2. KAPITEL
Paige riss dem Clubmanager die Zeitschrift aus der Hand. Wovon redete er eigentlich?
Nach einem Blick auf den Titel schloss sie entsetzt die Augen. Diese Lektüre musste ihre Tante in den Koffer geschmuggelt haben. Naomi, ich bringe dich um, dachte Paige.
Um sich zu beruhigen, holte sie tief Luft. Schließlich machte sie die Augen wieder auf, schob die Zeitschrift in ihren Koffer und klappte ihn zu. Dann schenkte sie dem unverfrorenen Mann vor ihr, der so amüsiert lächelte, einen kühlen Blick.
"Danke für Ihre Hilfe. Ich würde jetzt gern einchecken." Als sie so würdevoll wie möglich zum Empfangstresen ging, hörte sie ihn hinter sich leise lachen.
"Du erinnerst dich wohl nicht mehr an mich, Paige?"
Ruckartig blieb sie stehen. Woher wusste er, wie sie hieß?
Lässig lehnte sich der Clubmanager gegen den Empfangstresen und betrachtete sie mit einem jungenhaften Grinsen.
"Kennen wir uns?"
"Klar. Für mich warst du damals die süßeste Intelligenzbestie an der Highschool von Kauai. Aber du warst immer nur darauf aus, dir ein noch besseres Forschungsprojekt auszudenken als ich oder den ersten Platz beim Debattieren zu ergattern."
Fassungslos blickte Paige ihm in die blauen Augen. "Jackson Banta?"
"Ich werde jetzt Jack genannt", erklärte er flirtend. "Jackson klingt ein bisschen langweilig, findest du nicht?"
Statt zu antworten, betrachtete Paige ungläubig den gutaussehenden Mann mit dem weißen T-Shirt und den kakifarbenen Shorts. Das sollte Jackson Banta sein? Er sah so anders aus als früher: groß, durchtrainiert, mit markanten, maskulinen Gesichtszügen. Sein dunkelblondes Haar, dessen Farbe an Karamell erinnerte, und seine sinnlichen Lippen machten ihn noch attraktiver. Jack wirkte reichlich selbstbewusst, fast schon ein wenig großspurig - ganz anders als der stille, fleißige Junge von damals. Sein Blick brachte Paige durcheinander, löste aber auch noch etwas anderes, sehr Beunruhigendes in ihr aus. Jackson Banta, früher ein schüchterner, aber etwas langweiliger Musterschüler, spielte jetzt ganz eindeutig in einer anderen Liga als sie.
"Und, was führt dich nach Kauai, Paige?" Ohne Eile ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten.
Paige wollte natürlich nicht verraten, dass ihre Tante sie praktisch aus dem Nest geschubst hatte, damit sie sich "abschleppen ließ" - was sie ja auch nicht vorhatte.
"Ich möchte nur ein bisschen Urlaub machen", erklärte sie. "Eine kleine Erholungspause zwischen meinen Seminaren an der Uni."
"Und was studierst du?"
"Ich habe gerade in Stanford in Romanistik promoviert und möchte als Nächstes Alte Geschichte studieren, mit Schwerpunkt auf Archäologie des Mittelmeerraums."
Jack nickte nur und betrachtete weiterhin ihr Gesicht. Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen, während sie einander ansahen. Schließlich blickte er auf die Uhr. "Wir sollten dich wohl besser jetzt einchecken, stimmt's?" Er ging hinter den Tresen und gab ihren Namen in den Computer ein.
"Du bist also der Manager des Clubs?", nahm Paige ihr Gespräch wieder auf.
"Nicht nur das", erwiderte er zwinkernd. "Der Club gehört mir auch."
Wer hätte gedacht, dass Jackson einmal der Besitzer eines heißen Single-Clubs werden sollte? Paige sah ihn an. Er kniff die hellblauen Augen zusammen, während er sich auf den Computer-Bildschirm konzentrierte, und man sah, wie sich beim Tippen auf der Tastatur die Muskeln in seinen Unterarmen bewegten. Er sieht wirklich toll aus, dachte sie unwillkürlich.
Was war eigentlich los mit ihr? Du meine Güte, das war doch Jackson Banta! Dennoch machte ihr Herz einen Sprung, als er den Kopf hob und ihre Blicke sich begegneten.
"Du wirst also drei Wochen bleiben?"
"Ähm, ja. Und wegen . wegen der Zeitschrift von vorhin ." Paige errötete noch einmal. "Die muss meine Tante mir heimlich in den Koffer gepackt haben."
Jack zuckte eine Schultern. "Das hier ist ein Ferienclub für Singles, und du bist natürlich hergekommen, um während deines Urlaubs andere Singles kennenzulernen." Er beugte sich vor und flüsterte ihr zu: "Keine Angst, dein kleines Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben." Seine Augen funkelten amüsiert.
Paige beschloss, dass es keinen Sinn hatte, ihn überzeugen zu wollen.
"Okay, alles fertig", sagte Jack schließlich und reichte ihr den Zimmerschlüssel.
"Danke." Sie wollte gehen, hielt dann aber noch einmal inne. "Jackson, kannst du mir die Wanderung entlang der Na-Pali-Küste morgen Vormittag empfehlen?" Sie zeigte ihm die Broschüre.
"Na klar, die ist ziemlich gut. Eigentlich sind natürlich alle unsere Veranstaltungen empfehlenswert. Lulu koordiniert die Aktivitäten und organisiert die Ausflüge. Sie wird morgen früh hier sein." Er wies zu ihrem Schreibtisch auf der anderen Seite des Foyers.
"Super. Dann melde ich mich morgen für die Wanderung an."
"Es ist schön, dich wiederzusehen, Paige", sagte Jack leise.
Auch Paige freute sich über das Wiedersehen - vielleicht sogar ein wenig zu sehr.
Er reichte ihr einen hellgelben Lei. "Willkommen im Club Lealea."
"Oh, vielen Dank." Sie legte sich den duftenden Kranz um den Hals.
"Ich werde dir den Koffer aufs Zimmer tragen lassen." Jack wollte einen Hotelpagen herbeirufen.
"Lieber nicht", entgegnete Paige. "Ich möchte nicht, dass der Koffer noch einmal aufgeht. Ich werde ihn lieber selbst tragen." Und schon machte sie sich auf den Weg zu den Aufzügen.
"Bist du sicher? Du könntest die Ratschläge aus deiner Zeitschrift ausprobieren." Jack lächelte jungenhaft und wies mit dem Kinn auf eine Gruppe gut aussehender, durchtrainierter Hotelpagen, die im Foyer standen.
Paige warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Sehr witzig", raunte sie pikiert und ging zum Fahrstuhl. "Gute Nacht, Jackson."
"Jack!", korrigierte er sie. Doch die Aufzugtüren schlossen sich bereits, und auf Paiges Gesicht breitete sich ein zufriedenes Lächeln aus.
Am nächsten Morgen hießen tropische Blumen, Dschungelpflanzen und eine warme Brise Paige am Pool willkommen. Ihr blieb noch eine Stunde Zeit, bis die geführte Gruppenwanderung um 10 Uhr beginnen würde: eine Tour entlang der Na-Pali-Küste und ihre erste Gelegenheit, die Operation "am wirklichen Leben teilnehmen und Bewegung in die Dinge bringen" zu starten, wie Naomi es ausgedrückt hatte.
Paige trat auf die sonnige Terrasse am Pool und freute sich über den schönen Anblick: Der Swimmingpool wurde von drei Seiten des Clubgebäudes eingeschlossen, sodass eine sehr private Atmosphäre entstand. Und man blickte auf den wunderschön breiten Sandstrand, der zu Fuß schnell zu erreichen war. In steinernen Gefäßen wuchsen farbenprächtige, leuchtend rot und gelb blühende Pflanzen und die Balkons sowie die Innenhöfe waren stilvoll mit heimischen Pflanzen begrünt.
Seufzend blickte Paige sich am Pool um. Die Gäste hier boten leider keinen schönen Anblick: Körper von ungesunder Bräune, vor Sonnenöl glänzende Oberkörper, offen zur Schau gestellte künstliche Brüste, Tanga-Bikinihöschen, die den Blick auf Hinterteile freigaben . außerdem Bloody Marys, an denen zahlreiche Gäste in Liegestühlen und auf Hockern an der Bar schon um diese frühe Uhrzeit nippten. Rock und Hip-Hop dröhnten aus den Lautsprechern.
Auf dem Weg zu einem freien Tisch stieg Paige über ein Paar Beine hinweg und versuchte dabei, das nackte Hinterteil zu ignorieren, das sie förmlich anzugrinsen schien. Nachdenklich betrachtete sie ihre eher konservative Bluse und die Wandershorts, die nicht gerade dem typischen Outfit einer alleinstehenden Frau mit Sex-Appeal entsprachen, die gerne Männer kennenlernen wollte . Paige ließ sich im Schatten eines Sonnenschirms auf einen Stuhl sinken.
Sie öffnete den Rucksack, den sie sich für die Wanderung gepackt hatte: Sonnenschutz und Sonnenhut, Wasserflasche, Fernglas, Broschüre, Tagesplaner, Notizblock, Stift - und dann war da noch ihr dickes Pflanzenbestimmungsbuch. Alles da.
Paige blickte auf die Uhr und stellte fest, dass sie immer noch jede Menge Zeit hatte. Sie schob den Aschenbecher auf dem Tisch von sich weg und ließ den Blick über die Terrasse schweifen. An diesem Morgen schienen sämtliche Mitarbeiter des Clubs Lealea eine Blumenkette um den Hals zu tragen, ein wirklich netter Einfall.
Als Jack plötzlich am anderen Ende der Terrasse erschien, stockte ihr der Atem. Verärgert darüber, dass sie so heftig auf ihn reagierte, runzelte sie die Stirn und beobachtete ihn verstohlen.
Von seinem sonnengebleichten, zerzausten Haar bis zu den kakifarbenen Shorts wirkte Jack locker und leger. Und auch er trug eine Blumenkette. Während er am Pool entlangging, sah er sich gelassen um und ließ den Blick über die Bar, das Becken und die Gäste gleiten. Einmal blieb er stehen, um einem jungen Mann die Hand zu schütteln. Als er einer Gruppe von Frauen zunickte, die sich sonnten, dachte Paige: Das ist nicht der Jackson Banta, den ich von früher kenne.
Nein, er möchte ja auch Jack genannt werden, rief sie sich dann in Erinnerung. Doch eigentlich bereitete es ihr...