Samstag, noch sieben Tage zum Finale
Gerry kam gegen halb elf ins Büro im Präsidium. Wenn er schon samstags arbeiten musste, um diesen Fall zu lösen, und vor allem die hohen Herren in Staatskanzlei und Innenministerium zu beruhigen, so wollte er doch ein ausgiebiges Frühstück mit Samira und Alexa genießen. Als er sein Büro betrat, war Marius schon da. Marius hatte den Kopf auf seine Arme gestützt und schien das Kommen von Gerry gar nicht zu registrieren.
»Wohl wieder eine harte Nacht gehabt«, kommentierte Gerry den Zustand seines Partners.
»Hör bloß auf. Mir brummt der Schädel wie nur was. Mit meinem Scharfsinn brauchst du heute nicht zu rechnen«, jammerte Marius.
»Was hast du bloß wieder angestellt?«, fragte Gerry neugierig.
»Ach, da ist diese Neue, Verena. Süße zweiundzwanzig. Aber voll verrückt. Die Kleine will doch tatsächlich mit mir nach der Disco nacktbaden gehen. Und ich natürlich so: Klar, machen wir. Also steigen wir ins nächste Schwimmbad ein. Kaum haben wir uns die Sachen ausgezogen, hat irgendwer die Streife gerufen. Kannst du dir denken, wie peinlich das gewesen wäre, hätten mich die Kollegen erwischt?«
»Und was hast du getan?«
»Wir haben uns dann versteckt, da war so ein Geräteschuppen nicht abgesperrt und voller Gerümpel. Und die beiden Ärsche von der Streife nahmen ihre Kontrolle extraernst. Das ganze Schwimmbad haben sie durchsucht, über zwei Stunden mussten wir uns in dem Schuppen verstecken. Und dann, endlich gegen fünf, als die Sonne schon hochstieg und die Streife endlich abzieht, dann will sie noch Sex.«
»Und weiter?«
»Was soll ich sagen, wir sind dann erst gegen sieben aus dem Schwimmbad gekommen . Hatte gerade noch Zeit, mich daheim zu duschen, und dann bin ich gleich ins Präsidium gefahren.«
»Was lässt du dich auch mit so jungen Gören ein.«
»Du solltest die junge Göre mal sehen. Und außerdem, im Bett ist sie einfach ein Hammer.«
»Und sie behindert die Polizeiarbeit. Was fangen wir jetzt mit diesem angebrochenen Tag an?«
»Na ja, ich hab es zumindest noch geschafft, eine Liste von Leuten aufzustellen, mit denen wir uns unterhalten sollten.«
»Dann lass mal hören«, forderte Gerry Marius auf.
»Also da wären mal die Eltern .«
»Die sind doch schon informiert worden, oder?«, unterbrach ihn Gerry.
»Ja, das hab ich gecheckt. Eine ortsansässige Streife hat die beiden informiert. Die wohnen übrigens in Dreieich. Da müssen wir auch noch rauf, wenn wir mit ihnen reden wollen.«
»Wo bitte ist Dreieich?«, fragte Gerry.
»Irgendwo zwischen Darmstadt und Frankfurt. Willst du mit ihnen reden?«
»Natürlich. Ich erwarte mir zwar nicht all zu viel, aber trotzdem darf ihre Aussage im Abschlussbericht nicht fehlen. Wen hast du sonst noch?«
»Dann wären die Verantwortlichen beim SV München. Gestern Abend hab ich noch ein Gespräch mit dem Trainer und dem Präsidenten ausgemacht. Montagvormittags sollen wir zum Verein kommen.«
»O. k., und wer noch?«
»Mit seinem Manager sollten wir uns auch unterhalten. Und natürlich mit seinen Mitspielern. Er war zwar noch nicht so lange in München, aber .«
»Aber was .?«
»Na ja, wenn er gefeiert und mit Drogen Party gemacht hat, hat das vielleicht von der Mannschaft wer mitbekommen. Sonst kannte er ja niemanden in München. Jedenfalls so richtig.«
»Um den Drogenaspekt werde ich mich kümmern«, sagte Gerry. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich werde meine alten Kontakte mal aushorchen.«
»Willst du das wirklich machen? Ich mein nur, wegen .«
»Ich kann auf mich aufpassen«, sagte Gerry und machte mit seiner Tonlage deutlich, dass er über dieses Thema nicht diskutieren wollte.
»Als Letzten auf der Liste hätt ich noch seinen alten Trainer«, sagte Marius. »Da war mal so eine Kicker-Reportage über die beiden. Falls die Schreiberlinge nicht alles erfunden haben, dann war der Trainer eine enge Bezugsperson für ihn. Vielleicht hat er ja mit ihm über Probleme gesprochen.«
»Welche Probleme soll er denn gehabt haben? Bisschen was über zwanzig und mit einem Vertrag ausgestattet, der ihn für den Rest des Lebens versorgt. Ha, solche Probleme hätt ich gern«, sagte Gerry lachend.
»Überleg mal«, warf Marius ein. «So jung und schon so viel Geld. Noch dazu die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Jeder will was von dir, ein Haufen Mädels wollen ein Kind von dir. Und dann noch der Erfolgsdruck. Das verkraftet nicht jeder«
»Ja, dann reden wir mit dem Trainer von . von was für 'nem Verein? Hessen Frankfurt?«
»FC Frankfurt«, verbesserte ihn Marius.
»O. k., und was machen wir heute? Auf lange Autofahrten hast du ja wohl kaum Lust, wenn ich dich so anblicke. Ich glaub, ich schau mir mal den Obduktionsbericht an«, sagte Gerry
»Börne hätte heute Dienst. Du könntest auch mit ihm selber sprechen, wenn du willst«
»Gute Idee. Dann auf in die Pathologie. Du kommst doch mit?«, fragte Gerry mit breitem Grinsen.
***
Nachdem Marius gerade noch ein Würgen unterdrücken konnte, als er das Wort Pathologie hörte, machte sich Gerry auf den Weg in das Kellergeschoss des Polizeipräsidiums. Für seine nächtlichen Abenteuer wollte er Marius schon etwas büßen lassen, er wusste aber, wie wütend Prof. Dr. Klaus Jürgen Börne wurde, wenn ein Polizist in seine heiligen Hallen der Pathologie kotzte.
Also stieg er alleine in den Lift, drückte den Knopf, auf dem 3. UG markiert war, und fuhr nach unten. Im Kellergeschoss angekommen stieg er aus und durchschritt den mit Fliesen verputzten Gang, der zur Pathologie führte. Auch dort war nur eine Mindestbesetzung an Personal vorhanden, weshalb er Börne nur mit zwei jungen Assistenzärzten antraf.
»Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt, das OP-Besteck ist nach Verwendung ordentlich zu reinigen!«, brüllte Börne so laut, dass die in der Pathologie aufbewahrten Leichen davon hätten wach werden können.
»Aber, Herr Professor, ich versichere .«, begann einer der beiden zu stammeln.
»Sie haben mir gar nichts zu versichern«, schnauzte ihn Börne an. »Glauben Sie, ich weiß nicht, wie ordentlich gereinigtes OP-Besteck aussieht? Was erlauben Sie sich überhaupt .?«
Gerry machte mit einem Hüsteln auf sich aufmerksam. Börne drehte den Kopf in seine Richtung, um Gerry mit einem »Was wollen Sie denn hier, Köstner?« zu begrüßen.
»Ich komme wegen des Obduktionsberichts«, sagte Gerry
»Haben Sie meine Mail nicht gekriegt?«, fragte Börne verstört.
»Doch, habe ich. Aber ich wollte ihr reichhaltiges Wissen direkt nutzen. Noch dazu«, und dabei blickte er die beiden Jungärzte an, »wo sie scheinbar eh nicht wirklich was Besseres zu tun haben.«
Börne quittierte diese Bemerkung mit einem bösen Blick, dann sagte er an die beiden jungen Kollegen gerichtet: »Holen Sie mir Nummer 26 her. Vielleicht schaffen Sie das ja.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Gerry übertrieben freundlich.
Die beiden jungen Ärzte waren erstaunlich schnell mit der Leiche da. Börne nahm das Leichentuch und zog es so weit zurück, dass der Großteil des Oberkörpers von Uwe Bärens sichtbar wurde. Danach brachte er sich in Positur, als würde er vor Hunderten von Studenten sprechen.
»Ich habe nichts gefunden, das auf Fremdverschulden schließen lässt. Der junge Mann war in ausgezeichneter Form, was aber nur natürlich ist bei seinem Beruf. An den Beinen fand ich zahlreiche Hämatome, die aber ebenfalls auf die Art, wie er sein Geld verdient, zurückzuführen sind. Ansonsten nichts Auffälliges, wie gesagt«
»Was ist mit Einstichstellen für die Nadel?«, fragte Gerry.
»Der junge Mann ist an einer Überdosis Heroin verstorben, gewiss. Konkret daran, dass sein Atmungssystem kollabiert ist und er erstickt ist. Ausgelöst wurde der Atemstillstand durch eine große Menge an Heroin. Und am linken Arm fand sich eine Einstichstelle.«
»Nur am linken Arm?«, wiederholte Gerry seine Frage.
»Ja, sonst gibt es keine Einstichstellen. Auch keine alten, vernarbten Stellen. Ich habe gründlich danach gesucht. Allerdings«, fügte Börne hinzu: »Allerdings dürfte er Probleme gehabt haben, sich die Nadel einzuführen. Es sieht danach aus, dass sie mit großer Kraft in den Arm getrieben wurde. Wahrscheinlich musste er sich überwinden, den Schuss zu setzen.«
»Gibt es Hinweise auf einen längeren Drogenmissbrauch?«, fragte Gerry weiter.
»Heroin ist nicht nachzuweisen, wenn der Zeitpunkt des Konsums mehr als ein paar Tage zurückliegt. Er hatte natürlich eine gehörige Menge im Körper, aber wie lange das schon so ging, liegt leider außerhalb meiner Möglichkeiten. Meiner Meinung nach konnte er aber noch nicht lange konsumieren, denn ein längerer Heroinkonsum und eine Tätigkeit als Spitzensportler schließen sich aus«, stellte Börne fest.
»Also eine Überdosis beim Erstkonsum«, sagte Gerry ungläubig.
»Ich weiß, es ist äußerst selten, aber es kommt vor. Vielleicht hat sich der junge Mann halt einfach überschätzt. War doch Sportler, die glauben doch immer, sie brauchen bei allem eine Extraportion. Wollte vielleicht vor seinen Kumpels angeben.«
»Angeben, indem man alleine daheim eine Riesenmenge Heroin sticht?«, fragte Gerry ungläubig.
»Nun, dieses Rätsel müssen Sie alleine lösen. Wenn Sie keine weiteren medizinischen Fragen mehr haben, dann entschuldigen Sie mich...