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Es ist exakt 75 Jahre her, dass Thomas Mann, alt geworden und vielerfahren, seinen autobiographischen Essay »Meine Zeit« veröffentlichte (XI, 302-324. E VI, 160-182). Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt nur fünf Jahre zurück. Die politische und moralische Katastrophe, verantwortet durch den europäischen Faschismus, hatte verheerende Folgen.
Schon waren die beiden damaligen Großmächte, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten, gegen den Faschismus noch verbunden, zu Rivalen der Weltpolitik geworden. Kommunismus - Kapitalismus, Gleichheit - Freiheit wurden gegeneinander ausgespielt. Thomas Mann ist über diesen sich abzeichnenden und immer mehr verschärfenden Konflikt zwischen Ost und West zutiefst beunruhigt. Deshalb plädiert er am Ende seines Essays - in Kontinuität mit früheren Interventionen - für eine neue Verbindung von Freiheit und Gleichheit; ohne einander könnten sie nicht existieren, meint er. Denn Gleichheit trage stets in sich die Gefahr der Tyrannei und Freiheit die der anarchischen Auflösung. Aufgabe der heutigen Menschheit aber sei es, ein »neues Gleichgewicht« zwischen beiden zu schaffen, eine »neue Verbindung«, in der sich freilich die Tatsache nicht verleugnen lasse, dass Gerechtigkeit die herrschende »Idee der Epoche« geworden sei und ihre Verwirklichung eine »Angelegenheit des Weltgewissens«. Und wie zur Erläuterung fügt er hinzu: »Die bürgerliche Revolution muß sich ins Ökonomische fortentwickeln, die liberale Demokratie zur sozialen werden« (XI, 322. E VI, 180).
»Weltgewissen«! Schon damals ein großes Wort, das aber bereits in der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« der Vereinten Nationen 1948 benutzt wird - nicht zufällig vor dem Hintergrund der soeben erlebten Schändung der Menschenrechte.
»Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, [.] verkündet die Generalversammlung diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« (Resolution 217 A [III] vom 10.12.1948, Präambel).
Ein großes Wort, gewiss, aber bei Thomas Mann ist es begrifflich gefüllt und empirisch geerdet. Zahlreiche Dokumente belegen, dass er sich durch seine literarischen Arbeiten und seine publizistischen Äußerungen als ein »Anwalt« der universalen Menschenrechte begriff. Dafür aber hatte er einen langen Weg gehen müssen, bevor er nach der gnadenlosen Beschreibung des Verfalls der »bürgerlichen« Religion in seinem ersten Roman »Die Buddenbrooks« (1901), nach vielen Lebens- und Werkstationen und unfreiwilligen Erfahrungen mit dem abgründig Bösen in den dreißiger und vierziger Jahren, nicht nur allgemein »Humanismus« forderte, sondern bewusst einen »neuen«, einen »religiös fundierten Humanismus«. Es sollte gerade nicht der Humanismus des 18. Jahrhunderts sein, der sich religionskritisch von der Sphäre des Christentums gelöst, der vornehmlich auf Vernunft, Kritik und Autonomie des Menschen gesetzt hatte. Thomas Mann setzt sich ausdrücklich ab von der »dünn-rationalen und optimistisch allgemeinen Menschenliebe des 18. Jahrhunderts« (Tb, 1944-1946, 821). Sein neuer Humanismus will darin neu sein, dass er auch die Tiefenschichten der menschlichen Natur aufgenommen und verwandelt hat und so eine Versöhnung von Humanität und Religiosität bewirkt. 1945 formuliert er dies so:
»Religion ist Ehrfurcht, die Ehrfurcht vor dem Geheimnis, das der Mensch ist. Ein neuer Humanismus ist nötig, - nicht die dünn-rationale und optimistische allgemeine Menschenliebe des 18. Jahrhunderts, sondern ein religiös fundierter und gestimmter Humanismus, der durch vieles hindurchgegangen ist und alles Wissen ums Untere und Dämonische hineinnimmt in seine Ehrung des menschlichen Geheimnisses« (Tb 1944-946, 821f.).
Mehr dazu im Kapitel 6, 7-11.
Nach all dem, was er im Zusammenhang eines Weltbürgerkriegs soeben erlebt hatte, sieht Thomas Mann klar: »Keine wirkliche Befriedigung der Welt, keine Zusammenarbeit der Völker für das gemeinsame Wohl und den menschlichen Fortschritt« ohne ein für alle gültiges, universales, »von allen anerkanntes Grundgesetz«, eine »Magna Charta des Menschenrechtes« (XII, 938. E V, 237). Grundlage jeder Rede von einem Welt-Gewissen, von denen getragen, die sich dieser »Magna Charta« verpflichtet wissen. Grundlage aber auch für den Weltfrieden, der in Zukunft - so Thomas Mann - nur durch eine »Weltregierung« gewährleistet werden kann: durch eine »gemeinsame Verwaltung der Erde«, zu der auch eine gerechte »Güterverteilung« gehört (Tb 1949-1950, 706). »Weltregierung«, »Weltstaat«, »Weltföderation«: Das alles sind Themen, die Thomas Mann seit den vierziger Jahren und verstärkt nach 1945 in zahlreichen politischen Stellungnahmen öffentlich behandelt. Hinzu kommt seine Überzeugung, dass »in der kommenden Weltcivilisation« auch die »verschiedenen religiösen Bekenntnisse, die heute einander die Wahrheit streitig« machten, »verschmolzen« würden »zu einer Weltreligion, einem religiösen Humanismus, der die seelische Grundstimmung dieser universellen Gemeinschaft bilden« werde (Tb 1949-1950, 707). Mehr dazu in Kapitel 10, 17.
Ein langer Weg. Er soll in diesem Buch transparent gemacht werden. Dafür braucht es Vertrautheit mit dem Werk und den Willen, den langen Weg mit Geduld und Einfühlungsvermögen mitzugehen.
Wohlan denn.
Machen wir uns klar: Als Thomas Mann 1875 in Lübeck geboren wird, herrschen in England noch Queen Victoria und in Deutschland Wilhelm I., der Kaiser der Gründung des Deutschen Reiches. An seiner Seite Otto von Bismarck und Helmuth von Moltke als Reichskanzler bzw. Generalfeldmarschall. Es ist die Hochzeit des europäischen Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus. Als Kaiser Wilhelm II. 1888 auf den Thron kommt, ist Thomas Mann 13 Jahre alt. Erwachsen geworden, wird er zum Zeugen dramatischer Zeitenwenden: des Ersten Weltkriegs und des Untergangs der Monarchie; der Ausrufung einer Republik und der Bekämpfung des demokratischen Staates durch totalitäre Massenbewegungen zur Linken und zur Rechten. Dann der »Machtergreifung« des völkisch-germanisch-rassistischen Faschismus in Deutschland, der ungezählte Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler ins Exil treiben sollte, darunter Thomas Mann und die Seinen.
Zeuge wird Thomas Mann auch des von Deutschland angezettelten zweiten Kriegs, der sich von Europa aus zu einem neuen Weltkrieg entwickeln wird, dann der generalstabsmäßig organisierten und fabrikmäßig durchgeführten Massenvernichtung des europäischen Judentums in NS-Vernichtungslagern, der verheerenden Zerstörungen deutscher Städte, Lübecks inklusive, durch alliierte Bombenangriffe sowie Japans durch den Abwurf von zwei Atombomben und nicht zuletzt der Entwicklung noch grauenhafterer Vernichtungspotentiale in Form einer Wasserstoffbombe. Zeuge schließlich auch der Gründung des Staates Israel und des Neuanfangs Deutschlands nach der Katastrophe, jetzt allerdings im Zeichen der Spaltung West - Ost. Von den geschichtlich beispiellosen Entwicklungen in Wissenschaft, Medizin, Technik, Ökonomie und Industrie vor allem in...
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