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Machen wir uns nichts vor: "Weihnachten" ist auch bei uns in Deutschland vielfach verkommen, verflacht, verschleudert. Ein Fest für viele weitgehend ohne religiöse Tiefe und spirituelle Substanz. Wir haben dieses große religiöse Fest herabsinken lassen auf eine Schwundstufe bis zur Auflösung seiner religiösen Botschaft. Schon vor gut 100 Jahren schrieb der Schriftsteller Hermann Hesse, was heute mehr denn je zutrifft: "Unsere Weihnacht ist, von ein paar wirklich Frommen abgesehen, ja schon wirklich lange eine Sentimentalität. Zum Teil ist sie noch Schlimmeres geworden. Reklameobjekt, Basis für Schwindelunternehmungen, beliebtester Boden für Kitschfabrikation."2 Gründe genug, den religiösen Glutkern der Geschichte unter der Asche noch einmal freizulegen und mit Frischluft anzufachen.
Das Neue Testament kennt zwei Überlieferungen zur Geburt Jesu Christi, nachzulesen in den Evangelien des Matthäus (1,18-25) und Lukas (2,1-21). Andere urchristliche Schriften kennen solche Überlieferungen nicht. Weder die Evangelisten Markus und Johannes noch die paulinische und nachpaulinische Briefliteratur kennen die Betlehem-Erzählung. Und die beiden Evangelisten, die sie kennen, überliefern zwar nicht in der Grundbotschaft, aber in vielen Details unterschiedliche Narrative. Warum ist das so? Woher die Unterschiede? Das werden wir uns genau anschauen und nach Erklärung suchen. Aber nicht nur die christliche Ur-Kunde berichtet in zwei Fassungen von Jesu Geburt, sondern auch der Koran, nachzulesen in Sure 19,16-35 und in Sure 3,45-59. Ja, von allen Überlieferungen im Koran über Jesus ragt die Bedeutung gerade seiner Geburt heraus. Und beide Fassungen unterscheiden sich ebenfalls zwar nicht in der Grundbotschaft, wohl aber in Details. Warum ist das auch hier so? Woher die Unterschiede? Und warum hat ausgerechnet die Geburt Jesu diese Bedeutung? Ein Zufall - oder steckt Tieferes dahinter?
Ob aber im Gespräch mit Muslimen die religiöse Botschaft nicht neue Kraft gewinnen könnte? Denn sowohl im Neuen Testament als auch im Koran ist der Geburt Jesu ausdrücklich eine theologische Deutung gegeben. In beiden Suren wird von der Geburt des Sohnes der Maria so erzählt, dass Jesus zu einem "Zeichen Gottes für die Menschen" wird, zu einem Zeichen von Gottes "Barmherzigkeit" (Sure 19,21). Ja, Sure 19,32 zufolge ist Jesus ausdrücklich "kein unseliger Gewalttäter", sondern ein Mann des "Friedens". "Friede über mich", lässt der Koran schon den neugeborenen Jesus sagen, "am Tag da ich geboren wurde, am Tag da ich sterbe, und am Tag, da ich zum Leben erweckt werde" (Sure 19,33). Hier gilt es anzusetzen und Konsequenzen daraus zu ziehen: für ein neues Miteinander von Christen und Muslimen.
Wir wagen uns hier also an ein Stück wechselseitiger Auslegung von Bibel und Koran im Interesse des interreligiösen Gesprächs. Das bedarf heute einer neuen Rechtfertigung. Die müssen wir vorschalten, bevor wir auf unser spezielles Thema zu sprechen kommen: die Geburt Jesu in Bibel und Koran.
Jahrhundertelang haben Vertreter von Christentum und Islam Bibel und Koran gegeneinander ausgespielt. Christen lasen den Koran mit einer Defizithermeneutik, Muslime die Bibel mit einer Überbietungshermeneutik. Angestrebt wird heute in der Forschung eine Hermeneutik der Andersheit. Will sagen: Der Koran wird nicht länger von der Bibel als exklusivem Maßstab als "verzerrend", "missverstehend" oder "defizitär" abgewertet. Und umgekehrt wird die Bibel nicht länger vom Koran als exklusivem Maßstab her für zum Teil verdorben und missverstanden erklärt, vielmehr werden beide zunächst in ihrer je eigenen Integrität respektiert und in ihrer jeweiligen "Andersheit" zu verstehen gesucht. Wie viel ist in der Vergangenheit an Polemik auf beiden Seiten investiert worden mit dem wechselseitigen Vorwurf eines verzerrten, missverstehenden, willkürlich auswählenden Bibel- und Koranverständnisses. Der Prophet Mohammed habe Biblisches irgendwo auf seinen Reisen mitbekommen, verzerrt oder falsch wiedergegeben. So haben sich Christen die Abweichungen von ihren eigenen normativen Überlieferungen im Koran erklärt. Und umgekehrt: Die "Leute der Schrift", Juden und Christen, hätten die Botschaft des letzten Gesandten Gottes deshalb abgelehnt, weil sie ihre eigenen Heiligen Schriften missverstanden, verzerrt wiedergegeben oder falsch ausgelegt hätten. Sie seien jetzt durch den Koran als definitive Offenbarung überholt und ersetzt. Mit dieser Tradition der wechselseitigen religiösen "Maulkämpfe" (H. Heine), welche den je Anderen entweder geringschätzt oder triumphal zu überbieten trachtet, gilt es Schluss zu machen.
Für die neuere koranwissenschaftliche Forschung, der ich mich verpflichtet weiß,3 ist der Koran der Bibel nicht unterlegen oder umgekehrt der Bibel überlegen, sondern je anders. Bibel und Koran sind Ur-Kunden mit je eigenem Profil und unverwechselbarer Autorität. Und man muss sich schon die Mühe machen, diese jeweilige Andersheit in ihrer Komplexität zu verstehen, will sagen: in aller Sachlichkeit herausarbeiten, bevor dann in der Begegnung mit anderen Glaubenszeugnissen und Glaubensüberzeugungen eine argumentative Auseinandersetzung beginnen kann und beginnen darf, die zu einer begründeten Glaubensentscheidung herausfordert oder die eigene Glaubensentscheidung auf den Prüfstand stellt. Verstehenwollen der Andersheit des je Anderen ist somit die Grundvoraussetzung für einen Dialog, bei dem jede Seite von der Erwartung getragen wird, dass im jeweiligen Gegenüber Fähigkeit und Bereitschaft vorhanden sind, diese Andersheit so umfassend wie möglich zu verstehen, bevor das eigene Glaubenszeugnis ins Spiel kommt. Ein Drauflosbekennen ohne gründliche Kenntnisse von je Anderen ist kein Beitrag zum Dialog, sondern monologische Selbstbeschwörung mit dem Rücken zum je Anderen.
Dabei setzen solche Forschungen ein Dreifaches voraus, von dem auch ich in dieser Studie ausgehe:
Erstens: In der Welt der ersten Hörer (arabische Halbinsel Anfang des 7. Jahrhunderts) muss vor der koranischen Verkündigung ein "umfassender Wissenstransfer" stattgefunden haben, so dass zahlreiche biblische und postbiblische Traditionen der Hörerschaft Mohammeds bereits vertraut gewesen sein müssen. Verdeutlicht doch der Verkünder seine eigene Botschaft unter Verwendung jüdisch-christlicher Überlieferungen, ohne sie vorher seinen Adressaten vermittelt zu haben.
Zweitens: Das Aufgreifen entsprechender Überlieferungen ist mehr als ein "Übernehmen" und "Verarbeiten", es ist Ausdruck einer lebendigen Wechselbeziehung zwischen dem Verkünder und seinen Adressaten. Der Koran ist nicht in einem luftleeren Raum entstanden. Seine ersten Hörer sind ja noch keine Muslime, was sie erst durch die Verkündigung des Propheten werden sollen. Auf ihre gesellschaftlichen, kulturellen und geschichtlichen Vorprägungen reagiert der Koran und profiliert an ihnen seine spezifische Botschaft.
Drittens: Der Sprachgebrauch "die Bibel" im Koran ist ungenau und bedarf der Differenzierung. Denn die koranische Verkündigung setzt im 7. Jahrhundert ganz offensichtlich zwei Arten von Bibel voraus: eine durch die Rabbinen weitergedeutete jüdische Bibel und eine durch die Kirchenväter und die gesamtkirchlichen Konzilsbeschlüsse weitergedeutete christliche Bibel. Deren narratives Potential wird nicht einfach "übernommen", sondern ausführlich verhandelt. Entsprechend reflektiert der Koran den Prozess von Prüfung, Revision und auch Überbietung von jüdischen und christlichen, aber auch paganen Traditionen. Denn der Koran ist kein einsam-erratischer Block in einer ansonsten buchstäblich wüstenleeren Landschaft, kein Text ohne Kontext, sondern muss, unbeschadet seiner Entstehung in einem Randgebiet der damaligen Welt, als Antwort unter anderem auch auf christliche und jüdische Herausforderungen seiner Zeit verstanden werden, als lebendiges, "polyphones Religionsgespräch", ja als "Argumentationsdrama" (A. Neuwirth), das sich zwischen der muslimischen Gemeinde und den Vertretern der übrigen Traditionen abgespielt hat.
Sind doch in der Tat im Koran zahlreiche biblische und nachbiblische Überlieferungen nicht nur "gespeichert" oder "übernommen", sondern neu zum Leuchten gebracht. Neues Leben ist ihnen eingehaucht worden. Ein Doppelnarrativ lässt sich von daher rekonstruieren: Die koranische Verkündigung setzt zunächst dem lokal ererbten Selbstverständnis der Hörer ein neues, ein biblisches auf und stößt damit eine "Biblisierung" des arabischen Denkens an. Zugleich aber kehrt sie den Prozess wieder um und leitet...
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