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Kapitel vier
Märta putzte sich die vom Staub verstopfte Nase und stieg die Treppe in den zweiten Stock des Hauses Sibyllegatan 21 hinauf. Vor der Tür mit der Aufschrift »Nyblaeus« blieb sie stehen, denn hier wohnte Toruns Schwester Ottilia mit ihrer Familie. Vor zehn Jahren hatten sich Ottilia, Torun, Beda und Märta zusammen mit Karolina, dem fünften Mitglied ihrer Bande, mit vereinten Kräften gegen die unter Mitarbeitern und Gästen des Grand Hôtel, ihres damaligen Arbeitgebers, gleichermaßen verbreitete Frauenfeindlichkeit zur Wehr gesetzt. Und dank der Unterstützung und des Einsatzes vonseiten der Hoteldirektorin Wilhelmina Skogh hatte man in dieser Hinsicht einige Fortschritte erzielt.
Nach einer Weile hatten Märta und Torun ihre Stelle dort aufgegeben und sich einen anderen Wirkungskreis gesucht, während Frau Skogh inzwischen ein Restaurant auf der nahe gelegenen Insel Lidingö betrieb. Doch Ottilia, Beda und Karolina hatten beschlossen, im Hotel zu bleiben. Ottilia, die älteste der vier Ekman-Schwestern und zweifellos die eleganteste, bekleidete inzwischen die gehobene Position einer Leiterin des Grand Royal und des berühmten Wintergartens. Ihr Mann Fredrik war als Bankettleiter tätig, und so sorgte der freundschaftliche Wettstreit zwischen den beiden dafür, dass das Grand Hôtel in Stockholm auch weiterhin als erste Adresse galt, ob es nun um hochwertige Gastronomie oder das Ausrichten prunkvoller Veranstaltungen ging. Der Freundschaft der fünf Frauen hatten all diese Veränderungen nichts anhaben können.
Wie immer freute Märta sich darauf, einen Nachmittag mit ihren guten Freundinnen zu verbringen. Eigentlich war Blanch’s Café schon seit vielen Jahren ihr Stammlokal. Doch seit Ottilia und Karolina verheiratet und Mütter kleiner Kinder waren, versammelten sie sich in der Sibyllegatan, und zwar deshalb, weil die Familie Nyblaeus die größte Wohnung hatte. Außerdem wäre Blanch’s Café heute ohnehin kein geeigneter Treffpunkt gewesen. Seit fünf Tagen schon plagten die dichten Staubwolken von der Abrissstelle das gesamte Stadtzentrum. Angeblich konnte man durch die Fenster der anliegenden Häuser das Tageslicht nicht mehr sehen. Das hatte Märta zumindest irgendwo aufgeschnappt. Nachdem sie sich noch einmal kräftig die Nase geputzt hatte, drückte sie auf den Klingelknopf.
Ein Mädchen mit hübschem Elfengesicht öffnete die Tür. »Tante Märta!«
»Hallo, Isabella. Bin ich die Letzte?«
Ottilias Stieftochter Isabella grinste, denn diese Frage hatte sie schon öfter gehört. »Wie immer.« Verlegenheit malte sich auf ihr Gesicht, als befürchte sie, zu keck gewesen zu sein. »Aber du hast ja auch den weitesten Weg.«
Märta lachte leise auf. »Kungsholmen ist nicht am anderen Ende der Welt.«
Isabellas Miene erhellte sich. »Ist es nicht scheußlich draußen? Mamma will, dass wir so wenig wie möglich rausgehen.«
Märta grinste. Es war wieder einmal typisch Ottilia, ihre Kinder vor allem schützen zu wollen, was ihrem Wohlbefinden auch nur im Entferntesten gefährlich zu werden drohte. »Da hat deine Mamma ganz recht. Ich bin nur von Strandvägen hierher zu Fuß gegangen und habe schon den Hals voller Staub. Die Fenster der Straßenbahn waren ganz schmutzig. Wenn der Schaffner nicht die Haltestellen ausgerufen hätte, wäre ich wahrscheinlich auf der Insel Djurgården gelandet.«
Sie folgte Isabella den Flur entlang zum Wohnzimmer, wo Stimmengewirr ihr verriet, dass die Feier von Philip Nyblaeus’ erstem Geburtstag – wenn auch mit zwei Tagen Verspätung – bereits angefangen hatte.
Ottilia stand auf, um Märta zu begrüßen.
Diese küsste sie auf beide Wangen. »Wilhelm lässt sich entschuldigen. Er ist mit Halsschmerzen aufgewacht. Schwer festzustellen, ob es an dem verdammten Staub oder an einer aufziehenden Erkältung liegt. Aber er wollte nicht riskieren, die Kinder anzustecken.«
Beda winkte ihr von der anderen Seite des Zimmers aus zu. »Verzeih uns, dass wir sitzen bleiben, aber wir haben die Hände voll.«
Der kleine Philip kuschelte sich auf Bedas Schoß, während Torun ihre liebe Not hatte, zu verhindern, dass Julian, Karolinas Sohn und gerade ebenfalls ein Jahr alt geworden, sich am Couchtisch hochzog und herunterkippte. »Der kleine Kerl fängt sicher bald zu laufen an. Seine Beinchen scheinen schon recht kräftig zu sein.«
Karolina errötete stolz. »Ich kann ihn keine Sekunde aus den Augen lassen. Er stellt sich hin, und dann plumps! Heute Morgen hat er sich schon siebenmal den Kopf gestoßen.«
»Es scheint ihm nicht geschadet zu haben«, erwiderte Märta und überreichte beiden Babys ihr Geschenk. Beda und Torun halfen dabei, eine Blecheisenbahn für Philip und ein Blechauto für Julian auszupacken. Beide Jungen lächelten so breit, dass ihre Zähne blitzten. Torun und Beda setzten sie auf den Boden, damit sie spielen konnten.
»Wie ich zugeben muss, erleichtert es die Sache beträchtlich, dass ihr die zwei in derselben Woche bekommen habt. So ist es einfacher, gerecht zu sein«, stellte Märta fest. »Und hier ist etwas für mein Lieblingsmädchen.« Sie griff in die Tasche und holte ein kleines Päckchen für Isabella heraus.
Die Augen der Kleinen leuchteten, als sie das dunkelrote Seidenband durch die Finger gleiten ließ. »Danke. Es ist wunderschön.« Sie gab das Band an Ottilia weiter. »Mamma?«
Ottilia fasste links und rechts zwei Strähnen von Isabellas kastanienbraunem Haar zusammen und band es am Hinterkopf mit einer Schleife zusammen. »Sehr hübsch. Du verwöhnst unsere Kinder.«
»Für eine Tante ehrenhalber gehört sich das auch so«, verkündete Beda. »Man kann sie verwöhnen, und dann gibt man sie wieder zurück.«
Torun und Märta stimmten lautstark zu.
Ottilia bemühte sich zwar um eine missbilligende Miene, konnte sich aber ein Lachen nicht verkneifen. Dann wies sie auf die Anrichte, wo ein verlockendes Büfett aus Sahnetorten, Teekuchen und gezuckerten Plätzchen neben einer silbernen Kaffeekanne und einem kleinen Krug mit Sahne aufgebaut war. »Jetzt sind alle da. Also bedient euch.«
Märta schaute sich um. »Wo ist denn Fredrik?«
»Er verpasst die Geburtstagsfeier seines Sohnes ja nur ungern, aber heute Abend findet im Spiegelsaal ein Bankett statt. Er möchte vor Ort sein, bis er sicher sein kann, dass alles klappt wie am Schnürchen«, erklärte Ottilia.
»Und Hilda?«, erkundigte sich Märta nach Ottilias treuer Haushälterin. »Ist sie etwa krank? Ich habe mich schon gewundert, dass Isabella die Tür aufgemacht hat.«
»Ich habe ihr den Nachmittag freigegeben. Ihre Schwester wird heute sechzig, und ich bin durchaus der Lage, mich allein um die beiden zu kümmern.« Sie zwinkerte Isabella zu und gab Philip ein Stück Zwieback. »Darf Julian auch einen haben?«
Karolina nickte. »Ja, danke.«
»Und wo ist Edward?«, fragte Märta.
»Ebenfalls bei der Arbeit«, antwortete Karolina. »Da ich nichts mehr verdiene, übernimmt er zusätzliche Schichten. Wenn er im Grand Royal nicht gebraucht wird, schiebt er Dienst in der Bankettabteilung.«
»Wo Fredrik sich freut, dass er mit anpackt«, ergänzte Ottilia. »Ständig muss ich ihn warnen, dass er bloß nicht im Traum daran denken soll, ihn mir abzuwerben.«
Karolina grinste. »Ich glaube, Edward fühlt sich zutiefst geehrt, dass zwei Größen der Hotelbranche wie Herr und Frau Nyblaeus sich um ihn zanken.«
»Natürlich tun wir das. Er ist mein bester Oberkellner.«
Märta schnitt sich ein Stück Mandelkuchen ab. »Ich hatte gehofft, dass Gösta heute kommt. Mit Alfred … und wie heißt das Baby?«
»Signe«, erwiderte Karolina. »Das arme, kleine Ding.«
Schweigen senkte sich über den Raum, als alle an das fehlende Mitglied ihrer Gruppe und das traurige Ende ihrer Freundin dachten. Margareta war Hausdame im Grand Hôtel gewesen. Sie hatte den Maître d’hôtel Gösta Möller geheiratet und ihren gemeinsamen Sohn zur Welt gebracht. Allerdings war ihr Familienglück nicht von Dauer gewesen. Denn Margareta war vor einem Monat bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben.
»Sie sind alle drei zu bedauern«, meinte Beda. »Der kleine Junge, der seine Mutter verloren hat, das kleine Mädchen, das sie nie kennenlernen wird, und Gösta, der nicht weiß, wie er ohne Margareta zurechtkommen soll. Aber er schlägt sich recht wacker.«
»Das tut er«, stimmte Torun zu. »Als wir ihn gestern gesehen haben, wirkte er dennoch ziemlich mitgenommen. Ein Jammer, dass sie nicht mehr bei uns nebenan wohnen, denn dann könnten wir ihn besser unterstützen. Wir haben ihm angeboten, Alfred heute hierher mitzunehmen, doch der Kleine will sich nicht von seinem Vater trennen. Vermutlich befürchtet er, dass Pappa auch noch verschwinden könnte.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Ottilia. »Margareta war eine sehr liebevolle Mutter.«
»Und niemand kann ihr vorwerfen, dass sie nicht gekämpft hat«, fügte Beda hinzu. »Das Fieber hat vier Tage gebraucht, um sie umzubringen.«
»Meine Mutter ist auch gestorben«, war da Isabellas dünnes Stimmchen zu hören.
Märta legte den Arm um sie. »Das ist sie, Schatz. Aber wir alle hier lieben dich.«
»Ich weiß. Und zum Glück habe ich Mamma.« Isabella lächelte Ottilia zu.
»Mich wirst du nicht so schnell los«, erwiderte Ottilia. »Ich bleibe bei dir bis zum letzten Atemzug.«
Isabella strahlte.
»Wie kommt ihr im Hotel ohne Gösta zurecht?«, wollte Torun wissen.
Ottilia überlegte. »So...
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