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Kapitel 2
»So, wir sind da.«
Das waren Hubertus' erste neutrale Worte nach einem halbstündigen Tobsuchtsanfall wegen meines Clinchs mit Carl Schrader.
Wie zu erwarten, war er deswegen ziemlich sauer auf mich. Aber so richtig aufgeregt hatte er sich über meine standhafte Weigerung, mich bei diesem kleinkarierten Spießer zu entschuldigen.
War mir doch egal, wenn dieser cholerische Vorgartenzwerg uns nun die nächsten zwanzig Jahre nicht mehr über den Zaun hinweg grüßen würde.
Mein Mann sah das aber ganz anders, und so versuchte er, mich während der gesamten Autofahrt davon zu überzeugen, dass ein kleiner Gang nach Canossa echt angesagt wäre.
Ich tat so, als höre ich zu, und war froh, als wir endlich vor dem großen weißen Tor der Körners hielten.
Das Haus - oder besser gesagt die Villa - von Tobias und Daniela Körner lag im Stadtteil Winterhude an der Bellevue und hatte einen fantastischen Blick über die Außenalster.
Wie schön es wäre, wenn wir jetzt einfach spazieren gehen könnten, dachte ich. Ohne Zeitdruck, ohne Zwang. Nur die Anwesenheit des anderen genießen.
»Wo ist der Blumenstrauß?«, holte Hubertus mich in die Realität zurück.
»Hinten«, seufzte ich und stieg aus.
Während Hubertus den Blumenstrauß aus dem Kofferraum holte, überprüfte ich schnell mein Kostüm. Der Seidenrock hatte nämlich die nervige Angewohnheit, beim Sitzen hochzurutschen und dann in dieser Position zu verweilen.
»Beeil dich«, zischte Hubertus mir zu, und ich stöckelte über den Kiesweg hinter ihm her.
Auf der Einfahrt vor der Garage parkte ein weißer Porsche mit dem Kennzeichen HH-DK-1.
Ich lachte. »Wie süß! DK 1 steht bestimmt für >Dicker Kuss.< »DK steht für Daniela Körner, Tobias Körners Frau. Und jetzt hör mit diesen Kindergartenwitzen auf. Das ist peinlich«, knurrte Hubertus und ging die breitgeschwungene Treppe zur Eingangstür hinauf.
»Das Nummernschild ist peinlich. Wie kann man sich selbst als die Nummer eins bezeichnen«, murmelte ich beleidigt und verstummte sofort, als Hubertus mich böse anfunkelte und den Klingelknopf drückte.
Sobald die Klingel ertönte, legte er eine Wandlung hin, die Dr. Jekyll und Mr Hyde vor Neid hätte erblassen lassen: Aus dem gestressten, tobenden Ehemann wurde der entspannte, fröhliche Bankmanager - so wie Tobias Körner ihn kannte.
Insgeheim bewundere ich Menschen, die sich chamäleonartig innerhalb von einer Sekunde einer neuen Situation perfekt anpassen können. Ich schaffte das nie - leider. Vielleicht war deshalb meine Karriere in der Werbeagentur auch nicht richtig in Schwung gekommen, denn bis ich mich endlich mit einem Produkt vollkommen identifiziert hatte, hatte der Kunde unserer Agentur den nötigen Etat bereits wieder entzogen.
Eine sympathisch lächelnde Frau öffnete uns.
Hubertus und ich strahlten zurück, und ich ergriff ihre Hand: »Guten Abend, Frau Körner! Vielen Dank für die Einladung. Sie haben ein wunderschönes Haus.«
Die Frau sah mich irritiert an.
Plötzlich ertönte die schrille Stimme einer anderen Frau, die hinter ihr in die Eingangshalle schritt: »Also so was, Sie haben Franziska mit mir verwechselt! Na, das ist mir ja noch nie passiert!«
Frau Körner war sehr groß. Sie trug ein eng anliegendes edles Strickkleid mit Pelzbesatz, das ihre überaus schlanke Figur betonte, und ihre blonden Haare waren kunstvoll aufgetürmt.
Ich überlegte, wie groß wohl das Loch sein mochte, das sie mit tonnenweise Haarspray für diese Frisur in die Ozonschicht gerissen hatte. Wenn sie das jeden Tag machte, würde unsere gute alte Erde bald schmelzen.
Franziska, die nette Haushälterin, nahm uns die Mäntel und mir den Blumenstrauß ab, dem Frau Körner keinerlei Beachtung schenkte.
Daniela Körner geleitete Hubertus und mich in den Salon.
Dort erwartete uns ihr Gatte, ein dicklicher Mann, der von seiner Frau um einen Kopf überragt wurde. Er begrüßte mich herzlich mit Küsschen links, Küsschen rechts: »Frau Dansmann, ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen.«
Ich freute mich auch, vor allem weil er so viel freundlicher wirkte als seine Frau.
Dann sah ich mich im Salonzimmer um. Es war mit Möbeln aus dunklem poliertem Massivholz eingerichtet, und die zur Alster gerichteten Fenstertüren waren von cremefarbenen Seidengardinen eingerahmt. Mein Blick wanderte zu den großen Bildern an den Wänden, es waren Schwarz-Weiß-Porträts einer jungen Frau.
»Das ist Daniela, meine Frau«, sagte Herr Körner, der meinem Blick gefolgt war.
Nun betrachtete auch Hubertus aufmerksam die Fotografien. »Sehr schön«, schwärmte er.
Tobias Körner lächelte stolz. »Meine Frau war ein sehr gefragtes Model. Alle großen Designer rissen sich um sie.«
Geschmeichelt lächelte nun auch Daniela Körner. »Ja, aber jetzt arbeite ich lieber mit meinem Mann zusammen in der Firma. Ich fliege nur noch zu den großen Shows nach Mailand und Paris, um Karl und Giorgio zu unterstützen.«
Karl und Giorgio?
Ich tat ihr nicht den Gefallen, nachzufragen oder beeindruckt zu tun. Stattdessen nickte ich nur beiläufig und freute mich insgeheim auf das Essen an diesem Abend. Mir knurrte der Magen, weil ich den ganzen Tag vor lauter Hektik kaum etwas gegessen hatte, und ich hatte das Gefühl, ein halbes Wildschwein verzehren zu können.
Aber daraus würde wohl nichts werden.
»Wir kochen ausschließlich vegan. Franziska hat dafür extra eine dreimonatige Ausbildung bei einem Spitzenkoch absolviert«, sagte Daniela Körner zu mir, während unsere Männer sich in ein Gespräch über Geldanlagen vertieften.
Vegan? Was bedeutete denn noch mal vegan?
»Ernähren sich die Körners etwa ausschließlich von Körnern?«, rutschte es mir heraus.
Daniela Körner machte ein pikiertes Gesicht. »Unwissende denken, dass sich hinter veganer Küche nur Vogelfutter verbirgt. Vegane Ernährung hat jedoch viel mehr als nur Körner zu bieten. Und: Vegane Ernährung sorgt für einen gesunden schlanken Körper und straffes Bindegewebe.« Sie musterte mich von oben bis unten mit einem vielsagenden Blick.
Das war ja wohl die Höhe. Auch wenn sie die Frau eines wichtigen Bankkunden von Hubertus war, beleidigen ließ ich mich nun nicht.
»Also ich verbinde mit veganer Ernährung in erster Linie Unterernährung und Mangelerscheinungen«, erwiderte ich spitz und revanchierte mich mit einem ebenso unverschämten Scannerblick über ihre reizlosen Ecken und Kanten.
Zum Glück kam in diesem Moment Franziska ins Zimmer, um uns zu Tisch zu bitten.
Als Vorspeise servierte sie uns vietnamesische Frühlingsrollen, die mir erstaunlich gut schmeckten. Vielleicht lag das aber auch einfach an meinem tierischen Hunger.
»Und, wie schmeckt Ihnen die vegane Küche?«, erkundigte sich Tobias Körner.
»Also wirklich fantastisch! Ganz ausgezeichnet«, lobte Hubertus.
Mir war das zu viel Schleimerei, daher sagte ich nur: »Gut, aber schon etwas gewöhnungsbedürftig.«
Hubertus warf mir einen bösen Blick zu, doch Tobias Körner lachte nur. »Mir ging es am Anfang ganz ähnlich wie Ihnen, liebe Frau Dansmann. Aber glauben Sie mir: Je öfter man vegan isst, desto besser schmeckt es.«
Für kurze Zeit war es still am Tisch.
Dann wandte sich Daniela Körner an mich: »Was machen Sie eigentlich beruflich?«
Ich zögerte und ärgerte mich gleichzeitig über die Frage. Von allen am Tisch hatte ich vermutlich den anstrengendsten Tag hinter mir. Nichtsdestotrotz würde Daniela Körner herablassend auf meine Antwort reagieren, das wusste ich instinktiv.
»Ich bin hauptberuflich und leidenschaftlich gerne Mutter und Hausfrau«, sagte ich schließlich.
»Oh«, entfuhr es Frau Körner. Sie tat so, als sei ihr gerade ein schlimmer Fauxpas unterlaufen, und schaute gespielt betreten in die Runde.
Herr Körner lachte wieder. »Dani, nicht jede Frau ist so ein Workaholic wie du. Es gibt auch ganz normale Frauen, die ihr Leben einfach nur genießen.«
Schlagartig war meine Sympathie für Herrn Körner verschwunden. Er hatte ja keine Ahnung, was man alles als Hausfrau und Mutter vierundzwanzig Stunden am Tag leistete. Zumindest wenn man keine Franziska hatte, die einem die komplette Arbeit abnahm.
Und mein Mann - sichtlich um gute Stimmung bemüht - setzte noch eins drauf: »Ja, Vicci und ich haben ein Gemeinschaftskonto. Ich zahle ein, und sie hebt ab.«
Alle außer mir lachten.
Dann redeten Hubertus und Tobias Körner wieder über Geschäftliches.
Ich beschloss, mich für den Rest des Abends nicht mehr am Gespräch zu beteiligen, sondern konzentrierte mich, wie ich es mal in einem Yogakurs gelernt hatte, auf meinen Atem, um mich ein wenig zu entspannen.
Doch Daniela Körner plapperte dazwischen: »Jetzt hört doch auf, immer nur über Politik und Wirtschaft zu reden. Das ist für Frau Dansmann nicht sehr spannend. Die Arme langweilt sich schon richtig.«
In meinen Ohren klang das wie eine offizielle Kriegserklärung.
Fordernd sah ich Hubertus an. Wenn er diesem Hungerhaken neben mir jetzt nicht sofort sagte, dass er jeden Abend mit seiner intelligenten Frau über diese Themen sprach und ihre Meinung sehr schätzte, dann würde ich aufstehen und gehen.
Hubertus aber lächelte nur dümmlich, und Tobias...
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