Schweitzer Fachinformationen
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Vincent saß in seinem Arbeitszimmer. Das Bücherregal hinter ihm beherbergte mittlerweile eine Art Ausstellung. Seit vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit gedrungen war, dass der Meistermentalist an der Lösung des Rätsels um Jane beteiligt gewesen war, schickten ihm begeisterte Fans ständig Denksportaufgaben. Sie schienen davon auszugehen, dass er nichts lieber tat, als Kopfnüsse zu knacken. Allerdings wusste auch kaum jemand, dass er selbst damals beinahe ums Leben gekommen wäre.
Und die Leute hatten ja auch recht. Er löste tatsächlich gerne Rätsel. Wenn er Zeit hatte. Viele waren gar nicht schwer. Oft musste er nur die Briefschnipsel zusammensetzen, aber manchmal war es auch anspruchsvoller. Ein anonymer Absender schickte ihm die obskursten Puzzles und Rätsel, die er je gesehen hatte. Sie waren nicht selbst gemacht, sondern stammten offenbar aus der ganzen Welt. Der Absender verstand eindeutig etwas von seinem Metier. Da jedem Rätsel eine handschriftliche Nachricht beilag, war Vincent sich ganz sicher, dass sie alle von derselben Person stammten.
Im Moment fesselte ihn jedoch eine andere Art von Puzzle. Genauer gesagt, das Puzzle, das er über seinem Schreibtisch an die Wand geheftet hatte. Es war eine ähnliche Mindmap wie die, die Mina bei ihrer ersten Zusammenarbeit in ihrer Wohnung erstellt hatte. Eine Kombination aller Hinweise und Fährten, die mit etwas Glück einen Zusammenhang sichtbar machen und ein bisher verborgenes Muster zum Vorschein bringen würden. An Vincents Wand hingen jedoch keine Bilder und Notizen, sondern Gegenstände. Er hatte sie in chronologischer Reihenfolge aufgehängt und mit beschrifteten Klebezetteln versehen.
Das war der Grund, weshalb kein Familienmitglied mehr sein Arbeitszimmer betreten durfte. Es wäre nicht gut gewesen, wenn sie den Eindruck gehabt hätten, dass er vollkommen den Verstand verloren hatte. Aber noch schlimmer wäre es gewesen, wenn ihnen klar geworden wäre, was der Zeitstrahl in Vincents Augen zu bedeuten hatte: Jemand wollte ihm Böses.
Er betrachtete diese Person jedoch nicht als Feind. Auch nicht als eine Art Rachegott, denn das wäre ja noch furchterregender gewesen. Vielleicht war der Absender sein Schatten, denn jedes Mal, wenn wieder ein Umschlag mit der Post kam, machte sich der Schatten in seinem Inneren bemerkbar. In gewisser Weise schien er sich in der wirklichen Welt manifestiert zu haben und ihn von dort aus zu terrorisieren.
Außerdem hatte ein Schatten die gleiche, wenn auch verzerrte Form wie derjenige, der ihn warf. Die Person, die ihm die Gegenstände an der Wand geschickt hatte, schien genau zu wissen, wie er dachte. Sie hätten seinen Albträumen entsprungen sein können. Der Begriff Schatten traf es ganz gut.
Ganz links hing der laminierte Zeitungsartikel aus Hallands Nyheter mit dem Foto von Vincent als Kind und der Zauberkiste im Hintergrund, in der seine Mutter umgekommen war.
MAGIE MIT TRAGISCHEM AUSGANG!
Er hatte die Überschrift unzählige Male gelesen. Irgendjemand hatte Ruben den Artikel vor zweieinhalb Jahren geschickt und Vincent damit in den engsten Kreis der Tatverdächtigen im Fall der Morde an Tuva, Agnes und Bobban gerückt. Taten, hinter denen seine Schwester gesteckt hatte, wie sich später herausstellte. Er hatte zunächst angenommen, dass Jane auch den Artikel versendet hatte, weil es Teil ihres Plans gewesen war, Vincent die Schuld an den Morden in die Schuhe zu schieben. Aber sie war es nicht gewesen. Der Artikel hatte Vincent jedoch mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Einer Vergangenheit, mit der er sich lange Zeit nicht zu beschäftigen gewagt hatte. Der Polizei war es nur mit Mühe und Not gelungen, das Ganze nicht publik werden zu lassen.
Unter dem Artikel hingen die tetrisförmigen, mit Tesafilm zusammengeklebten Puzzleteile, die ihm seit dem Tod seiner Schwester geschickt wurden. Sie bestanden alle aus Anagrammen der Artikelüberschrift und bildeten auf höchst komplizierte Weise das Wort SCHULD. Er hatte geglaubt, sie kämen von Nova, die ihn auf diese Weise von den Vorfällen bei Epicura ablenken wollte. Nova, die ihre Theorien auf den eigenen chronischen Schmerzen aufgebaut und um ein Haar Nathalies Tod verursacht hätte. Doch als er sie kurz vor ihrem eigenen Tod darauf angesprochen hatte, war ihm klar geworden, dass sie von derselben Person stammen mussten, die Ruben den Zeitungsartikel geschickt hatte.
Von seinem Schatten.
Neben den zusammengeklebten Puzzleteilen hingen die dazugehörigen Weihnachtskarten. Die beunruhigende Mitteilung darauf hatte er noch immer nicht entschlüsselt.
Du lernst es nie. Ich habe keine Lust mehr zu warten.
Vergiss nicht, Du bist selbst schuld.
Du hättest einen anderen Weg gehen können. Hast Du aber nicht. Und daher haben wir Dein Omega erreicht. Den Anfang von Deinem Ende.
PS: Falls Du Dich fragst, warum du das Puzzle jetzt schon erhältst, dann ist Omega, wie Du weißt, der 24. Buchstabe des griechischen Alphabets. Und 24 geteilt durch zwei - Du und ich - ergibt natürlich 12, was wiederum 24.12. ergibt. Heiligabend. Frohe Weihnachten im Voraus.
Als Vincent die Nachricht von seinem Omega erhielt, die Andeutung seines Endes, begann er sofort, nach seinem Alpha beziehungsweise seinem Anfang zu suchen. Wenn er herausfand, was angefangen hatte, würde er vielleicht auch besser verstehen, was enden sollte. Sodass er sich schützen könnte.
Er brauchte gar nicht lang zu suchen, um den Anfang zu finden - wieder in dem alten Zeitungsartikel. Auf dem dazugehörigen Foto. Sein Schatten hatte die Konturen der Kiste mit einem Stift nachgezeichnet, und die Linien bildeten ein A. A wie Alpha.
Das, was nun enden sollte, hatte also damals angefangen.
Auf dem Hof in Kvibille.
Mit seiner Mutter.
Als er aufhörte, Vincent Boman zu sein, und Vincent Walder wurde.
Doch anstelle des Endes, das ihm die Nachricht angedroht hatte, kamen mit der Post Geschenke. Weihnachtsgeschenke, obwohl gar nicht Weihnachten war. Das erste war letzten Sommer kurz nach Beendigung des Falls Epicura eingetroffen. Eine Vinyl-Single mit dem Rap »Alpha Omega« der ihm unbekannten Renegades.
Die Platte hing rechts vom Zeitungsartikel an der Wand. Auf einem Zettel darunter standen die wenigen Informationen, die er über die Veröffentlichung gefunden hatte. Der Song war 1987 bei Coolaid Records erschienen, und die Single hatte ein rotes Etikett. Weitere Songs schien die Gruppe nicht herausgebracht zu haben, und der gerappte Text sagte ihm auch nichts. Daher ließ er die Sache auf sich beruhen.
Einen Monat später, im September, erhielt er wieder eine Schallplatte. Diesmal handelte es sich um ein Album von Led Zeppelin, das den Titel Alpha & Omega trug.
Das Album stellte sich als Rarität heraus. Es handelte sich um ein aus vier Schallplatten bestehendes Bootleg, das eigentlich gar nicht zu bekommen war. Er hatte die Platten herausgenommen und die Hülle ebenfalls an die Wand geklebt.
Abgesehen vom Titel hatte das Album noch etwas mit dem vorherigen gemeinsam. Auch dieses war 1987 erschienen.
Vincent wusste genau, wofür die Zahlen standen. Seine Schwester Jane hatte es ihm ins Gedächtnis gerufen, indem sie ihn zu einer Buchseite mit der Nummer 873 geleitet hatte. Achter Juli um drei Uhr. Mamas letzter Sommer. Da war er sieben Jahre alt gewesen und hatte auf einer Wolldecke im Garten gezaubert.
87 stand für achter Juli.
Mamas Geburtstag.
Schon wieder.
Rechts von den Platten hing das Oktobergeschenk. Da hatte er ein Spielzeugauto bekommen, genauer gesagt einen Opel Omega der deutschen Militärpolizei. Kein Alpha also diesmal, aber der Opel Omega war Jahrgang 1987. Und das Spielzeugauto war natürlich im Maßstab 1:87 gebaut worden.
Mama.
Die Kiste.
Die Illusion.
SCHULD.
Im November hatte der Absender gänzlich auf den Alpha-Omega-Bezug verzichtet und ihm stattdessen ein geradezu überdeutliches Geschenk gemacht. Einen Zauberkasten. Genauer gesagt ein antiquarisches The Great Houdini Magic Starter Set. Diesmal brauchte Vincent nicht einmal zu googeln. Der Gegenstand sprach für sich.
Harry Houdini war der Ausbrecherkönig, der berühmt geworden war, indem er sich aus einem gefüllten Wassertank befreite, derselben Art von Tank, in dem Vincent und Mina bei Jane und Kenneth auf der Nerzfarm beinahe ums Leben gekommen wären. Natürlich spielte das Ganze auch auf seine Mutter und die Kiste an, aus der sie sich nicht hatte befreien können. Noch bevor er die alte Pappschachtel umdrehte, um die Beschreibung auf der Rückseite zu lesen, ahnte er, was draufstand. Es überraschte ihn nicht im Geringsten, dass der Zauberkasten im Jahr 1987 hergestellt worden war.
Seitdem hatte Vincent keine Geschenke mehr bekommen, und er wollte auch keine haben. Sein Schatten hatte sich nämlich schon vor einem halben Jahr zu den bevorstehenden Tagen geäußert.
Omega . der 24. Buchstabe im griechischen Alphabet . 24 geteilt durch zwei - du und ich - ergibt 12 . 24.12. ....
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