und sie entdeckten kleine Fähnchen, die auf dem Platz verteilt im Boden steckten. Die Löcher waren wie Bauchnabel in der Erde, und in den Löchern dienten kleine Becher dazu, die Bälle aufzufangen. Zwischendrin gab es flache Sandgruben. Und Wasserlachen auf dem Fairway, merkwürdig geformt, wie Tropfen unter einem Mikroskop.
Sie hielten sich vom Haupteingang fern und wagten sich auch nicht in die Nähe des Clubhauses, wo ausländische Paare Arm in Arm wandelten oder auf Korbstühlen unter den Bäumen saßen. Manchmal, so hatte Bismillah erzählt, gab es ein Geburtstagsfest für das Kind einer britischen Familie, die noch in Indien lebte, mit Eis und Ponyreiten und einem Kuchen, auf dem brennende Kerzen steckten. Obwohl Nehru Premierminister war, hing das Porträt von Elizabeth II., der neuen Königin, im großen Salon.
In ihrem unbeachteten Teil des Clubs schwang Udayan in Gesellschaft eines Wasserbüffels, der sich dorthin verirrt hatte, kraftvoll den Schläger. Er hob beide Arme über den Kopf, nahm bestimmte Haltungen ein und schwenkte den Golfschläger wie ein Schwert. Er riss den makellosen Rasen auf und schlug ein paar Golfbälle ins Wasser. Im Rough suchten sie nach neuen.
Subhash musste aufpassen; er lauschte, ob er auf den breiten roten Wegen Pferdehufe hörte. Er vernahm das Klopfen eines Spechts. Und das schwache Sirren einer Sichel in einem anderen Teil des Clubs, in dem der Rasen von Hand geschnitten wurde.
Schakale saßen aufrecht in Rudeln zusammen, das braune Fell grau gefleckt. Im abnehmenden Licht gingen einige auf Nahrungssuche; ihre mageren Gestalten zogen in gerader Linie dahin. Ihr klagendes, an den Mauern widerhallendes Geheul war ein Zeichen dafür, dass es spät wurde und die Brüder nach Hause mussten.
Sie ließen die beiden Petroleumkanister zurück, den einen an der Außenseite der Mauer, um die Stelle zu markieren. Den Kanister innerhalb des Geländes versteckten sie sorgfältig im Gebüsch.
Bei weiteren Besuchen sammelte Subhash Federn und wilde Mandeln. Er sah Geier, die in den Lachen badeten und die Flügel zum Trocknen ausspannten.
Einmal fand er ein Ei, das heil aus dem Nest einer Grasmücke gefallen war. Er trug es vorsichtig nach Hause, legte es in ein Tonschälchen aus einem Süßwarenladen und bedeckte es mit Zweigen. Dann, als kein Vogel aus dem Ei schlüpfte, vergrub er es im Garten hinter dem Haus, am Fuß des Mangobaums.
Eines Abends hatten sie den Golfschläger über...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.