Schweitzer Fachinformationen
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Professor Hans Rekke konnte an diesem Morgen überhaupt nichts finden, nicht einmal eine Schale oder einen Löffel für seinen Joghurt.
»Meine Güte, was ist denn hier los?«, rief er.
Micaela Vargas, seine Mitbewohnerin, betrat die Küche in einen seiner Morgenmäntel gehüllt, der wie eine Königsrobe hinter ihr her über den Boden wischte.
»Change we need«, sagte sie.
Rekke sah sie skeptisch an und zog eine Schublade heraus, wo anstelle von Messern Topflappen und Handtücher lagen.
»Das ist sehr schlau ausgedacht«, fuhr sie fort und lächelte etwas schief.
»Das ist es sicherlich. Aber es ist neu, und ich halte .« Neues . nicht aus, hatte er sagen wollen, aber ihm fiel noch rechtzeitig ein, dass das nicht sonderlich unterhaltsam, sondern nur wahr und lächerlich sein würde.
»Nun gut«, sagte er stattdessen. »Es wird eine gute Ausrede für meine Hilflosigkeit sein. Warst du die ganze Nacht auf?«
»Die ganze Nacht, bis lange nachdem das alles fertig war. Wenn du nett bist, kann ich dir einen Espresso machen.«
»Eher gebe ich ein Königreich für eine Schale und einen Löffel. Und die Morgenzeitungen.«
Er ließ sich am Küchentisch nieder, während Micaela ihm mit geradezu unverschämt guter Laune Kaffee, Joghurt und Zeitungen reichte, und auch wenn ihn das insgeheim ein wenig ärgerte, konnte er ihr doch keinen Vorwurf machen. Es war ein großer Tag, ganz gleich, wie viel am falschen Ort lag. Ein ungewöhnlich begabter und sympathischer Senator aus Illinois hatte die amerikanische Präsidentenwahl gewonnen, und er sehnte sich danach, darüber zu lesen und in seinen Gedanken darüber zu versinken. Doch schaffte er nicht sonderlich viele Zeilen über die Headline »Obama auf dem Weg zum Sieg« hinaus, ehe es an der Tür klopfte und er etwas hoffnungsvoll zu Micaela schaute. Doch die verschwand nur mit ihrer Morgenmantelschleppe in den Tiefen der Wohnung, also erhob er sich widerwillig und ging in die Diele hinaus.
Er öffnete die Eingangstür, und an einem anderen Tag, an einem etwas konzentrierteren Morgen, hätte er sich rein phänomenologisch für diesen Moment interessiert, in dem wir alles Mögliche erwarten und dann bemerken, was dort wirklich ist, und sich für einen Moment Vorstellung und Realität vermischen. Doch jetzt blinzelte er nur und erkannte, dass der Besucher ein Mann in den Sechzigern mit südeuropäischem Aussehen und großen braunen, tief liegenden Augen war.
»Guten Morgen«, sagte Rekke.
»Ich bitte um Entschuldigung, dass ich hier einfach so reinplatze«, erwiderte der Mann in gebrochenem Englisch.
»Worum geht es?«
»Mein Name ist Rafael Corales«, fuhr der Mann fort. »Ich bin Polizeimeister in Pamplona in Spanien, und ich habe bereits mehrmals angerufen und Mails geschickt.«
»Ah ja, stimmt. Darf ich Sie dennoch bitten, später noch einmal wiederzukommen? Ich sitze mitten in .«
Doch der Mann machte eine Bewegung mit seiner Aktentasche, als wäre es allzu anstrengend, mit einer solchen Last wieder umzukehren.
»Da wird es aber später Abend werden«, erwiderte er. »Ich bin den ganzen Tag auf einer Konferenz, und danach gibt es noch ein Abendessen.«
Rekke machte eine ergebene Geste mit den Händen.
»Dann treten Sie doch ein, Señor Corales. Kann ich Ihnen vielleicht eine Tasse Kaffee anbieten?«, fragte er und ging zurück Richtung Küche. Was natürlich ein Fehler war, das eine wie das andere.
Als Rekke die Morgenzeitungen auf dem Tisch liegen sah, ärgerte es ihn noch mehr, in seiner Lektüre unterbrochen worden zu sein. Außerdem fand er keine Tassen und auch sonst nichts.
»Ist es kalt draußen?«, fragte er, hauptsächlich, um seine Hilflosigkeit in Sachen Küchenschubladen zu überspielen.
»Es soll wohl einen Schneesturm geben«, meinte Corales und hängte seine Pelzjacke über einen Küchenstuhl. »Was suchen Sie?«
»Eine Tasse für meinen Gast. Doch das übersteigt offensichtlich meine detektivischen Fähigkeiten.«
Corales, der einen eng sitzenden Anzug mit Schlips trug, hatte eine verwegene Frisur - im Grunde eine Art Vokuhila - und sah aus, als würde er nichts begreifen oder sich nicht einmal vorstellen können, dass Rekke in seiner eigenen Küche nichts fand. Wo er doch der Meisterdetektiv sein sollte, und so.
»Lesen Sie über Obama?«, fragte der Polizeimeister und sah auf die Zeitungen hinunter.
»Würde ich gern«, antwortete Rekke, ohne seinen Ärger zu verbergen. »Einfach fantastisch«, schob er etwas freundlicher nach.
»Geht so«, erwiderte Corales.
Auch das ärgerte Rekke.
»Geht so?«
»Ich hätte McCain vorgezogen.«
»Und warum in aller Welt?«
»Ein Mann, der Folter und Gefangenschaft auf solche Weise erträgt, muss ein Mensch sein, auf den man sich verlassen kann«, sagte Corales, und Rekke erwog, darauf einzugehen und eine kleine politische Diskussion zu beginnen, einfach nur for the hell of it.
»Aber Gott behüte uns vor Sarah Palin«, sagte er stattdessen. »Was ist das für eine Konferenz, die Sie besuchen?«
»Über digitale Zusammenarbeit und alles, was dazugehört. Aber am interessantesten sind die Mittagessen und die Pausen. Da diskutieren wir über alte Ermittlungen, und als ich erzählt habe, dass ich Kontakt zu Ihnen aufgenommen habe, waren alle Feuer und Flamme.«
Rekke versuchte, sich zu erinnern, worum es bei der Sache ging, und sah verstohlen auf die allzu schwere Aktentasche, die jetzt auf dem Küchenfußboden stand. Er fürchtete, dass der Besuch sich lange hinziehen würde. Danach suchte er noch einmal nach den Tassen, und tatsächlich: Im Schrank direkt über der Espressomaschine standen sie in vorbildlicher Ordnung aufgereiht. Das war doch mal ein Fortschritt, dachte er.
»Das Rätsel ist gelöst. Was für einen Kaffee hätten Sie denn gern?«
Rafael Corales sah zufrieden aus.
»Ah, Sie haben aber eine schicke Maschine. Wenn möglich, bitte einen Cappuccino, extra stark. Es heißt, Sie seien ein Meister darin, alte Spuren zu interpretieren, Herr Professor.«
»Ich weiß nicht so recht«, murmelte Rekke, schäumte die Milch auf und fragte sich, ob er den Mann nicht einfach den Kaffee austrinken lassen und ihn dann freundlich rauskomplimentieren sollte. Dieser unwillkommene Besuch wurde langsam zu einem Unding.
»Könnten Sie mich ein wenig an Ihr Anliegen erinnern?«, bat er.
Corales lehnte sich zurück und machte es sich beunruhigend bequem, während die Maschine die Espressobohnen mahlte.
»Gewiss. Selbstverständlich. Ich kann es noch einmal von vorn erzählen, wenn Sie möchten.«
»Das ist nicht notwendig«, erwiderte Rekke und servierte den Kaffee.
Corales nahm einen Schluck und strahlte.
»Ausnehmend gut«, sagte er. Er streckte sich. »Ich möchte Sie nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen.«
Nein, um Gottes willen, bitte tu das nicht, dachte Rekke.
»Doch eine Sache möchte ich noch erwähnen, da sie von Bedeutung für meine Geschichte ist.«
»Lassen Sie hören«, sagte Rekke und begann, mit dem rechten Auge weiter in der Zeitung zu lesen.
»Ich bin ein Wettkampftyp«, gestand Corales.
Oh nein, dachte Rekke.
»Ich weiß, das sagt inzwischen jeder«, fuhr der Polizeimeister fort, als hätte er die Gedanken des Professors gelesen.
»Da haben Sie zweifellos recht.«
»Doch für mich war es mehr ein Fluch als ein Vorteil. Es hat mich nach vorn gebracht, aber ich bin durchaus auch mal gescheitert, und manchmal habe ich mich geweigert, meine Fehler einzugestehen.«
Rekke lächelte aufmunternd.
»Und doch haben Sie genau das getan.«
»Das Gute war, dass ich niemals aufgegeben habe, und deshalb sitze ich hier bei Ihnen, Herr Professor. Meinen wichtigsten Fall habe ich verbockt.«
In der frommen Hoffnung, ein Lebenszeichen von Micaela zu vernehmen, lauschte Rekke in die Wohnung hinein. Doch es blieb still, nur der Wind rüttelte an den Atelierfenstern, und er fragte sich, ob er nicht gleich eine gute Ausrede erfinden sollte, um sich das alles hier zu ersparen. Hatte er nicht seinem schrecklichen Bruder versprochen, heute auf irgendeinen Empfang zu gehen?
»Und wie lange war das noch gleich her?«, fragte Rekke.
»Zwanzig Jahre.«
»Ein Cold Case.«
»Nicht für mich«, entgegnete Corales. »Für mich ist er immer noch frisch.«
Ich meinte mich selbst, dachte Rekke. Ich hätte was Heißes gebraucht, um meinen Ärger abzuschütteln.
»Wo fand das Drama statt?«
»Santander, an der Nordküste, im Baskenland.«
»Weit weg«, murmelte Rekke, erinnerte sich aber auch an den Fall.
»Ich war Kripochef in der Stadt«, fuhr Corales fort. »Wir haben uns auf die alljährliche Fiesta vorbereitet, Semana Grande. Ich weiß nicht, ob Sie irgendwelche Erfahrungen mit unseren diesbezüglichen Traditionen haben, Professor.«
»Ich kenne sie mehr in der Theorie als in der Praxis«, antwortete Rekke nicht ganz wahrheitsgetreu, doch dies hier war kaum der richtige Zeitpunkt, alte Sünden zu gestehen.
»Die Fiesta dauert sieben Tage lang rund um die Uhr. Die Leute sind in der Regel betrunken, aber fröhlich«, erklärte Corales.
»Aber eine junge Frau ist doch ermordet worden, nicht wahr?«
»In der ersten Nacht der Fiesta.«
In der ersten Nacht, dachte Rekke und hatte ein...
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