Schweitzer Fachinformationen
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Tobias Wellen saß an einem ausladenden Konferenztisch in einem abhörsicheren Besprechungsraum, die Arme vor der Brust verschränkt. Der große Monitor an der Wand vor ihm zeigte Rauchschwaden und kreischende Menschen.
Und Gestalten mit Sturmhauben und Motoradhelmen, die Bierdosen, Flaschen und Böller schleuderten, umstehende Autos demolierten, Mülltonnen in Brand steckten. Die Person, die das verwackelte Video mit ihrem Smartphone aufgenommen hatte, schien gerannt zu sein, um dem Inferno zu entkommen.
»Haben wir genug gesehen?«, fragte Wellen nach einer Weile und gab seinem Assistenten ein Zeichen. Der Monitor zeigte daraufhin wieder eine Reihe ernster Gesichter. »Es gibt noch mehr Aufnahmen, wie Sie vermutlich wissen. Dutzende davon.«
»Danke, wir kennen sie«, sagte Pauline Horn vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Die anderen Köpfe auf dem Monitor nickten.
»Gut, Frau Horn«, sagte Wellen. »Dann verraten Sie mir einmal, wie eine kleine Demonstration dermaßen eskalieren konnte?«
»Wir sind gerade dabei, das gemeinsam mit der Hamburger Polizei herauszufinden.«
»War Ihnen die Bedrohungslage bekannt?«
»Nicht in diesem Ausmaß, nein. Die Gruppe, die die Kundgebung vor der Hamburger Transportgesellschaft angemeldet hat, gilt nicht als extremistisch und war bislang in keinster Weise auffällig. Ihr Name ist >Stoppt China< und sie protestiert, wie der Name vermuten lässt, gegen eine zu starke Abhängigkeit Deutschlands von China. Die Gruppe ist nicht sonderlich groß. Sie hat nur ein paar hundert Mitglieder, vor allem in Hamburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Es ist eigentlich nicht einmal eine Gruppe, eher eine Bewegung, zivilgesellschaftlich organisiert, keine fixen Strukturen. Grassroots, wie man so schön sagt. Es gibt ein paar führende Köpfe, aber keine echte Hierarchie. Sie ist in letzter Zeit verstärkt mit Kundgebungen in Erscheinung getreten, allesamt friedlich. In den letzten Tagen hat sie dann in den sozialen Netzwerken massiv gegen den geplanten Einstieg der Chinesen in den Hamburger Hafen Stimmung gemacht.«
Wellen machte eine Notiz in einem kleinen, schwarzen Buch. Er bevorzugte konsequent Stift und Papier gegenüber Einträgen in sein Smartphone.
»Ich habe von der Gruppe gehört«, sagte er. »Aber >nicht extremistisch<? Das sah auf den Bildern anders aus.«
Der Präsident der Hamburger Polizei hob die Hand.
Wellen nickte ihm auffordernd zu.
»Wir werten gerade alle sichergestellten Videos aus sowie die Bilder von Überwachungskameras in der Gegend. Was wir aber bereits wissen, ist folgendes: Die ordnungsgemäß angemeldete Kundgebung vor der Hamburger Transportgesellschaft ist auf eine Gegendemonstration gestoßen. Das hat vermutlich zur Eskalation geführt.«
»Und wer waren die Leute?«, fragte Wellen.
»Das können wir noch nicht sagen, weil die Gegendemonstration nicht angemeldet war. Sie scheint sich spontan gebildet zu haben. Aber offensichtlich waren es Personen, die sich für die Beteiligung der Chinesen am Hamburger Hafen aussprechen. Vielleicht Arbeiter, die um ihre Jobs fürchten, sollte aus dem angekündigten chinesischen Investment doch nichts werden. Möglicherweise waren auch ein paar Autonome und Hooligans darunter, einfach nur, um Ärger zu machen. Das wäre nichts Neues.«
Wellen machte einen weiteren Vermerk. »Und wissen wir, von wem die Eskalation ausging?«
»Schwer zu sagen. Es gab Vermummte auf beiden Seiten, die für Ärger gesorgt haben. Unsere Kräfte vor Ort waren bedauerlicherweise nicht stark genug, um die beiden Gruppen zu trennen.«
»Deswegen die Warnschüsse?«
Der Polizeipräsident fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Die kamen nicht von uns.«
Wellen blickte auf. »Sondern?«
»Der Sicherheitschef der HTG hat sich eingeschaltet. Er hat die Schüsse abgegeben, mit der Dienstwaffe eines Polizeibeamten. Um diesen zu schützen, wie er ausgesagt hat. Tatsächlich ist der Beamte zu Boden gegangen, nachdem er von einem Gegenstand am Kopf getroffen worden war. Wir untersuchen den Vorfall noch.«
Wellen ließ seinen Stift auf das Notizbuch fallen. »Was ist denn das für ein Chaos? Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass das kein gutes Licht auf Sie wirft - auf uns. In nicht einmal 48 Stunden landet die Maschine des chinesischen Ministerpräsidenten. Und die Regierung hat mehr als einmal deutlich gemacht, was hier auf dem Spiel steht.«
Und das war so einiges, wie auch Wellen klar war. Der anstehende Gipfel sollte Deutschlands angespanntes Verhältnis zu China neu ordnen. Das lag nicht nur im deutschen Interesse, wie vor allem die Außenministerin gerne betonte. Auch China hatte in den letzten Jahren Rückschläge einstecken müssen. Eine überalterte Bevölkerung, der Handelskrieg mit den USA oder die Strafzölle der EU auf seine E-Autos hatten den Motor des einstigen Wachstumswunders ins Stottern geraten lassen.
Am schwersten wog für das Reich der Mitte jedoch der drohende Misserfolg seines Leuchtturmprojekts: der Belt and Road Initiative. Unter diesem Namen wollte China das uralte Handelsnetz der Seidenstraße neu aufleben lassen und weiter ausbauen - und mit dem Netz auch seinen weltweiten Einfluss. Rund um den Globus hatte Beijing durch gigantische Kredite bereits Brücken, Eisenbahnen, Flughäfen und andere Infrastruktur finanziert. Mit über 150 Staaten hatte es hunderte Verträge und Abkommen geschlossen. Immer mehr Regierungen hatten allerdings in letzter Zeit den Nutzen des Projekts für ihr eigenes Land infrage gestellt.
China war daher auf der Suche nach neuen, engen Partnern. Und hatte dafür Deutschland auserkoren, dem es Rohstoffe wie Gallium oder Germanium - essenziell für die deutsche Industrie - zu besonders vorteilhaften Konditionen in Aussicht stellte. Die Forderungen im Gegenzug: ein Ende der Strafzölle auf chinesische E-Autos. Dann die Mitwirkung chinesischer Unternehmen am Ausbau kritischer Infrastruktur.
Und schließlich eine Beteiligung am Hamburger Hafen.
Die Hansestadt würde durch den Deal zum größten Hafen Europas und zum wichtigsten Endpunkt der neuen Seidenstraße werden. Doch dem nicht genug: Insgesamt winkten der angeschlagenen deutschen Wirtschaft Investitionen in Milliardenhöhe und viele neue Jobs, die das Land auch gut gebrauchen konnte - vor allem für die Arbeiter der Fahrzeugindustrie. Deren Niedergang wurde von den Importzöllen auf chinesische Fabrikate höchstens hinausgezögert, denn Fakt war nun einmal, dass die deutschen Autobauer von der Konkurrenz aus Fernost abgehängt worden waren. Wellen kannte die Zahlen nur zu gut. Konzerne wie Volkswagen oder Daimler, einst Deutschlands Aushängeschilder, büßten immer mehr Marktanteile ein.
»Solche Bilder wie vor der HTG können wir nicht brauchen«, sprach Wellen weiter, »also sorgen Sie dafür, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Und ich will eine Liste mit allen Kundgebungen, die >Stoppt China< oder sonst wer in den nächsten Tagen plant. Noch Fragen?«
Allgemeines Kopfschütteln.
Wellen steckte Notizbuch und Stift in die Innentasche seines Sakkos. »Die Sache mag zwar eine Angelegenheit für Polizei und Verfassungsschutz sein und damit primär in die Zuständigkeit des Innenministeriums fallen, aber sie hat ziemlich sicher Auswirkungen auf den Staatsbesuch. Deswegen möchte ich über alle weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten werden. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Die Außenministerin wartet.«
* * *
Als Oster, immer noch leicht benommen, die Eingangshalle der HTG-Zentrale betrat, eilte ihm sein Stellvertreter Kurt Springer entgegen.
»Bist du in Ordnung?«
»Geht so.«
Springer, schlaksig und ein paar Jahre älter als Oster, schüttelte den Kopf. »Ich hab' dir doch gesagt, du gehst besser nicht raus. >Lass die Polizei einfach ihren Job machen.< Waren das nicht meine Worte?«
»Tja, das nächste Mal höre ich besser auf dich.«
»Krüger will dich sehen.«
»Das hab' ich mir schon gedacht.« Oster sah an sich hinab.
Sein Hemd war durchgeschwitzt, die Hose fleckig, seine Jacke staubig. »Ich mach' mich nur kurz frisch.«
»Keine Zeit. Du sollst sofort kommen.«
»Na dann!« Oster nickte der Empfangsdame zu, die ihn von ihrem Platz aus entgeistert anstarrte, und folgte Springer zum Aufzug. Auf der obersten Etage geleitete sie eine Mitarbeiterin, das Gesicht ebenfalls blass, wortlos zum Konferenzzimmer des Vorstands. Als Oster und Springer in den großen, von Sonnenlicht durchfluteten Raum traten, wartete dort bereits die versammelte Führungsriege der HTG. Die Anspannung war deutlich zu spüren.
»Gott sei Dank, Oster, da sind Sie ja endlich!« Dora Krüger, die Vorstandsvorsitzende, war aufgestanden. »Geht es Ihnen gut?«
Oster zog seine Jacke aus, hängte sie über die Stuhllehne und setzte sich an den großen, ovalen Tisch aus Mahagoni.
»Ja, soweit alles in Ordnung. Und verzeihen Sie meinen Aufzug.«
»Aber das ist doch kein Problem. Nachdem wir gesehen haben, was da passiert, haben wir uns furchtbare Sorgen um Sie gemacht. Schrecklich.«
Oster zwang sich zu einem Lächeln. Natürlich hatten sie das. Aber den Mut, auf die Straße zu gehen und nach ihm zu sehen, hatte keiner der hier Versammelten aufgebracht. Vermutlich hatten sie sogar das große gusseiserne Eingangstor absperren lassen, damit ja keiner dieser Verrückten ins Haus kam.
»Dann erzählen Sie mal, was genau...
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