Schweitzer Fachinformationen
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als er einem deutschen Soldaten mit einem Motorradscheinwerfer den Schädel eingeschlagen und ihm dann den Dolch, die Pistole und die Gasmaske abgenommen hatte, die ihm nichts mehr nützten. So ein weiter Weg.
Von einer beschaulichen Kindheit mit Blick auf das afrikanische Meer, wo jedes Spiel des kleinen Jungen ein Satz Silhouetten vor sauber getrenntem Wasser und Himmel war, weitem, grenzenlosem Himmel, und einem Meer, so glatt und konvex wie von einem Glasbläser geblasen, sich dehnend und anschwellend, als wäre das aquamarinblaue Wasser eine einzige Fläche geschmolzenen Plasmas.
Valera verbrachte Stunden auf dem Balkon seines Elternhauses in Alexandria, hielt nach Schiffen Ausschau und pinkelte auf die Berber-Händler, die ihre Karren voll klebriger Datteln und Straußenfedern unten entlangrollten. Flaubert hatte das auch gemacht, als er mit Maxime Du Camp in einer Feluke den Nil hinuntergesegelt war. Koptische Mönche waren nackt zum Boot geschwommen und hatten um Almosen gebettelt. «Bakschisch, Bakschisch!», riefen die Mönche, und die Mannschaft der Feluke brüllte zurück, irgendetwas mit Mohammed, und versuchte, die Mönche mit Bratpfannen und Besenstielen zu prügeln. Flaubert konnte nicht widerstehen, seinen Schwanz aus der Hose zu holen, damit zu winken und so zu tun, als wollte er ihnen auf den Kopf pinkeln, und die Drohung, als die elenden Mönche sich an Tauwerk und Bug klammerten, dann wahrzumachen. «Bakschisch, Bakschisch!»
Valera ging verstohlener vor; er pinkelte über das Balkongeländer und duckte sich hinter einer Topfpflanze, wenn die Händler entrüstet zu ihm hochbrüllten und rasch ihre Karren wegzogen, sodass Valera in Ruhe, ohne das störende Gebimmel der Handglocken und das ablenkende Knirschen der Holzräder auf den Pflastersteinen, lesen konnte. Er war vollauf damit beschäftigt, seine strenge Lycée-Bildung mit Rimbaud und Baudelaire, mit Flauberts Briefen, Bänden, die er sich auf Reisen nach Paris mit seinem Vater gekauft hatte, zu ergänzen. Sein Vater bezahlte stolz die zusätzlichen Zollgebühren für Valeras Bücherkisten, ohne zu ahnen, dass manches davon nicht nur anstößig, sondern regelrecht obszön war, wie Flauberts Briefe aus dem Jahr seiner Nilfahrt, 1849. Unter Schuljungen wurden zerknitterte und angestrichene Seiten herumgereicht, Schilderungen eines Lebens, die bestätigten, wie viel von dem, was den Jungen als schlecht hingestellt wurde, eigentlich gut war, eines Lebens, in dem vor dem Frühstück, nach dem Mittagessen, vor dem Abendessen und dann wieder am nächsten Morgen, in völlig verkatertem Zustand, gevögelt wurde - Letzteres Flaubert zufolge das Beste von allem. Valera lernte Flauberts Berichte auswendig und träumte von seinen eigenen Lehrjahren des Gefühls mit durchsichtigen Hosen, Sandelholz und der endlosen Folge von Brüsten und samtenen Mösen, mit denen Flaubert in Berührung kam.
Valera verlangte es nach einer Französin namens Marie, und er schloss die Augen, um den physischen Abstand zwischen ihren beiden Körpern zu schließen, während er so tat, als wäre seine eigene Hand Maries Lippen, Mund und Zunge. Die dunkeläugige, hellhäutige Marie, die im Kloster nebenan wohnte. Sie war älter als Valera, ließ ihn aber ihre Hand halten und sie sogar küssen, mehr allerdings nicht. Die Verheißung ihres warmen Körpers war unter Schichten von nein und noch nicht begraben. Jeden Morgen wurden die Mädchen von den Nonnen in den Klostergarten geführt, und Valera stand am Küchenfenster und reckte den Hals, um sie ihre Kniebeugen und Dehnübungen machen zu sehen. Manchmal war der Einfallswinkel der Sonne so, dass sie die dünnen weißen Baumwollblusen der Mädchen durchdrang und er einen Blick auf die Form von Maries Brüsten erhaschen konnte, die rund und groß waren. Sie waren in keinerlei Unterwäsche eingehängt wie die komplizierten Musselin-und-Gummiband-Halfter, die seine Mutter trug, und er fragte sich, ob Büstenhalter nur für verheiratete Frauen gedacht waren. Wenn er in den Spiegel sah, fühlte er sich unfrei, ein hoffnungsloses Knäuel von Begehren und Schuld. Seine privaten Freuden wurden durch das Gespenst dieser Schuld verdorben, selbst bei verschlossener Tür und bis unters Kinn gezogener Decke: eine Festung der Intimsphäre, in die seine Mutter eine Bresche schoss, indem sie seinen Namen rief. Er ging davon aus, dass sich Jahre des Verlangens in ihm angestaut hatten und er sich bei seiner ersten richtigen Entladung mit einer gewaltigen Salve erleichtern und dann einen besser beherrschbaren Zustand erreichen würde. Körperliche Nähe, glaubte er, würde ihn so vieles lehren - zuallererst die tatsächliche Distanz zwischen Menschen. Er war bereit, für diese Ausbildung zu bezahlen. Er schlenderte durch die Rue de la Gare de Ramleh, wo die Huren arbeiteten, aber die Wahrheit war, dass er Männlein nicht von Weiblein unterscheiden konnte, obwohl man ihm erklärt hatte, dass die Männer auf einer und die Frauen auf der anderen Straßenseite standen. Aber welche Seite war welche? Er mochte nicht fragen. Sie sahen alle gleich aus, trugen die Schals auf die gleiche Weise geknotet und um den Hals gewickelt, rochen nach dem gleichen Parfüm. Er sehnte sich nach seinem sexuellen Sündenfall, aber er wollte keine Überraschung erleben, wenn er aus Versehen die falsche Seite von Ramleh wählte. Am Abend seines vierzehnten Geburtstags nahm er all seinen Mut zusammen und ging in ein Bordell an der Rue Lepsius, wo einheimische Frauen - vielleicht waren es Jüdinnen - gähnten und sich die Haarnadeln zurechtsteckten. Eine große Puppe lag mit weit gespreizten Beinen auf einem Stuhl. Valera suchte sich schnell eine Frau in Pluderhosen mit Goldschlitzen aus, deren lockiges Haar ihn an Maries erinnerte. Zusammen gingen sie in eine kleine Kammer mit fadenscheinigen Teppichen und einem wackligen kleinen Sofa. Die Frau ließ sich darauf fallen und begann, auf eine männliche, privat wirkende Art eine Shisha zu rauchen, die Augen geschlossen, den Mund wie den Schalltrichter einer Trompete geformt, sodass der Rauch in Os zur Decke aufstieg, die jungfräulich dahinsegelten und dann ausfransten und verwehten. Als sie mit der Shisha fertig war, zog sie sich die Pluderhose aus. Das Sofa knarrte laut, als sie Valera zu sich herabzog und ihre Beine um ihn schlang. Weicher Druck umhüllte ihn. Er ignorierte die Symphonie der Sofageräusche und tauchte in ein Meer ein, fühlte sich an ein Boot und Wellen erinnert, aber ob er das Boot war und sie die Wellen, spielte keine Rolle, nur die Lust der Bewegung zählte. Plötzlich drückte die Frau zu, betätigte irrwitzige Muskeln. Er hatte nicht gewusst, dass Frauen solche Muskeln besaßen, die wie eine Hand waren und ihn packten und ausquetschten, bis es nichts mehr auszuquetschen gab.
Die Salve, von der er geträumt hatte, war nicht so gewaltig, aber sie verursachte ein seltsames Nachbeben. Völlig unerwartet war die Traurigkeit, die der Lust auf dem Fuße folgte - wie der Rauch einer gelöschten Kerze. Aber wie Rauch löste sich auch die Traurigkeit schnell wieder auf, und eine Woche später bezahlte er eine Einheimische hinter dem offenen Basar dafür, ihren Busen anfassen zu dürfen. Bei der Frau im Bordell war er so mit der Mechanik des Akts beschäftigt gewesen, dass er fast vergessen hatte, ihre Brüste zu erforschen, die zu ihm aufgeblickt und im Takt mit dem knarrenden Sofa leicht gewackelt hatten. Hinter dem Basar drückte und fummelte er an den Brüsten der Einheimischen herum, als wären es zum Verkauf feilgebotene Früchte. Zu seinem Entsetzen fühlten sie sich wie Hüttenkäse an, mit körnigen Stücken darin. Er war sicher, dass Maries Brüste nicht klumpig und unangenehm kompliziert waren. Maries waren sicher elastisch und ebenmäßig, wie zwei mit Wasser gefüllte Ballons. Er würde auf ihre warten und auf sonst keine.
Eines Spätnachmittags, als er vom Rugbytraining zurückkam, sah Valera ein merkwürdiges Gerät auf dem Uferdamm stehen, ein Fahrrad mit seltsamen Abteilungen, schwarz gestrichen. Technisch gesehen war es ein Fahrrad - zwei Räder, ein Sattel, eine Lenkstange. Aber es hatte einen Motor wie eine industrielle Maschine. Die Metallflächen glänzten, keine Spur von Alexandrias allgegenwärtigem Staub, Straßenstaub, Ziegelstaub, Kalkstaub. Als wäre es just von einer Händlerausstellung oder einem Museum hertransportiert worden, und doch knisterte und knackte es, lebendiges Metall, das sich beim Abkühlen ausdehnte: Jemand war gerade damit gefahren. Auf das massive schwarze Hinterrad war eine seltsame umgedrehte Abfluss- oder Regenrinne mit maschinellem Innenleben montiert. Deutsche Namen standen darauf, «Hildebrand & Wolfmüller, München», in goldenen Buchstaben und betulicher, altmodischer Schreibschrift, wie auf der Nähmaschine aus dem Deutschen Krieg, die seine Mutter zu Hause hatte, für die Schneiderin. Der Ortsname, München, ließ ihn an Arbeiter denken, deren Leben um haptisches Wissen und frühe Weckzeiten kreiste, Männer, die vor sich hin werkelten, während die bayrische Sonne über engen Kopfsteinpflastergassen aufging. Der Rahmen des Motorrads war dick und sah aus wie aus Eisen gemacht, mit einem großen daran festgeschraubten Kanister, einer Art Metallkanne, vermutlich der Motor. Pedale hatte es nicht, nur zwei starre Tritte. Das vordere Rad war ein Speichenrad, das hintere eine undurchsichtige schwarze Scheibe, wie ein Fabrikschwungrad. Ein junger Mann kam um die Ecke, und Valera erkannte am Klackern der hartbesohlten, gutgearbeiteten Stadtschuhe, dass es der Eigentümer dieses sonderbaren Motorrads war. Die Sonne hing bereits...
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