Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ein heißer Sommertag Anfang Juni 2019, wenige Monate vor dem Prozess in Schwerin gegen Marko G. alias Hombre, den Elitepolizisten, der die Gruppe Nordkreuz mit anführte. Mähdrescher krochen durch das kleine Dorf Banzkow in Mecklenburg-Vorpommern, südlich von Schwerin. Staub wehte von den trockenen Feldern herüber, durch die sich die Trecker pflügten, um die heiße Erde aufzulockern. An der Hauptstraße im Dorf wohnt der Polizist in einem wuchtigen Haus aus rotem Backstein, das von einem spitzen Dach erdrückt zu werden scheint. Das Kamerateam und ich warten vor dem Haus von Marko G., um mit dem Polizisten ins Gespräch zu kommen. Wir wollen ihm viele Fragen direkt stellen, über seine Pläne, Nordkreuz - und seine Zeit bei der Polizei und der Armee. Er sprach durchaus mit den Medien, wenn er das Gefühl hatte, die Situation unter Kontrolle zu haben. Kritische und konkrete Fragen schätzte er jedoch nicht. Zu uns schickte er erst seine Ehefrau, später seine Tochter, um mich und mein Team abzuwimmeln. Er hatte sich vor Gericht ausführlich über meinen ersten Film beschwert, den er drei Mal gesehen habe und in dem er zahlreiche Fehler entdeckt haben will.
Als wir, das Kamerateam und ich, das erste Mal vor seinem Haus warteten, schlenderte ein Nachbar heran, er trug ein durchgeschwitztes dunkles Hemd, auf der Brust stand groß Polizei. Ausgiebig hatte er zuvor den Streifen Rasen zwischen seinem Haus und der Dorfstraße gemäht, ohne die Fremden auf dem Gehweg aus den Augen zu lassen. Der Marko möge das gar nicht, erklärte er freundlich, wenn man einfach so vor seinem Haus auftauche. Verständlich. Knapp zwei Jahre zuvor, am 28. August 2017, hatten maskierte Bundespolizisten, Mitglieder der Spezialeinheit GSG 9, das Haus von G. im Morgengrauen umstellt, bereit, die Tür aufzubrechen und Blendgranaten ins Innere zu werfen.
Marko G. war zu diesem Zeitpunkt schon lange wach, obwohl es erst 4 Uhr 30 am Morgen war. Er hatte sein Auto bereits mit Waffen und Munition vollgeladen, die er in seinem Haus gelagert hatte, in dem er mit seiner zweiten Frau und inzwischen seinen jungen Töchtern wohnt. Er wollte angeblich mal wieder, so erklärte er später, zu einem Schießstand fahren und dort ausgiebig trainieren. Als Polizist des Sondereinsatzkommandos SEK hatte G. früher selbst mit schusssicherer Weste, schwerem Helm und Sturmgewehr bewaffnet Häuser gestürmt, Schwerverbrecher verhaftet oder Verdächtige tagelang beschattet. Vielleicht hat er deswegen an diesem Morgen das Gefühl, dass Fremde sein Haus überfallen wollen. So jedenfalls beschreibt er die Situation später vor Gericht. Er nahm die Schatten vor dem Haus durch das Fenster wahr, griff zu einer geladenen Pistole, eine Glock, feuerbereit. Doch dann zögerte er, legte die Waffe auf den Boden, hob die Hände. In diesem Moment stürmten die Männer der GSG 9 sein Haus.
Marko G. hat sich fast sein ganzes Berufsleben vor allem damit beschäftigt, wie man schnell und effektiv Menschen tötet oder schwer verletzt. Er wurde schon als Jugendlicher in der DDR wie fast alle Heranwachsenden dort in der Gesellschaft für Sicherheit und Technik militärisch ausgebildet, lernte noch vor dem Mauerfall das Fallschirmspringen. Ebenfalls noch zu DDR-Zeiten wurde er zum technischen Zeichner ausgebildet, doch anschließend, nach der Wende, hatte er ganz andere Pläne: G. verpflichtete sich für acht Jahre bei der Bundeswehr. Dort wurde er in Braunschweig Mitglied der Fernspähkompanie 100. Die machte ihn zum Elitesoldaten, dafür ausgebildet, hinter feindlichen Linien zu operieren. Allerdings hatte bis zu diesem Zeitpunkt - Anfang der 1990er - noch nie ein bundesdeutscher Soldat tatsächlich hinter feindlichen Linien operieren müssen. Die Bundeswehr war lange eine Armee, die niemals Krieg führen oder sich verteidigen musste und die damals, nach dem Ende der DDR und dem Kollaps der Sowjetunion, auch keine Feinde mehr zu haben schien. Im Irakkrieg 1991 stellte die Luftwaffe einige Tornados ab, die an der Grenze der Türkei Patrouille flogen - mindestens ein Pilot verweigerte den Dienst, weil er nie erwartet habe, jemals in den Krieg zu ziehen, wie er später erklärte. Das brachte das Dilemma auf den Punkt. Es gab einige deutsche Soldaten, die dachten, sie müssten nie kämpfen, töten, womöglich im Einsatz sterben. Andere dagegen konnten nicht abwarten, zu kämpfen, zu töten, sie hofften, dass mit der Wende auch eine neue Zeit für die Bundeswehr anbrechen würde. Diese Zeit damals, als Marko G. sich als Soldat verpflichtete, erklärt viel darüber, wie die Bundeswehr viele Jahre späte in ihre tiefste Krise geraten konnte.
Obwohl unklar war, wie es mit der Bundeswehr weitergehen würde, wurden Fernspäh-Kandidaten auf alles vorbereitet - auch Marko G. bildete man in verschiedenen Lehrgängen zum Einzelkämpfer, Fallschirmspringer und Fallschirmjäger aus. Bevor es die Kommando Spezialkräfte (KSK) gab, waren die Fernspäher und Fallschirmjäger die Elitesoldaten der Bundeswehr. Sie sollten auch den Grundstock für die KSK bilden, als die 1996 ins Leben gerufen wurde. Die Fernspäher waren dabei innerhalb und außerhalb der Bundeswehr als Einheit verrufen, die besonders große Probleme mit rechtsradikalen Soldaten hatte. Ein Fernspäher schloss sich später der Friedensbewegung an und packte über seine Zeit bei der Einheit in den späten 1980er-Jahren aus: »Freitag könnt ihr in die Disko gehen und am Türken ausprobieren, was ihr gelernt habt«, habe ein Unteroffizier den Soldaten einmal gesagt. Alle hätten das in Ordnung gefunden, der spätere Aussteiger auch: »Meine Welt war stramm rechts«, und: »Wenn unser Auftrag gewesen wäre, Gert Bastian und Petra Kelly umzubringen, hätten wir das erledigt.«1
Marko G. war also bei den Fernspähern an der richtigen Stelle. In einem internen Forum echauffierte sich ein Ex-Fernspäher schon 2004 über Muslime: »Die Imigranten, welche nach Europa drängen (angeblich Zuhause verfolgt, durch totalitäre Systeme) haben keinerlei Interesse, sich unserer Kultur anzupassen. .Das ist der Gipfel von alledem, unsere Kinder verrecken hier an Heroin (400 jedes Jahr in Deutschland) damit dieser Müll in islamischen Staaten in Saus und Braus leben kann, zudem Milliarden an Gelder für Justiz, Ermittlungsbehörden und Therapien ausgegeben wird? Wird Zeit, daß wir >Fernspäher< das in die Hand nehmen!!!«
Während seiner Ausbildung wurde Hombre noch an einem anderen Standort eingesetzt, der zu einem militärischen Knotenpunkt für viele Neonazis in Deutschland wurde, obwohl - oder gerade weil - dort viele Elitesoldaten ausgebildet wurden: die Luftlandeschule Altenstadt. Viele Eliteeinheiten hatten also ein Problem mit rechts gesinnten Soldaten. Wie andere Fernspäher auch absolvierte Marko G. in Altenstadt auf dem ehemaligen Gelände einer Wehrmachtskaserne seine Ausbildung zum Fallschirmjäger. Die Luftlandeschule, die auf einer Anhöhe über dem kleinen Ort im südlichen Bayern liegt, hatte in den 1990er-Jahren innerhalb der Bundeswehr den schlechtesten Ruf überhaupt. 1998 sollte wegen mehrerer rechtsradikaler Vorfälle in Altenstadt ein Untersuchungsausschuss des Bundestags seine Arbeit aufnehmen. Die Beweisaufnahme dauerte wegen der Bundestagswahl im selben Jahr nur wenige Wochen, sie beförderte aber trotzdem Erschreckendes zutage. Der Abschlussbericht des Ausschusses ist eines der zentralen Dokumente, um die Probleme der Bundeswehr auch heute zu verstehen.2
Eine Schlüsselfigur, so zeigte sich, war Oberst Ulrich Quante, ab 1990 für die Ausbildung in Altenstadt verantwortlich - also auch in der Zeit, als Marko G. dort gedrillt wurde. Der Oberst war, wie die Ermittlungen des Bundestagsausschusses zeigten, ein deutlicher Teil des Problems. Er verehrte die Wehrmacht, vor allem die Fallschirmjäger. Noch 2019 hielt er Vorträge, in denen er minutiös deren Operationen im Zweiten Weltkrieg nachzeichnete, als könnte man sie doch noch oder - in anderen Fällen -, wieder gewinnen. Als Quante das Kommando für Altenstadt 1996 abgab, nutzte er die Chance, um dem »Geist« der Fallschirmjäger der Wehrmacht zu huldigen:
Unsterblicher Ruhm. Moralische...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.