Schweitzer Fachinformationen
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Es war das Erste, was ich sah, als ich an jenem Morgen die Augen aufmachte. Ein orangefarbenes Rechteck von der Farbe heißer Lava an meiner Schlafzimmerwand. Es kam von dem Licht, das in einem staubigen Strahl durchs Fenster strömte und wie ein langsamer, ruhiger Film an der Wand spielte. Nur dieses sonderbare orangefarbene Licht. Ich war mir sicher, dass es jeden Moment verschwinden würde, wie ein Regenbogen, der auftaucht und im Nu wieder verblasst, du schaust dorthin, wo er eben noch war, und er ist nicht mehr da, höchstens ganz, ganz schwach, und auch das bildest du dir vielleicht nur ein, weil du dich daran erinnerst, was du gerade gesehen hast.
Ich ging zum Fenster und blickte hinaus. Der Himmel war neblig-violett, wie die Farbe der zarten Haut unter Mutters Augen, Halbkreise, die dunkel wurden, wenn sie müde war. Die Sonne eine verschwommene, tiefrote Kugel. Man konnte sie durch den Nebel direkt anschauen, wie einen Edelstein unter Lagen von Seidenpapier. Wahrscheinlich blühte uns irgendeine Art seltsames Wetter. Im Osten Kubas gab es Tage, an denen ich gleich morgens beim Aufwachen merkte, dass sich das Wetter radikal verändert hatte. Von meinem Fenster aus konnte ich die Bucht sehen, und wenn ein tropischer Sturm aufzog, streute die aufgehende Sonne Lichtbänder in die dichten Wolken, die sich am Horizont über dem Wasser türmten, und färbte sie rosa, als würden sie von innen beleuchtet. Ich liebte das Gefühl, mitten in einem drastischen Umschwung aufzuwachen, zu wissen, dass die Dienstboten, wenn ich hinunterging, hin und her rennen, die Terrassenmöbel hereinholen und Bretter vor die Fenster nageln würden, während draußen, in der warmen, böigen Luft, die erste Riesenwelle als glasige grüne Wand heranbrandete und das Ufer gleich hinter unserem Garten durchnässte. Wenn der Sturm schon angefangen hatte, prasselte der Regen aufs Haus, und es war so dunkel in meinem Zimmer, dass ich die Nachttischlampe einschalten musste, um auch nur die Uhrzeit zu erkennen. Ich fand Veränderungen aufregend, und als ich an diesem Morgen aufwachte und ein Rechteck aus orangefarbenem Licht an meiner Wand sah, hell wie glühende Kohlen, schien es, als würde gleich etwas ganz Besonderes passieren.
Es war früh am Morgen, und Mutter und Papa schliefen noch. Mein Bruder Del war zu dem Zeitpunkt schon drei Wochen weg, seit unserer Rückkehr aus den Weihnachtsferien in Havanna. Obwohl Papa nicht offen darüber sprach, wusste ich, dass Del mit Raúls Kolonne oben in den Bergen war. Ich hatte für den Billardsalon in Mayarí nie viel übriggehabt, aber seit Dels Verschwinden lungerte ich öfter dort herum. In Preston etwas über die Rebellen zu erfahren war schwierig. Die Kubaner wussten zwar alle, was los war, aber in Gegenwart von Amerikanern sagten sie nichts. Die Firma übte ziemlich starken Druck auf die Arbeiter aus, damit sie sich von jedem fernhielten, der irgendwas mit den Rebellen zu tun hatte. Wer hätte da mit dem dreizehnjährigen Sohn des Chefs geredet? In Mayarí betranken sich die Leute und machten den Mund auf. Eine Woche davor hatte mich ein alter campesino an der Schulter gepackt. War mit seinem Gesicht so nah an meins herangekommen, dass ich seinen Rumatem riechen konnte. Und etwas über Del gesagt. Dass er noch jung sei, aber bald zu einem der ganz Großen werden würde. Einem Befreier der Menschen. Wie Bolívar.
Ich hörte Annie Frühstück machen, Schubladen öffnen und schließen. Ich schlüpfte in meine Pantoffeln und ging hinunter. In der Küche war es so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Annie hatte alle Fenster verriegelt und die Jalousien heruntergelassen. Ich fragte sie, warum sie nicht die Fensterläden aufklappte oder eine Lampe einschaltete.
Dienstboten haben komische Angewohnheiten - abergläubische -, man weiß nie so genau, was sie umtreibt. Annie ging in der Dämmerung nicht gern nach draußen. Wenn Mutter darauf bestand, dass sie eine Besorgung machte, band Annie sich einen Schal vor den Mund. Sie sagte, bei Dämmerung versuchten böse Geister, Frauen in den Mund zu fliegen. Annie und unsere Wäscherin Darcina hörten beide gern diesen verrückten Gesundbeter Clavelito im Radio, auf CMQ. Darcina weinte manchmal nachts. Sie sehne sich so danach, mit ihren Kindern zusammen in einem Bett zu schlafen, sagte sie. Mutter kaufte ihr ein tragbares Radio, damit sie nicht so allein war, und der Gerechtigkeit halber bekam dann auch Annie eins. Was Gerechtigkeit anging, war Mutter ganz groß. Clavelito sagte den Leuten, sie sollten ein Glas Wasser aufs Radio stellen, seine Stimme würde dann das Wasser weihen oder so ähnlich, und sowohl Annie als auch Darcina machten das.
Annie sagte, sie hätte die Läden wegen der Luft draußen geschlossen. Sie sei ganz trüb, kitzle sie in der Nase und mache sie heiser. Wahrscheinlich hätten diese guajiros mal wieder ihren Müll verbrannt. Annie mochte die campesinos nicht. Sie war Hausangestellte, das ist eine andere Klasse.
Ich setzte mich mit der neuen Ausgabe von Unifruitco, unserer Firmenzeitschrift, an den Küchentisch. Sie kam alle zwei Monate heraus, deshalb waren die Nachrichten immer schon etwas veraltet. Dies war die Januarausgabe von 1958, und auf der Titelseite waren mein Bruder und Phillip Mackey mit einem Schwertfisch abgebildet, den sie im Oktober davor in der Nipe-Bucht gefangen hatten. Damit hatten sie den ersten Preis beim herbstlichen Angelturnier gewonnen. Es war schon seltsam, dieses Foto jetzt zu sehen, da beide fort waren und mein Bruder sich für so etwas wie Angelturniere nicht mehr interessierte. Auf der nächsten Seite war ein Foto von Papa mit Batista und Botschafter Smith auf unserer Yacht abgedruckt, der Mollie and Me. Ich blätterte weiter, während Annie Pastetenteig vorbereitete. Sie schnitt kleine Kreise aus dem Teig, belegte sie mit Käse und Guavenpaste, faltete sie zu Halbmonden und verteilte sie auf einem Backblech. Annies pastelitos de guayaba, warm aus dem Ofen, waren das Leckerste auf der Welt. Manche Amerikaner in Preston erlaubten ihren Bediensteten nicht, einheimische Sachen zu kochen. Mutter war da wesentlich aufgeschlossener, und einige kubanische Gerichte liebte sie heiß und innig. Mutter kochte nicht selbst. Sie schrieb Listen für Annie. Annie nahm dann zum Beispiel einen riesigen Red Snapper und füllte ihn mit Kartoffeln, Oliven und Sellerie, legte ihn in Butter und Limonensaft ein und backte ihn im Ofen. Das war mein Leibgericht. Sechs Monate davor, an meinem dreizehnten Geburtstag im Sommer '57, hatte Annie gesagt, da ich jetzt ein junger Mann sei und schneller erwachsen würde, als sie gucken könne, wolle sie mir schon mal einen Rumkuchen für meine Hochzeit backen. Als dreizehnjähriger Junge denkt man nicht unbedingt ans Heiraten. Klar hatte ich schon mit ein paar Mädchen rumgemacht, aber so was wie eine förmliche Werbung gab es nicht. Ein Rumkuchen hält sich zehn oder fünfzehn Jahre, und Annie meinte, bis dahin würde ich ja wohl erwachsen sein und eine Frau gefunden haben. Sie ließ in der Maschinenwerkstatt der Firma extra eine fünfstöckige Dose für diesen Kuchen anfertigen. Weiß gestrichen, obendrauf der handgemalte Schriftzug Kimball C. Stites und an den Seiten Griffe, mit denen man die Kuchenschichten herausziehen konnte. Was aus dem Kuchen oder der mit meinem Namen versehenen Dose geworden ist, weiß ich nicht. In der Eile des Aufbruchs verlorengegangen vermutlich, wie so viele von unseren Sachen.
Annie schob gerade ihre pastelitos in den Ofen, als ich Papas Schritte die Treppe herunterpoltern und Mutter hinter ihm herrufen hörte: «Malcolm! Malcolm, bitte, sei in Gottes Namen vorsichtig!»
Ich rannte in die Diele und traf Papa unten an der Treppe. Er stürmte an mir vorbei, als wäre ich unsichtbar, riss die Haustür auf und sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Verandatreppe hinunter. Ich lief in meinem Schlafanzug hinter ihm her. Er steuerte auf die Dienstbotenunterkünfte hinter dem Haus zu und hämmerte bei Hilton Hardy an die Tür. Hilton war Papas Chauffeur.
«Hilton! Aufwachen!» Er klopfte erneut. Jetzt erst bemerkte ich, dass Papa unter der Anzugjacke noch sein knitteriges Pyjamahemd trug.
«Mr. Stites, Mr. Hardy ist bei seiner Familie in Cayo Mambí», rief Annie durch das Fenster der Vorratskammer. Die geschlossenen Jalousien ließen ihre Stimme gedämpft klingen. «Mrs. Stites hat ihm die Erlaubnis gegeben.»
Papa fluchte laut und rannte zur Garage, wo Hilton die Firmenlimousine geparkt hatte, einen funkelnden schwarzen Buick. Wir hatten zwei davon - Dynaflows, mit verchromten ovalen Lüftungslamellen an den vorderen Kotflügeln. Papa öffnete die Garagentüren und setzte sich in den Wagen, startete ihn aber nicht. Er stieg wieder aus und rief zum Haus hoch: «Annie! Wo hat Hilton die Schlüssel von dem verdammten Ding?»
«An einem Haken da drinnen, Mr. Stites. Mr. Hardy hat alle Schlüssel an Haken», rief sie zurück.
Papa fand den Schlüssel, startete den Buick und fuhr rückwärts aus der Garage. Ich sah vom Gartenweg aus zu und wagte nicht zu fragen, was los war. Er brauste die Einfahrt hinunter, dass der Kies nur so spritzte, und bog rechts auf die Avenida ab.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Papa am Steuer seines eigenen Wagens sitzen sah. Er hatte sonst immer einen Fahrer. Papa trug jeden Tag einen weißen Segeltuchanzug mit perfekten Bügelfalten, gestärkt bis zum Gehtnichtmehr. Weißes Hemd, weiße Krawatte und Panamahut. Auf seinen nachmittäglichen Runden wurde er...
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